„Im übrigen war es ein schöner Frühlingstag. Wenn ich zurückblicke, will es mir scheinen, daß ich in Abschnitten der Anarchie nicht nur besonders heiter war, sondern auch besser arbeitete. Ich muß das schon früh, schon als Kind gewußt haben, daher wohl auch die Sehnsucht nach den Urwäldern. Die ungeheure Last, der atmosphärische Drude der Zivilisation verschwindet dann. Die Dinge werden gefährlicher, aber auch einfacher. Die Gedanken verlieren ihre Verbrämungen. Das Leben wird üppiger; Vorräte, selbst Lebensmittel, strömen zu.”
Das schreibt einer in seinem gerade noch bombardierten, vor zwei Tagen erst von den Amerikanern besetzten Dorf Mitte April 1945. Die Alliierten haben Deutschland zu großen Teilen eingenommen und rücken weiter vor, aber noch ist der Krieg nicht zu Ende, Hitler lebt noch, am nächsten Tag beginnt die Schlacht um Berlin, Flüchtlingstrecks ziehen zwischen den Armeen kreuz und quer durch das in Trümmern liegende Land, es herrscht allgemeine Auflösung, Chaos. Jünger ist gefaßt wie einer, der mit dem Leben abgeschlossen hat, doch er resigniert nicht. Bei einem Blick aus dem Fenster hält er fest:
„Draußen geht der Vorbeizug der befreiten Russen und Polen weiter, zugleich die Plünderung [...] Der Besitzer des großen Gutes, das ich vom Schreibtisch aus erblicke, wurde in der Nacht von polnischen Arbeitern ermordet, weil er ihnen Benzin verweigerte [...] Gestern hatten wir drei Franzosen bei uns, angenehme Leute, wie wir überhaupt jedem, der vorspricht, nach Möglichkeit helfen, sei es mit Nahrung, sei es durch Unterkunft. Das ist nicht nur das menschlich Gebotene, sondern zugleich der beste Riegel, der sich gegen das Geplündert-Werden vorschieben läßt. – Man muß die Situationen schaffen, nicht annehmen.” (24.4.45)
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„Seit Ernstels Tod vergaß ich, die Überfliegungen und Abwürfe aufzuzeichnen, an denen es in der Zwischenzeit nicht mangelte. So ist es auch an diesem Morgen, während ich schreibe, recht unruhig in der Luft”, heißt es Anfang Februar ‘45. „Fortgang der entsetzlichen Zerstörungen; außer Dresden wurde auch Wien schwer bombardiert. Man hat das Gefühl von Schlägen, die gegen einen Kadaver gerichtet sind. Das Maß des Schmerzes scheint noch nicht voll zu sein. Weiter im Garten und am Schreibtisch – Man sät ohne Erwartung, daß man auch ernten darf.”
„Kirchhorst, 11. April 1945. Beim Morgengrauen werden wir durch das Rollen von Panzern geweckt [...] Ich bin in diesem Landstrich, wie schon so oft im Leben, der letzte, der Kommandogewalt besitzt. Gab gestern den einzigen Befehl in diesem Zusammenhange: die Panzersperre zu besetzen und dann zu öffnen, wenn die Spitze sichtbar wird.”
Jünger, der ehemals fast tollkühne Sturmtruppführer, gab also mit 50, sehr viel lebenserfahrener und überlegter geworden, eigenmächtig den Befehl, nicht den von den verbliebenen Naziführern befohlenen, sinnlosen Widerstand „bis zur letzten Patrone” zu leisten.
„Dann gleitet langsam, wie ein Augentrug, ein grauer Panzerwagen mit leuchtendweißem Stern vorbei. Ihm folgen, dicht aufgeschlossen, Kriegswagen in ungeheurer Zahl, die Stunden um Stunden vorüberziehen [...] Man kann das Notwendige sehen, begreifen, wollen und sogar lieben und doch zugleich von ungeheurem Schmerz durchdrungen sein. Das muß man wissen, wenn man unsere Zeit und ihre Menschen erfassen will.”
