Die Fahrt durch die Marlborough Sounds ist eine der Traumpassagen dieser Welt. Genauso wie Neuseeland überhaupt eins der schönsten Länder dieser Erde ist. So viel landschaftliche Vielfalt wie auf diesen beiden Inseln dürfte es kaum noch irgendwo so nah beieinander geben.
Und Wellington ist eine Hauptstadt in ausgesetzter (Erdbeben!), aber glücklicher Lage. Ein Amphitheater mit teils grün bewaldeten, teils dicht mit Wohnhäusern bedeckten Hängen um einen perfekt geschützten, grossen Naturhafen mit vielen schönen Meeresbuchten für kleinere Stadtteile und Vororte mit Strand. Auckland kann man dagegen getrost vergessen. Es sei denn, man kommt mit einem Segelboot. Wellington ist die Stadt von Neuseeland. Urbaner oder auf eine bessere Art urban als Auckland. Und die schönsten Landschaften der Nord- wie der Südinsel liegen direkt vor seiner Haustür: die genannten Fjorde der Marlborough Sounds, Tasman Bay und Golden Bay in Sichtweite jenseits der Cook-Strasse auf der Südinsel, die dicht bewaldete und zerklüftete Rimutaka Range auf der eigenen Insel und dahinter die herrlich offene und weite Landschaft um den Lake Wairarapa bis hinab zur Palliser Bay und dem gleichnamigen Kap.
Nur das Wetter will in diesem Jahr in Windy Wellington nicht richtig mitspielen. Der kälteste Januar seit zwanzig Jahren, der nasseste Februar seit zehn Jahren. Ein heftiges La-Ninja-Jahr. "Die ganzen Regenmassen, die sich normalerweise weit unten im Süden in Fiordland abregnen, kommen heuer hier in Nelson herunter", sagt uns Hermann Seifried, ein Winzer, der vor mehr als vierzig Jahren aus Österreich eingewandert ist. Eigentlich stammt er aus einer Obstbauernfamilie, aber inzwischen ist er berühmt für seine Dessert- und Eisweine.
Ich wollte gern wieder in den Abel-Tasman-Nationalpark, aber nach 24 Stunden Dauerregen wie aus Kübeln, überfluteten Landstrichen noch weiter südlich in Otago und keiner Aussicht auf wesentliche Besserung sehen wir davon ab und fahren lieber nach Osten ins trockenere Marlborough, der Weinbauregion des Landes.
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Das sanfte Wiegen des Schiffs; so beruhigend, fast einschläfernd, wenn es sich auf den Körper überträgt, wenn er es als seinen eigenen Rhythmus aufnimmt. Die Welle kommt, hebt dich langsam empor, läuft unter dir durch, rollt weiter, du gleitest auf ihrem Rücken hinab in das Tal aus tannengrünem Glas, das Schiff legt sich über, richtet sich wieder auf, alles langsam wie ein ruhiges Ein- und Ausatmen. Aus. Ein.
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Die traditionelle Behausung der Samoaner ist das Fale. Es ist eine nach allen Seiten offene Hütte aus Holzpfosten auf einer leicht erhöhten, ovalen oder rechteckigen Plattform, heute meist aus Zement gegossen. Das Dach ist mit Palmwedeln gedeckt. Wenn es einmal zu windig werden sollte oder die Bewohner doch auf etwas Privatheit Wert legen, lassen sich rundum ein paar Vorhänge oder Stoffbahnen zuziehen. Doch meist ist es viel angenehmer, jeden Luftzug mitzubekommen, und so steht das spärliche Mobiliar, vielleicht ein paar Betten, ein Sofa und einige Truhen (und ein Fernseher), allen Blicken offen. Ebenso die alten Menschen, die auch tagsüber in ihren Betten liegen.
