War das herrlich! War das wunderbar! Wie Spanien gestern abend Italien zerlegt und vorgeführt hat, bis sich die arrogante squadra azzurra selbst aufgab und nicht einmal mit den sonst probaten unlauteren Mitteln versuchte, das Blatt noch einmal zu ihren Gunsten zu wenden. Ich habe nur zwei Versuche gezählt, aus nicht erfolgten Fouls Elfmeter zu schinden.
Nach seinen zwei Klasse-Toren gegen Deutschland hatte Rotzbengel Balotelli gewohnt großmäulig angekündigt, gegen Spanien vier Tore zu schießen, und exakt so viele Eier haben die Spanier gestern abend “Balotalia” ins Netz gelegt.
“Das Symbol des neuen Italiens”, wie Tuttosport den von Rassisten aus Italien vergraulten Balotelli nach dem Sieg im Halbfinale plötzlich geadelt hatte, stieß nach der desaströsen Niederlage im Finale wütend einen Trostspendenden beiseite und verschwand erst einmal lange in den Katakomben. L’Italia in lacrime. Ja, hinterher; vorher aber hatten Fans im Circus Maximus nazideutsche Hakenkreuzfahnen geschwenkt.
Wie sympathisch der italienische Profifußball dieser Tage wieder einmal rüberkommt – ich zähle die bekannten Einzelheiten nicht noch mal auf –, das hat den spanischen Schriftsteller und Kolumnisten bei El País, Eduardo Verdú, wohl auch zu seiner scharfen Abrechnung schon vor dem Spiel bewogen. In seinem Blog schrieb er am Morgen des Endspiels:
Italien ist der perfekte Gegner, weil es das Böse ist. Wäre Deutschland bis ins Finale durchgekommen, hätten wir dieses Duell als einen Kampf zwischen den beiden besten Mannschaften dieser EM auffassen können. Italien dagegen erscheint vielen von uns als eine Mannschaft, die es zwar zu fürchten gilt, die man aber nicht respektieren kann; effizient aber nicht bewunderungswürdig, wie das mit echten Bösewichten eben so ist.
Dank ihrer öffentlichen Äußerungen und ihrer angeberischen Spielweise, ihres Ruchs als Ultradefensivspieler und der Anschuldigungen wegen gekaufter Spiele .... ist Italien der ideale Feind.
Spanien ist eine saubere, geordnete, ausgeglichene, bescheidene Mannschaft, Italien hingegen eine chaotische und etwas kleinliche, kämpferisch zwar, aber kaum ästhetisch. Die Roten (La Roja) sind ein Jaguar. Italien ist ein Skorpion.
[Balotelli] hat nach seinem zweiten Tor gegen Deutschland sein Trikot weggeworfen, die Muskeln angespannt und stand mit eisigem Blick da, erratisch und provozierend wie ein Superheld des Dunkels, eindrucksvoll und schweigsam, mit seinem Hahnenkamm eines verruchten Gremlins. Ein Feind muss einem Angst einjagen können. Und Balotelli sah auch zum Fürchten aus, mit seinem Ruf eines Labilen, mit all den Beleidigungen von Gegnern und Schiedsrichtern, die sein Image des enfant terrible aus der Vorstadt prägten.
Ein Rivale soll nicht ein Gegner, sondern eine Antithese sein. Und das ist Italien für Spanien.
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Ich will Teneriffa nicht mit einem historischen Rückblick verlassen, sondern mit einem Blick auf etwas sehr Modernes, auf die neue Kunsthalle, die erst vor drei Jahren fertiggestellt und eröffnet wurde.
Auf mehr als 20000 Quadratmetern enthält das TEA hinter seiner immer wieder sich Einblicken öffnenden Fassade mit Glasbausteinen in der Form übergroßer Bildpixel nicht nur viel Ausstellungsfläche für zeitgenössische Kunst in Dauer- und Wechselausstellungen, sondern auch das Zentrum für Fotografie, ein Kino, natürlich eine ansprechende Cafeteria und vor allem eine sehr schöne multimediale Bibliothek.