Eben weil kein Widerstand geleistet worden war, kamen die Kirchhorster einigermaßen glimpflich davon: „Im Dorf und im weiteren Umkreis ist kein Haus zerstört.” („Der Gauleiter verschwand über Nacht, nach blutrünstigen Kundgebungen, in denen er die Bevölkerung zum Widerstand bis auf das Messer ermahnt hatte.”)
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Die Abkommandierung zur Reserve war nur der erste Schritt der „Lemuren”, also der Machthaber in Gestapo, SS und den Stäben der Wehrmacht, die Jünger (ganz zu recht) im Verdacht hatten, Mitwisser des Stauffenberg-Kreises und des Anschlags vom 20. Juli zu sein. „Ende 1943 erfährt Jünger erstmals von den Attentatsplänen”, schreibt sein Biograph Paul Noack.
Im Tagebuch heißt es danach unter dem 20. Oktober 1944: „Beim Generalkommando erfuhr ich, daß meine Entlassung verfügt worden ist. Man scheint in Berlin sogar Eile gehabt zu haben, sich meiner auf diese Weise zu entledigen”.
Am Neujahrstag ‘45 hörte sich Jünger Hitlers Ansprache im Radio an, „tief eingemauert in den Geist des Hasses und der kainitischen Anschauung. Schrecklich ist dieses Absinken in immer lichtlosere Räume, die meteorische Entfernung aus der Heilssphäre. Ununterbrochen muß Zerstörung aus diesen Klüften wachsen, Feuer aus ihnen hervorbrechen.
Wir nähern uns dem innersten Wirbel des Malstroms, dem fast gewissen Tod. Ich muß mich daher bereithalten, innerlich rüsten, hinüberzutreten auf die andere, leuchtende Seite des Seins, und zwar nicht unfrei, gezwungen, sondern mit innerer Zustimmung, mit ruhiger Erwartung vorm dunklen Tor."
Nach etlichen Bombennächten dann der für Jünger persönlich härteste Schlag: „Ernstel ist tot, gefallen, mein gutes Kind, schon seit dem 29. November des vorigen Jahres tot! Gestern, am 11. Januar 1945, abends kurz nach sieben Uhr kam die Nachricht.”
„Der Schmerz ist wie ein Regen, der erst in seiner Masse abläuft, dann dringt er langsam ins Erdreich ein. Der Geist erfaßt ihn nicht mit einem Mal.”
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Bis Hannover ging es sehr schnell. Ja, klar,„was heißt schon New York? Großstadt ist Großstadt; ich war oft genug in Hannover”, aber dann ging’s bei Kirchhorst von der Autobahn ab. Nur als Namensgeber des dortigen Autobahnkreuzes kennt man Kirchhorst heute noch, aber während des Zweiten Weltkriegs und danach war es der Wohnort Ernst Jüngers, an dem er einige Schicksalsschläge seines langen und an Erlebnissen wahrlich nicht armen Lebens einstecken mußte.
„Es gibt nur eine Maxime — nämlich die, daß man sich mit dem Tode befreunden muß”, schrieb er dort im Juni 1943 in sein Tagebuch und ging in den Garten. Am nächsten Tag trug er ein: „Der Weinstock hält sich durch die verholzten vor- und mehrjährigen Ranken mit festerem Griff als mit den noch grünenden. Das ist ein gutes Beispiel für die Rolle der abgestorbenen Organe im Plan der Natur. Das Tote wirkt mit, und zwar nicht nur historisch, sondern aktuell. Das »Tot-Mitwirkende« hat, wie hier das Holz, niemals bloßen Werkzeugcharakter, sondern der Nachklang des Lebens schwingt in ihm.”
Über ein Jahr später kehrte er aus Frankreich nach Kirchhorst zurück. „Sah unterwegs zu meinem Erstaunen, daß sich die Ruinen bereits begrünten; Gräser und Kräuter siedeln auf den Mauertrümmern im Inneren der Stadt.
Im Hause neue Flüchtlinge. Der Garten verwildert, die Zäune verfallen; die Flure sind mit Koffern und Kisten gefüllt.
Große Ölvorräte brannten jenseits des Moores unter bleigrauen Rauchwolken ab. Die nächtlichen Geräusche sind seit 1940 bedeutend bösartiger geworden; der Eindruck der Katastrophe wächst.