Das Leben in den Dörfern wirkt schon allein dadurch sehr bescheiden bis ärmlich, zumal viele Fales nicht gerade neu und frisch gestrichen aussehen und so manches Wellblechdach arg rostig ist. Aber man sieht nicht einen Menschen betteln, und unterernährt sehen die Samoaner auch nicht gerade aus. Im Gegenteil, sie dürften eins der Völker mit dem höchsten Body-Mass-Index pro Kopf weltweit sein. Sehr, sehr viele sind derart massig gebaut, daß man sie auch mit Mühe kaum in einen Flugzeugsitz pressen könnte.
Kein Wunder, daß es weltweit kaum eine führende Rugbymannschaft gibt, die ohne Samoaner in ihren Reihen auskommt. Als Sumoringer haben sie sich auch schon einen Namen gemacht. Übrigens sind die samoanischen Frauen ebenfalls im Rugby erfolgreich. Es ist der Nationalsport auf den Inseln.
"Für die pazifischen Inseln müßten die Vereinten Nationen eigentlich ihre Kriterien zur Definition von Armut ändern", sagt Aopapa, die wir auf der Suche nach einem Zimmer in der Hauptstadt Apia kennenlernen. Ihr Mann arbeitet bei der UNO-Mission auf Fidschi, und die beiden haben sich alles andere als ein ärmliches Fale an einem der grünen Hänge oberhalb von Apia mit wunderbarem Blick über Palmen und Fruchtbäume hinaus auf den grünen Pazifik gebaut.
"Viele Samoaner sind arm, aber keiner muß hungern", sagt sie. "Unsere Brotfruchtbäume tragen genug, daß jeder satt wird, und sie wachsen in jedem Garten. Du pflanzt eine Bananenstaude, und die Staude vermehrt sich ewig von allein. Du steckst etwas in die Erde, und es wächst. Trotzdem sind die meisten von unseren Leuten arm. Guckt euch nur an, wie wenig sie wissen, wie falsch sie sich ernähren, wie niedrig der Bildungsstand ist!"
Aopapa erscheint uns als kompetente Gewährsfrau. Als gebürtige Samoanerin kennt sie die Verhältnisse von innen und durch ihre Aufenthalte auf Fidschi konnte sie Abstand gewinnen und auch von außen auf die Verhältnisse auf ihrer Heimatinsel schauen.
Auf dem Land..., hätte ich beinahe gesagt, weil dort die familiären Strukturen leichter zu sehen sind, aber auf den zweiten Blick gibt es kaum einen Stadt-Land-Unterschied auf Samoa, denn auch Apia ist trotz einiger derb mißratener Großbauten keine wirkliche Stadt, sondern ein stadtähnlich verdichtetes und asphaltiertes Dorf. “Most streets are not marked with signs, and none of the houses or businesses have street numbers. There are no postal codes and there is no local mail delivery. Locals refer to locations by the village where the house or business is situated.” (Wikipedia)
Es gibt genau zwei Cafés, und die liegen sich in der fast 50 Meter langen Fußgängerzone direkt gegenüber. Dort soll auch ein gutes Frühstück serviert werden, aber nicht sonntags. Sonntags geht überhaupt gar nichts in Samoa, außer die gesamte Einwohnerschaft zur Kirche, und zwar in Weiß herausgeputzt wie zur Erstkommunion. Der alte Miesepeter Theroux hatte vorgewarnt: “Apia looked rusted and neglected. And it was much starker on Sundays, a day observed as fanatically in Samoa as in Tonga, for on Sundays the town was deserted.” (The Happy Isles of Oceania)
Na ja, “deserted” war die Town nicht gerade, denn in der Tat herrschte ein reges Vorfahren von Autos, ein Kommen und Gehen, aber nur vor den diversen Kirchen und Bethäusern. Es gibt Katholiken und diverse protestantische Sekten, Zeugen Jehovas, ein muslimisches Zentrum (für mehr als vielleicht ein Dutzend Mohammedaner?) und sogar einen Tempel der Bahai-Leute. Alles andere ist sonntags geschlossen. In unserer kleinen Pension wurde kein Frühstück serviert, und so liefen wir hungrig wie die Wölfe zwischen den aufgekratzten und munteren Kirchgängern umher und suchten in der zunehmenden Hitze einen Ort, wo