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Donnerstag, 9. Februar 2012
Tahiti Noa Noa

“Tahiti... is expensive, traffic-choked, noisy, corrupt and Frenchified.”
Daß es auf der Erde kolonisierte Gebiete gibt, die nicht amerikanisiert wurden, muß für einen Amerikaner der Horror schlechthin sein; selbst wenn er Paul Theroux heißt. “Just a short trip to any French territory in the Pacific is enough to convince even the most casual observer that the French are among the most self-serving, manipulative, trivial-minded, obnoxious, cynical and corrupting nations on the face of the earth.”

Gut, Theroux war bei seiner Paddeltour zu den Happy Isles of Oceania vor zwanzig Jahren nicht gut drauf. Besserer Laune scheint der Yankee aus Massachusetts überhaupt selten zu sein, aber vor dieser Reise hatte sich gerade seine Frau von ihm getrennt, und er war besonders menschenfresserischer Stimmung. Das macht entweder blindwütig oder scharfsichtig. An den Inseln des Stillen Ozeans ließ er jedenfalls kein gutes Haar, von Japan (“a one-family island of desperate overachievers who have a fascist belief in their own racial superiority”) über Fidschi (“full of political perversity, racial fear, economic woes, and Australian tourists”) bis hinab nach Neuseeland (“this is the English death, the indescribable boredom that makes you desperate to leave”), war alles nur “down and dirty”, “dismal and littered”. “No city or town in the whole of Oceania was pleasant”. Und Tahiti gehörte zu den ganz großen Enttäuschungen. “Papeete is rather an ugly, plundered-looking town...”

Ganz ähnlich hat es hundert Jahre vor Theroux auch schon Gauguin empfunden: “ziemlich enttäuscht von der Realität... angewidert auch von dieser ganzen europäischen Trivialität, war ich wie blind”, schrieb er bald nach seiner Ankunft in sein Notizbuch.
Innerhalb von zwei Monaten machte er sich durch seine unverhohlenen Besuche auf dem “Fleischmarkt” bei den Spitzen der französischen Kolonialgesellschaft, die ihn zunächst entsprechend seinem Empfehlungsschreiben als Abgesandten in “offiziellem Auftrag” gebührend empfangen hatten, derart unmöglich, daß er von niemandem mehr eingeladen und zum sozial Geächteten wurde.
Es scherte ihn nicht, zumal er ohnehin gekommen war, um sich in anderen als den europäischen Kreisen und Konventionen zu bewegen, und inzwischen erkannt hatte, daß er die ursprüngliche Kultur der Polynesier in Papeete nicht mehr finden würde.
Also packte er seine Malutensilien und zog im Juli 1891 aufs Land; genauer nach Mataiea, den nach Papeete europäisiertesten Ort der Insel. Doch spiegelten seine Lage zwischen Berg und Meer und die verstreut liegenden Häuser in tropisch grünen Pflanzungen die Illusion einer präkolonialen Idylle vor.

“Ich fing an zu arbeiten, Notizen und Skizzen jeglicher Art. Alles in der Landschaft blendete, begeisterte mich. Von Europa kommend war ich stets unsicher in der Wahl einer Farbe, es kostete mich Stunden, dabei war es so einfach, ganz natürlich ein Rot und ein Blau auf meine Leinwand zu setzen. Goldene Formen in den Bächen entzückten mich. Weshalb zögerte ich, dieses Gold, die ganze Fröhlichkeit der Sonne auf meine Leinwand fließen zu lassen?”
“Tagtäglich geht es mir besser”, schreibt er voller Wunschdenken in sein Buch der Wohlgerüche: Noa Noa. “Mein Körper, der fast immer nackt ist, fürchtet die Sonne nicht mehr; die Zivilisation fällt nach und nach von mir ab... und ich lebe animalisch und frei – in der Gewißheit, daß das Morgen ebenso ist wie das Heute, jeden Morgen geht die Sonne am wolkenlosen Himmel für mich wie für alle anderen auf, ich werde sorglos, ruhig und liebevoll.”

Was er schreibt, erinnert an Camus’ Hymnen auf das Licht und die Sonne von Tipasa. Die Menschen in seinen Bildern sind nicht mehr bleich wie der Tod, und die Landschaften darin glühen vor Licht und Farbe.


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Sonntag, 5. Februar 2012
Nouvelle-Cythère
Der Sündenfall Tahitis läßt sich ziemlich genau auf den Mittsommertag des Jahres 1767 datieren, als der englische Kapitän Samuel Wallis als erster Europäer vor Tahiti Anker warf. An Land ging er erst Tage später, weil er und seine Mannschaft von Skorbut und anderen Krankheiten sehr geschwächt waren und von den Bewohnern der Insel auch noch feindselig empfangen wurden.

