Und Sydney? Wie war denn nun Sydney, die schillernde, die swingende, die glitzernde, kreative, lebendige, lässige, coole, angesagte Metropole zwischen Port Jackson und Botany Bay?? Werde ich seit der Rückkehr immer wieder gefragt. Ganz schön, antworte ich und treibe die Fragenden damit die Wände hoch. Mehr nicht? Komm, sag schon, das kann doch nicht alles sein. He, Mann, du warst in Sydney, remember? Syd-ney, Australien! – Yes, I remember, aber vom Hocker gerissen hat es mich nicht. Städte, die am Wasser liegen, genießen ja immer einen uneinholbaren Standortvorteil gegenüber anderen. So auch Sydney. Das öffnet bei noch so enger Bebauung wenigstens Schneisen für Blicke ins Weite, Offene. Welche Wohltat in den tiefen Schluchten der hochhausgesäumten Straßen der Innenstadt! Und die prägen vor allem das Bild, jedenfalls mein Bild, die beliebig austauschbaren, himmelhohen Glas- und Betontürme der Versicherungskonzerne, Kaufhäuser und Banken, zwischen denen der Mensch zur Termite wird. Am Grund der Schluchten endloser Autoverkehr in vielen Spuren.
Die innerste Hafenbucht, Darling Harbour, eigentlich als Oase in der Stadt gedacht, ist umzingelt von solchen Bürosilos und vier Trassen einander auf Stelzen überkreuzender Stadtautobahnen. In dem Dröhnen darunter dürfen erholungsbedürftige Bürger zwischen den Pfeilern ambulieren, wenn sie einmal ums Becken wandeln möchten. Grün gibt es auf ein paar Dachgärten von Restaurants. Der Rest ist Asphalt und Beton.
Ich will die Stadt nicht schlecht machen, sie hat schöne, vor allem auch lebendig wirkende und sogar spannende Ecken, doch in weiten Teilen ist sie für mich nichts besonders Erhebendes gewesen.
Wie in Melbourne fand ich den Botanischen Garten sehr schön; abgesehen von den stinkenden Flughunden, von denen bis zu achttausend in kahl geätzten Bäumen hingen. Sinnfällig flatterten diese pinschergroßen und kiloschweren Vampire in den Dämmerstunden abends auf ausgespannten schwarzen Lederhäuten besonders gern um die Türme der Banken.
Tolle Geschäfte gibt es in Sydney, keine Frage. In den edlen Malls der Innenstadt wie dem Queen Victoria Building oder meinethalben auch entlang der Oxford Street in Paddington.
Im dortigen Laden der drei malayischen Schwestern von High Tea with Mrs Woo , die gern alte japanische Stoffe verarbeiten, konnte nicht einmal die ansonsten recht shoppingresistente Herzogin widerstehen. Doch über diese Schokoladenseite Sydneys haben sich andere Blogger wie Meike Winnemuth schon wesentlich inspirierter geäußert, als ich das könnte. Ohne gezielt auf ihren Spuren gewandelt zu sein, stelle ich im nachhinein fest, dass wir etliche Male in genau den Läden gelandet sind, die auch sie zuvor aufgesucht hat. An Aesop und Harry’s Café de Wheels z.B. führt eben kein Weg vorbei. Und den ausgezeichneten Sydneyer Radiosender 2MBS, dessen Frequenz ihr ein Busfahrer aufschrieb, höre ich immer noch. In Sydney haben wir uns zwei Abende hintereinander lieber mit einem Fläschchen Wein ans offene Fenster unseres kleinen Hotels gesetzt und Radio gehört als uns in die prallvolle, schreibunte, überfüllte und für meinen Geschmack etwas zu betont schwule Barszene um Kings Cross zu stürzen. Da, auf der Oxford Street und am Bondi Beach hat sich vor dreißig Jahren schon Chatwin seine Männerbekanntschaften für eine Nacht aufgerissen. “The surfers so unbelievably elegant.” “This, I must say, is the country to settle in.”
“It was a liberated time. Bruce was more free and easy here than he could have been in London”, erklärte der mit ihm befreundete Fernsehproduzent Ben Gannon. “When he was here he’d go to clubs and saunas and pick up people.”
“Liberated” oder angenehm locker ist die Atmosphäre in Sydney immer noch, Bondi Beach aber ist ein ebenso überteuerter wie überschätzter Badevorort, komplett überlaufen von gepflegt pedikürten asiatischen Füßchen in Flipflops, die noch schnell Billabong-T-shirts kaufen müssen. Die kleineren Strandbuchten an der Felsküste bis hinab nach South Coogee haben uns viel besser gefallen.
Architektonisch haben mich in Sydney besonders die zahlreichen guten Wohnhäuser aus den Zwanziger und Dreißiger Jahren im Stadtteil Potts Point positiv überrascht. Das absolute Juwel aber, ähnlich herausragend wie Ayers Rock draußen in der Natur, ist nach wie vor das weltbekannte Opernhaus. Wenn man sich erinnert, daß Jørn Utzons erster Entwurf für diesen so überzeugenden wie beeindruckenden Bau aus dem Jahr 1956 stammt, und daneben einmal vor Augen hält, was zur gleichen Zeit in Deutschland so gebaut wurde, wird klar, daß der dänische Architekt Lichtjahre voraus war. In eine deutsche Wiederaufbaustadt versetzt, hätte die Sydneyer Oper wie ein Objekt von einem anderen Stern wirken müssen.
Als Utzon 2003 mit der höchsten Anerkennung für Architekten, dem Pritzker-Preis, ausgezeichnet wurde, hieß es in der Begründung zum Opernhaus: “It is one of the great iconic buildings of the 20th century, an image of great beauty that has become known throughout the world.”
Doch, Sydney ist ganz schön.
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