es außer Hostien etwas zu essen gab. Jeder, den wir fragten, wußte nur eine Antwort: “Aggie Grey’s”, das älteste und teuerste Hotel am Ort. 1933 als British Club gegründet und in den Fünfzigern als einzig akzeptable Unterkunft für Stars wie James Michener, Marlon Brando und Gary Cooper berühmt geworden. Heute steigen gehobene Pauschaltouristen im Aggie Grey’s ab, die glauben, wenn sie mit ihren Badesandalen in die Fußstapfen von Brandos und Coopers Maßschuhen treten, färbe ein wenig von deren Glanz auf sie ab. Umgekehrt ist es; mit ihnen hat das Hotel seinen Glanz verloren, und an den wöchentlichen Folklore-Abenden mit Pauschal-Büffet und Tänzen als Wilder verkleideter Kellner und Zimmermädchen möchte ich lieber nicht teilnehmen. Aber es gab Frühstück im Aggie Grey’s, eine beeindruckende ethnografische Fotosammlung aus deutschen Kolonialzeiten an seinen Wänden und einen angenehm kühlen Luftzug (ohne Klimaanlage) in seinen offenen Hallen.
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Dazu paßt das ferne, aber unablässige, fast brüllende Tosen der Brandung am Riff vor unserem Bungalow an der Nordküste Samoas.
Am Morgen noch seicht, strömt das auflaufende Wasser von Osten smaragdgrün in die Lagune. Die Herzogin schwimmt lange und ausdauernd dagegen an, treibt dann mit der Strömung wie ein Korken an mir vorbei.
In der Mittagshitze ergeben wir uns der Trägheit der Tropen unter dem langsam rotierenden Ventilator unter dem heißen Wellblechdach. Draussen 34̊.
Abends um sieben in der Stunde vor dem Sonnenuntergang mischen wir uns unter die Spazierengehenden auf der Straße. Man flaniert zur Dorfbadestelle, wo schon die Kinder toben. Es riecht wie überall in den Tropen um diese Stunde nach Rauch der Abfallfeuer und süßer Verwesung. Überreife Brotfrüchte sind von den Bäumen gefallen und auf der Straße zerplatzt wie Plasmabomben. Den Saft lecken Heere von Ameisen.
Drei junge Frauen schlendern uns entgegen. Das übliche "Hello!" "Where're you from?" Freundliches Lächeln, breite Gesichter, leicht schräg geschnittene Augen. Alle tragen ihre Lavalavas und darüber verwaschene Polohemden. Eine sagt, ihr "huthband" sei aus Arabia.
Als die Sonne untergeht, schaltet jemand die Zikaden ein. Geckos quietschen. Die lachenden Kinder ziehen als Reihe dunkler Schattenrisse vor dem orangen Himmel heimwärts. Draußen über dem Riff tiefe Wolkenbänke. Die ersten Sterne flammen auf. Und dann beginnt oben am Himmel das ganz große Spektakel. Unser Bild vom Himmelszelt, an dem die goldnen Sternlein prangen, ist viel zu zweidimensional für die Sternenräume, die sich an dem noch nicht lichtverschmutzten Südseehimmel über uns öffnen.
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Vailima und Samoa verlängerten das Leben ihres Mannes um einige Jahre. In jedem anderen als dem tropischen Südseeklima verschlimmerte sich sein Lungenleiden akut. Selbst von einer kurzen Reise nach Sydney im Februar 1891 kehrte er sterbenskrank zurück. “Es ist klar, daß er in der Südsee bleiben muß, er kann in keinem anderen Klima leben”, schrieb Fanny in ihr Tagebuch. Ein halbes Jahr später kam sie noch einmal darauf zurück: “Wir haben den Kolonien [Australien] eine faire Chance gegeben, und sie sind für Louis der Tod, während dies hier Leben und ein gutes Stück Gesundheit bedeutet.”“Louis meint, ich habe eine Bauernseele, weil ich das Bewußtsein liebe, daß es meine eigene Erde ist, worin ich wühle. Besäße ich die Seele eines Künstlers, dann hätte der Stumpfsinn des Besitzens keine Macht über mich.” Fanny Stevenson im Oktober 1890 in ihrem Tagebuch, einen Monat nach dem Einzug auf Vailima
(zit. nach: Südseejahre. Eine ungewöhnliche Ehe in Tagebüchern und Briefen, 2011).