[24 June 1767] At six o’clock the next morning, we began to warp the ship up the harbor, and soon after, a great number of canoes came upon her stern. As I perceived they had hogs, fowl, and fruit on board, I ordered the gunner, and two midshipmen, to purchase them for knives, nails, beads, and other trinkets. . . . By eight o’clock, the number of canoes was greatly increased, and those that came last were double, of a very large size, with twelve or fifteen stout men in each. I observed, with some concern, that they appeared to be furnished rather for war than trade, having very little on board except round pebble stones. . . . There was a universal shout from all the canoes, which at once moved towards the ship, and a shower of stones poured into her on every side. . . When the great guns began to fire, there were not less than three hundred canoes about the ship, having on board at least two thousand men; many thousands were also upon the shore. . . . Among the canoes that were coming toward the bow, there was one which appeared to have some Chief aboard, as it was by signals made from her, that the others had been called together: it happened that a shot, fired from the guns forward, hit this canoe so full as to cut it asunder. As soon as this was observed by the rest, they dispersed with such haste that in half an hour there was not a single canoe to be seen.

So erzählt John Hawkesworth in seinem Account of the Voyages Undertaken by the Order of His Present Majesty for Making Discoveries in the Southern Hemisphere... 1773 die erste Begegnung zwischen Europäern und Tahitianern auf der Grundlage von Wallis’ Logbuch und Bericht an die Admiralität. Offenbar hielt diese Wallis’ eigenen Bericht für nicht salonfähig. Die alte Teerjacke ließ sich zwar mit einer zarten Feder in der derben Patsche am Schreibtisch porträtieren, aber lesbar schreiben konnte er wohl nicht. Es war ja auch nicht seine vordringliche Aufgabe. Hawkesworth hingegen hatte sich als Nachfolger von Samuel Johnson im Gentleman’s Magazine und Herausgeber einer Ausgabe der Werke von Swift einen Namen gemacht und wurde darum mit der literarischen Bearbeitung der Berichte von Byron, Wallis, Carteret und Cook beauftragt. Eine seiner Vorgaben besagte, daß er das lesende Publikum tunlichst mit derben und anstößigen Ereignissen verschonen sollte. Und so berichtete er getreulich, daß Wallis nach dem zurückgeschlagenen Angriff mit der um die Bucht von Matavai herrschenden Stammeskönigin Purea Frieden schloß und seiner Mannschaft anschließend einen Monat Landurlaub spendierte, damit sie sich, umsorgt von den Eingeboreninnen, von der entbehrungsreichen langen Seereise erholen und auskurieren konnte. Das “Gastgeschenk” aber, das Wallis und seine wilden Kerle den arglosen Tahitianerinnen zum Dank anhängten, brachte erst Joseph Banks zur Sprache, der zwei Jahre später mit Cook Tahiti besuchte. Er berichtet, Tahitianer gesehen zu haben, die von schwersten Verwundungen wieder genesen seien, doch “when the juices of the body are pure, and the patient is temperate, nothing more is necessary, as an aid to Nature, in the cure of the worst wound, than the keeping it clean.” Über saubere und reine Körpersäfte verfügten diese edlen Wilden also; vielmehr hatten sie darüber verfügt, bis Wallis aufgekreuzt war.

“[The natives] commerce with the inhabitants of Europe has, however, already entailed upon them that dreadful curse which avenged the inhumanities committed by the Spaniards in America, the venereal disease. As it is certain that no European vessel, besides our own, except the Dolphin, and the two that were under the command of Mons. Bougainville, ever visited this island, it must either have been brought by one of them, or by us. That it was brought by the Dolphin, Captain Wallis has demonstrated, in the account of her voyage, in the first volume, and nothing is more certain, than that when we arrived it had made most dreadful ravages in the island. One of our people contracted it within five days after we went on shore, and by the enquiries among the natives, which this occasioned, we learned, when we came to understand a little of their language, that it had been brought by the vessels which had been there about fifteen months before us, and had lain on the east side of the island. They described, in the most pathetic terms, the sufferings of the first victims to it, and told us, that it caused the hair and the nails to fall off, and the flesh to rot from the bones; that it spread an universal terror and consternation among them, so that the sick were abandoned by their nearest relations, lest the calamity should spread by contagion, and left to perish alone in such misery as till then had never been known among them.”

