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Mittwoch, 16. Juni 2010
Fußnote Holbrooke
Bekanntlich besitzt der westliche Balkan eine großartige Tradition des Geschichtenerzählens, die mindestens bis ins frühe 15. Jahrhundert zurückreicht. Die großen, jahrhundertelang ausschließlich mündlich überlieferten epischen Zyklen über die Schlacht auf dem Amselfeld (1389), um Marko Kraljevic und andere haben nicht nur die gesamte Heldensagenforschung weltweit beschäftigt, sondern auch kräftig zur Ausbildung der Konzepte von Oral Poetry und Oral History beigetragen. Viele Serben, Bosnier, Montenegriner usw. besitzen also ein gut geschultes Ohr für Geschichten und historisch bedeutsame Anekdoten und Pointen sowie ein hohes Geschichsbewußtsein.
Als gestern die Rede auf Richard Holbrooke kam, berichtete mir meine wojwodinische Herzogin von einer Anekdote, die sich damals das ganze zerfallende Jugoslawien mit einem auch von Schreck verzerrten Grinsen erzählt habe. Nachdem Holbrooke die drei Delegationen aus Serbien, Kroatien und Bosnien-Herzegowina Anfang November ‘95 wie in einem Konklave zusammengesperrt hatte, bekam er natürlich von jeder Seite auch die historischen Gründe aufgetischt, die entweder für Unabhängigkeit oder Zusammengehörigkeit, für Verbleib oder Abtrennung sprachen: die Türkenzeit, Schlacht auf dem Amselfeld, Osmanenreich, Islamisierung, Katholisierung, Habsburg, k.u.k Österreich-Ungarn, 1389, Schlacht auf dem Amselfeld (die sich nach unserem Kalender übrigens gestern jährte), Balkankriege, Erster Weltkrieg, Zweiter Weltkrieg, Schlacht auf dem Amselfeld... bis Holbrooke eines Tages wieder einmal der Kragen geplatzt sei. Mit dem subtilen Verständnis des US-Amerikaners für die historischen Verflechtungen im alten Europa sei er in den Sitzungssaal einmarschiert und habe die Versammlung mit den Worten eröffnet:
“No history, no bullshit.”

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