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Mittwoch, 11. März 2009
Island: Endlich Experten gefragt
Nachdem die Kreativität der hierzulande sogenannten “Expansions-Wikinger” sich zu beträchtlichen Teilen als kriminelle Energie herausstellt, setzt die Politik in Island bei ihrer Suche nach Lösungen und Wegen für die Zukunft nun endlich in zunehmendem Maß auf ausländischen Sachverstand. Begonnen hat damit übrigens schon der konservative Ministerpräsident Geir Haarde, als er sich während der monatelang andauernden Proteste auf den Straßen, die ihn schließlich zu Fall brachten, einen persönlichen Sicherheitsberater aus Norwegen zulegte. Inzwischen hat eine Lex Davíð endlich auch den unbelehrbar sturen Davíð Oddson aus seinem Amt entfernt. Zu seinem Nachfolger ernannte die neue Regierung den ehemaligen stellvertretenden norwegischen Finanzminister Sven Harald Øgård, der vor 15 Jahren das norwegische Bankensystem durch Verstaatlichungen aus einer Krise rettete.
Eine wahrhaft herkulische Arbeit liegt vor ihm. Die Ausmaße des Mists im isländischen Augiasstall beleuchten schon ganz wenige Zahlen:
Die isländische Börse krachte seit Oktober um 85% ein, gleichzeitig ist die isl. Krone keine frei konvertible Währung mehr, ihren Wechselkurs dekretiert die Regierung, doch zahlen Isländer im Ausland lieber nicht mit ihren Kreditkarten, weil sie nicht wissen können, zu welchem Kurs ihnen die Kartengesellschaften am Ende ihre Ausgaben berechnen. Deutsche Banken zum Beispiel weigern sich überhaupt, Überweisungen nach Island vorzunehmen.
Der Zusammenbruch der vom Staat notgedrungen übernommenen privaten Banken allein lud jedem isländischen Staatsbürger, Säuglinge eingerechnet, 240.000 Euro Schulden auf. Die Staatsschulden, die in den USA 350% des BIP‘s betragen sollen, belaufen sich in Island nunmehr auf schaudernd machende 850%. (Ich beziehe die Zahlen aus einem ganz lesenswerten Artikel im Aprilheft von Vanity Fair.)

Am Sonntag sprach Eva Joly im isländischen Fernsehen. Sie leitete in den neunziger Jahren als oberste und unabhängige Untersuchungsrichterin im Pariser Finanzministerium die sieben Jahre andauernden Ermittlungen im bislang größten europäischen Korruptionsskandal, der Elf-Aquitaine-Leuna-Affaire. (Sie erklärte übrigens, daß sie damals beweisen konnte, daß 256 Millionen Francs an Schmiergeldern nach Deutschland geflossen seien, die deutsche Seite deswegen aber keine Ermittlungen aufnehmen wollte.) Seit ihrer Rückkehr nach Norwegen leitet die “Europäerin des Jahres 2002" dort eine Sonderkommission zur Korruptionsbekämpfung. Den Isländern empfahl sie nun vor allem, einen Arbeitsstab aus unabhängigen Spezialisten für die Aufdeckung von Geldwäsche und anderen Wirtschaftsdelikten zusammenzustellen und erst einmal die Geschäftsbücher aller isländischen Banken genauestens zu durchleuchten. “Denn ohne eigene Beweise hier werden Sie keine Zuarbeit aus dem Ausland bekommen. Auch für den ‘Gesellschaftsvertrag‘ in Island, für die Wiedergewinnung des Vertrauens der Bevölkerung in den Staat, wird diese Aufklärung im übrigen unabdingbar sein. Ein großes Problem dabei ist, daß das heutige Bankensystem und auch Wirtschaftskriminalität komplett international operiert, Ihre Untersuchungsrichter aber auf den nationalen Rahmen beschränkt sind. Eins aber ist sicher, wenn es gestohlene Werte gibt, sind sie nicht in Island. Daher brauchen Sie internationale Zusammenarbeit. Und dafür müssen sie zunächst mit allen kriminologischen Methoden Ihre Hausaufgaben machen.” “Mit Hausdurchsuchungen?”, fragt der Interviewer ungläubig (“in Island”, steht ihm auf die Stirn geschrieben). “Ja, natürlich”, antwortet die unerschrockene Norwegerin. “Nur so finden Sie heraus, ob jemand geheime Bankkonten hat. Und wenn Bilanzmanipulationen o.ä. stattgefunden haben, gibt es Verantwortliche dafür, und deren Vermögen ist dann zu beschlagnahmen.”