Ein Jahr vor Cook und kein Jahr nach Wallis richtete Louis-Antoine de Bougainville seine aristokratisch hoch getragene Nase gen Tahiti. Er hatte als Offizier aktiv an der Verteidigung Québecs und am Verlust Kanadas teilgenommen und anschließend auf eigene Faust versucht, ersatzweise die so ausgedehnten, nur von den Seemächten bis dahin unbeachteten Îles Malouines (heute Falklandinseln) für die Grande nation zu erobern, doch auf Druck Spaniens und Englands befahl ihm König Ludwig XV., sie zu räumen und an Spanien zu verkaufen. Zudem gab er Bougainville den Auftrag, von den Malwinen gleich weiterzufahren und das durch die Niederlagen im Siebenjährigen Krieg ramponierte Ansehen Frankreichs mit Hilfe einer ersten französischen Weltumsegelung wieder aufzubessern.
Bougainville war ein gebildeter Mann und ein großer Anhänger der Aufklärung. Er hatte als erster Weltumsegler einen Stab von Naturforschern an Bord (darunter übrigens, lange unerkannt als Mann verkleidet, mit Jeanne Baret die erste Frau, die die Welt umsegelte). Dank seiner umsichtigen und fortschrittlichen Maßnahmen an Bord verlor er von den 330 Mann Besatzung auf der gesamten Reise nur sieben. Ein ungeheuer günstiges Verhältnis für die damalige Zeit.

Am 4. April 1768 erreichten die Boudeuse und die Étoile Tahiti. Schon beim ersten Anblick machte die Insel einen paradiesischen Eindruck auf Bougainville. Die Bucht vor ihnen öffnete sich wie ein Amphiteater, in das sogar ein kleiner Wasserfall schäumte, und selbst die höchsten Berge dahinter wirkten nicht karg, sondern waren über und über grün bewachsen. Im Flachland an der Küste wechselten kleine Waldungen mit Weiden und Pflanzungen, dazwischen, idyllisch in das üppige Grün gebettet, die Hütten von Eingeborenen.
Die erste Annäherung verlief wie im Jahr zuvor bei Wallis. Die Inselbewohner paddelten in Auslegerbooten voller Bananen, Kokosnüssen und anderen Früchten auf die Schiffe zu, doch anders als bei Wallis unbewaffnet, und zu einem Angriff kam es nicht, dafür zu einem regen Tauschhandel. Am nächsten Tag kehrten sie zurück, “cette fois aussi, il vint dans les pirogues, quelques femmes jolies et presque nues”, diesmal also auch ein paar hübsche, fast nackte Frauen an Bord.
Bougainville war nun fest entschlossen, an Land zu gehen, und ließ von den eigenen Booten eine Passage durchs Riff ausloten.
Umgeben von zahlreichen Kanus liefen die beiden Schiffe vorsichtig in die Bucht und suchten einen geeigneten Ankerplatz, wobei die Matrosen bestimmt nicht sehr konzentriert an der Arbeit waren.

“Die Pirogen waren voller Frauen, deren schöner Körperwuchs den meisten europäischen Frauen nicht nachsteht und deren körperliche Schönheit allemal mit der von Europäerinnen mindestens wetteifern kann. Die meisten dieser Nymphen waren nackt, weil die Männer und die alten Frauen ihnen die Kleider abnahmen, in die sie sich sonst hüllen. Trotz ihrer Unschuld (naïveté) warfen sie uns von ihren Booten ein wenig verlegene Blicke zu, sei es, weil die Natur ihr Geschlecht überall mit einer angeborenen Schüchternheit ausgestattet hat, oder sei es, weil selbst in den Ländern, in denen noch die Freizügigkeit des Goldenen Zeitalters herrscht, die Frauen vorgeben, das nicht zu wollen, was sie sich am meisten wünschen (même dans les pays où règne encore la franchise de l'âge d'or, les femmes paraissent ne pas vouloir ce qu'elles désirent le plus.) Die Männer, einfacher oder freier, drückten sich eindeutiger aus: sie drängten uns, eine Frau auszusuchen und ihr an Land zu folgen, und ihre Gesten ließen keinen Zweifel daran, auf welche Weise wir dort ihre nähere Bekanntschaft machen sollten. Ich frage: Wie sollte man mitten in einem solchen Spektakel vierhundert junge, französische Seeleute wieder an die Arbeit bringen, die seit einem halben Jahr keine Frau mehr gesehen hatten? Trotz aller Vorsichtsmaßnahmen, die wir zu treffen suchten, gelang es einem jungen Mädchen an Bord zu kommen. Sie kam aufs Achterdeck und stellte sich über eine der Luken, die wir geöffnet hatten, um den Männern unten an der Winde frische Luft zuzuleiten. Unbekümmert ließ sie das Tuch fallen, das sie bedeckte, und bot sich aller Augen so dar, wie Venus sich den phrygischen Schäfern gezeigt hatte, und sie hatte in der Tat einen himmlischen Körperbau.”