Ich bin zur Führungsreserve beurlaubt und warte das letzte Stadium des Ganges ab. Auch dieses ist hochgefährlich; so beginnen die Lemuren eine große Anzahl von Morden auszuführen, die schon auf den Zustand nach ihrem Tode berechnet sind. ” (16.9.1944)
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„Allein es ist auch hier der Herbst nicht leer an Schätzen,
Die List und Wachsamkeit auf hohen Bergen findt.
Eh sich der Himmel zeigt und sich die Nebel setzen,
Schallt schon des Jägers Horn und weckt das Felsen-Kind;
Da setzt ein schüchtern Gems, beflügelt durch den Schrecken,
Durch den entfernten Raum gespaltner Felsen fort;
Dort eilt ein künstlich Blei nach schwer gehörnten Böcken,
Hier flieht ein leichtes Reh, es schwankt und sinket dort.
Der Hunde lauter Kampf, des Erztes tödlich Knallen
Tönt durch das krumme Tal und macht den Wald erschallen.
Elende! rühmet nur den Rauch in großen Städten,
Wo Bosheit und Verrat im Schmuck der Tugend gehn,
Die Pracht, die euch umringt, schließt euch in güldne Ketten,
Erdrückt den, der sie trägt, und ist nur andern schön.”
Da muß Albrecht von Haller wohl in München angekommen sein. Und es blieb nur noch die Flucht gen Norden. Man weiß ja, wo sie im Fall von Hallers vorläufig endete.
Unsere erste Raststation diesseits der Alpen war hingegen Bamberg. Wo das Bier vorzüglich mundet. „Himmel! welch ein Bier!”, kann man nur mit Jean Paul einstimmen.
„... Und tausend Wunder täglich dort geschehen.
Umlagert sieht man dort von Kranken stehen
Den Fürsten, der da heilet auf der Stelle.
Er spricht: »Steht auf und geht!« und flink und schnelle
Sieht man die Lahmen selbst von hinnen gehen...
Ein Jüngling naht, von Wassersucht getrieben,
Und fleht: »Hilf, Wundertäter, meinem Leibe.«
Und segnend spricht der Fürst: »Geh hin und schreibe!«
In Bamberg und in Würzburg machts Spektakel,
Die Handlung Göbhardts rufet laut: »Mirakel!« -
Neun Dramen hat der Jüngling schon geschrieben”,
spottete Heine in einem nachgelesenen Gedicht auf Bamberg und wußte sicher ganz genau, daß sich „der dortigen Gnaden Quelle” aus hellem, dunklen und Rauchbier speist, dem „Bamberger Herzblut”, wie die Stadtwerbung noch heute preist. In der Tat habe ich noch nirgendwo so viele Menschen mit offenen Bierflaschen in den Händen durch eine Stadt flanieren gesehen wie in Bamberg, mindestens so viele wie man in Kreuzberg und Neukölln mit Bionade und Club-Mate herumlaufen sieht. Überhaupt machte Bamberg einen ganz gemütlichen Eindruck, aber das fürstbischöflich-gegenreformatorische Rokokogeschnörkel an manchen Fassaden, wie z.B. die Maskerade am Turm des Alten Rathauses, ist schon sehr scheußlich. Ob es erlaubt ist, aus der Enge, in der die alten Häuschen aneinandergedrängt stehen, auf eine andere Enge zu schließen? E.T.A. Hoffmann jedenfalls war um seine „Lehr- und Marterjahre” als Theaterdekorationsmaler dortselbst bestimmt nicht zu beneiden.
Klingt vielleicht ein wenig gemein, aber ich kann mir nicht helfen: Aus irgendwelchen Gründen sehe ich in Perücke und Prälatenstola unten immer Merkels treuesten Pudel unseren Kanzleramtsminister vor mir.
