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Dienstag, 8. Juni 2010
Humanitäre Katastrophe oder Ölinteressen? Kleines Sudan-Dossier, I
Bevor mir das Fahrtenbuch noch zum Politblog verkommt, hier vorläufig ein letzter Prüfstein für deutsche Außenpolitik in Krisengebieten: Unter den Materialien, die das Internetportal für kritischen Journalismus, das dossier, zum Rücktritt von Horst Köhler bereitstellte, findet sich auch ein sehr interessanter Diskussionsbeitrag der International Physicians for the Prevention of Nuclear War (IPPNW) bzw. deren deutscher Sektion der Internationalen Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges / Ärzte in sozialer Verantwortung e.V. mit dem Titel “Deutschland und die Rohstoffkriege”. Darin behaupten die Ärzte einleitend allgemein:
Für die deutsche Politik dient - wie auch für andere politisch und wirtschaftlich einflussreiche Staaten - die "Aufrechterhaltung des freien Welthandels und des ungehinderten Zugangs zu Märkten und Rohstoffen in aller Welt" wieder zu den offiziellen Rechtfertigungen von Kriegen. Für fast alle Kriege der letzten Jahre lässt sich nachweisen, dass der Zugang zu Erdöl, Erdgas und anderen Rohstoffen sowie den Transportwegen zu den wesentlichen Kriegsgründen zählte. Das Menschenrechtsargument wird als offizieller Rechtfertigungsgrund vorgeschoben.”
Als ersten Beleg führen sie die 2005 von BP Köhler in Bonn veranstaltete Afrika-Konferenz an, zu deren Begründung und Relevanz Köhler vor der Presse erklärte: "seit die Lage im Nahen Osten kritischer geworden ist, importiert der Westen zunehmend mehr Öl aus Afrika" (Bonner Generalanzeiger, 8.11.2005).
Auch damals hat Köhler nichts anderes getan, als die reale deutsche Außenpolitik beim Namen zu nennen. Denn, so Henrik Paulitz vom IPPNW, “in seiner "Außenpolitischen Strategie zu Zentralafrika" verweist das Auswärtige Amt neben anderen knappen Rohstoffen auf die Ölvorkommen in Gabun, Kamerun, Republik Kongo, Äquatorialguinea, Tschad, sowie auf die Demokratische Republik Kongo (früher Zaire).” In vielen dieser Länder sind die Ölkonzessionen aber längst an andere vergeben. Wieder einmal betritt Deutschland den afrikanischen Schauplatz aufgrund historischer Umstände erst spät, vielleicht zu spät. Aber wenn sich Regierungen und Staaten ihre Außenhandelspartner schon gesucht haben (oder umgekehrt), kann man ja versuchen, noch neue zu schaffen. Genau das geschieht derzeit im Sudan.

Bei diesem flächenmäßig größten Land Afrikas denkt jeder natürlich zuerst an die von vielen mit Völkermord gleichgesetzte humanitäre Katastrophe in der westlichen Provinz Darfur. Dazu aber stehen in dem Papier der Ärzte des IPPNW Sätze, die mich staunend aufmerken ließen:
"Mia Farrow in Darfur"
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cc) Genocide Intervention Network via Flickr“Im Vorfeld des Bundeswehr-Einsatzes in Sudan wurde eine Menschenrechtskatastrophe in der sudanesischen Region Darfur hochstilisiert. Der Kölner Wissenschaftler und Sudan-Kenner Stefan Kröpelin vertritt die Auffassung, dass die Menschenrechtssituation in Sudan nicht besser und nicht schlimmer ist als in jedem anderen afrikanischen Land. Auch offizielle Stellen würden das unter der Hand bestätigen. Doch seit man am Erdöl interessiert sei, sei die humanitäre Katastrophe für den Westen plötzlich von Interesse. Journalisten wären an einem differenzierten Bild nicht interessiert [...] Kröpelin hält die genannten Zahlen über Menschenrechtsverletzungen für völlig abwegig. Die Zahlen würden von den Flüchtlingslagern stammen. Doch viele Leute seien nur deswegen in den Flüchtlingslagern, weil es dort Dinge umsonst gebe. Auch Menschenrechts- und Hilfsorganisationen hätten ein Interesse an übertrieben hohen Zahlen, weil das die Spendenbereitschaft in Deutschland erhöhe. Zudem sei die Region Darfur nur schwer zugänglich und Menschenrechtsorganisationen würden sich zum Beispiel auf Aussagen von Exilbischöfen berufen, nicht jedoch auf Quellen vor Ort. Einige Überfälle mit Todesfällen habe es in Darfur schon immer gegeben. Das Beispiel Sudan zeigt ebenso wie auch andere einschlägige Fälle, dass die deutsche Öffentlichkeit die Menschenrechtslage in anderen Ländern in keiner Weise beurteilen kann. Auch auf die Angaben vermeintlich "unabhängiger" Menschenrechts- und Hilfsorganisationen kann man sich nicht stützen. Eben so wenig sind in aller Regel die Abgeordneten des Deutschen Bundestages informiert. Das bedeutet, dass eine demokratische Kontrolle von Interventionen praktisch nicht möglich ist. Weder die Bevölkerung noch die Abgeordneten in den Parlamenten können ernsthaft überprüfen, ob ein Krieg tatsächlich wie oft behauptet zur Verhinderung von schweren Menschenrechtsverletzungen geführt wird oder mit dem Ziel, Zugang zu Märkten und Rohstoffen zu bekommen.”
