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Freitag, 24. Juli 2009
Vom Überwinden mittelalterlicher Mauern
Gotland, ehemals reichste Kalksteinplatte in der Ostsee. Erste große Blütezeit: die frühe Völkerwanderungszeit, gerade als auf dem Kontinent die antike Welt im Hunnensturm und der von ihm angeschobenen Invasion germanischer Völker unterging. Wieso blüht ausgerechnet da diese Insel am äußersten Rand der bekannten Welt auf? Nachgehen!
Die zweite große Epoche Gotlands reichte vom 11. Jahrhundert bis in die Zeit der Hanse, der die Inselhauptstadt Visby selbst beitrat. 1361 überfiel König Valdemar Atterdag von Dänemark das reiche Gotland, schlachtete nacheinander drei Bauernheere und plünderte Visby, das sich nie wieder erholte. Es fiel hinter seiner dreieinhalb Kilometer langen und elf Meter hohen Stadtmauer in eine Art Dornröschenschlaf, in dem die mittelalterliche Altstadt bis heute mit über zweihundert Stein- und Holzhäusern aus der Hansezeit unversehrt erhalten blieb. Ein einzigartiges Stadtensemble, das zum Weltkulturerbe gehört.


Vor einer Mauer und einem verschlossenen Tor stehen auch wir bei der Ankunft. Mitten in der historischen Altstadt gelegen, funktioniert unser B&B trotzdem vollautomatisch; oder auch nicht. Das Tor zum Hof ist elektronisch mit einem Zahlencode gesichert, und der, den wir bei der Buchung erhalten haben, funktioniert nicht. Eine Rezeption mit einem lebenden Menschen gibt es nicht mehr. Unter der Telefonnummer, die ich mir sicherheitshalber notiert habe, antwortet ein Automat. Freundliche Passanten, die unsere ratlosen Gesichter bemerken und helfen wollen, tickern irgendwelche Lottozahlen in die Türschloßtastatur. Nej, auch Tante Kajsa-Stinas Geburtsdatum ist gemeinerweise nicht das gesuchte Sesam-öffne-dich.
Nach einer ergebnislosen Viertelstunde fällt mir ein, daß der Schlüssel zu unserer Hütte “in einem Kasten hinter der Mauer gleich links vom Eingang” liegen soll. Das könnte nicht etwa schlicht der Briefkasten sein? ... Ein großherzoglich schmaler Unterarm wird trotz der inzwischen einsetzenden Abendkühle entblößt und die dazugehörige Hand mit einer Miene in den Briefschlitz eingeführt, als wäre er einer dieser steinernen Münder in Italien, in die man zur Wahrheitsprobe seine Schwurhand legen mußte. Ich halte die Klappe offen - man kann ja nie wissen, aus welchen Gründen sie vielleicht zubeißen will -, und die sensiblen Fingerspitzen der Herzogin ertasten am Grund des Briefkastens etwas... Wolliges. Eine tote Maus? Der Unterarm steckt ziemlich fest, und kann gar nicht so schnell herausgezogen werden. Iiieh! Beim zweiten Versuch klappert etwas leise metallisch. Beherzt greift die herzogliche Hand zu (tote Mäuse quietschen nicht) und fördert ein kleines Schaf aus Wolle zutage, an dem zwei Schlüssel hängen. Einer paßt aufs Tor, der zweite schließt uns das schnuckelige Gartenhäuschen auf, in dem wir unsere erste Nacht auf Gotland verbringen werden.

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