Als Bougainville am folgenden Tag an Land ging, glaubte er den Garten Eden zu betreten: “Wir schritten über Rasen, auf dem Obstbäume standen und der von mehreren kleinen Bächen durchflossen wurde, die angenehme Kühle verbreiteten. Viele Menschen saßen im Schatten von Obstbäumen und genossen die Segnungen, die die Natur so freigiebig über sie ausstreute. Überall stießen wir unter ihnen auf Gastfreundschaft, Ruhe, unschuldige Freude und alle Anzeichen des Glücks.”
Auch seinen Rousseau hatte der aufgeklärte Franzose sorgfältig gelesen:

“Obwohl die Insel in viele kleine Bezirke unter je einem unabhängigen Oberhaupt unterteilt ist, scheint es keinerlei innwärtige Kriege oder Hass zu geben. Wahrscheinlich gehen die Tahitianer stets aufrichtig und anständig miteinander um. Ob sie zu Hause sind oder nicht, ihre Hütten stehen bei Tag und Nacht immer offen. Jeder bedient sich von den Früchten des nächstbesten Baums oder in der Hütte, die er gerade betritt. Es scheint, daß sie bei allem, was zum Leben notwendig ist, kein Privateigentum kennen und daß alles allen gehört. [...] Ich vermag nicht zu sagen, ob ihre Ehen zivil geschlossen oder durch die Religion geheiligt sind, ob sie unauflöslich sind oder geschieden werden können. Wie auch immer, die Frauen unterwerfen sich ihren Männern völlig, jede Untreue ohne Zustimmung des Mannes würden sie mit ihrem Blut reinwaschen. Diese Zustimmung aber ist leicht zu erlangen. Eifersucht ist eine so unbekannte Leidenschaft bei ihnen, daß gemeinhin der Ehemann der erste ist, der seine Frau drängt, sich einem anderen hinzugeben. Auch eine unverheiratete Frau braucht sich in dieser Hinsicht keine Zurückhaltung aufzuerlegen; alles ermuntert sie, der Neigung ihres Herzens oder ihren sinnlichen Wünschen zu folgen. Öffentlicher Beifall beklatscht noch ihr Sichhingeben. Keine noch so große Zahl vorangegangener Liebhaber scheint ein Hindernis zu sein, hinterher noch einen Ehemann zu finden. Weshalb sollte sie also dem Verführerischen des Klimas, den Lockungen anderer Beispiele nicht nachgeben? Schon allein die Luft, die diese Menschen atmen, ihre Gesänge, ihre Tänze, fast immer von aufreizenden Gesten begleitet, all das erinnert jeden Augenblick an die Annehmlichkeiten der Liebe, ruft dazu auf, sich ihr hinzugeben. [...]
Jeden Tag spazierten unsere Männer allein oder in kleinen Gruppen unbewaffnet über die Insel. Man bat sie in die Häuser, dort gab man ihnen zu essen, und die Höflichkeit der Gastgeber hatte damit noch nicht ihr Bewenden, sie boten ihnen auch noch junge Frauen an. Augenblicklich füllte sich die Hütte mit neugierigen Männern und Frauen, die einen Kreis um den Gast und das junge Opfer der Gastfreundschaft bildeten. Der Boden wurde mit Blüten und Blättern bestreut, und Musiker sangen zur Begleitung von Flöten Freudenhymnen. Hier ist Venus die Göttin der Gastfreiheit, aus ihrem Kult macht man kein Geheimnis, und jede Vergnügung in ihrem Dienst ist ein Fest für das ganze Volk.”

