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Montag, 16. Januar 2012
“Möge die Erde leicht auf ihm ruhen”
Im November 1988 trat Bruce Chatwin zum letzten Mal eine Reise an. In einem Rollstuhl brachte Elizabeth ihn nach Heathrow und flog mit ihm nach Südfrankreich, in das Schloß Seillans an der Côtes d'Azur, wo er zwei Jahre vorher seine letzte Erzählung, Utz , geschrieben und sich vorübergehend von seinen akuten AIDS-Schüben erholt hatte. Diesmal gab es keine Erholung mehr. Chatwin bat Werner Herzog, zu kommen, weil er glaubte, daß Herzog über heilende Kräfte verfüge. “Er war ein Skelett, es war nichts mehr von ihm übrig; er wollte sterben”, sagt Herzog, der von Chatwin zum Abschied seinen legendär gewordenen Lederrucksack erhielt.
Am 16. Januar 1989 fiel Chatwin ins Koma, am 18. starb er in einem Krankenhaus in Nizza.
Einen Monat später fand in der griechisch-orthodoxen Kirche Hagia Sophia im Londoner Stadtteil Bayswater ein Gedenkgottesdienst für ihn statt. Unter den zahlreichen Trauergästen befand sich unter vielen anderen auch Salman Rushdie. Im März 1984 hatte er mit Chatwin eine Woche im “Roten Herzen” Australiens verbracht. Sie bestiegen den Ayers Rock, und Chatwin machte Rushdie in Adelaide mit Robyn Davidson bekannt, die 1977 auf einem neunmonatigen Treck mit vier Kamelen allein von Alice Springs durch Inneraustralien bis zur Küste gewandert war. (Das Buch darüber schrieb sie 1980 in London, wo sie bei Doris Lessing wohnte.) Aus ihrer Begegnung mit Rushdie wurde eine über zwei oder drei Jahre sich hinziehende Affäre, bevor er seine zweite Frau, die amerikanische Schriftstellerin Marianne Wiggins, kennenlernte. Am Morgen des Trauergottesdienstes, am 14. Februar 1989, erhielt Rushdie einen Telefonanruf von einer Reporterin der BBC: “Wie fühlen Sie sich, Mr Rushdie, angesichts des Todesurteils, das Ayatollah Khomeini über sie verhängt hat?” – “Wie bitte?” – “Oh, wissen Sie es noch nicht?” Es war der Tag, an dem in Teheran die Fatwa gegen Rushdie verlesen wurde.
Rushdie erschien begreiflicherweise als einer der letzten in der orthodoxen Kirche. Während des Gottesdienstes, von dem kaum einer der Anwesenden mehr als den Namen “Bruce Chatwin” verstand, beugte sich irgendwann Paul Theroux zu Rushdie vor und flüsterte: “Well, Salman, ich schätze, nächste Woche werden wir deinetwegen hier sein.”

Am nächsten Morgen flog Elizabeth Chatwin mit der Asche ihres Mannes in einem Eichenholzkästchen nach Griechenland. Sie fuhr hinaus auf die Mani zu Patrick Leigh-Fermor, Bruce Chatwins letztem “Guru”. Mit ihm war er 1985 von dessen Haus in Kardamyli oft zur kleinen byzantinischen Kapelle Agios Nikolaos in Chora gewandert. Die Griechen würden immer die schönsten Orte den Göttern vorbehalten, hatte er gesagt und sich gewünscht, dort begraben zu werden.
“Der Boden war zu hart, um das Kästchen zu vergraben”, erzählte Leigh-Fermor bei den Aufnahmen für die BBC-Produktion über Chatwins Leben 1999. “Darum buddelten wir ein kleines Loch zwischen den Wurzeln eines Ölbaums und schütteten die Asche hinein. Ich goß ein kleines Trankopfer aus Retsina darüber und sprach [die letzten Worte aus dem orthodoxen Ritus]: Möge die Erde leicht auf ihm ruhen...”
Einen schöneren Wunsch für einen Toten kann ich mir nicht vorstellen.




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