Offene Rampen und breite Treppen führen auf mehreren Ebenen von außen durch das Gebäude, daß sich damit ebenso wie mit den großen Fensterflächen Passanten und Besuchern einladend öffnet. Die Bibliothek ist an jedem Tag der Woche rund um die Uhr geöffnet, also jederzeit erreichbar, und sie wird, wie ich feststellen konnte, auch zu ungewöhnlichen Zeiten rege genutzt. Entleihungen von Büchern, Musik und Filmen sind jedem gegen Hinterlassung der Adresse möglich. Ein spannender Kunstbau, der sich mitten im Alltag der Leute niedergelassen hat und zu einem Ort geworden ist, den sie auch wirklich zahlreich aufsuchen, um dort Kunstausstellungen zu besuchen oder einfach die Zeitung und Bücher zu lesen, Musik zu hören, zu studieren, ins Kino zu gehen, eine funktional sehr gelungene und ästhetisch ansprechende Architektur unserer Zeit zu erleben und vieles mehr.
Erdacht und erbaut wurde er von dem in Basel ansässigen Architektenbüro von Jacques Herzog und Pierre de Meuron, die unter anderem die Allianz-Arena in München, die Elbphilharmonie in Hamburg und das Pekinger Olympiastadion, das sogenannte “Vogelnest”, entworfen haben. In Santa Cruz gestalteten sie außerdem die zentrale Plaza Espagna zwischen Altstadt und Hafen neu. Teneriffa, viel mehr als ein Touristengrill, und Santa Cruz eine ziemlich rege Stadt, obwohl sie so weit weg von Europa und dem Mutterland draußen im Atlantik liegt.
Adios Tenerife!
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Derweil segelten die Engländer draußen vor Cadíz tagtäglich den ihnen zugewiesenen Seeabschnitt vor dem Wind ab und kreuzten dann gegen den Wind wieder zurück auf Los. Tag für Tag, Woche für Woche der gleiche Dienst, die gleichen Kommandos und Routinen, bei Freiwache in den fürchterlich engen Quartieren unter Deck. Nach zehn Wochen hörten die Männer, daß zwei auf Aufklärung ausgesandte Fregatten ihrer Flotte vor Santa Cruz de Tenerife in einem Handstreich ein spanisches Handelsschiff gekapert hatten. In den Laderäumen hatten die Engländer Silber im Wert einer halben Million Pesos gefunden, und ihre Kapitäne waren durch ihre Beuteanteile nun auf einen Schlag reich geworden. Die Mannschaften auf den Blockadeschiffen wurden unruhig, murrten, auch die Offiziere. Besonders der frisch zum Konteradmiral beförderte Nelson schlug seinem Admiral immer wieder vor, ihn mit einem Teil der Flotte zu den Kanaren zu schicken, um dort weitere Schiffe der spanischen Silberflotte abzufangen. Weitere Wochen vergingen, Gerüchte kamen auf, daß es in einigen Mannschaften gärte und Meuterei nicht mehr auszuschließen sei.
Der Auftrag, mit dem Jervis Nelsons Wünschen schließlich entsprach, ging dann noch weiter als dessen Erwartungen. Mit einer Flottille von drei Linienschiffen und drei Fregatten samt weiteren Hilfsschiffen, insgesamt 400 Kanonen und 4000 Mann, sollte Nelson Teneriffa angreifen und den Spaniern mit Santa Cruz einen wichtigen Versorgungshafen wegnehmen.
Mitte Juli 1797 kreuzten Nelsons Schiffe vor Santa Cruz auf und forderten von den Verteidigern erst einmal in einer förmlichen Note die Herausgabe aller Handelsschiffe samt Ladung. Der kommandierende General Antonio Gutierrez, ein altgedienter, erfahrener Soldat von 68 Jahren war nicht überrascht. Er hatte seit der Nachricht über die Niederlage bei San Vicente mit den Engländern gerechnet und die Verteidigung der Insel so gut wie möglich vorbereitet. Allerdings hatte er kaum 1700 teils zwangsrekrutierte Soldaten unter Waffen.