Einen einzigen kleinen, häßlichen Makel wiesen einige der unschuldigen Naturkinder aus dem Garten Eden denn doch auf, aber wie Bougainville erfuhr, entsprang er nicht ihrem eigenen Naturzustand, sondern war von außen eingeschleppt worden:
“Von Aotourou [einem Tahitianer, der aus freien Stücken mit Bougainville nach Frankreich fahren wollte] hörte ich, daß ungefähr acht Monate vor unserer Ankunft ein englisches Schiff nach Tahiti gekommen war. Es war das unter dem Befehl von Monsieur Wallace stehende. Derselbe Zufall, der uns diese Insel entdecken ließ, hatte auch die Engländer hergeführt, während wir noch im Rio de la Plata lagen [...] Ich weiß nicht, ob die Einwohner von Tahiti, die durch die Engländer ihre erste Bekanntschaft mit Eisen machten, von ihnen nicht auch mit der venerischen Krankheit infiziert wurden, die wir bei ihnen verbreitet fanden.”
Dem Gesamtbild von Tahiti als Paradies auf Erden tat es keinen Abbruch, daß sich die Franzosen auf Tahiti die Franzosen geholt hatten. Als Bougainville 1771 in Paris seinen Reisebericht veröffentlichte, war der europäische Mythos von Tahiti geboren.

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Freitag, 3. Februar 2012
Fleischmarkt, tahitianisch
Am 7. Juni 1891 kam die erste der Gesellschaftsinseln in Sicht. Es war Gauguins 34. Geburtstag. Zwei Tage später ging er in Papeete an Land. Die Polynesier am Ufer zeigten mit Fingern auf ihn und schüttelten sich vor Lachen. Da kam ein großer, kräftiger palagi die Gangway herab, doch unter seinem breitkrempigen Cowboyhut fielen ihm die Haare lang bis über die Schultern. (Gauguin hatte sich aus Protest gegen die von ihm als “äußerst medioker” empfundenen Regierungsangestellten und Kolonialbeamten auf dem Schiff die Haare wachsen lassen.)
In den Dörfern Tahitis lebten wie überhaupt in den polynesischen Gesellschaften öfter Transvestiten, auf Hawaii mahu genannt, bei den Maori whakawahine , auf Samoa fa'afafine , was so viel wie “nach Art der Frauen” bedeutet, aber unter den Weißen hatten die Tahitianer noch nie jemanden gesehen, der dem “dritten Geschlecht” angehörte. “Taata vahine”, riefen sie, “Mannfrau”, und Gauguin, der nichts verstand, lachte leicht verunsichert zurück. –
Foto: Lucien Gauthier“Gauguin’s ignorance of what he would find on Tahiti was almost total” (Sweetman), und viel lernte er im Lauf seines Aufenthalts nicht hinzu. Er wollte zwar umgehend Tahitianisch lernen, doch der junge Marineleutnant Jénot, der ihn an Land als erster begrüßt hatte und sein Lehrer sein sollte, brach den Unterricht bald ab. “Gauguin hatte nicht das geringste Gedächtnis für Sprachen. Er verwechselte ständig die Silben, ließ welche aus oder erfand welche hinzu.”
Gauguin entdeckte mit untrüglichem Instinkt jedoch bald andere als sprachliche Wege, um mit den tahitianischen Frauen in nahen Kontakt zu kommen. Vor allem diejenigen unter ihnen, die abends promenierend in die Stadt kamen, waren genauso verführerisch, wie Loti sie in seinem Buch beschrieben hatte, nur kannten sie inzwischen genaue Tarife für die freizügige Gastfreundschaft, die man ihnen seit Bougainvilles und Cooks Zeiten nachrühmte, und der Platz, auf dem man sich ihnen nähern konnte, hieß unter den Ortsansässigen unverblümt “der Fleischmarkt”. Gauguin begriff, daß er im Paradies hundert Jahre nach dem Sündenfall eingetroffen war.

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Donnerstag, 2. Februar 2012
Auf nach Tahiti!
Dreieinhalb Jahre hielt der “Wilde” (Oviri) es nach der Rückkehr aus dem Paradies in Paris und in der Zivilisation aus. Dreieinhalb Jahre, in denen er vorne und hinten nicht zurechtkam. Für ein “normales”, bürgerliches Leben war er komplett verloren, wenn er denn überhaupt je für eines geeignet war. Zwischenzeitlich flüchtete er aus der Großen Stadt in die Bretagne, ans Meer und unter die dort versammelte Künstlerbohème, doch vor lauter Sehnsucht nach den unzivilisierten, üppigen Tropen malte er eine Eva im Paradies mit einem Jugendbildnis seiner eigenen Mutter als Vorlage. Seine Geliebte malte er dagegen bleich wie eine wächserne Leiche nackt auf dem Rücken liegend und mit der gepflückten Blume ihrer Unschuld in der Hand. Sie war schwanger und mußte eilends verlassen werden, wenn er durch sie und das erwartete Kind nicht dauerhaft gebunden werden wollte, und das wollte er unter keinen Umständen. Ein junger Bewunderer hatte ihm soeben von einem Buch erzählt, das schon früher viel zu seiner Sehnsucht nach fernen exotischen Inseln beigetragen hatte: Le mariage de Loti.

