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Freitag, 4. Juni 2010
Wie die Bundesmarine ans Horn von Afrika kam
c) Bundeswehr

Schützen - helfen - vermitteln - und (fast versteckt im unteren, rechten Quadranten) auch ein bißchen kämpfen, das sind die vier Tätigkeitsbereiche, die die Bundeswehr in ihrer Internetselbstdarstellung unter der Parole “Im Einsatz für den Frieden” als die ihr übertragenen Aufgaben ausgibt. Sie umschmeicheln schön das Image, das die deutschen Streitkräfte vor allem als eine Truppe friedensbringender Aufbauhelfer (mit manchmal etwas “robustem” Auftrag) nach außen hin von sich aufbauen möchten.
Als unser soeben untergetauchter Ex-Bundespräsident vor kurzem gefragt wurde, was unsere Soldaten im weltweiten Einsatz denn so schützen, antwortete er etwas unbedacht: “zum Beispiel freie Handelswege” und andere “Interessen”, die sich aus unserer “Außenhandelsabhängigkeit” ergäben. Das war insofern ein wenig dumm, als solche Handelsschutzeinsätze der BW vom Grundgesetz zumindest nach lange Jahrzehnte geltendem Konsens grundsätzlich (und weit entfernt vom Territorium der Bundesrepublik schon gar) nicht erlaubt waren. Deshalb wurden Köhlers Äußerungen auch sofort von Mitgliedern aller Parteien, die eine neue militärische Außenpolitik Deutschlands betrieben und durch das Parlament gebracht haben, heftig bis rüde dementiert.
Köhler selbst hat nachträglich behauptet, auf Afghanistan hätten sich seine Äußerungen nicht bezogen (obwohl er konkret nach Afghanistan befragt worden war), wohl aber - als vermutlich unumstrittenste “Mission” - auf den Einsatz der Bundesmarine am Horn von Afrika, und diese Umwidmung oder Zuordnung wurde dann von vielen Journalisten und Politikern als zutreffend und korrekt akzeptiert. – Darf man demgegenüber vielleicht daran erinnern, daß die Fregatten der Bundesmarine ursprünglich im November 2001 nach Ausrufung des NATO-Bündnisfalls und als Teil der nach 9/11 inszenierten Operation Enduring Freedom (OEF) zur weltweiten Bekämpfung des Terrorismus in Marsch gesetzt wurden? In etwas konfusem Deutsch erläutert die BW auf ihrem offiziellen Datenblatt dazu: “Das Mandat erlaubt bewaffneten deutschen Streitkräften, bei der gemeinsamen Reaktion auf terroristische Angriffe gegen die USA zu unterstützen. Zuletzt wurde es am 3. Dezember 2009 für zwölf Monate verlängert.” Als akute Terrorabwehr ist dieser BW-Einsatz außerhalb unserer Hoheitsgewässer damals begründet worden, und dieses Mandat besteht bis heute. 9 Jahre sind allerdings für eine akute Gefahrensituation vielleicht doch ein etwas langer Zeitraum. Um einem eventuellen diesbezüglichen Erklärungsnotstand vorzubeugen, steht in der Einsatzbeschreibung inzwischen zusätzlich: “Auftrag des Deutschen Einsatzverbandes sind die Seeraumüberwachung und der Schutz der Seeverbindungslinien in den Gebieten um das Horn von Afrika und die Arabische Halbinsel [...] Zusätzlich zu OEF gibt es deshalb mit der europäischen Operation ATALANTA eine weitere Marinemission in der Region zur Abschreckung und Bekämpfung der vor der somalischen Küste operierenden Piraten.”
Damit sind Bundeswehr und -regierung juristisch fein aus dem Schneider, denn die Operation Atalanta ist durch eine Resolution des Weltsicherheitsrats der Vereinten Nationen gedeckt und zudem eine 2008 beschlossene Gemeinsame Aktion des Rates der Europäischen Union (an dem die Bundesregierung bestimmt nur ganz unmaßgeblich und quasi als Mandatsempfänger mitgewirkt hat). Gegen den Schutz friedlicher Handelsschiffe vor bewaffneten Piratenüberfällen, Kidnapping und Lösegelderpressung läßt sich ohnehin wenig einwenden - wenn man den ehemaligen Konsens über eine enge Beschränkung von BW-Einsätzen auf den Verteidigungsfall (= “Die Feststellung, daß das Bundesgebiet mit Waffengewalt angegriffen wird oder ein solcher Angriff unmittelbar droht”, GG, Art 115a) als “nicht mehr zeitgemäß” beiseite schiebt. Das war schon clever gemacht: Ein einziger verheerender Terroranschlag auf Hochhäuser in New York und die darauf folgende Ausrufung des Bündnisfalls für alle NATO-Staaten lieferten auf unserer Seite der Atlantischen Brücke die nötige Handhabe. Laut Art. 80a GG war im Falle Deutschlands die Anwendung von Art. 115a “außer im Verteidigungsfalle nur zulässig, wenn der Bundestag den Eintritt des Spannungsfalles festgestellt [hat] oder... auch auf der Grundlage und nach Maßgabe eines Beschlusses zulässig, der von einem internationalen Organ im Rahmen eines Bündnisvertrages mit Zustimmung der Bundesregierung gefaßt wird.”
Unter der Gleichung Bündnisfall = Verteidigungsfall ließ sich damit die Beteiligung an Enduring Freedom rechtfertigen, die nach einer gewissen Zeit durch die Operation Atalanta flankiert und in der öffentlichen Darstellung allmählich ersetzt wurde. Sieht man sich die Reaktionen auf Köhlers letzte Äußerungen an, dann wird es von weiten Teilen der deutschen Öffentlichkeit inzwischen akzeptiert, daß Kriegsschiffe der Bundesmarine über 5000 Seemeilen von ihren Heimathäfen entfernt deutsche Handelsinteressen sichern.
Die Zeit bleibt niemals stehen, aber angesichts dessen frage ich mich schon, ob sie wirklich immer nur vorwärts läuft. Trittins Erinnerung an ehemalige wilhelminisch-deutsche “Kanonenbootpolitik” trifft unbeabsichtigt vielleicht doch weitere Kreise als allein den ehemaligen Bundespräsidenten.

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