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Montag, 22. Juni 2009
Marmor wem Marmor gebührt
Ihre treffliche Schlagzeile "Stockfisch für den Süden, Carrara für den Norden" ist auch nicht von schlechten Eltern, lieber M. Stubenzweig, und hat eine ziemliche Reichweite, möchte ich meinen, doch vielleicht dürfen wir dieser Tage gerade zusehen, wie der Süden zur Gegenwehr antritt und uns Nordlinge mores lehrt.
Dabei blicke ich natürlich zu allererst nach Iran, wo doch anscheinend zumindest Tausende Bürger Teherans endlich ihre geistigen Stockfische loswerden und sich ihre Freiheitsrechte zurückholen wollen. Die Lage dort ist sicherlich zu undurchsichtig (erst recht von außen), um sagen zu können, wer dort letztlich was zu welchem Zweck und Ziel tut, aber daß es vor allem den Gebildeten jetzt reicht, ständig unter der Fuchtel von religiösen Aufsehern leben zu müssen, scheint mir doch deutlich genug zu sein. Von wem werden erfolgreiche Revolutionen angezettelt, wenn nicht von den Intelligenten? Das war m.W. 1789 so, und es war 1917 so, bei den wohl bedeutendsten und erfolgreichsten Revolutionen der letzten beiden Jahrhunderte. Daß im Hintergrund eine neue Schicht von reich und mächtig Gewordenen ihre Fäden zieht, die ihre Macht im bisherigen Staat für nicht ausschlaggebend und gefestigt genug hält, scheint mir auch im Iran dieser Tage der Fall zu sein. Was aber noch hinzukommen muß, ist die Mobilisierung "der Straße", großer Mengen des Volkes also, und solche Massenproteste scheinen besonders im Iran äußerst wirksam zu sein, wie ein Artikel des Cambridge-Doktoranden David Motadel in der Süddeutschen von heute nachzeichnet, - und genau darum gehen die Inhaber der Macht im Iran gleich so vehement dagegen vor. Angesichts der Gefahren für Leib und Leben, denen sich jeder der Demonstranten aussetzt, der dieser Tage in Teheran auf die Straße geht, ziehe ich meinen Hut vor jedem Iraner und jeder Iranerin natürlich, die so viel Mut und Zivilcourage aufbringen. (Hier ein kurzer Lehrfilm der BBC, wie Demonstranten eine Straßenkreuzung erobern.)
"Die Revolte der Iraner ist das wichtigste Ereignis unserer Zeit, es ist auch beschämend. Aus der „Achse des Bösen“ lernen wir gerade, was Bürgerrechte wert sind", konstatiert heute Nils Minkmar in der FAZ. "Unsere Werte werden gerade in Teheran verteidigt, und zwar unverlangt, unerwartet und hemmungslos. Und besser als von uns." - Marmor wem Marmor gebührt.

So viel heute zu den Persern. Mein zweites Beispiel für die Zurückweisung der Stockfische zugunsten des Marmors kann logischerweise nur von den Griechen kommen. Das gerade eingeweihte neue Akropolismuseum in Athen (damit auch wieder zurück zum Thema Architektur) ist laut Andreas Kilb in der FAZ "ein einziges großes Restitutionsbegehren aus Stahl, Glas und Beton... Eigentlich hätten die griechischen Politiker, die am Samstagabend in Athen das neue Akropolis-Museum eröffneten, kein Wort mehr über den Anspruch Griechenlands auf die Londoner Elgin Marbles verlieren müssen."
"Schöner und anregender ist große Kunst jedenfalls kaum irgendwo auf der Welt zu erleben als im neuen Akropolis-Museum." (SZ, 22.6.09)

Hier die Verbindung zu einer sehr anschaulichen Präsentation des neuen Museumsbaus.

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«Staub und Dreck» –
Ahmadinedschads in der SZ zitierte Worte kommen mir irgendwie bekannt vor. In Frankreich wollte ein Führungspolitiker ihn auskärchern; karcher ist mittlerweile in die französische Sprache aufgenommen worden. Ob's da berlusconiartige Absprachen mit dem deutschen Gerätehersteller gab?