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16 Tage, sagen die antiken Quellen, und das galt als absolute Meisterleistung. In weniger als 6 Stunden schafft man es heute locker. Egal, ob von Udine, Italien, oder Jesenice, Slowenien, aus, das Tal des Tagliamento oder den Oberlauf der Save hinauf zur Drau, ein paar Viadukte und Tunnel später ist man schon unter den Tauern durchgetaucht und im Salzachtal angelangt, sieht vielleicht ein wenig von den Eisriesen, rollt aber eigentlich schon der Grenze zu, und ist wenig später in Voralpendeutschland angekommen. Zigtausende vollbringen diese Leistung jeden Tag. Nichts Besonderes. Auch kein besonderes Erlebnis mehr, wie etwa damals im Sommer 1728:
„Wenn Titans erster Strahl der Gipfel Schnee vergüldet
Und sein verklärter Blick die Nebel unterdrückt,
So wird, was die Natur am prächtigsten gebildet,
Mit immer neuer Lust von einem Berg erblickt;
Durch den zerfahrnen Dunst von einer dünnen Wolke
Eröffnet sich zugleich der Schauplatz einer Welt.”
Titan kommt bei uns nur noch in Fahrradrahmen und Golfschlägern vor, und aus dem Tiguan erblickt man durch den zerfahrnen Dunst von einer dünnen (Diesel)wolke vor allem die Rücklichter der im Autobahntunnel Vorausfahrenden.
Da sah Albrecht von Haller auf seiner Alpenwanderung 1728 noch ganz anderes und schrieb darüber das erste Alpengedicht der deutschsprachigen Literatur:
„Ein angenehm Gemisch von Bergen, Fels und Seen
Fällt nach und nach erbleicht, doch deutlich, ins Gesicht,
Die blaue Ferne schließt ein Kranz beglänzter Höhen,
Worauf ein schwarzer Wald die letzten Strahlen bricht;
Bald zeigt ein nah Gebürg die sanft erhobnen Hügel,
Wovon ein laut Geblök im Tale widerhallt;
Bald scheint ein breiter See ein Meilen-langer Spiegel,
Auf dessen glatter Flut ein zitternd Feuer wallt;
Bald aber öffnet sich ein Strich von grünen Tälern,
Die, hin und her gekrümmt, sich im Entfernen schmälern.
Hier zeigt ein steiler Berg die Mauer-gleichen Spitzen,
Ein Wald-Strom eilt hindurch und stürzet Fall auf Fall.
Der dick beschäumte Fluß dringt durch der Felsen Ritzen
Und schießt mit gäher Kraft weit über ihren Wall.
Das dünne Wasser teilt des tiefen Falles Eile,
In der verdeckten Luft schwebt ein bewegtes Grau,
Ein Regenbogen strahlt durch die zerstäubten Teile
Und das entfernte Tal trinkt ein beständig Tau.
Ein Wandrer sieht erstaunt im Himmel Ströme fließen,
Die aus den Wolken fliehn und sich in Wolken gießen.
Bald, wann der trübe Herbst die falben Blätter pflücket
Und sich die kühle Luft in graue Nebel hüllt,
So wird der Erde Schoß mit neuer Zier geschmücket...
Der Birnen süß Geschlecht, die Honig-reiche Pflaume
Reizt ihres Meisters Hand und wartet an dem Baume...
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„Der Sturm nahm seinen Lauf. Die Seefahrt auf der Adria wurde drei oder vier Tage lang schwer mitgenommen."
"Der Tod brach aus seinen Wohnungen und Warteräumen auf, wanderte umher, säte und erntete. Salzwasser gurgelte in viele Hälse, aber nicht als Medizin gegen Erkältung. Viele Hände griffen nach dem flüchtigen Halt der Wellen, nach dem Strohhalm, der auf ihnen tanzte. Angst jammerte und schrie, und Stimmen der Vernichtung brüllten in der Raserei der Lüfte. Die Hunde des Todes waren auf der Jagd. Der Schaum von ihren geifernden Mäulern spritze über Köpfe, die unter den Zorn der Oberfläche versanken, hinab in die stille Welt der Fische. Bereits leblose Körper wurden zur Betrachtung wieder nach oben gespült, sie waren ein hastiger Anblick für die noch Lebenden, die sich weitab von Land an Wracksplitter klammerten.
Ja, der Tod unternahm einen Spaziergang über das adriatische Meer. Er jagte, säte und erntete, ohne sich umzusehen oder hinzuhören. So war er, ein ausgesandter Säer und Mäher, der es eilig hatte, das günstige Wetter zu nutzen."