In Vailima erholte er sich, und es ging ihm vergleichsweise gut. Besonders nachdem das Haus fertig eingerichtet war und er im Vorwissen seines baldigen Todes im Mai 1891 seine ganze Familie, seine Mutter und seine Tochter mit Mann und Kind, nach Vailima geholt hatte. Sein Arbeitsvermögen kehrte zurück, nachdem er in Sydney kaum hatte schreiben können. “Ein entsetzlich zähes Ringen, in einem ganzen Monat nur zwei Kapitel im Embryonalzustand”, hatte er seinem Freund und Herausgeber Sydney Colvin aus Australien berichtet. Zurück in Vailima vollendete er The Wrecker (“66000 Wörter in dreißig Tagen”) und die Erzählung The Beach of Falesa. “In mancher Hinsicht halte ich es für mein bestes Werk [...] Es ist die erste realistische Südseerzählung. [Sie] wird mehr Wissen über die Südsee vermitteln als eine ganze Bibliothek.”
Noch anderthalb Jahre vor seinem dann doch plötzlichen Sterben an einer Hirnblutung jubelte er geradezu auf:
Den Weg ganz hinauf zu Stevensons Grab habe ich mir erspart. Der unverbesserliche Romantiker hat sich als Grablege den Gipfel des höchsten Berges oberhalb seines Anwesens auserkoren. Von dort - es liegt selbst schon in luftiger Höhe - soll es noch einmal fast eine Stunde steil bergauf gehen, durch feuchtheißen Tropenregenwald. Und es ist ein heißer Tag, unser heißester bisher auf Samoa. So heiß, daß selbst eine verschwitzte Wirtin stöhnt: "An diese Hitze gewöhnt man sich nie." Noch dazu in der Schwüle der Regenzeit. Gut 35 ̊ sind es heute, bei annähernd 100% Luftfeuchtigkeit. Die Berge dampfen in Wolken. Und man sieht deutlich, wie sie sich in breiten, dunkelgrauen Bändern abregnen.“Ach, ein Morgen wie noch keiner zuvor, mit einer himmlischen Süße, Frische, unvorstellbaren Farben in tiefster Tiefe und einer ungeheuren Stille, gebrochen nur vom fernen Rauschen des Pazifiks und vom üppigen Gesang eines einzelnen Vogels. Du kannst dir nicht vorstellen, was das für eine Erleichterung bedeutet. Es kommt einem vor wie eine neue Welt”,
schrieb er Colvin Anfang April 1893; zur gleichen Zeit, als Gauguin auf Tahiti Vaterfreuden entgegensah und seine Abreise vorbereitete.
Robert Louis Balfour Stevenson, Esq., hat seinerzeit die besten baulichen Maßnahmen vor Erfindung der Klimaanlage ergriffen, um ein Wohnen unter solchen Bedingungen erträglich bis angenehm zu machen. Seine "Dichterhütte" in Vailima steht schon einmal einige hundert Meter über der hitzekochenden Küstenebene auf einer großen, freien Lichtung im dichten Wald um einen klaren Bach mit einem kleinen Stauwehr. Das Haus ist ein sehr geräumiger, fast weitläufiger, luftiger Holzbau in zwei Stockwerken, wie eine der großen Pflanzervillen seiner Zeit in den amerikanischen Südstaaten. Große, hohe Schiebefenster lassen viel Luft zirkulieren. Die offiziellen Empfangsräume im Erdgeschoß sind zwar dunkel getäfelt, aber die Wohnräume der Stevensons im Obergeschoß sind über breite Treppen zu erreichen und in hellen Grün- und Blautönen gestrichen. Wenn die Türen offenstehen, ergibt sich eine luftige Flucht gut durchlüfteter, heller Räume. Ein feiner Duft nach Räucheraromen und alter, schwefelpudriger Medizin weht noch hindurch; angenehm, aber er hält auch die Erinnerung an die Atemnot und die schwache Lunge des ehemaligen Hausherrn wach. Trotz der etwas steifen Möbel aus dem 19. Jahrhundert, von denen es aber nicht zu viele gibt, ein schönes, ein wohnliches Haus, das Stevenson sich hier hat errichten lassen.
