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Montag, 13. Februar 2012
Tusitala
Zur selben Zeit, als Paul Gauguin sich und andere davon zu überzeugen versuchte, auf Tahiti ein irdisches Paradies gefunden zu haben, während sich seine (damals noch unheilbare) Krankheit immer weiter verschlimmerte, fand ein anderer Europäer auf einer nur 2400 Kilometer von Tahiti entfernten Südseeinsel tatsächlich Linderung von seinem Leiden und ein dauerhaftes Heim. Jedenfalls für die paar Jahre, die ihm noch zu leben vergönnt waren.
Von Kindesbeinen an litt er an Atemwegserkrankungen, die im naßkalten Klima seiner Heimatstadt Edinburgh nie richtig ausheilten. Lange Zeit konnte er das Bett nicht verlassen. Sein Kindermädchen erzählte ihm in dieser Zeit viele schauerliche Geschichten, und sobald er schreiben konnte, schrieb er selbst welche. Seinen ersten Roman veröffentlichte er mit 15. Sobald er das vom Vater verlangte Jurastudium abgeschlossen hatte, nutzte er jede Gelegenheit, um dem “mouth of the pit”, dem Rand der Grube, wie er Schottland seines Wetters wegen nannte, zu entkommen, und reiste mehrfach ins wärmere Frankreich, wo er auch seine spätere Frau, eine Amerikanerin, kennenlernte. Noch im Jahr der Hochzeit, 1880, kam bei ihm eine offene Tuberkulose zum Ausbruch. Teils in einem schottischen Hochlanddorf, teils in Davos schrieb er für seinen Stiefsohn eine Geschichte, die zunächst in einer Jugendzeitschrift, dann als Buch erschien und seinen Weltruhm begründete: Die Schatzinsel.
Gesundheitlich aber ging es Robert Louis Stevenson immer schlechter. Nach mehreren Blutstürzen wieder ans Bett gefesselt, schrieb er mit dem Seltsamen Fall des Dr. Jekyll und Mr. Hyde einen weiteren weltbekannten Roman. 1887 starb Stevensons Vater. Mit seinem Erbe fühlte sich Stevenson frei, Schottland endgültig den Rücken zu kehren. Mit seiner Frau, ihren Kindern und seiner Mutter fuhr er nach Amerika, um dort einen Lungenspezialisten aufzusuchen, der schließlich zu einer ausgedehnten Seereise riet. Ende Juni 1888 charterte Stevenson in San Francisco die Schonerjacht Casco und stach für ein halbes Jahr in See. Sie fuhren zu den Marquesas-Inseln, nach Tahiti und Hawaii.

“Tag für Tag strahlte die Sonne, und Nacht für Nacht leuchtete der Mond, und die Sterne paradierten mit ihrem funkelnden Regiment. Ich wurde mir einer molekularen Wiederherstellung bewußt. Ich war in mein Klima gekommen, und voll Verachtung blickte ich zurück auf diese feuchten und winterlichen Zonen, die man fälschlicherweise die gemäßigten nennt.” (R.L.Stevenson: Der Ausschlachter)

Auf einer zweiten Südseereise kam Stevenson 1889 nach Samoa und erwarb dort ein Grundstück für ein Haus oberhalb der Inselhauptstadt Apia. Nach zwei Jahren Bauzeit zog der gesamte Stevenson-Clan in “Vailima” ein, und so lange Stevenson sich dort aufhielt, verschlimmerte sich seine Tuberkulose nicht. Schon auf einer kurzen Reise nach Sydney brach er dagegen gesundheitlich fast völlig zusammen. “Kurz nach dem Sturm traf die Lübeck ein, und mit ihr ein sehr kranker Louis und seine Mutter, die ihn pflegte. Es ist klar, daß er in der Südsee bleiben muß, er kann in keinem anderen Klima leben", trug Fanny Stevenson in ihr Tagebuch ein. Er konnte die Südsee nicht mehr verlassen, darum sammelte er alle, die ihm nahestanden, dort um sich. Im Kreis seiner Familie fand Stevenson auf Samoa tatsächlich sein Paradies. Eine Geschichte nach der anderen strömte ihm in die Feder. „So viele Eisen im Feuer hatte noch niemand“, schrieb er seinem Freund Sydney Colvin im Januar 1892, also zur gleichen Zeit, in der auch Gauguin auf Tahiti gerade sehr produktiv war. Selbst bei den Samoanern erhielt Stevenson den Beinamen Tusitala, Geschichtenschreiber. Er mischte sich auch in die Politik der Insel ein, versuchte in dem von den Kolonialmächten geschürten Bürgerkrieg zu vermitteln und schickte eine ausführliche Darlegung der Verhältnisse an die Times nach London. Und unermüdlich schrieb er oder diktierte seiner Stieftochter Belle, wenn er selbst zum Schreiben zu schwach war.
Ich kannte außer den beiden oben genannten Romanen keines von Stevensons Büchern, habe aber jetzt seine Briefe aus Vailima gelesen und die Erzählung The Beach of Falesa, die, wie er selbst meinte, “erste realistische Südseerzählung, das heißt mit echtem Südseecharakter und Details aus dem wirklichen Leben.” Wenn man von ihm nur die Schatzinsel kennt, womöglich in einer “für die Jugend bearbeiteten” deutschen Übersetzung, dann ist man sehr überrascht über die sprachliche Frische und Vielfalt in dieser Erzählung, die gar nicht nach verstaubtem 19. Jahrhundert klingt. Ich bin neugierig geworden. Die Ausrüstung ist gepackt. Morgen brechen wir auf. In vier Tagen werden wir an Stevensons Grab stehen.

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