Echidna (griech. Viper, Schlange), Tochter der Gaia und des Uranos, „halb schwarzäugige junge Frau mit herrlich prangenden Wangen, halb riesige Schlange von furchtbar drohendem Aussehn. Schillernd war sie, gefräßig und lag in den Tiefen der Erde“ (Hesiod, Theogonie 295f.), gebar ihrem Halbbruder Typhon (“der Rauchende”), einem Sohn der Gaia und des Tartaros von so riesigen Ausmaßen und mit einem so schrecklichen Gebrüll aus hundert Drachenköpfen, daß er sogar die olympischen Götter in die Flucht schlug, drei ebenso liebreizende Kinder: den Höllenhund Kerberos, die Sphinx und die Chimaira, wobei das griechische Wort χίμαιρα zunächst nichts anderes als Ziege bedeutet. Doch trug sie auf ihrem Ziegenleib auch noch den Kopf eines Löwen und den eines Drachen oder einer Schlange und spie, wie ihr Vater unter dem Ätna, mit allen dreien verderbliches Feuer. Ursprünglich lag ihre Höhle nahe dem antiken Olympos in Lykien, wo sich bis heute an einem Berghang austretende Gase am Sauerstoff entzünden: „das ewige Feuer der Chimäre“. Doch kann sie inzwischen auch andernorts ihre gräßlichen Häupter erheben, um Menschen zu verschlingen.
Stellen Sie sich vor, man habe Ihnen ganz diskret eine Einladung zugestellt, sich am ersten Juniwochenende zu einer informellen Tagung in einem erstklassigen Hotel in Spanien einzufinden, unterschrieben von Etienne Davignon, ehemals Vizepräsident der Europäischen Kommission, heute Vizepräsident des Stahlkonzerns Arbed, der Hotelkette Accor und der Fortis Bank, Aufsichtsratsmitglied bei Fiat, Suez, Anglo American Mining und der BASF, um nur einige der bedeutenderen Konzerne zu nennen. Sie fühlen sich geehrt und nehmen den nächsten Flieger. Am Flughafen in Spanien werden Sie von einigen athletischen Herren in stramm sitzenden Anzügen und mit kleinen Knöpfen in den Ohren empfangen und von einem schwarz livrierten Chauffeur in einer Luxuslimousine mit dem Stern zum Hotel gefahren. Ein massives Aufgebot von Polizei sichert die Zufahrtsstraßen und hat vor der Auffahrt zu dem auf einem Hügel abseits gelegenen Hotel Straßensperren und einen Checkpoint eingerichtet. Wird Ihnen nicht leicht unbehaglich?Im Foyer sind Sie aber zum Glück nicht der einzige Neuankömmling. Der schwedische Außenminister Carl Bildt ist auch soeben eingetroffen; er unterhält sich gerade mit dem finnischen Finanzminister Jyrki Katainen und dem Konzernchef von Norsk Hydro, Svein Richard Brandtzæg. Es kommen ja viele Skandinavier nach Spanien: Sommer, Sonne, Sangria etc. Versteht man doch. Aber irgendwie scheint dieses Hotel gerade überhaupt ziemlich angesagt zu sein. Ein richtiges Prominest offenbar. Hinten beim Lift stehen EU-Wettbewerbskommissar Joaquín Almunia und Thomas Enders, Geschäftsführer von Airbus, in angeregter Unterhaltung beieinander. Scheinen sich gut zu verstehen, die beiden. In einer gemütlichen Sitzecke lümmelt - kann das echt wahr sein? - kein Geringerer als Bill Gates himself und neben ihm Eric Schmidt, Vorstandschef von Google, einträchtig bei einem stillen Wasser, von Konkurrenz keine Spur. An der anderen Seite des Tisches Peter Sutherland von Goldman Sachs und, kaum zu glauben, Josef Ackermann. In welche Räuberhöhle sind Sie nur hineingeraten? Der daneben muß dann wohl Marcus Agius, Vorstandsvorsitzender der Barclays Bank, sein, der mit einer Rothschild-Tochter verheiratet ist. Die ist aber nicht anwesend. Frauen? Sind überhaupt Frauen bei dieser Zusammenkunft von nicht gerade kleinen Lichtern aus Wirtschaft und Politik? Ach, draußen, unter einem großen Sonnensegel auf der Terrasse, sitzen bei einem Aperitif Gertrude Tumpel-Gugerell aus dem Direktorium der EZB und die junge Dambisa Moyo. Die hat doch auch mal bei der Weltbank gearbeitet, und bei Goldman Sachs. Schwerpunkt: Hedgefonds. Mittlerweile ist sie in Cambridge und am Royal Institute of International Affairs (Chatham House) und vom Time Magazine unter die 100 einflußreichsten Menschen der Welt gewählt worden.
