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Sonntag, 24. Juni 2012
Suomi-neito, Finlands mö, trägt dieses Jahr Lachsrosa
Ich weiß nicht wirklich, woran es liegt, bin mir aber recht sicher, daß es zu einem Gutteil dieser Cocktail aus klarer Luft, Seewind, milder Sonne, kurzen, hellen Nächten und reinem Äther ist, der Helsinki in diesen Tagen so angenehm, beschwingt und beschwingend macht. Es läuft sich durch seine Straßen wie mit einem guten Bossanova im Kopf; entspannt, leicht, rhythmisch und doch laid-back, locker: de bad’n da; ba-de ba-da ba-daa ba, de bad’n da... – Das hier ist auch nicht schlecht zur Begleitung dieser angenehmen Mittsommertage, immer das Meer und die Schären in Sichtweite, von Ike Quebec im Jahr vor seinem Tod im Januar 1963 aufgenommen.




Fehlt noch das passende Buch, das Sommer, Sonne, Finnland und frühe Sechziger zusammenbringt? Gibt’s längst: Wunderbare Frauen am Wasser von Monika Fagerholm. Hier ein Auszug:

Isabella schläft in der Sonne zwischen grauen Decken, wenn sie ihren Körper genug gebräunt hat. Sie hat sich mit einem Sonnenöl eingerieben, das einen starken, charakteristischen Geruch hat. Das Etikett zeigt einen dunkelbraunen Jungen in weißer Badehose... Isabellas und Rosas Sonnenbrillen sind an den Seiten nach oben hin abgeschrägt.
Wenn es Zeit ist, schwimmen zu gehen, dreht sich Isabella im Schlaf unruhig zwischen ihren Decken um. Rosa sagt, sie liebe das Meer, geht ins Wasser und schwimmt weit hinaus. Wenn sie zurückkommt, setzt sie sich auf den Strandfels und läßt den Körper in der Sonne trocknen. Sie sieht hinaus über die Bucht. Jenseits von ihr, weit weg hinter den Holmen in der Mitte sieht man an Tagen, wenn kein Sonnendunst ist, Tupsu und Robin Lindberghs Sommervilla.
Aber nachmittags wird es manchmal zu heiß, sogar am Strand. Bella und Rosa stehen auf, rollen ihre Stranddecken zusammen, hüllen sich in ihre Bademäntel, nehmen ihre Sachen und gehen rauf auf den Berg zu Rosas und Gabbes Haus. Die Gardinen im Wohnzimmer werden zugezogen. Rosa stellt die Klimaanlage an und schenkt Softdrinks aus dem leuchtenden Barschrank mit Kühlschrankfunktion ein. Bella und Rosa zünden Zigaretten an, inhalieren und sehen dem grauen Rauch nach, der sich wie weiche Haut über den Raum legt.
“Wollen wir ‘nen Film sehen, Bella?”
Bella nickt...
Der Film endet am Meer. Rosa im Sand an einem fast leeren Strand. Die Wellen sind hoch, Wind geht...
Gabbe zieht den Küchenvorhang zur Seite, und man steht vor einem gewaltigen Herd. Er hat vier Kochplatten und eine hochklappbare Blende, auf der die Knöpfe sind, mit denen man die Platten- und Ofenwärme einstellt. “Wie in der Navigationszentrale eines Raumschiffs”, sagt Gabbe. “Bald sind wir auf dem Mond, Thomas.”
“Wir leben mitten in einer unglaublichen Zeit.”
Gabbe entdeckt den Herd gleichsam neu, tätschelt ihn und sagt: “Flammenloses Kochen.”
“Hier könnt ihr eure Rezepte ausprobieren.”
Gabbe lächelt Bella und Rosa zu. “Wir Männer sagen nicht nein zu einem guten Kuchen.”
Isabella lacht ihr Meerjungfrauenlachen. “Danke, aber ich backe nicht.
“Wir sind nicht gerade eine normale Familie”, fällt Kajus ein. “Wir haben Musik im Blut. Wir hören viel Musik. Jazzmusik.”
Gabbe erklärt, er wolle in Musik machen. “Tonbandgeräte. Die Kassettentechnik wird im Lauf des Jahrzehnts die traditionelle Musikwiedergabe ausstechen. Ihr könnt euren Plattenspieler ins Meer werfen, Mister Jazz!”

Im Mai 1964 stöbern Johan Wikblad und Ann-Christine auf Auktionen. In der weißen Villa gibt es keine großen Veränderungen. Lindberghs haben ein neues Mahagonimotorboot, noch glänzender, mit einer kleinen Kajüte unterm Vorderdeck und noch mehr Pferdestärken. Zwei Wochen im August fährt Klas – oder ist es Peter Lindbergh? – auf der Bucht mit einem Mädchen herum, das auf dem Vorderdeck sonnenbadet.
Swisch, Lindberghs glänzendes Mahagonisportboot kommt auf Johanssons und Gabbes und Rosas gemeinsamen Ponton zugefahren. Rosa springt an Bord, um mit Tupsu zu den Freundinnen in den Häusern draußen am offenen Meer zu fahren.
Thomas rudert an Land. Kajus geht hinauf. Neues Jahr, neue Songs. The Girl from Ipanema. Bella steht am Fenster im Dunkel des großen Zimmers. Sie geht durch den Raum.
She looks straight ahead / But not at me.
Kajus fängt sie ein. Sie tanzen.

