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Dienstag, 18. Mai 2010
Wendekreis des Krebses

I am living at the Villa Borghese. There is not a crumb of dirt anywhere, nor a chair misplaced. We are all alone here and we are dead.
The cancer of time is eating us away.
I have no money, no resources, no hopes. I am the happiest man alive.

Seit Jahren habe ich keinen so starken Romananfang gelesen. Und es ist der Anfang eines Debütromans. Henry Miller: Tropic of Cancer.

1891 kam Miller als Sohn eines aus Bayern eingewanderten Schneiders in New York zur Welt. Gut zehn Jahre zuvor war als Gratispassagier des Norddeutschen Lloyd ein 22 Jahre junger Mann namens Knut Pedersen aus Norwegen in New York gelandet. Einer von 29.000 norwegischen Auswanderern jenes Jahres. Aber er blieb nicht einer unter 29.000, und er blieb nicht in den USA. Zurück in Norwegen schrieb er in einer Art “halluzinatorischem Raptus” (W. Baumgartner) die ersten fünfzig Seiten eines Romans, die Edvard Brandes anonym in seiner Kopenhagener Avantgardezeitschrift Ny Jord (“Neue Erde”) veröffentlichte. Im Jahr vor Millers Geburt erschien der ganze Roman und wurde sofort ein Skandalerfolg: Sult, Hunger. Sein Autor nannte sich inzwischen Knut Hamsun.
Miller hat Sult gelesen, unzweifelhaft. Oft genug spielt er auf das Hunger-Motiv an und damit herum, in gewiß nicht zufälliger Häufung öfters im Zusammenhang mit Literatur. “We need good titles. We need meat – slices and slices of meat – juicy tenderloins, porterhouse steaks, kidneys, mountain oysters, sweetbreads”, phantasiert der Erzähler, der nicht offen zugeben will, daß er ausgehungert durch die Straßen von Paris streift, ehe er auf seine literarischen Ambitionen zurückkommt:
“I‘m going to remember this title and I‘m going to put down everything that goes down in my noodle – caviar, rain drops, axle grease, vermicelli, liverwurst...”
An anderer Stelle gibt er mit seiner angeblich unzerstörbaren Gesundheit an und revidiert dann: “When I say ‘health‘ I mean optimism, to be truthful... Carl finds it disgusting, this optimism. ‘I have only to talk about a meal‘, he say, ‘and you‘re radiant!‘ It‘s a fact. A meal! That means something to go on – a few solid hours of work, an erection possibly. I don‘t deny it. I have health, good solid, animal health. The only thing that stands between me and a future is a meal.” Als hätte das nicht der namenlose Held sagen können, der hungernd durch die Straßen von Kristiania streunte. Aber Miller hat nicht nur “Hunger” gelesen und im Paris der damaligen Weltwirtschaftskrise vielleicht wirklich ab und zu Hunger geschoben, er hungerte auch nach Literatur und soll sie pfundweise verschlungen haben. Strindberg war ganz bestimmt ebenfalls darunter, aber Miller hatte den Mut, die beiden Giganten aus dem Norden nicht nur aufzugreifen, sondern sie gleich in seinem ersten Roman fortzusetzen und über sie hinauszugehen, ganz im Sinn seiner darin verkündeten Poetik:

“Art consists in going the full length. If you start with the drums you have to end with dynamite”

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