Einen ersten Landungsversuch der Engländer in der Nacht des 20. Juli konnten vor allem die schnell und präzise feuernden Mannschaften der Küstenbatterien erfolgreich zurückschlagen, bevor die Engländer einen Fuß an Land setzen konnten. Bei einem zweiten Versuch zwei Tage später landete zwar ein Kontingent von etwa 1000 Marinesoldaten am Strand von Valle Seco nördlich der Stadt, blieb aber im Feuer der kleinen Festung von Paso Alto und im ungewohnten Gelände unbeweglich liegen, bis der Kommandant, Kapitän Troubridge, auch dieses Unternehmen abbrach.
Nelson war wütend. General Gutierrez ahnte voraus, was er als nächstes versuchen würde. Er zog den Großteil seiner Männer aus dem Castillo Paso Alto ab und verlegte sie heimlich in die Hafenfestung San Cristóbal (sodaß die Engländer die geringe Zahlenstärke seiner Truppe nicht erkannten). Ganz richtig führte Nelson unter Breitseiten seiner Schiffsgeschütze persönlich seine Landungstruppen in der Nacht des 24. Juli direkt gegen den Hafen.
Sie wurden von den wachsamen Spaniern entdeckt und von verschiedenen Bastionen unter Kreuzfeuer genommen. Eine Abteilung unter Captain Bowen von der Fregatte Terpsichore schaffte die Landung und stürmte eine Hafenbatterie. Bei ihrem Versuch, in die Stadt einzudringen, wurde sie jedoch von anderen Geschützen mit Kartätschen, von Soldaten, Milizionären und Zivilisten von überallher unter Feuer genommen und erlitt heftige Verluste, darunter Captain Bowen. Nelson, dessen Gig um diese Zeit gerade die Hafenmole erreichte, wurde ebenfalls von einem Schrapnell getroffen, das ihm seinen Arm in Fetzen riß. Man ruderte ihn zur Theseus zurück, wo ihm der Schiffsarzt sofort den Arm amputierte und über Bord warf.
Nelsons Stellvertreter an Land, die Kapitäne Troubridge und Hood, drangen mit ihren Leuten ein Stück weit in die Stadt vor, mußten sich dort aber auf einem Platz bzw. in einem Kloster verschanzen, während der von einem Asthmaanfall geschwächte Gutierrez ihnen von einem Bataillon den Rückweg zum Hafen abschneiden ließ. Am Morgen erkannten sie ihre ausweglose Situation (nachdem eine weitere Welle von Booten, die Nelson zu ihrem Entsatz geschickt hatte, ebenfalls von den spanischen Kanonen versenkt oder zurückgeschlagen worden war) und unterzeichneten ihre Kapitulation. Gutierrez ließ sie sehr ritterlich unter Mitnahme ihrer Waffen und Fahnen auf die Schiffe zurückkehren. Die weit über hundert verwundeten englischen Soldaten wurden in den Spitälern der Stadt versorgt. 250 Engländer waren gefallen.
Gutierrez schickte Nelson zur Genesung einige Flaschen Wein an Bord. Nelsons Antwortbrief, in dem der britische Admiral zum Dank ein Stück Käse anbot, wird im spanischen Armeemuseum im Alcazar von Toledo gezeigt.
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Noch ein letzter Blick auf den Ozean vor Teneriffa und die gischtend herankochende Brandung. Nachzutragen bleibt noch der zweite zerschmetterte Arm an unserem Reiseweg: Nelsons.
1797. Die radikale Phase der Revolution in Frankreich ebbt nach der Hinrichtung Robbespierres ab, doch seine revolutionäre Volksarmee behauptet sich erfolgreich gegen den allseitigen Umfassungskrieg der Koalition der konservativen Mächte. Zuerst waren 1795 die den Hauptgegner Großbritannien finanzierenden Niederlande besiegt, besetzt und als "Batavische Republik" zum Verbündeten umgedreht worden. Nach dem unerwartet erfolgreichen Widerstand der französischen Freiwilligenheere und ihren Gegenoffensiven schied noch im gleichen Frühjahr 1795 in den Friedensschlüssen von Basel neben Preußen auch Spanien aus der konterrevolutionären Koalition der Monarchen gegen Frankreich aus. Im August 1796 schloß das Direktorium in der Sommerresidenz der Bourbonen, dem Schloß von San Ildefonso, mit Spanien sogar einen Angriffsvertrag gegen England und schaffte es so, neben der eigenen und der holländischen auch noch die spanische Flotte gegen England zu richten, dessen 15 Linienschiffe im Mittelmeer damit in eine aussichtslose Lage gerieten. Ihr Kommandant, Admiral Jervis, gab dem entsprechend seine unhaltbaren Positionen vor Korsika und Elba auf und zog die Flotte nach Gibraltar zurück. Von dort aus griff Jervis im Nebel vor dem portugiesischen Cabo de Sao Vicente am 14. Februar 1797 überraschend die zahlenmäßig überlegene, aber unvorbereitete spanische Flotte an, die von Cartagena zunächst nach Cadíz ausgelaufen war, um sich später bei Brest mit der französischen Flotte zu vereinigen.