Was mich allerdings ins Grübeln bringt bzw. ich nicht verstanden habe: Weshalb hat 1979 das iranische Volk diesen aus Paris eingeflogenen Chomeini (seltsamerweise sind mir diese Bilder noch recht klar in Erinnerung; vor allem der Jubel in den hiesigen Medien über die erlangte Freiheit des Landes) derart fest installiert, daß es sich nun offensichtlich gegen die ideologisierte Religion als Gesetz zu wehren beginnt? Oder so: Will das Volk diese Befreiung wirklich? Liegt es möglicherweise in erster Linie nicht doch daran: «Daß im Hintergrund eine neue Schicht von reich und mächtig Gewordenen ihre Fäden zieht, die ihre Macht im bisherigen Staat für nicht ausschlaggebend und gefestigt genug hält, scheint mir auch im Iran dieser Tage der Fall zu sein.» Ich weiß zu wenig, deshalb traue ich mir kein Urteil zu. Aber nachdenklich gemacht hat mich dieser Tage ein Kommentar von Genelon, mit dem er mich auf einiges aufmerksam macht, das mich ansatzweise zuvor bereits bewegt hatte, vor allem – mal wieder – bezüglich der Berichterstattung in den deutschen Medien, die nun wirklich nicht anders zu bewerten sein dürften als mit gleichgeschaltet. Ach was, erst gestern habe ich arte, wo's innerhalb der (eigenproduzierten) Berichterstattung eigentlich manchmal etwas besonnener zugeht als anderswo, wieder (in etwa) entnommen: US-Filme et cetera seien im Iran schneller verfügbar als in Deutschland, und alle wünschten sich nichts sehnlicher, als in den USA zu studieren ... Und so weiter und so fort. Wieviel Prozent sind das, die solches äußern? Und ist das tatsächlich die sogenannte kommende oder vorhandene geistige Elite? Genelon bietet da einige interessante Denkansätze.

Ich wünsche allen Menschen Freiheit, nicht nur im Denken, sondern vor allem auch vor Religionen, die es einschränken oder gar verbieten wollen. Aber bevor ich nicht mit mindestens drei wirklich freien und unabhängigen Geistern gesprochen habe, die lange genug im Land leben oder gelebt haben in letzter Zeit – und eben nicht nur mit der wunderschönen Perserin, die einmal im Jahr die Verwandtschaft besucht und die ich ohnehin immer nur anschauen kann oder dem Ehepaar, das nach Chomeinis Machtübernahme noch rechtzeitig fliehen konnte –, bevor das nicht geschehen ist, bleibe ich in laienhafter Vermutung und ungläubigem Staunen über die Ereignisse stecken. Das ist das eine. Auf das andere komme ich noch.

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Carrara für den Norden,
das war titelige Flapserei. Aber ich will's aufgreifen, da doch etwas an Tiefe vorhanden ist. Ich meinte damit hauptsächlich diesen Wahn, die große weite Welt sein zu wollen und dabei die eigenen Wurzeln derart einzubetonieren, daß sie in tausenden von Jahren nicht mehr sichtbar sein werden. Im Fall Oslo habe ich mich alleine auf die Materialwahl bezogen, weil ich sie – aus diesem Grund und weil's auch anders geht, historische Monumente zu schaffen – für falsch halte. Das Gebäude als solches kann ich nicht beurteilen, da ich selbst nicht dort war; Bilder haben mir noch nie ausgereicht.

Auch das neue Museum in Athen habe ich nicht gesehen. Hörte ich alleine auf Andreas Kilbs Äußerung, «ein einziges großes Restitutionsbegehren aus Stahl, Glas und Beton» (ich mag diese ausgelutschte Formulierung nicht mehr lesen, und dann auch noch «Stararchitekt»; überhaupt ein dünnes Berichtchen, aber vielleicht kommt ja nochwas), müßte ich mich mir anschließen. Aber da ist Gottfried Knapp, auf dessen fachkundige und unbestechliche Meinung (übrigens auch im Bereich des Essens und des Trinkens, aber das nur nebenbei; wenn auch alles Zusammenhänge hat), ich mich auf Knapp also immer verlassen konnte, der hier schreibt: «Sein [des Architekten Bernhard Tschumi] Museum schwebt auf Stelzen über den klaffenden archäologischen Wunden und gibt durch große gläserne Bodenplatten, die zu betreten man erst einmal wagen muss, immer wieder den Blick frei auf die Strukturen des alten Athen. [...] das hat der Kunst neue Erzählmöglichkeiten eröffnet, indirekt aber auch Folgen gehabt bis in die olympischen Rituale der Neuzeit hinein.» Weshalb sich die Griechen, wie Knapp meint, nicht freuen, das wird leider nicht ersichtlich. Aber ich meine, seine flammende Rede – was selten ist bei ihm – spricht dafür, daß die landes- oder auch kulturtypischen Strukturen vorhanden, sozusagen wiederhergestellt sind, und eben in einem weltarchitektonischen Sakralbau.

