In einer Reykjavíker Seitenstraße wurde das erste Grün des Frühlings gesichtet. Ich nutze diesen Lichtblick und erkläre meinen Winter in Island für beendet. Lange genug hat er gedauert. Jetzt geht es zu neuen (doch nicht unbekannten) Ufern. Aufbruch! Nicht nur aus Island, nein, auch in Holland werden die Zelte abgebrochen. Aus dem geplanten Jahr dort sind unversehens mehr als die biblischen sieben geworden. Genug. Sonst könnte das Tumbleweed, der Steppenroller, am Ende noch Wurzeln schlagen. Doch dafür ist Holland nicht der richtige Grund. Zu matschig.
‟te koop”? Nein, danke. Ich habe mich immer gefragt, wie man denn geborgtes Land kaufen kann. Ich meine, das hier ist doch alles nur vorübergehend trocken gelegter Meeresgrund. Und wird es irgendwann wieder. Lieber weg, bevor in die Tiefgaragen von Rem Koolhaas’ Rotterdam Wasser einbricht, und in den unzähligen Singels, Vliets, Spuis, Grachten und Kanaals das Wasser zu steigen beginnt...
Morgen werden die Möbel abgeholt und gehen erst einmal auf Lager, und wir auf Achse.
Abstand gewinnen. Weiter sehen.
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‟Living constantly among streets and houses induces a sense of enclosure, of short-range sight. Whenever I return from the moors, I feel a lightness up behind my eyes, as though my vision has been opened out by twenty degrees to either side. A region of uninterrupted space is not only a convenient metaphor for freedom and openness, it can sometimes bring those feelings fiercely on.”
(Robert MacFarlane: The Wild Places)
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Nachdem nun auch endlich der letzte Nightlife-Spotter vom Hintertupfinger Tagblatt ganz neu entdeckt hat, daß in den Reykjavíker Wochenendnächten „aber sowas von die Post abgeht”, tritt das Thema seit einiger Zeit im einschlägigen Lifestylegazettenwald etwas in den Hintergrund. Ich erinnere mich, daß das Kundenmagazin für den Mini, „The MINI International”, schon in einem seiner ersten Jahrgänge, also vor mindestens zehn Jahren, ein ganzes Heft über Reykjavík und sein fideles Nachtleben gemacht hat. Damals galt es im Ausland noch als Neuigkeit, daß sich Damon Albarn in eine Reykjavíker Bar eingekauft hatte, eben weil in dem 100.000-Seelendorf zwei Strich unter dem Polarkreis aber sowas von... (Der Guardian hatte schon im Jahr 2000 berichtet.)
Gut also, wenn das Thema endlich als abgefrühstückt gilt und wenigstens zu anderen Zeiten als freitags- und samstagsnachts auch einmal etwas mehr Ruhe und weniger Gedränge in den wirklich zahlreichen Kneipen und Bars in der Reykjavíker Innenstadt eintritt, denn manchmal, z.B. nach einem stundenlangen Rundgang bei ungemütlichem Wetter, möchte man doch einfach irgendwo einkehren und zum Aufwärmen einen Tee oder Kaffee trinken.
Ich bedauere es übrigens sehr, daß auch Reykjavík längst von dieser Barista-Angeberei heimgesucht wird; denn bevor diese Quacksalber ihre „Kreationen” mit allen möglichen ungenießbaren Additiven zusammendampften, -rührten und -schüttelten, gab es überall auf der Insel noch die gute alte, gastfreundliche Tradition des Nachfüllens: Man bezahlte für einen Kaffee und durfte nach Belieben immer wieder nachnehmen. Arme Rucksacktouristen und Studierende nutzten das manchmal weidlich aus, doch skandinavischer Anstand gebot als ungeschriebene Regel, nicht mehr als noch zweimal die Luft aus der Tasse zu lassen. Zugegeben, diese schwarze Brühe in den Glaskolben, die mit zunehmender Verweildauer auf den elektrischen Warmhalteplatten verbitterte, hatte im fortgeschrittenen Stadium mit Kaffee nicht mehr viel zu tun, doch dann trat die Cafetière, auf Wikipediadeutsch auch zutreffend Pressstempelkanne genannt, ihren Siegeszug an und kam natürlich binnen kurzer Zeit nach Island. Fortan bekam man in den meisten besseren Cafés der Hauptstadt (wie etwa im damaligen Sólon Íslandus) beim Bestellen eines Kaffees gleich eine volle Presskanne auf den Tisch gestellt. Seitdem sich aber immer mehr Menschen statt an Kaffee unbedingt an „Lattemackjato”, oder wie all das gepantschte Zeug auch schickerweise genannt werden soll, den Mund verbrennen möchten, ist diese schöne Gastfreiheit leider passé.
