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Donnerstag, 18. November 2010
Der Beginn einer Freundschaft: Thomas Mann - Karl Kerényi
Bislang hat der Briefwechsel Mann - Kerenyi zu dem, was mich anfangs eigentlich daran interessierte, leider kaum etwas erbracht, dafür aber manches andere. Und es wäre auch mehr als verwunderlich, wenn dem nicht so wäre. Wenn zwei Köpfe wie Karl Kerenyi und Thomas Mann über mehr als 20 Jahre Briefe miteinander wechseln, sollte schon der eine oder andere bedenkenswerte Satz in diesem Briefwechsel geäußert werden.
Begonnen hat er, wie schon gesagt, damit, daß Kerenyi Thomas Mann im Frühjahr ‘33 seinen Vortrag “Unsterblichkeit und Apollonreligion” zuschickte. Er gab damit Themen aus (antiker) Religion und Mythologie gleichsam vor, und Thomas Mann ging darauf ein, stellte aber auch ziemlich von Beginn an seine Position klar und den Bezug zur Gegenwart her. Daß er, der stets Zugeknöpfte, diesen Schritt unternahm, erstaunt mich nun doch. Vielleicht sind überhaupt die Mitteilungen zum Zeitgeschehen in diesen katastrophalen Jahren das Interessanteste an diesem Briefwechsel zweier sehr scharfsinniger Beobachter und Intellektueller. Einige Auszüge aus ihren Briefen möchte ich in der nächsten Zeit hier einstellen. Den Anfang soll jener zweite Brief Thomas Manns machen, der die angesprochene Positionsklärung enthält. (Da es sich um ganz persönliche Lesefrüchte handelt, erlaube ich mir um einer flüssigeren Lesbarkeit willen, Auslassungen nicht eigens kenntlich zu machen.)

Küsnacht-Zch. den 20. II. 34



Sehr verehrter Herr Professor

Tatsächlich ist in meinem Fall das allmählich zunehmende Interesse fürs Mythisch-Religionshistorische eine “Alterserscheinung”, es entspricht einem mit den Jahren vom Bürgerlich-Individuellen weg, zum Typischen, Generellen und Menschheitlichen sich hinwendenden Geschmack.

Es gibt in der europäischen Literatur der Gegenwart eine Art von Ranküne gegen die Entwicklung des menschlichen Großhirns, die mir nie anders, denn als eine snobistische und alberne Form der Selbstverleugnung erschienen ist. Ja, erlauben Sie mir das Geständnis, daß ich kein Freund der – in Deutschland namentlich durch Klages vertretenen – geist- und intellektfeindlichen Bewegung bin. Ich habe sie früh gefürchtet und bekämpft, weil ich sie in allen ihren brutal-antihumanen Konsequenzen durchschaute, bevor diese manifest wurden.
Ich vertraue auf Ihr Verständnis, wenn ich sage, daß mit der “irrationalen” Mode häufig ein Hinopfern und bubenhaftes Über Bord werfen von Errungenschaften und Prinzipien verbunden ist, die nicht nur den Europäer zum Europäer, sondern sogar den Menschen zum Menschen machen. Es handelt sich da um ein “Zurück zur Natur” von menschlich wesentlich unedlerer Art, als dasjenige, welches die französische Revolution vorbereitete... Genug! Sie verstehen mich aufs Wort.

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