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Noch einmal zu den Wahlen im Iran
Lieber Herr Stubenzweig,
Dank für den Hinweis auf Genelon und Ihre Gedanken hier. Mein SZ-Zitat von gestern stammte übrigens aus dem Artikel von Gottfried Knapp, doch Ihre zentrale Frage schien mir die folgende zu sein: "Will das Volk diese Befreiung wirklich?" - Ich glaube, man muß da erst einmal zurückfragen: Wer ist das Volk? Genelons "wahnsinnig demokratiebewusste, friedliebende Menschen", deren Abbilder und Bilder in unseren Medien (trotz der leise drübergesprochenen Lottoformel "ohne Gewähr") fast eine Monopolstellung errungen haben, sind es sicher nicht allein. Vielmehr muß man wohl damit rechnen, daß sie in der Gesamtbevölkerung Irans nur eine Minderheit ausmachen. Worauf Genelon richtig hinweist: Der Wahlbetrug ist bisher nicht mehr als eine Behauptung der Demonstranten. Meine herzliebste Wojwodinesin, die das Milosevic-Regime und den Krieg in Serbien erlebt hat, kennt sich in Sachen Wahlbetrug sicher besser aus als unsereiner, und sie meint, es habe sich in der Vergangenheit mehrfach gezeigt, daß sich Wahlergebnisse nicht komplett umdrehen, sondern allenfalls um ein paar Prozentpunkte "korrigieren" ließen. Wenn Ahmadinedschad nun eine Zweidrittelmehrheit für sich reklamiert, dürfte er nach dieser Arithmetik bei den Wahlen zumindest eine Mehrheit der Stimmen bekommen haben. "Das Volk" im Iran wäre dann aber zu einem überwiegenden Teil die noch schweigende (oder von unseren Medien nicht wahrgenommene) Mehrheit im Land, die nicht über Kamerahandys, Internetzugänge und Twitter verfügt. Wenn bei den Wahlen falsch gezählt wurde, kann man mit Fug und Recht ihre Wiederholung fordern, aber ich glaube, es sind Zweifel daran berechtigt, ob die Mehrheit bei Neuwahlen selbst unter internationaler Kontrolle wirklich Musawi zufallen würde.

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Der Satz von Knapp,
das weiß ich, habe ich das Zitat doch erweitert, muß ich den Artikel also gelesen haben ...

«Wer ist das Volk?» fragen Sie «zurück». In gewisser Weise, also wie ich ahnend und vermutend, beantworten Sie die Frage ja ein wenig: «"Das Volk" im Iran wäre dann aber zu einem überwiegenden Teil die noch schweigende (oder von unseren Medien nicht wahrgenommene) Mehrheit im Land, die nicht über Kamerahandys, Internetzugänge und Twitter verfügt.» Ich nehme an, daß es sich dabei ungefähr um diese «Zweidrittelmehrheit» handelt, die «Ahmadinedschad für sich reklamiert». Genau deshalb würde ich ja gerne mit Menschen darüber sprechen, die sich wirklich auskennen, und mir nicht dubiose und tendentielle Mediengeschichten erzählen lassen. Wie weit uns ebendiese Medien, möglicherweise im Einklang mit ehemaligen Flüchtlingen vor Chomeini oder gar dem letzten Schah, das Hirn auszubrennen versuchen, wird deutlich an Äußerungen wie denen, die beispielsweise diesen Kommentar kommentieren. Das ist genau das, was die mir bekannten Perser ihren Kindern und Kindeskindern (und auch mir) erzählen, also der zweiten oder mittlerweile gar dritten Generation. Aber genau die dürften früher nicht der Masse angehört haben. – Daß ich deren von strengen religiösen, gar in «Gesetze» gegossenen und somit geformten Ansichten nicht unbedingt zustimmen würde, das steht auf einem anderen Blatt. Aber, um Vergleiche herzustellen, ich gehöre ja auch nicht zu den Mehrheiten, die Herrn Sarkozy gewählt haben oder Frau Merkel wiederwählen würden (70?, 80? Prozent). Die haben ja, wie die anderen, nichts zu verbergen, also ist es ihnen wurscht, wer das mit ihnen macht, woran sie gewohnt sind.

Andere Stimmungsbilder gibt es jedoch auch, welcher Prägung auch immer – auf jeden Fall: Was genaues weiß man nicht.

Weitergekommen sind wir nicht. Aber im wesentlichen dürften wir uns ohnehin einig sein.

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Nachrichtenlink zum Iran
D'accord. Hinweisen möchte ich noch auf ein recht informatives Nachrichtenblog zu den Ereignissen im Iran. Unter dem Namen Madagaskar erscheint es zu meiner Überraschung bei den Weblogs des Handelsblatts. Darin wurden heute bspw. einmal die Meldungen des deutschen und des englischen Dienstes von afp miteinander verglichen. Bemerkenswert.
afp - deutscher Dienst: Die iranische Führung fährt weiter eine harte Linie gegen die Proteste im Land. Das geistliche Oberhaupt, Ayatollah Ali Chamenei, bekräftigte am Mittwoch die unnachgiebige Haltung der Regierung. Der unterlegene Präsidentschaftskandidat Mohsen Resai zog seine Beschwerde beim Wächterrat gegen die Wahlergebnisse zurück. Die Führung werde nicht «zurückweichen», erklärte Chamenei angesichts der Demonstrationen. «Weder das System noch das Volk werden nachgeben.» Am Mittwoch blieb die Lage auf den Straßen Teherans zunächst ruhig.

afp - englischer Dienst: A large presence of Iranian riot police and a volunteer militia deterred demonstrators who were trying to gather near parliament in Tehran on Wednesday, a witness told AFP. Police armed with batons and shields called on the few hundred people who had attempted to gather in Baharastan square to disperse, the witness said. “No permission has been given for any rally,” the interior ministry said in a statement earlier on Wednesday. The witness said people were walking in groups near the square but were not shouting slogans or carrying any banners.

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