Kaffee und das was als solcher unter diversen Pseudonymen ausgegeben wird ist aber immer noch das Nationalgetränk der Isländer, und der Möglichkeiten, in Reykjavík seinen Koffeinpegel aufzufüllen, sind mehr als man in einem üblichen Islandurlaub ausprobieren kann. Der Isländer, der auf seiner Insel weit draußen im Nordatlantik immer nur im Kreis fahren kann, ohne je ein anderes Land zu erreichen, liebt wie andere Erdenbürger auch die Abwechslung, und darum müssen in jeder Saison Dutzende neuer Kneipen, Bars, Cafés eröffnet werden, damit die Isländer wie ein Schwarm Wanderheuschrecken in die neusten Trendlokale einfallen können (worauf die Clubs aus dem Vorjahr leise und unauffällig schließen, umbauen und im übernächsten Jahr als brandneue, heiße Location ihre Pforten wieder öffnen). Außenstehende Touristen und andere Zugereiste können angesichts der Vielfalt dieser stets wieder anderswo ins Kraut schießenden Kneipen-, Bar- und Kaffeehausflora natürlich nicht wissen, wo „man” gerade hingeht und sich trifft, und vielleicht ist das ja ein von einheimischer Seite nicht ganz unbeabsichtigter Nebeneffekt dieser isländischen Kaffee-und-Kneipentranshumanz.
Nicht weiter verwunderlich auch, daß in einem Land, das abgesehen von Fischfabriken und Aluminiumhütten kaum eigene Industrie kennt, so etwas wie Fabriklofts als letzter Schrei der Innenarchitektur gelten. Dem entsprechend angesagt ist seit mittlerweile schon einiger Zeit das in einer ehemaligen Keksfabrik mit kunterbuntem Shabby chic eingerichtete KEX, aus dem die beigesellten Aufnahmen stammen.
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Im Innern trägt sie die Trauerfarben der katastrophalen Jahre ihrer Entstehung: Schwarz und das schwermütige Dunkelrot oxidierter Vulkanasche, doch außen glitzert, flirrt und flimmert die wabenförmige Glasfassade Ólafur Elíassons mit ihren veränderlichen Farbpigmenten, Spiegelungen, Durchblicken und Reflexen wie eine „Gischt aus Glas” (hieß es zur Eröffnung 2011 in der Zeit). Wenn man so will, ist das die Fassade, die vom (be-)trügerischen isländischen Wirtschaftswunder um die Jahrtausendwende übrig blieb. Drinnen muß die Harfe Trauer tragen.
Ziemlich großkotzig steht sie in der allerbesten Lage, am Ende des alten Stadthafens, und aus dem Foyer hat man einen herrlichen Ausblick auf die großartige Natur, in die Reykjavík eingebettet liegt; ein schräger Seitenblick zurück über die Schulter stadtwärts fällt allerdings auf den totenhäßlichen Hochsicherheitsbunker der isländischen Notenbank gleich gegenüber, deren Chefsesselchen sich der langjährige konservative Ministerpräsident Davíð Oddson vor seinem Rückzug aus der Politik längst vorgewärmt hatte und die höchst unrühmlich am isländischen Finanzdesaster von 2008 mitgewirkt hat.
