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Dienstag, 24. Juli 2012
Kauzige Beobachtungen in München

Neulich hatte ich beruflich im Deutschland südlich benachbarten Bayern, genauer in der Hauptstadt München, zu tun. Ich sah dem Termin mit gewissen bangen Erwartungen entgegen. Als Nicht-Bayer hat man schließlich seine Vorbehalte gegenüber diesem ganz besonderen Bundesland unter dem hellblauweiß karierten Biertischtuch, doch war der Besuch unumgänglich, und ich muß im nachhinein zugeben, man sieht dort Dinge, die man so vielleicht doch nicht erwartet hätte.
Nach der Landung ging es gleich los. Beim Anflug hatte von oben noch alles wie gemalt ausgesehen: sattgrüne Wiesen, gelbe Felder, bretteben – sollen da nicht irgendwo Berge stehen? Doch statt Bodenbarock Kirchtürme mit barocken Zwiebeln an Stelle einer Spitze. Nun gut. Dann aber rollte die Maschine auf den Terminal zu, und München demonstrierte gleich, daß es etwas anders tickt, denn darauf prangte in Riesenlettern... also ich sage mal, daß Bundeswehrkasernen nach allerlei zwielichtigem Gesindel benannt wurden, ist ja kein Einzelfall, aber gewissermaßen den ersten Empfangssaal einer Stadt nach einem notorisch cholerischen, korrupten Politiker zu benennen, gegen dessen Aufstieg über die Landesgrenzen hinaus sich seinerzeit im Rest der Republik ganze Bürgerbewegungen und Volksbegehren formiert hatten – Respekt! So viel Chuzpe bringt nicht jede Stadt auf.
Gleiches gälte in meinen Augen übrigens für einen etwaigen Versuch, den Nachfolgebau des Olympiastadions für ästhetisch gelungen zu erklären. Was da auf dem Weg in die Stadt am Rand steht, ist kein Stadion, sondern eine ringförmige Wurst in aufgeblasener Plastikpelle, die durch ein Einkaufsnetz notdürftig gehalten wird, damit der kommerzielle Charakter des Ganzen schon in der äußeren Form sinnfällig wird. Angesichts dessen bin ich schon fast wieder froh, daß man solche Stätten ursprünglich sportlicher Begegnung heutzutage nicht mehr Stadion nennen darf, sondern söldnerisch-gladiatorenhaft “Arena”. Daß der Ort für entsprechend unfallverdächtige circenses in München ausgerechnet einem Versicherungskonzern gehört, verleiht dem Ganzen eine wohl ungewünscht komische Beinote.
Später wurde ich belehrt, alles sei Ausdruck eines gesund unerschütterlichen Selbstbewußtseins von eigener Art (man könnte es adjektivisch auch “eigenartig” nennen), das sich in dem Slogan “Mia san mia”, sagen wir, artikuliert. Übersetzt: Der Rest der Welt geht uns am Oarsch vorbei, weil mia sowieso was Besseres sind.
Wenn man auf den an sich langweiligen, aber völlig überteuerten Einkaufsstraßen der Stadt von (Bayerns) Welt erwachsene Männer heute, im zweiten Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts, in kurzen Lederhosen hagestolzen sieht, wird einem klar, daß diese Einstellung tatsächlich tief in der Psyche des Münchner Bayern verwurzelt sein muß. Es sind keineswegs nur irgendwelche hinterwäldlerischen Wurzelsepps von der Alm oder aus dem Wald, die auf der Ludwig- oder Maximilianstraße so rumlaufen, sondern Herrn, die das augenscheinlich in vollem (Sonder-)Modebewußtsein tun. Bei jungen Frauen verhält es sich nicht anders, bei ihnen gilt auch sommers und nicht etwa nur zur “Wies’n-Zeit” ein Dirndl-light-Look als tragbar. Fotografieren lassen sie sich darin allerdings nur unter Wahrung ihrer Anonymität.



Es spricht natürlich nichts dagegen, das Straßenbild im Sommer bunt und vielfältig aufzulockern, zumal gerade in dieser Zeit bodenlanges Schwarz besonders in den Münchener Straßen mit den teuersten Geschäften und Edelboutiquen unübersehbar zunimmt. Man hat auch außerhalb schon davon gehört, daß reich gewordene Araber aus den Ölemiraten zum Shoppen unter anderem nach München fliegen, aber daß sie dort in ganzen Familienverbänden ausschwärmen und etwa so zahlreich und auffällig sind wie die neureichen Russen in Helsinki, das ist mir erst jetzt aufgegangen.
Trüge das alles nur zu einem bunten, lockeren Straßenbild bei, wäre alles schön und bestens, aber die bunte Gemengelage ist nur der äußere Schein; hinter den Sonnenbrillen spielt sich ein gnadenloser Konkurrenzkampf ab.