Ex-Weltbankchef Wolfensohn tritt gerade hinzu und küßt beiden Damen die Hand, der alte Schwerenöter.
Das ist aber eine hochkarätige Versammlung hier, Mannomann! Und das sind noch nicht einmal alle. Vom Pool kommt gerade eine ganze Gruppe angeschlendert. An der Spitze unverkennbar Daimlerchef Dieter Zetsche und neben ihm Jacob aus der schwedischen Wallenberg-Dynastie. Etwas verdeckt dahinter wandelt der amtierende spanische Ministerpräsident Zapatero im Gespräch mit Weltbankchef Robert Zoellick. O je, was muß sich Zapatero da wohl anhören? Oder hecken sie etwa gemeinsam etwas aus?
Aber jetzt tut sich was am Eingang. Pagen entrollen einen orangen Teppich, und eine ellenlange Stretchlimousine schleicht wie auf Samtpfoten heran. Heraus steigt - ist sie‘s wirklich? - Beatrix Wilhelmina Armgard, Koningin der Nederlanden. Wie hat sie bei dem Manöver nur den Hut aufbehalten? Nach ihr entsteigen als Entourage lauter Lohnsklaven ihres fast Privatbetriebs Royal Dutch Shell dem Wagen, CEO Peter Voser, Jorma Ollila, ehemals Nokia-Chef, aber inzwischen auch in den Schoß der Muschel gekrochen, und der mit dem etwas steifen Bein muß Sir John Kerr sein, Abgeordneter des britischen Oberhauses und einer der Direktoren von Shell.
Erst nachdem ihre Majestät sich in ihre Gemächer zurückgezogen hat, treffen die wahren grauen Eminenzen dieser höchst bemerkenswerten Zusammenkunft ein. Richard Holbrooke etwa. Nach Vietnam waren die indonesische Invasion in Osttimor und das Gwangju-Massaker 1980 in Korea weitere Meilensteine seiner Karriere, bevor dieser menschliche Marschflugkörper 1995 im Jugoslawienkrieg einschlug und zu Milosevic gesagt haben soll: „Diese Soldaten hinter mir befehligen die amerikanischen Luftstreitkräfte, die bereit stehen, Sie zu bombardieren, wenn wir nicht zu einer Einigung kommen“. Momentan ist der feinfühlige Diplomat Obamas Sonderbeauftragter für Afghanistan und Pakistan. Begleitet wird er hier vom Staatssekretär für Europa- und Eurasienfragen im US-Außenministerium, Philip H. Gordon. Javier Solana schleicht auch händereibend herum. Inzwischen ist er aus seinen politischen Ämtern ausgeschieden, aber was heißt das schon? Er kann sich auf Spanisch doch trotzdem ganz freundschaftlich mit dem venezolanischen Medienmogul Gustavo Cisneros unterhalten, der als erbittertster Feind von Präsident Hugo Chavez gilt. Und dann kommt als letzter ER, inzwischen zwar am Stock und fast ein wenig gestützt auf Gordon Campbell, den Premier von British Columbia, aber immer noch der Drahtzieher schlechthin, Henry A. Kissinger aus Fürth, dem man unter vielen anderen das geflügelte Wort zuschreibt: „Globalisierung ist nur ein anderes Wort für US-Herrschaft.“
Hätten Sie es für möglich gehalten, all diesen Mächtigen dieser Erde an einem einzigen Ort zu begegnen? Angenommen, Sie hätten es tatsächlich geschafft, an jenem Juniwochenende einen Aufenthalt im Hotel Dolce in Sitges zu buchen, hätten Sie sich bei Ihrem ersten Rundgang nicht gekniffen und gefragt, in welchem bösen Traum Sie da gelandet seien? Hätten Sie den nächsten Kellner gefragt, dann hätte der ihnen womöglich leise nur ein Wort zugeraunt: Bilderberg.
“Ach Quatsch! Gibt‘s doch gar nicht”, wäre es Ihnen entfahren, “Bilderberg! Diese Vereinigung von Macht & Geld ist doch nur ein Ammenmärchen von irgendwelchen Verschwörungstheoretikern.” Eine Schimäre.
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