„Das ist ja so 2007", sagen die Isländer noch zu allem, was nach der neureichen Glitzerpracht vor dem ökonomischen Zusammenbruch aussieht, und Baubeginn für das maßlos teure Prunkprojekt der Harpa war das Jahr 2007. Ein Jahr später, noch in der Baugrube, stand sie schon vor dem Aus. Als ihre Finanzkartenhäuser zusammenbrachen, tauchten die kriminellen Spekulanten, die sich mit dem Konzert- und Kongreßzentrum eine feine Lounge für ihre Meetings und Zerstreuungen hatten errichten lassen wollen, natürlich sofort ab, und das kleine Volk hegte große Zweifel und Bedenken, ob es das Bißchen Geld, das ihm noch verblieben war, nicht für Vordringlicheres benötigte. Aber die Regierungen von Stadt und Land beschlossen, die Fundamente im Bauloch nicht als symbolische Ruine des isländischen Bankrotts stehen zu lassen, sondern den Bau aus Steuermitteln zu vollenden, und nun gucken die Isländer auch ein wenig stolz auf dieses neue Wahrzeichen ihrer Stadt und ihres Selbstbehauptungswillens.
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Alt-Reykjavík wächst weiter in die Erde, das neue weiter in den Himmel.
Um die Bewohner des gut erhaltenen, alten Holzhauses kann es einem nur leid tun, da um sie herum all diese erhofften Renditebringer wie Pilze aus dem Boden schießen; erst recht, wenn man weiß, daß sie vor dem Bau der neuen Hochhausfront einen unverstellten Blick auf die gleich dahinter beginnende weite Bucht von Reykjavík, die Berge jenseits davon und den offenen Atlantik genossen. Und sage jetzt keiner, dieser privilegierte Blick werde durch die neuen Blocks sozusagen demokratisiert, denn es ist vollkommen klar, für welche Klientel die neuen Luxusapartments gebaut werden. Sie machen im Gegenteil etwas zutiefst Undemokratisches sichtbar, nämlich daß sich innerhalb der jahrhundertelang fast egalitären Gesellschaft Islands neuerdings die Schere zwischen Arm und Reich sehr schnell immer weiter öffnet.
Als ich hier ankam, fragte ich den Taxifahrer, der mich zu meiner Unterkunft brachte, wie es denn nach der Krise von 2008 inzwischen so gehe. Seine Antwort: „Der Oberschicht geht es gut.” –
Das Wort Oberschicht (yfirstétt) kam früher in normaler Alltagskonversation so gut wie nicht vor. Jetzt gehört es zum selbstverständlichen Wortschatz. Ein isländischer Freund, dem ich von der Episode erzählte, relativierte den Sachverhalt und machte ihn zugleich noch gravierender. „Auch früher gab es natürlich auch bei uns schon eine Schicht von Bessergestellten, aber früher konnte im Prinzip jeder den Aufstieg in diese Oberschicht schaffen. Inzwischen ist der Abstand so groß geworden, daß das praktisch unmöglich ist.”
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Ganz sicher kommen die Touristen nicht zu dieser Eisdiele in einem reinen Wohnviertel zwischen Laugardal und Laugarnes. Bei uns nördlich der Alpen ist Speiseeisverkauf bekanntlich ein Saisongeschäft, das nur in den warmen Sommermonaten genügend Umsatz verspricht. (Für den Rest des Jahres vermietet man die Ladenlokale an Teppichhändler oder als Lebkuchenfilialen.) Nicht so im eiskalten Island. Oft genug sieht man „den Isländer” im Winter bei Schneesturm hinter den beschlagenen Scheiben seines Autos sitzen und aufs Meer schauen, Motor und Heizung laufen natürlich auf vollen Touren, mann trägt T-shirt, und dazu lutscht er genüßlich ein dickes Eis. Eisdielen haben in Eisland das ganze Jahr über regen Zulauf. Diese hier ist zur Zeit besonders bei Familien populär, weil sie auch Gummibärcheneis oder Eis mit dem Geschmack von Salzlakritz anbietet. Brrr! Die ideale Ergänzung des Sortiments ist... man beachte das kleine Schild „Sausage Company”, natürlich Rostbratwurst. Nach deutscher Machart. Eine Delikatesse im sonst nur Schafsfleisch-Hotdogs gewöhnten Island. Na, wenn das kein Geheimtip für den nächsten Islandurlaub ist!