Gegen die Blicke, die einen in München auf der Straße blitzschnell von oben bis unten taxieren und sofort in eine vom Preis der Kleidung bestimmte Hierarchiestufe einsortieren, ist ein Nacktscanner ein Nebelwerfer. Nach ihrem Befund bemißt sich, ob der leere Stuhl am Wirtshaustisch noch frei ist oder ob man Entgegenkommenden ausweicht oder sie mit Blicken vom Trottoir in die Gosse schubst. Besonders unbarmherzig kamen mir bei etlichen beobachteten Gelegenheiten die Blicke vor, mit denen Frauen andere Frauen abschätzten: ernstzunehmende Rivalin auf der Piste oder nicht? Da fanden in völliger Stille kurze, aber erbitterte Duelle statt, ohne daß man als Unbeteiligter ohne genaues Zusehen überhaupt etwas davon mitbekommen hätte.
Anders als, denke ich, die meisten Männer erfassen Frauen mit ihrem holistischen Bodyscan unfehlbar immer auch die Schuhe des Objekts, und ich war heilfroh, daß es so warm war, daß ich am Morgen die weißen Socken in den Sandalen weglassen konnte. Für den Deutschland- bzw. Bayernbesuch hatte ich natürlich eigens die dort üblichen Birkenstöcke angelegt. Durch meinen Aufenthalt in den Niederlanden hat sich meine Haltung in Fußbekleidungsfragen noch weiter simplifiziert, als sie es vorher schon war. In Holland tragen ja bekanntlich alle nur “Klompen” an den Füßen (im Sommer die zierlicheren Modelle ohne Stroheinlage), und so lief ich schon bald mit gesenktem Kopf durch Münchens Straßen und konnte den Blick nicht von den Schuhen der Passantinnen wenden. München - nördlichste Stadt Italiens; für keinen Bereich des öffentlichen Lebens trifft dieses Epitheton genauer zu als für den der Damenschuhmode.



Ich bekam den Kopf erst wieder hoch, als plötzlich Asphalt und Straßenpflaster in meinem Blickfeld durch Kieswege und Rasengrün abgelöst wurden. Der Englische Garten war erreicht und wurde von Süd nach Nord durchwandelt. “Was ich gesehn”, um es mit den Worten des Dichters zu sagen, “verrate ich nicht, ich habe zu schweigen versprochen...” Nur so viel: ich habe als “Biergärten” deklarierte Tränken und Schwemmen gesehen, in denen mit Sicherheit mehr als tausend Menschen bei- und aufeinanderhockten, um den Tag gemütlich (!) ausklingen zu lassen. Den Lärm aus tausend Kehlen hörte man selbst durch die zum Schallschutz angepflanzten Waldstücke Hunderte von Meter weit. Bayerische Urgemütlichkeit. Prosit! Wohlsein!
Irgendwann bog meine Cicerona nach links ab und verkündete, jetzt gehe es nach Alt-Schwabing. Was sie nicht sagte, war, daß der Weg uns von der Tränke in die Traufe führte.

Ich weiß nicht, wie Alt-Schwabing sonst so ist, an jenem Abend war es ein einziger Ballermann. Fetter Bratwurstqualm wälzte sich in dichten Schwaden durch die Straßen, durch die sich in noch dichteren Pulks die Menschenmengen schoben, die noch nicht mit einem Litereimer Dünnbier vor sich auf den sämtliche Bürgersteige vollstellenden Biertischbänken Platz gefunden hatten. Und das Publikum sah ganz so aus, als seien es in Vielzahl dieselben Leute, die für den Urlaub schon den Billigflieger zum Druckbetanken und Kampfsaufen auf Malle gebucht hatten. Mei, was für a Gaudi! Der Münchner läßt’s halt raus und krachen, gell? – In Details verlieren, lieber nicht. “ ... den Deckel drauf!” Irgendwann bleibt meineinem wohl nur noch der Gang in die Eremitage. Da ist wenigstens alles schön grau in grau.


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Gestatten Sie mir zwei kleine Korrekturen.
Ich als beinahe Bayer Gewordener darf das. Es heißt nicht blauweiß, sondern weißblau! Daran erkennt man den niederländischen Saupreiß. Letzterer ist derdejinge, der unverdient altverdiente bayerische Politiker zur Sau macht. Und außerdem ist dieses Stadion keine Nachfolge Olympias, sondern ein Fußballplatz, und zwar der des arenischen FC Bavaria. Die Sechziger sollten da auch mitmachen, aber sie dümpeln als wertlose Kicker in der zweiten Liga herum.

Aber den Rest unterschreibe ich. Das waren mit Gründe, daß ich immer rauswollte aus dieser Stadt.

Sie scheinen ein Faible für feine Beine zu haben. Ich genieße mit.