Schöner Sommer ‘64. Schräg auf Katzenaugen geschnitten sind die Sonnenbrillen im diesjährigen Sommer nicht, aber groß. “Jungfrau Finnland”, Finlands mö, mit Insektenaugen. Schade eigentlich. Ohne Sonnenbrille steht sie in Bronze gegossen am Runeberg-Denkmal oder im Portal eines Jugendstilhauses auf der Aleksanterinkatu, der Haupteinkaufsstraße Helsinkis. Sie war einmal das charmante finnische Gegenstück zum deutschen Michel, die allegorische Verkörperung Finnlands. Der Nationalromantiker Edvard Isto hat sie so gemalt, und die finnlandschwedische Autorin Ulla-Lena Lundberg hat ihre erste Begegnung mit seinem Bild in der Kindheit so beschrieben:

Das Gemälde war riesengroß. Es stellte eine hochgewachsene Frau oder ein großes Mädchen im Leinenkleid mit muskulösen Armen und kräftigen Handgelenken dar. Es stand im Wind und fürchtete sich. Seine Augen starrten weit aufgerissen einem Adler entgegen, der seine Fänge gegen ein großes Buch spreizte, das das Mädchen krampfhaft an seine Brust drückte.

Womöglich ist das der größte Adler Finnlands. Vielleicht wurde nie ein gräßlicherer Zweikampf dargestellt. Der Adler will das Buch haben, koste es, was es wolle, und das Mädchen will es um keinen Preis hergeben, so übel es auch selbst zugerichtet wird.
Ich hätte das Buch von mir geworfen und wäre weggerannt; so viel wußte ich genau. Mit dem Mädchen identifizierte ich mich viel weniger, aber der Adler fesselte meine Aufmerksamkeit. Er war erst so kürzlich herangeflogen gekommen, daß man noch das Rauschen in seinen Schwungfedern hörte, als er sich vom Himmel stürzte, und das gewaltige Ratschen, mit dem er auf dem Buch landete. Der Vogel war bis in das winzigste Detail absolut naturgetreu.

Hyökkäys (Der Angriff), Eetu Isto, 1899

Es störte mich überhaupt nicht, daß er zwei Köpfe besaß, denn man konnte sich leicht einbilden, er hätte den Kopf so schnell hin und her gewendet, daß es wie zwei Köpfe aussah. Er war mehr Adler als das Mädchen ein Mädchen war, ja, er war mehr Adler als irgendein lebender Adler, den ich später je gesehen habe.
"Warum?" fragte ich natürlich. "Warum macht er das?"
Ich war gut dran, mit einer Mutter und einer Schwester, die lesen und erklären konnten. Das Mädchen war das jungfräuliche Finnland, das Buch Finnlands Verfassung. Der Adler war Rußland, das versuchte, der Jungfrau Finnland ihr Grundgesetz aus den Händen zu reißen. Aber die Jungfrau Finnland ließ nicht los. Nein, sie packte so zu, daß der russische Adler nachgeben mußte.
"Aha", sagte ich.

(Ulla-Lena Lundberg: Sibirien)


Wenn man das Bild unter dem vorgestrigen Eindruck betrachtet, könnte der Adler natürlich auch der deutsche sein und das Mädchen die schöne Hellenin in klassischem Weiß-Blau:
"Brutal dismantling of Greece... The evening was a lesson in the ruthless reality of German’s attacking power", hat der Telegraph über das Spiel geschrieben. Aber auch die Grazie lag ganz auf unserer Seite. “"It wasn’t enough that in the group stages Germany demonstrated trademark efficiency and reliability. There is now a demand for traces of Latin flamboyance in their football culture.”
Doch zurück zur Suomi-neito. In den Siebzigern wurde sie zur Melodie von “American Pie” besungen und in Japan kürzlich zur Manga-Figur. Der in Deutschland lebende serbische Percussionist Nebojsa Jovan Zivkovic aus Sremska Mitrovica widmete ihr eine eigene Komposition, Suomineito. Mithin erweist sich die alte Jungfrau Finnland als ewigjung, und sie wandelt ganz unallegorisch noch immer mitten unter uns. Ich entdeckte sie dieser Tage in der flanierenden Menge auf der Esplanade. Gegen den doppelköpfigen Adler muß sie derzeit nicht ankämpfen, doch vor Kameras posieren und dabei irgendsoein Pisshündchen an der Leine bändigen. Und einen ziemlich scheußlichen Rock tragen.


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