Es war der zweite Roman des französischen Marineoffiziers Julien Viaud. Nach dem verlorenen Krieg gegen Preußen hatte Viaud im chilenischen Valparaiso auf der Fregatte La Flore angemustert und war in Tahiti wieder von Bord gegangen. Ein Jahr später kehrte er an Bord des gleichen Schiffs nach Frankreich zurück. 1880 veröffentlichte er zunächst unter dem Titel Rarahu einen Roman, der zum Teil auf eigenen Erlebnissen auf Tahiti beruhte. Zwei Jahre später wurde er unter dem neuen Titel Le mariage de Loti noch einmal verlegt und ein Welterfolg. Loti hieß eine Blume auf Tahiti, und so hatte angeblich eine tahitianische Prinzessin Viaud getauft. Von seinem berühmtesten Buch an, den Islandfischern, benutzte er Loti als seinen Schriftstellernamen.

Gauguin hatte Le mariage de Loti schon verschlungen, bevor er nach Panama und Martinique ging, und als ihm nun sein junger Kollege Emile Bernard vorschlug, ein gemeinsames “Atelier des Tropiques” auf Tahiti zu gründen, war er begeistert und machte sich bald daran, alles zu veräußern, was er nicht mit auf die Reise nehmen wollte. Als Bernard angesichts der Verwirklichung seiner Tahiti-Träume kalte Füße bekam, schrieb Gauguin ihn kurzerhand ab und bereitete seine alleinige Reise vor. Durch andere Künstlerfreunde nahm er Kontakt zu Clemenceau auf, und ausgerechnet der profilierte Antikolonialist verschaffte ihm beim Ministerium für Bildung und Kunst ein Schreiben, das Gauguin als jemanden auswies, der in “offizieller Mission” unterwegs sei. Er versprach sich davon, unterwegs und in der Kolonie von den Beamten der Kolonialverwaltung respektiert und besser behandelt zu werden. De facto sollten sie in ihm einen geheimen Inspektor oder Kontrolleur des Ministeriums vermuten und ihm mit entsprechendem Mißtrauen begegnen. Das Wichtigste war zunächst einmal, daß die “Ernennung” Gauguin berechtigte, auf Schiffen staatlich subventionierter Reedereien mit einem Rabatt von 30% zu reisen.
Am 1. April 1891 ging er in Marseille an Bord des Dampfers Océanien, nicht mehr als einige Meter Leinwand, Farben, Pinsel und 3000 Franc in der Tasche, die für einen Aufenthalt von drei Jahren reichen sollten.