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Von Kindesbeinen an litt er an Atemwegserkrankungen, die im naßkalten Klima seiner Heimatstadt Edinburgh nie richtig ausheilten. Lange Zeit konnte er das Bett nicht verlassen. Sein Kindermädchen erzählte ihm in dieser Zeit viele schauerliche Geschichten, und sobald er schreiben konnte, schrieb er selbst welche. Seinen ersten Roman veröffentlichte er mit 15. Sobald er das vom Vater verlangte Jurastudium abgeschlossen hatte, nutzte er jede Gelegenheit, um dem “mouth of the pit”, dem Rand der Grube, wie er Schottland seines Wetters wegen nannte, zu entkommen, und reiste mehrfach ins wärmere Frankreich, wo er auch seine spätere Frau, eine Amerikanerin, kennenlernte. Noch im Jahr der Hochzeit, 1880, kam bei ihm eine offene Tuberkulose zum Ausbruch. Teils in einem schottischen Hochlanddorf, teils in Davos schrieb er für seinen Stiefsohn eine Geschichte, die zunächst in einer Jugendzeitschrift, dann als Buch erschien und seinen Weltruhm begründete: Die Schatzinsel.
Gesundheitlich aber ging es Robert Louis Stevenson immer schlechter. Nach mehreren Blutstürzen wieder ans Bett gefesselt, schrieb er mit dem Seltsamen Fall des Dr. Jekyll und Mr. Hyde einen weiteren weltbekannten Roman. 1887 starb Stevensons Vater. Mit seinem Erbe fühlte sich Stevenson frei, Schottland endgültig den Rücken zu kehren. Mit seiner Frau, ihren Kindern und seiner Mutter fuhr er nach Amerika, um dort einen Lungenspezialisten aufzusuchen, der schließlich zu einer ausgedehnten Seereise riet. Ende Juni 1888 charterte Stevenson in San Francisco die Schonerjacht Casco und stach für ein halbes Jahr in See. Sie fuhren zu den Marquesas-Inseln, nach Tahiti und Hawaii.