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Ich bin erleichtert, daß ein Beinahe-Bayer meinen saupreißischen Spontaneindrücken, niederländischen, das Imprimatur erteilt und nehme die Korrekturen gern zur Kenntnis. Allerdings habe ich so feinfieselige Unterscheidungen wie Weißblau statt Blauweiß oder wann man bayerisch mit y und wann mit i schreiben soll vorsätzlich wieder vergessen. Die Abbildungen sind natürlich rein textbezogene Ausschnittvergrößerungen aus Aufnahmen beliebiger Straßenszenen. (Und das oberste Foto ist das einzige autorisierte Selbstporträt des Schreibers dieses Fahrtenbuchs.)

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Ein wenig clichebehaftet, aber rein von der Beobachtung her will ich Ihnen garnicht widersprechen. Inhaltlich möchte ich jedoch hinzufügen, daß "boarisch" eben keine Schriftsprache ist, sondern nur gesprochen wird - so geht i wie y oder sonstwas. Zudem waren die Münchner eigentlich nicht in Bayern anerkannt, sondern als Haupt-"Stodara" eine eigene, bereits ausgestorbene Volksgruppe, mit - sie werden mir das ob Ihrer Erfahrungen erstmal nicht abnehmen - einem liberalen Grundgedanken, nach dem Motto: Leben und leben lassen. Was hier nicht zur Sprache kommt und somit den Inhalt ad absurdum führt, ist die Tatsache, daß es in München eigentlich keine Münchner mehr gibt, und somit auch nur noch die Simulation einer Münchner Lebensweise zu sehen ist. So wie ich es noch kannte, mit alten Frauen in katholischen Kopftüchern, und keinesfalls im Dirndl, wird man es nur noch in alten Amateuraufnahmen entdecken. Auch die Schuhmode war nicht wirklich so entwickelt - was ich als einzige Verbesserung empfinde.

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Ja, das mit den Klischees
ist eine dubiose, zweischneidige Sache, das will ich gern einräumen, denn jeder weiß doch, wieviel Unrecht man mit jeder Generalisierung dem einzelnen antut, das sich gerade nicht über die angelegte Elle schlagen läßt. Andererseits ist aber auch bekannt, daß unsere Verarbeitung der Welt im Oberstübchen ohne Vereinfachungen, Typisierungen, Pauschalisierungen etc. durch Überlastung so gründlich zusammmenbrechen würde wie neulich das indische Stromnetz. Wir verachten also Klischees wegen ihrer Wirklichkeitsverzerrung, kommen aber zugleich nicht ohne sie aus; schon gar nicht als Spielmaterial im Genre solcher nicht ganz ernst gemeinten Kauserien wie der obigen, der ich das Beiwort "kauzig" beigegeben habe, um gleich ihren Verzicht auf eine größere Gültigkeit als die einer womöglich verschrobenen persönlichen Sicht zu signalisieren.

Daß man das Ungeliebte gern und oft den anderen in die Schuhe schiebt, gehört übrigens ebenfalls zu den beliebten Vereinfachungen, die in meinen Augen auch mit dem altbekannten Unterscheidungstrick zwischen Bayern und Münchnern versucht wird. Jeder mir bekannt gewordene bekennende Bayer schiebt gewisse unangenehme Verhaltensweisen auf die feinen Pinkel in München, wo angeblich gar keine Bayern mehr leben. Die Münchner proklamieren ihrerseits gern die "Bayernfreiheit" ihrer Stadt, um sich vom Ruch der satten CSU-Mehrheiten ("München wählt schon immer SPD") und anderer Geschmacklosigkeiten im Freistaat freizusprechen. Ich wüßte gern einmal, wann denn dieser von der sonstigen Weltöffentlichkeit völlig unbemerkt gebliebene Exodus der "echten" Bayern aus München stattgefunden haben soll. Und daß ausschließlich Mimikry betreibende Zugereiste dahinterstecken sollten, als mir jeder, aber auch jeder in München neulich zur Begrüßung lauthals den Befehl "Grüß Gott!" entgegenschmetterte, vermag ich vorläufig einfach nicht zu glauben. Ich mag mich irren, aber für mich liegt München nach wie vor mitten in Bayern. So viel Kauzigkeit gestehe ich mir zu.
Was das Mitgegangen-Mitgefangen-Prinzip angeht, das ich hier auf die zwangsverbayerten Münchner mit deutschem Migrationshintergrund anwende, so trifft es auch mich selbst in der holländischen Diaspora. Ich müßte ja bspw. auch damit zu (über-)leben versuchen, wenn man mich nach dem Überqueren der Grenze auf deutschen Autobahnen wegen gelber Nummernschilder schneiden und drängeln würde. Darum hab' ich ja wohlweislich keine.

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