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Der Entwurf stammt aus den Jahren 1929-37 vom damaligen Leiter des staatlichen Planungsamts, Guðjón Samúelsson, der auch Universität und Nationaltheater, Posthaus und das Hotel Borg und andere Kirchen entwarf. Für die Fassade der Hallgrímskirkja nahm er sich die damals noch im Bau befindliche Grundtvigskirke in Kopenhagen mit ihrem expressionistischen Westwerk zum Vorbild und machte aus deren stilisiertem Orgelprospekt in Backstein isländischen Säulenbasalt in Beton. Im Osten klebte er ihr allerdings einen Chor mit einer Kuppel ähnlich denen von Sacré-Cœur in Paris an. Zwischen beiden steht ein völlig schmuckloses, simples Langhaus, das im Inneren ganz konventionell wie eine fünfschiffige Basilika gegliedert ist. Es wurde erst nach fast vierzig Jahren Bauzeit 1986 fertiggestellt. Der schönste Schmuck im sehr kühl-kargen Innenraum ist die 1992 eingebaute Orgel von Johannes Klais aus Bonn, die sich fantastisch anhören kann.
Was die Kreuzfahrer dagegen wahrscheinlich nicht mehr gezeigt bekommen, ist das so schlichte wie schöne Nordische Haus von Alvar Aalto von 1968, ein international wenig bekanntes, aber erlesenes Spätwerk, für das er, wie von ihm gewohnt, auch Inneneinrichtung, Möbel und Lampen designte.... link (0 Kommentare) ... comment
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10. Mai, und es hat in der Nacht wieder geschneit. So ähnlich wie oben sahen die Straßen vorübergehend wieder aus. Dabei ist in der Zwischenzeit in Reykjavík längst das erste Kreuzfahrtschiff des Jahres eingelaufen. Die gut betuchten Passagiere tragen noch blasiertere Gesichter als üblich vor sich her. Hinter ihnen verbergen sie wohl die Enttäuschung darüber, eigens zur Sonnenfinsternis eine Kreuzfahrt zu den Färöern unternommen zu haben, und dann hat es dort geregnet und war bedeckt; zu allem Überfluß hörten sie bei ihrer Rückkehr nach Island auch noch, daß hier die Sonne geschienen hatte und die Finsternis bestens zu beobachten war. Doch zu viel Reichtum hat hin und wieder Strafe durchaus redlich verdient.
Mit fast 10 Metern Seitenhöhe und 12 Decks überragt das neue Flagschiff der Cruise & Maritime Voyages Reederei, die Magellan, sämtliche Gebäude im engen Sundhafen, von denen einige selbst einen ziemlich spitzen Bug aufweisen.
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Lange war der Hafen Keflavíks "Wahrzeichen einer besseren Zeit", "das Herz des Ortes, sein Sinn und Ziel, die Bestätigung seiner Bedeutung... und damit ein kostbares Gegengewicht zur Armee und dem Einfluss, den sie auf Leben und Verhalten der Keflvíkinger ausübte."
Heute sieht alles ganz anders aus. Keflavík und ganz Reykjanesbær könnten zur ersten Kommune in Island werden, die Konkurs anmelden muß. Die Amerikaner sind vor Jahren abgezogen, und "die meisten Schiffe wurden im Kielwasser der Fangquoten verkauft, der Ort hat fast keine Quote mehr, Gerechtigkeit und Gleichbehandlung machen seit Langem einen Bogen um Keflavík, den schlimmsten Ort des Landes, wir gucken aus dem Küchen- oder Wohnzimmerfenster, brummen, da ist das Meer, das ist ja dermaßen groß, und ziehen die Gardinen vor, denn wer will sich schon von etwas derart Großartigem an bessere Zeiten erinnern lassen... daran, dass man mit seinem Schweigen zugestimmt hat, dass die Fischbestände des Meeres in Bankkonten der Reeder und ihrer Erben umgewandelt wurden... und das Meer privatisiert wurde - rasch ziehen wir die Vorhänge zu".
(Jón Kalman Stefánsson: Fische haben keine Beine")
Und wer die Vorhänge zugezogen hat, sieht nicht, daß draußen schon die Konkurrenz aus der EU lauert.
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