“Tag für Tag strahlte die Sonne, und Nacht für Nacht leuchtete der Mond, und die Sterne paradierten mit ihrem funkelnden Regiment. Ich wurde mir einer molekularen Wiederherstellung bewußt. Ich war in mein Klima gekommen, und voll Verachtung blickte ich zurück auf diese feuchten und winterlichen Zonen, die man fälschlicherweise die gemäßigten nennt.” (R.L.Stevenson: Der Ausschlachter)
Auf einer zweiten Südseereise kam Stevenson 1889 nach Samoa und erwarb dort ein Grundstück für ein Haus oberhalb der Inselhauptstadt Apia. Nach zwei Jahren Bauzeit zog der gesamte Stevenson-Clan in “Vailima” ein, und so lange Stevenson sich dort aufhielt, verschlimmerte sich seine Tuberkulose nicht. Schon auf einer kurzen Reise nach Sydney brach er dagegen gesundheitlich fast völlig zusammen. “Kurz nach dem Sturm traf die Lübeck ein, und mit ihr ein sehr kranker Louis und seine Mutter, die ihn pflegte. Es ist klar, daß er in der Südsee bleiben muß, er kann in keinem anderen Klima leben", trug Fanny Stevenson in ihr Tagebuch ein. Er konnte die Südsee nicht mehr verlassen, darum sammelte er alle, die ihm nahestanden, dort um sich. Im Kreis seiner Familie fand Stevenson auf Samoa tatsächlich sein Paradies. Eine Geschichte nach der anderen strömte ihm in die Feder. „So viele Eisen im Feuer hatte noch niemand“, schrieb er seinem Freund Sydney Colvin im Januar 1892, also zur gleichen Zeit, in der auch Gauguin auf Tahiti gerade sehr produktiv war. Selbst bei den Samoanern erhielt Stevenson den Beinamen Tusitala, Geschichtenschreiber. Er mischte sich auch in die Politik der Insel ein, versuchte in dem von den Kolonialmächten geschürten Bürgerkrieg zu vermitteln und schickte eine ausführliche Darlegung der Verhältnisse an die Times nach London. Und unermüdlich schrieb er oder diktierte seiner Stieftochter Belle, wenn er selbst zum Schreiben zu schwach war.Ich kannte außer den beiden oben genannten Romanen keines von Stevensons Büchern, habe aber jetzt seine Briefe aus Vailima gelesen und die Erzählung The Beach of Falesa, die, wie er selbst meinte, “erste realistische Südseerzählung, das heißt mit echtem Südseecharakter und Details aus dem wirklichen Leben.” Wenn man von ihm nur die Schatzinsel kennt, womöglich in einer “für die Jugend bearbeiteten” deutschen Übersetzung, dann ist man sehr überrascht über die sprachliche Frische und Vielfalt in dieser Erzählung, die gar nicht nach verstaubtem 19. Jahrhundert klingt. Ich bin neugierig geworden. Die Ausrüstung ist gepackt. Morgen brechen wir auf. In vier Tagen werden wir an Stevensons Grab stehen.
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Dabei fühlte er sich unglaublich wohl und frei. Er lief meist nur mit einem Hüfttuch bekleidet herum wie ein Eingeborener und badete jeden Tag nackt in dem Bach bei seiner Hütte – bis die weißen Missionare es ihm durch den Ortsgendarmen verbieten ließen. “Doch in meinem Schlaf konnte ich mir den Raum über dem Dach meiner Hütte vorstellen, das Gewölbe des Himmels, kein Gefängnis, das einen einsperrt. Meine Hütte war Raum, Freiheit.” Seiner Frau Mette schrieb er nach Kopenhagen: “Was für eine wunderbare Nacht! Tausende tun in dieser Nacht das gleiche wie ich, sie geben sich dem puren Leben hin. All diese Menschen bewegen sich überall frei, egal in welchem Dorf, schlafen in irgendeiner Hütte, essen, was sich dort findet, immer bereit, anderen die gleiche Gastfreundschaft zu erweisen. Und diese Menschen nennt man Wilde! Sie singen, sie stehlen niemals, meine Hütte ist nie verschlossen...” Er fantasierte sich eben das Paradies zusammen, das er sich gewünscht hatte.
Im November 1891 spuckte Gauguin plötzlich Blut. Bald ein Weinglas voll täglich. Er mußte nach Papeete ins Krankenhaus. Seine Syphilis trat ins dritte Stadium. Die Behandlungskosten waren ihm zu hoch, und nach Abklingen der stärksten Symptome entließ er sich selbst und kehrte nach Mataiea zurück, zu der jungen Frau, dem Kind würden wir heute sagen, von 13, 14 Jahren, das er als Geliebte in sein Haus genommen hatte, wie es unter den unverheirateten weißen Siedlern auf Tahiti damals üblich war. (“A practice which hardly conflicted with pre-colonial custom and which had economic advantages for the families of the vahine”, kommentiert Gauguins maßgeblicher Biograf, David Sweetman, warnt dabei wiederholt vor zu pauschaler moralischer Entrüstung auf Grundlage gewandelter heutiger Einstellungen und erinnert daran, daß u.a. auch ein Edgar Allan Poe es kaum erwarten konnte, seine eigene Kusine am Tag ihres dreizehnten Geburtstags zu heiraten. Und Novalis?)