Eva Joly lenkte die Aufmerksamkeit auch auf die sogenannten Steuerparadiese, in denen die Fäden einer ganzen Schattenwirtschaft zusammenliefen. Derzeit ständen sie jedoch unter einem so starken Druck der Weltöffentlichkeit, daß sie sich höchstwahrscheinlich kooperativ zeigen würden. (Auf ein isländisches Beispiel komme ich noch zu sprechen.) Übrigens nannte sie neben den bekannten Aspiranten wie Liechtenstein und der Schweiz auch Zypern, das als Geldwäscheanstalt für russische Oligarchen gut im Geschäft sei, Belgien und die Niederlande als Steueroasen für multinationale Konzerne, da sie dort keine Steuern auf ihre Dividenden abführen müßten.
Für die Ermittler aber gebe es überall das gleiche Problem: Selbst wenn die Beweise erdrückend seien, käme es selten zu Verurteilungen, und zwar schon deshalb, weil die Materie und die Tricks so komplex und kompliziert seien, daß selbst Richter die Sachlage nicht mehr begreifen würden. “Und Richter, die etwas nicht verstehen, sprechen frei, Richter, die ein wenig faul sind, sprechen frei. Richter fühlen sich gut, wenn sie freisprechen, denn sie gehen davon aus, daß der Angeklagte der schwache Part ist und vor dem bösen Staat in Schutz genommen werden muß. Bei Wirtschaftsverbrechen ist es aber genau ungekehrt. Im Fall von Elf-Aquitaine standen wir mit drei Anklägern gegen sechzig Verteidiger. Und in manchen Ländern sind die Medien im Besitz der Angeklagten. Aufgrund der Voreinstellung der Richter und der Komplexität der Materie müssen Beweise einem Gericht ungeheuer überzeugend und auf eine sehr simple Weise dargelegt werden. Dabei müssen Sie genau aufzeigen, wie das Geld fließt, und Sie brauchen noch eine vereinfachte Darstellung, damit die Presse und die Öffentlichkeit folgen können. Dann haben Sie eine Chance, auch eine Verurteilung zu erreichen.
Island ist wirklich das Lehrbuchbeispiel einer Blase aus schlechtem Banking, Verantwortungslosigkeit und dem Fehlen internationaler Regulierungen, und das isländische Volk soll jetzt die Zeche dafür zahlen. Dieser Preis ist zu hoch, die Lage, in die Sie geraten sind, ist so schlimm, daß Sie gar keine andere Wahl haben, als die Ermittlung des Jahrhunderts zu betreiben und Gerechtigkeit zu schaffen, damit diese Leute nicht davonkommen, wenn sie kriminell gehandelt haben. Nur Ihre Ermittlungen können das herausfinden, und sie haben kein Recht, diese Ermittlungen nicht zu führen. - Leicht wird das nicht. Sehen Sie, fast überall auf der Welt mögen die Machthaber solche Ermittlungen nicht und sie wollen das Rechtswesen kontrollieren. Kommt ihnen ein Ermittler zu nah, wird er bedroht, manchmal getötet; oder man ändert kurzerhand die Gesetze, damit unabhängige Ermittlungen unmöglich werden. Das passiert sogar in den Ländern des alten Europa. Als man in England in einer Korruptionsaffäre bei British Aerospace im Umfang von 1 Milliarde Pfund ermittelte, stoppte die Regierung die Untersuchungen. In Frankreich operiert Präsident Sarkozy momentan gegen die unabhängigen Untersuchungsrichter.”
Eva Joly, eine imponierend klare, kluge und tatkräftige Persönlichkeit. Gestern wurde sie von der neuen isländischen Linksregierung als Beraterin verpflichtet.
(Quelle: Silfur Egils, RÚV, 8.3.2009)

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