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Sonntag, 14. November 2010
“Lieber und hochgeehrter Herr Doktor”, “Sehr verehrter Herr Professor..."
Ich stecke fest. Bei meinem Versuch einer kleinen Tiefenbohrung zu den mit Dionysos verbundenen Vorstellungen bin ich auf eine sehr undurchlässige Schicht von Tiefengestein gestoßen, bei der ich vorerst nicht vorankomme. Das hat äußere und innere Gründe. Habe ich schon erwähnt, daß ich meinen Wecker noch immer nicht umgestellt habe, damit ich nach jetziger Zeit jeden Morgen schon um 5 Uhr am Schreibtisch sitze, weil ich mit rasender Geschwindigkeit und ebenso großer Sorge den Abgabetermin für meine verdammt umfangreiche derzeitige Arbeit auf mich zukommen sehe? Da bleibt kaum Zeit, nebenher noch Privatstudien aus reiner amateurhafter Neugier zu betreiben. Außerdem habe ich feststellen müssen, daß die Schriften eines Religionswissenschaftlers vom Rang Karl Kerenyis nicht einmal in der Königlichen Bibliothek in der Hauptstadt Den Haag vorhanden sind. (O Holland, oh Land, das einmal einen Spinoza hervorgebracht hat! Inzwischen liegt er hier begraben.) Über das Dionysische und Apollinische und vieles mehr hat Kerenyi immerhin einen Thomas Mann belehren können, der Kerenyis mit ehrfürchtigen Widmungen versehene Sonderdrucke hemmungslos in seine Romane verwurstete. “Ich warte auf den Kritiker, der als Erster merkt, woher ich das Kapitel ‘Die Hündin’ im dritten Josephsbande habe.” (Mann an Kerenyi, Brief vom 4.5.1937)
In Ermangelung anderer Schriften Kerenyis habe ich mir den Briefwechsel der beiden besorgt, aber – donalphons Liebe zur vermeintlichen Kultiviertheit alter Zeiten in Ehren – allein die Umgangsformen dieser distinguierten beiden Herren aus zigarrenduftenden Vorkriegszeiten sind sowas von umständlich bis lästig, daß man zutreffender von Umstandsformen sprechen möchte.

“Dem großen Schriftsteller, der uns mit Herrn Settembrinis Gestalt beschenkte, und einem der tiefsten Religionskritiker” – mit dieser Widmung übersandte Kerenyi Thomas Mann Anfang 1934 seinen Vortrag über “Unsterblichkeit und Apollonreligion”. Dazu veranlaßt hatte ihn die Lektüre des Zauberbergs.

“In Settembrinis Gestalt schuf Thomas Mann die mir äußerst sympathische Verkörperung des humanistischen Verhaltens einer immer wiederkehrenden menschlichen Situation gegenüber, welche als wissenschaftlicher Stoff in den Bereich der Religionsgeschichte gehört. Ich meine die Situation der Todesnähe... ein Thema, in dem sich Thomas Mann mit einer solchen Sicherheit, Scharfsicht und Präzision bewegte... wie kein Gelehrter, der dieses Gebiet je in Angriff genommen hatte”, schreibt Kerenyi im Vorwort zur Veröffentlichung des Briefwechsels.

In seinem ersten Antwortbrief zeigte sich Mann beeindruckt: “alles rührte an die Wurzeln meiner geistigen Existenz und hat mich entzückt.”
Drei Jahre und etliche Briefe später (und trotz eines persönlichen Besuchs von Kerenyi samt Frau Gemahlin in Küsnacht) sind sie aber, von vereinzelten Bemerkungen abgesehen, noch immer nicht zu Potte oder zur Sache gekommen. “Lieber und hochgeehrter Herr Doktor”, “Sehr verehrter Herr Professor... Wir haben Ihren Besuch in freundlichster Erinnerung. Ihr ergebener...”


"pups" - "Verzeihung"

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