Gauguin fand jedenfalls nichts Anstößiges dabei, die Geschichte seines Brauterwerbs in dem zur Veröffentlichung in Frankreich bestimmten Noa Noa in allen Einzelheiten zu schildern. Durch und durch kindlich war Tehamana ihrem Alter entsprechend auch nicht mehr. “Meine neue Frau war nicht sehr gesprächig, melancholisch und spöttisch. Wir beobachteten uns gegenseitig, sie war unergründlich, ich wurde schnell besiegt in diesem Kampf... und in kurzer Zeit war ich für sie ein offenes Buch.”
Ihr Name Teha’amana bedeutet auf Tahtianisch “Kraftspenderin”, und genau das wurde “Tehamana” für Gauguin in diesem ungeheuer kreativen und produktiven Jahr, das sie miteinander verbrachten.
“Ich machte mich wieder an die Arbeit, und Glück folgte auf Glück. Jeden Tag bei Sonnenaufgang erstrahlte mein Haus in hellem Licht. Das Gold in Temahanas Gesicht durchflutete alles, und wie im Paradies, auf ganz natürliche und einfache Weise, erfrischten wir uns beide in einem benachbarten Bach.
Alltagsleben. Tehamana wird immer gefügiger und liebevoller, das tahitische Noa Noa erfüllt mich ganz, ich habe kein Gefühl mehr für Tage und Stunden, für Gutes und Böses; alles ist schön: alles ist gut [...] Gespräche darüber, was in Europa vor sich geht, über Gott, die Götter. Ich unterrichte sie, sie unterrichtet mich...”
Aufmerksamkeit, die Gauguin immer dringender brauchte. Im Oktober des Jahres ging ihm die Leinwand aus, und er hatte nicht einmal mehr Geld, neue zu kaufen. Er war stark abgemagert, wußte, daß er krank war und sich sein Zustand nur noch verschlimmern würde, und er wußte auch, daß die Regierung in Paris gebürtigen Franzosen nur binnen Jahr und Tag nach ihrer Ausreise eine kostenlose Rückkehr nach Frankreich ermöglichte. Danach wurden sie als dauerhaft emigriert eingestuft. Also schickte er am letztmöglichen Stichtag mit dem Postschiff einen entsprechenden Antrag nach Paris und hoffte, noch ein wenig auf Zeit spielen zu können, denn Tehamana verhieß ihm gerade um diese Zeit neue Freuden, Vaterfreuden.
Gauguin jubelte: “Bald werde ich in Ozeanien wieder Vater werden. Gott, ich scheine überall auszusäen! Aber hier richtet es nichts Schlimmes an, denn hier sind Kinder willkommen”, schrieb er seinem Freund Monfreid, und er malte Tehamana mit einer Mango der Verführung in der Hand und schwellendem Bauch unter dem züchtigen Kittelkleid, das die Missionare den eingeborenen Frauen der Südsee überall aufgenötigt hatten. Danach hat er das Kind nie wieder erwähnt. Tehamana ähnelnde Frauen auf späteren Bildern sind auffällig in weiße Gewänder gekleidet. Auf Tahiti war Weiß die Farbe der Trauer.
Auf seinem letzten Bild malte er noch einmal Tehamana. Im Vordergrund als Eva, die die verbotene Frucht in Gestalt eines Kürbis’ hält wie ihre eigene Brust, und im Hintergrund als weiß gekleidete Schattengestalt mit einem Kind auf dem Arm: E haere ia oe? “Wohin gehst du?”
Die Antwort malte er vier Jahre später, wieder auf Tahiti und dem Tod ins Auge sehend. Doch zunächst einmal mußte er von der Insel und von Temahana Abschied nehmen. Im Juni 1893 kehrte er noch ein letztes Mal nach Frankreich zurück.
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