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Mittwoch, 25. Januar 2012
“Oh, wie schön ist Panama!”
Der Weg dorthin ist zwar bekanntlich mindestens dreimal doppelt so weit, wie man dachte. “Aber am Ende wartet vielleicht das Paradies auf uns, Tiger.” – Er landete in der Apokalypse. Genau die Zivilisation, der er den Rücken kehren wollte, fraß sich buchstäblich quer durch das Land, das Alexander von Humboldt für zu gebirgig gehalten hatte, um es mit einem Kanal zu durchstechen.
Was den französischen Versuch unter Federführung von Ferdinand de Lesseps angeht, sollte Humboldt recht behalten. In den neun Jahren Bauzeit starben an jedem einzelnen Tag mehr als sieben Arbeiter, die meisten an Malaria. 22000 Tote kostete der Panamakanalbau bis zum Abbruch der Bauarbeiten 1889. Für die Überlebenden und Schuftenden war das völlig überfüllte, von Sumpffieber verseuchte Höllenloch Colón auch noch teuer. “Oviri” (wie er sich später selbst gern nannte), sah sich bald gezwungen, Arbeit im Heer der Lohnsklaven anzunehmen und in tropischer Hitze tagtäglich zwölf Stunden die Spitzhacke zu schwingen. Vom Lohn der ersten zwei Wochen kaufte er sich eine Schiffsfahrkarte und floh nach Martinique.
Nein, nicht schön war Panama, aber die Antilleninsel war es. Er blieb ein halbes Jahr und malte nicht nur wie im Fieber. Er hatte Fieber. Wahrscheinlich Ruhr und Malaria, die er sich in Panama zugezogen hatte. Vielleicht auch schon die Syphilis. So viel zum Leben. Künstlerisch bedeutete der kurze Aufenthalt den Großen Sprung nach vorn.
Auch Martinique war natürlich längst nicht mehr das vorkoloniale Tropenparadies, das er sich erträumt hatte, aber noch genug war anders als in Europa, um vielleicht fast vergessene, warme, gefühlvolle Erinnerungen an seine frühesten Kindheitsjahre in Peru in ihm wachzurufen, wie sein Biograf vermutet, und ihn vor allem auch sinnlich zu stimulieren. In einer kleinen case à nègre auf einer aufgegebenen Plantage am Rand des Örtchens Le Carbet lebte er tatsächlich von den Früchten an den Bäumen und außerhalb der weißen Kolonialgesellschaft vor allem unter Schwarzen, die er unermüdlich in ihren alltäglichen Verrichtungen beobachtete, skizzierte und malte. Besonders die Frauen von Le Carbet waren als Trägerinnen für ihre Ausdauer und elegante Haltung berühmt. “Fast alle sind farbig von dunklem Ebenholz bis zu einem dunkelhäutigen Weiß und sie gehen so weit, sogar das Obst zu verhexen, um in deine Arme zu kommen. Vorgestern hat mir eine junge Schwarze von 16 Jahren und verdammt hübsch ein Stück Guave angeboten.” Das schrieb er nicht etwa einem Freund, sondern, in welcher Absicht auch immer, seiner Frau im fernen Kopenhagen. Dem Freund in Paris schrieb er: “Was ich so bezaubernd finde, sind diese Figuren. Jeden Tag herrscht hier ein Kommen und Gehen schwarzer Frauen, in ihrer ganzen Farbenpracht herausgeputzt und in ihrer endlosen Vielfalt graziöser Bewegungen.” Die fing er in seinen Skizzen ein und stilisierte sie in rund einem Dutzend ausgeführter Gemälde auf eine Weise, “die eindeutig mit dem flüchtigen Impressionismus eines Pissarro bricht - an entirely invented lushness” (Sweetman).
Im August ging es ihm so schlecht – er war inzwischen völlig abgemagert und hatte fortwährend Magenkrämpfe –, daß er den Aufenthalt im Paradies abbrechen mußte. Rückblickend schrieb er später in Paris: “Auf Martinique machte ich eine entscheidende Erfahrung. Nur dort fühlte ich mich wirklich als ich selbst, und man muß mich mehr als in den Werken aus der Bretagne in meinen Bildern suchen, die ich von Martinique mitbrachte, wenn man wissen will, wer ich bin.”

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Samstag, 21. Januar 2012
Leben wie ein Wilder
Mit 17 ging er zur See, mit 22 hatte er sich an der Börse ein kleines Vermögen zusammenspekuliert, mit 33 alles verloren und einen Bankencrash hinter sich. Vielleicht aus Trotz bekamen er und seine Frau im gleichen Jahr noch ein fünftes Kind. Im nächsten ließ sie ihn verarmt zurück und zog mit den Kindern in ihr Heimatland. Er folgte ihr, blieb ein halbes Jahr arbeitslos und ohne Einkünfte, kehrte dann völlig abgebrannt nach Hause zurück. Einem Freund schrieb er: “Der schlimmste Kannibale ist nichts im Vergleich mit einem dänischen Vermieter.”

Er hatte von dort kaum mehr als die Kleider, die er am Leib hatte, mitgenommen. Sie wurden vom ewigen Tragen immer fadenscheiniger. Er sah aus wie ein Landstreicher, trug aber einen protzigen falschen Ring am Zeigefinger und ein hochfahrendes Wesen zur Schau, das jeden brüskierte. Dabei verdiente er sein einziges Geld mit dem Austeilen von Reklameflugblättern. Wochenlang aß er höchstens trockenes Brot und Reis, zeigte deutliche Spuren von Mangelernährung. Ebenso der kleine, sechsjährige Sohn, den seine Frau ihm als einziges von den Kindern mitgegeben hatte. Als der Kleine im Winter ernsthaft krank wurde, hatte er nicht einmal das Geld, mit ihm zum Arzt zu gehen.
An diesem Tiefpunkt beschloß er, sein Leben zu ändern und, nachdem er in allen bürgerlichen Karriereversuchen gescheitert war, etwas Vernünftiges zu werden: Künstler.

