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Sonntag, 16. Mai 2010
Deutsch-französische Fremdheit
Bald fünfzig Jahre sind seit der Umarmung von Adenauer und De Gaulle und dem Elysée-Vertrag von 1963 vergangen, Deutschland und Frankreich gelten als Doppelmotor der europäischen Einigung und fördern den bilateralen Austausch vor allem im schulischen Bereich und in der Kultur mit allen erdenklichen Mitteln, aber im Bereich der Literatur können sie trotzdem herzlich wenig miteinander anfangen. Deutsche Literatur hat dem Vernehmen nach in Frankreich den Ruf, spröde und “unsexy” zu sein, entsprechend wenig wird sie übersetzt und gelesen. Die Franzosen bevorzugen nach wie vor ihre eigenen Schriftsteller. 4 der 5 belletristischen Topseller kamen im letzten Jahr von einheimischen Autoren (die Ausnahme: Dan Brown). Von ca. 8600 2008 in Frankreich erschienenen Romanen waren 3440 oder 40% Übersetzungen, darunter aber kamen nicht mehr als 130 aus Deutschland, das sind etwa 4%. Umgekehrt sieht es nicht viel besser aus. Auch bei uns stammen zwei von drei Romanübersetzungen aus dem Englischen. Das Französische nimmt immerhin noch den zweiten Platz ein, aber nur mit einem Anteil von knapp 10% aller übersetzten Titel, und das im Jahr, in dem Le Clézio den Nobelpreis erhielt. Im Gesamtranking des Buchimports nach Deutschland rangiert Frankreich u.a. hinter Irland und Tschechien auf Platz 9. Zu unterschiedlich sind diesseits und jenseits des Rheins offenbar die Erwartungen an das, was man sich jeweils unter einem gut lesbaren Buch vorstellt. Was die Franzosen offenbar als eine wohlgesetzte und wohlklingende literarische Sprache goutieren, klingt in unseren Ohren häufig abgehoben bis verschwiemelt. Mein letzter Versuch macht da keine Ausnahme. Ich hab‘s mal mit dem neuen Roman des Figaro-Kritikers und Hobbykochs Sébastien Lapaque versucht, der doch ein Jahr nach seinem Amtsantritt in Il faut qu‘il parte so schön mit Sarkozy und seiner «bêtise néo-libérale» abgerechnet hat, daß er anschließend mehr als fünfzig Drohungen von Fresseeinschlagen bis Umbringen erhielt.
Diesmal bringt er lieber selbst um, literarisch zumindest: “Du wirst sterben, heute noch, du weißt es nur noch nicht”, beginnt sein neuer Roman Les identités remarquables. So schön knackig fängt es an, aber schon nach drei Seiten geht‘s dann los:

Tu t‘étais lié avec Laroque, heureux et fier de vous savoir les derniers de votre date à vous passionner ainsi pour les ídees générales, la crise de la culture et les problèmes historiques... Ce qui ne t‘a jamais coupé de la matière dont nos corps sont faits. Il y avait beaucoup de filles dans ta vie, tu t‘es efforcé de ramener cette multitude à l‘unité, même quand cela t‘est apparu un sacrifice...”
Klingt irgendwie gut, nicht? Aber in meiner unbeholfenen Übersetzung kommt hoffentlich in etwa rüber, was da (in einem Kriminalroman) wie ausgedrückt wird: “Du hattest dich mit Laroque zusammengetan, glücklich und stolz in der Überzeugung, daß ihr die Letzten eures Alters wart, die sich leidenschaftlich für die großen Ideen, die Krise der Kultur und die historischen Probleme interessierten... Das aber hat dich nie von dem Stoff abgeschnitten, aus dem unsere Körper gemacht sind. In deinem Leben hat es viele Mädchen gegeben, du hast dir Mühe gegeben, diese Vielheit auf eine Einheit zurückzuführen, auch wenn es dir wie ein Opfer erschien... C‘est affreux de laisser s‘eloigner toutes ces réalités qu‘on a follement aimées sous les tours des roues dentées du temps. Es ist schrecklich, sich von all diesen wirklichen Dingen, die man so unsterblich geliebt hat, unter den Umdrehungen der Zahnräder der Zeit entfernen zu lassen.” - Puh, der Autor ist noch in seinen Dreißigern, die Person, von der er spricht 27! Selbst als er seinem Freund ein Hühnchen kocht, geht das nicht ohne permanente Subtilitäten bei der Zubereitung wie dem begleitenden hochgeistigen Kulturgeschwafel über “le jeu subtil de Nicolas Cage” und die Genialität von Scorsese. “Voilà bien un homme chez qui l‘on n‘a pas à déplorer l‘éclipse de l‘imagination et l‘appauvrissement de l‘esprit critique”. - Mon dieu, ist es da verwunderlich, daß ich mir zum literarischen Reisebegleiter durch Paris lieber Henry Miller erkoren habe?

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