Natürlich habe ich versucht, etwas über das Sudan-Expertentum von Stefan Kröpelin herauszufinden. Tatsächlich reist er schon seit den 80er Jahren zu Forschungszwecken durch das Land, hat 1990 seine Dissertation zur Geologie des Sudans geschrieben und seitdem jährlich Publikationen zur Geologie, Klimageschichte und Archäologie des Landes veröffentlicht. Seit Jahren leitet er die Afrikaabteilung am Institut für prähistorische Archäologie an der Uni Köln und hat mittlerweile mehr als 40 Expeditionen durch die östliche Sahara unternommen. Der Mann kennt sich aus im Sudan.
Bereits 2004, ein Jahr nach Eskalation der Konflikte in Darfur, als Amnesty International und andere humanitäre Organisationen Berichte von ethnischen Säuberungen, Massenvergewaltigungen und Völkermord in Darfur publizierten, meldete Kröpelin in einem Beitrag in der Frankfurter Rundschau (14.10.04) “Zweifel an den von Politikern und deren Beratern kolportierten Behauptungen systematisch eingesetzter Massenvergewaltigungen und Massenerschießungen” an und fragte, warum keine Beweise etwa in Form hoch auflösender Satellitenaufnahmen vorgelegt würden. Die damals gezeigten Fernsehaufnahmen von angeblich niedergebrannten Dörfern identifizierte er als Brennplätze für Keramik. (Wie man die Weltöffentlichkeit mit falschen oder manipulierten Luftaufnahmen monatelang hinters Licht führen könne, hätten wir im Vorfeld des Irakkriegs sattsam erlebt.) Weiterhin kritisierte Kröpelin die Stilisierung der - zweifellos stattgefundenen - Kämpfe zu einem ethnischen Konflikt zwischen Schwarzafrikanern und arabischen Reitermilizen. Die einzige tatsächlich arabischstämmige Ethnie im Sudan, die Kababisch, habe sich daran gar nicht beteiligt. Ursache für die Zusammenstöße seien keine ethnisch motivierten Spannungen, sondern eine fortgesetzte Verschlechterung der klimatischen und ökologischen Lebensumstände in der Region, deren Folgen durch das extreme Bevölkerungswachstum der vorangegangenen Jahrzehnte noch drastisch verschlimmert würden. Speziell in Darfur habe sich die Bevölkerung in den letzten fünfzig Jahren verfünffacht. - Drei Jahre später hat selbst UNO-Generalsekretär Ban Ki Moon Kröpelins Einschätzung bestätigt.
Doch der Geowissenschaftler bleibt bei diesem ökologischen Erklärungsansatz nicht stehen, sondern hat auch gesehen, daß Rebellenarmeen in Darfur genau ab dem Zeitpunkt Zulauf erhielten, seit dem sich abzeichnete, daß ihr bisheriges Operationsgebiet im Südsudan bald durch ein Friedensabkommen pazifiziert werden würde und sie damit ihre Verdienstmöglichkeiten verlieren könnten. Zudem hätten auch die Stämme in den betroffenen Landesteilen fürchten müssen, durch ein Abkommen zwischen der südsudanesischen Rebellenpartei und der Zentralregierung von den Einnahmen aus dem anlaufenden Ölexport ausgeschlossen zu werden, weshalb es zur Aufstellung neuer Rebellenarmeen wie SLA (Sudanese Liberation Army) und JEM (Justice and Equality Movement) gekommen sei. Hinzu kämen die erst Mitte der Siebziger Jahre (nach der 1. Ölkrise) prospektierten riesigen Öllagerstätten unter dem Sand der zentral- und ostafrikanischen Sahelgebiete. Ihr Volumen schätzt man allein im Sudan auf 2 - 3 Milliarden Barrel, und sie sollen von besserer Qualität und leichter zu fördern sein als die Vorkommen im Nahen Osten. “So erfordert es wenig Fantasie nachzuvollziehen, dass sich gerade die jetzige Regierung der USA ihre Claims an den neuen Erdölpfründen sichern und hierfür strategisch in Afrika etablieren will”, schrieb Kröpelin damals. “Für die von immer mehr US-Politikern geforderten Truppenentsendungen kommt der Konflikt in Darfur gerade recht.”