Doch was konnte man dem von kreativen Innovationen übersättigten und an Motiven und Sujets ausgesaugten Paris noch als neu und interessant offerieren? Das Ferne und Exotische natürlich, das Fremde und ganz Andere. So jedenfalls dachte er, weil ihm das alte, verknöcherte Europa mit seiner durch Geld die Welt beherrschenden Bourgeoisie ohnehin zum Hals heraushing (und ihm keine neue Chance auf einen Aufstieg mehr gab). Seit langem träumte er den alten Aussteigertraum vom einfachen Leben jenseits der Zivilisation in einem tropischen Garten Eden, wo man sich nicht in entfremdeten Arbeitsprozessen ausbeuten lassen mußte, sondern von den süßen Früchten leben konnte, die an den keinem und allen gehörenden Bäumen wuchsen.
Mit 38 schrieb er seiner Frau aus heiterem Himmel ins winterkalte Kopenhagen:
“Ich gehe nach Panama, um wie ein Wilder zu leben.”

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Montag, 16. Januar 2012
“Möge die Erde leicht auf ihm ruhen”
Im November 1988 trat Bruce Chatwin zum letzten Mal eine Reise an. In einem Rollstuhl brachte Elizabeth ihn nach Heathrow und flog mit ihm nach Südfrankreich, in das Schloß Seillans an der Côtes d'Azur, wo er zwei Jahre vorher seine letzte Erzählung, Utz , geschrieben und sich vorübergehend von seinen akuten AIDS-Schüben erholt hatte. Diesmal gab es keine Erholung mehr. Chatwin bat Werner Herzog, zu kommen, weil er glaubte, daß Herzog über heilende Kräfte verfüge. “Er war ein Skelett, es war nichts mehr von ihm übrig; er wollte sterben”, sagt Herzog, der von Chatwin zum Abschied seinen legendär gewordenen Lederrucksack erhielt.
Am 16. Januar 1989 fiel Chatwin ins Koma, am 18. starb er in einem Krankenhaus in Nizza.
Einen Monat später fand in der griechisch-orthodoxen Kirche Hagia Sophia im Londoner Stadtteil Bayswater ein Gedenkgottesdienst für ihn statt. Unter den zahlreichen Trauergästen befand sich unter vielen anderen auch Salman Rushdie. Im März 1984 hatte er mit Chatwin eine Woche im “Roten Herzen” Australiens verbracht. Sie bestiegen den Ayers Rock, und Chatwin machte Rushdie in Adelaide mit Robyn Davidson bekannt, die 1977 auf einem neunmonatigen Treck mit vier Kamelen allein von Alice Springs durch Inneraustralien bis zur Küste gewandert war. (Das Buch darüber schrieb sie 1980 in London, wo sie bei Doris Lessing wohnte.) Aus ihrer Begegnung mit Rushdie wurde eine über zwei oder drei Jahre sich hinziehende Affäre, bevor er seine zweite Frau, die amerikanische Schriftstellerin Marianne Wiggins, kennenlernte. Am Morgen des Trauergottesdienstes, am 14. Februar 1989, erhielt Rushdie einen Telefonanruf von einer Reporterin der BBC: “Wie fühlen Sie sich, Mr Rushdie, angesichts des Todesurteils, das Ayatollah Khomeini über sie verhängt hat?” – “Wie bitte?” – “Oh, wissen Sie es noch nicht?” Es war der Tag, an dem in Teheran die Fatwa gegen Rushdie verlesen wurde.
Rushdie erschien begreiflicherweise als einer der letzten in der orthodoxen Kirche. Während des Gottesdienstes, von dem kaum einer der Anwesenden mehr als den Namen “Bruce Chatwin” verstand, beugte sich irgendwann Paul Theroux zu Rushdie vor und flüsterte: “Well, Salman, ich schätze, nächste Woche werden wir deinetwegen hier sein.”

Am nächsten Morgen flog Elizabeth Chatwin mit der Asche ihres Mannes in einem Eichenholzkästchen nach Griechenland. Sie fuhr hinaus auf die Mani zu Patrick Leigh-Fermor, Bruce Chatwins letztem “Guru”. Mit ihm war er 1985 von dessen Haus in Kardamyli oft zur kleinen byzantinischen Kapelle Agios Nikolaos in Chora gewandert. Die Griechen würden immer die schönsten Orte den Göttern vorbehalten, hatte er gesagt und sich gewünscht, dort begraben zu werden.
“Der Boden war zu hart, um das Kästchen zu vergraben”, erzählte Leigh-Fermor bei den Aufnahmen für die BBC-Produktion über Chatwins Leben 1999. “Darum buddelten wir ein kleines Loch zwischen den Wurzeln eines Ölbaums und schütteten die Asche hinein. Ich goß ein kleines Trankopfer aus Retsina darüber und sprach [die letzten Worte aus dem orthodoxen Ritus]: Möge die Erde leicht auf ihm ruhen...”
Einen schöneren Wunsch für einen Toten kann ich mir nicht vorstellen.




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