(Eyvind Johnson: Hans nådes tid)
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„Die Landschaft um Forum Iulii an der Nordküste des Adriatischen Meeres nimmt unmittelbar das Auge des reisenden Betrachters gefangen”, schrieb der nur noch einäugige langobardische Chronist Agibertus von Benevent nach seinem Besuch der Gegend am Fuß der Alpen. „Für meinen Blick sah sie aus, als hätte ein mehr als zehnfingriger Riese, ja ein gigantischer Heidengott mit hundert Klauen das Land einmal geformt, indem er in einem Moment der Verspieltheit, des Zorns oder der Zerstreutheit seine Hand so fest in weichen Lehm oder nassen Sand gedrückt hatte, daß der darunterliegende Fels zum Himmel hinauf gepresst wurde. Der Abdruck der Handfläche bildete eine Ebene mit einigen flachen Kuppen, umgeben von einem Halbrund, einem Kranz von Bergen. Täler sprangen schon in der Stunde dieser Schöpfung auf und wurden, je höher sie hinaufreichten, immer enger und schließlich zu Schluchten und Klüften zwischen den Bergen.”
(Eyvind Johnson: Hans nådes tid)
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„Aus Sicht der Bauern war der Sommer des Jahres 775 ein guter Sommer. In Forum Iulii bekam man genügend Regen, auf den Feldern sah es gut aus, das Korn und der Wein schlugen prächtig an. Das Vieh stand gut im Futter, die Pferde waren springlebendig, und der Handel mit der Küste lief nicht schlecht.
Der Sommer dort war gut. Die Luft gut und klar. Nur viele Gerüchte klangen gar nicht gut. Es war zu hören, die Küstenstädte weiter im Süden würden von Krankheiten heimgesucht, in Rom und anderen Orten grassierten Fieber und Pest. Angesichts dessen beglückwünschten sich die Einwohner von Forum Iulii, in einer so gesunden Stadt zu leben und in einem von Krankheiten verschonten Herzogtum, und daß sie einem gesunden Volk angehörten, einem abgehärteten Stamm, der sich auch in Zeiten der Niederlage gesund erhielt.
Rom mochte ruhig untergehen. Manchmal aber trafen auch sehr betrübliche Nachrichten und Gerüchte ein, ihr eigenes Volk, Langobarden oben in den Bergen und in Orten der Ebene weiter westlich, würde hungern. Hunger, diese mächtige Kraft, bearbeitete Körper und Sinne auf vielfältige Weise.”
(Eyvind Johnson: Hans nådes tid)
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Der Mittsommertag ging, frisch gewaschen, leuchtend hell mit der Sonne auf.
Der zunächst noch Wellen peitschende Wind besänftigte sich zu einer angenehm fächelnden Brise. Oben auf der offenen Empore zwischen Himmel und Meer vergaß man, in die Elemente gebettet, die Zeit. Große weiße Vögel hingen auf gleicher Höhe im Aufwind, minutenlang, schwebten ohne Flügelschlag heran, drehten den Kopf, guckten, strichen irgendwann hinaus aufs Meer. Strahlen der zunehmend grellen Sonne wärmten den Leib durch alle Schichten der Haut bis ins Blut und ins Herz. Bevor es zu warm wurde, strich der Wind Luft auf die Haut, schwappten die Wellen unten, schon etwas träge, Kühlung ans Ohr in der Mittagsstunde des Pan. Die Sonne stand still im Zenit, am Scheitelpunkt. Oder war es schon später? Gleichviel; nein, gleichwenig, die Zeit spielt keine Rolle, sie ist die Möwe, die dort in der Luft schwebt, reglos und doch schnell auf dem Wind dahingleitend, der unbewegte Beweger, akinetos kinon: weißes Gefieder, gelber Schnabel mit rotem Punkt an der Unterlippe, in diesem Punkt sitzt die Entelechie. Zum Aktivieren bitte drücken!
Aber ich will jetzt nicht aktivieren, ich will heute dynamis bleiben, possibilità, Potenz. Soll die Sonne mit mir machen oder aus mir machen, was sie will. Heute ist Mittsommer. Ab morgen wird das Licht abnehmen. Dann ist wieder Zeit, energeia zu werden und sich zu wehren, auch wenn’s letzten Endes vergeblich sein wird.
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