Zwei Jahre später hat Stefan Kröpelin in International, der österreichischen “Zeitschrift für internationale Politik” (Heft IV/2006), noch einmal nachgelegt und - neben Vorwürfen einer grob einseitigen und stark vereinfachenden Berichterstattung in den westlichen Medien - besonders den Aspekt der Erdölvorkommen verstärkt in Anschlag gebracht. Nachdem inzwischen “chinesische und malaysische Firmen mit langfristigen Verträgen die Ölförderung im Sudan einschließlich der von China gebauten Pipeline von West-Kordofan nach Port Sudan am Roten Meer” beherrschen, gehe es der US-Regierung erst einmal darum, “den sudanesischen Ölexport lahm zu legen und regionale Gegensätze zu schüren in der Hoffnung auf späteren Zugang zum Öl [...] Nachdem die USA an den Erdölkonzessionen im Zentralsudan vor allem gegenüber China das Nachsehen hatten, zielt deren Rohstoffhunger folgerichtig auf die Erdölvorkommen im westlichen Sudan. Schon existieren fortgeschrittene Pläne für eine Verlängerung der bereits bestehenden US-amerikanischen Pipeline vom West-Tschad durch Kamerun an die Atlantikküste, die einen optimalen Zugang zu den Ölreserven Süd-Darfurs gewährleisten soll. Es fehlt nur noch die kooperative Regierung eines abgetrennten Teilstaats.”
Genau die wird aber längst vorbereitet, und zwar maßgeblich durch westliche, nicht zuletzt auch deutsche Hilfe. Als die südsudanesischen Rebellen von der SPLA/M des ehemaligen Obersten John Garang im Beisein von US-Außenminister Powell im Januar 2005 in Nairobi ein Friedensabkommen mit der Zentralregierung in Khartum unterschrieben, sah es u.a. vor, daß die Bevölkerung des Südens nach einem sechsjährigen Moratorium 2011 in einem Referendum über ihre staatliche Unabhängigkeit abstimmen darf. Deutsche Firmen haben schon vor Abschluß des Friedensvertrags auf einen demnächst unabhängig werdenden Südsudan gesetzt. Bereits am 27. November 2004 meldete die Neue Zürcher:
“Mit der deutschen Gleisbau-Firma Thormählen schloss der SPLA-Führer Garang im September einen Vorvertrag für den Bau eines Schienennetzes von 4000 Kilometern Länge im Südsudan. Thormählen ignorierte dabei die sudanesische Regierung. «Beim Abschluss eines endgültigen Friedensabkommens, wie er noch vor Ende dieses Jahres geplant ist, wird der Süden autonom, erhält die Hälfte der Öleinnahmen und kann den Aufbau seiner Infrastruktur selbst planen», meint der Chef der Firma, Klaus Thormählen, zuversichtlich. Mit den deutschen Firmen Thyssen-Krupp, Siemens, Strabag und Radio Hamburg hat Thormählen eine Holding-Gesellschaft gegründet, welche beim Wiederaufbau des Südens mitwirken soll.”
Die Firma Thormälen hatte damals in einer Presseerklärung angekündigt:
“Aufgrund sehr enger persönlicher Beziehungen zwischen Herrn Klaus Thormählen und Herrn Dr. Costello Garang Ring (Commissioner for international cooperation der SPLM/A) ist es uns gelungen, das Vertrauen der neuen Regierung des Süd Sudan und der Regierungen in Kenia, Uganda und Äthiopien zu gewinnen. Man hat uns gebeten, die Leitung verschiedener Großprojekte zum Wiederaufbau des Süd Sudans zu übernehmen.
Im Mittelpunkt stehen dabei folgende Projekte/Gewerke:
1. Planung, Bau und Betrieb einer Eisenbahnlinie von den Ölfeldern des Süd Sudan mit Abzweigungen nach Uganda bis nach Rongai/Nairobi (4.100km) [...]
5. Aufbau einer Fluggesellschaft
6. Aufbau einer neuen Hauptstadt für den Süd Sudan
[...] Die Einnahmen aus dem Ölgeschäft dienen dabei als Sicherheit für die Finanzierung [...] Insgesamt ist mit einem Investitionsvolumen von ca. 8 Mrd. US$ für diesen Bereich zu rechnen.”
Zwei Jahre später gab es die Firma allerdings nicht mehr. Ihr Hauptaktionär, die Vermögensverwaltung Erben Dr. Karl Goldschmidt GmbH aus Essen, war der Meinung, das Oldesloer 90-Beschäftigten-Unternehmen Thormälen sei zu klein, um einen solchen 8-Milliarden-Deal zu stemmen, und bestand auf Liquidierung der Firma, berichtete das Hamburger Abendblatt.
Auch wenn das Geschäft in dieser Form nicht zustande kam, belegt es, daß deutsche Firmen aus geschäftlichen Interessen von Anfang an auf eine Sezession und anschließende staatliche Unabhängigkeit des Südsudan setzten.

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