Die spanische Flotte aus 24 Linienschiffen sowie 8 Fregatten, einigen Korvetten und etlichen Transportern war von einem heftigen Ostwind weit auf den Atlantik hinausgeblasen worden und lief an diesem Tag in zwei gänzlich ungeordneten Gruppen vor westsüdwestlichem Wind Richtung Kap Vicente. (Es heißt, daß von den zwischen 600 und 900 Mann Besatzung an Bord jedes der Linienschiffe nur jeder zehnte ein ausgebildeter Seemann gewesen sei.) Die gut gedrillte englische Flotte aus 15 Linienschiffen und 7 kleineren Schiffen kam überraschend aus Nord auf sie zu und fuhr nach Sichtung in Schlachtreihe genau zwischen den beiden spanischen Haufen hindurch und feuerte Breitseiten in beide Richtungen.
Nach dem ersten Vorbeilaufen gab Jervis am Mittag das Kommando zum nacheinander Wenden in Reihe, um den Spaniern nachzusetzen und sie ein zweites Mal unter Beschuß zu nehmen. Commodore Nelson, dessen Linienschiff Captain an drittletzter Position der englischen Schlachtreihe segelte, schätzte, daß die Engländer durch dieses Manöver zu viel Zeit verlieren würden und sich die Spanier unterdessen in Schlachtordnung formieren oder Richtung Cadíz entkommen könnten. Er mißachtete Jervis’ Befehl, halste auf der Stelle, brach so aus der englischen Schlachtreihe aus und segelte allein in den Kurs des größeren spanischen Geschwaders, das bereits nach Osten schwenkte, um sich mit der kleineren Gruppe zu vereinen. Nelson bot die Captain damit praktisch als Bauernopfer oder Kanonenfutter den Spaniern an, um sie so lange aufzuhalten, bis die eigenen Schlachtschiffe wieder heran waren. So geriet die Captain in das Feuer von sechs überlegenen spanischen Linienschiffen, unter ihnen General Cordobas Flaggschiff, die Santísima Trinidad, ein Vierdecker mit 130 Kanonen (wohingegen die Captain als Linienschiff 3. Klasse lediglich zwei Kanonendecks mit 74 Geschützen besaß). Wäre Nelsons Aktion fehlgeschlagen, hätte man ihn, sofern er seinen selbstmörderischen Alleingang überhaupt überlebt hätte, unweigerlich wegen Befehlsverweigerung vor dem Feind vor ein Kriegsgericht gestellt. Da er nicht fehlschlug, erklärte man ihn später zum riskantesten und kühnsten, schlechthin genialen Manöver seiner glorreichen Laufbahn.
Jervis erkannte offenbar Nelsons Absicht und signalisierte dem letzten Schiff der Schlachtreihe, der Excellent, Nelsons Manöver zu folgen. Eine halbe Stunde später war auch das erste Schiff der gewendeten Schlachtreihe, die Culloden, heran, und weitere britische Schiffe folgten. Gegen 14 Uhr strich das erste spanische Schiff die Flagge, sogleich gefolgt von einem zweiten, das sich einer Breitseite von Jervis’ HMS Victory gegenübersah.
Nelsons Captain lag inzwischen unter schwerem Beschuß, Fockmast und Steuerrad waren ihr weggeschossen worden. Die Excellent unter dem mit Nelson befreundeten Kapitän Collingwood schob sich dann zwischen die Captain und die spanische San Nicolas, und beide englischen Schiffe bestrichen den Spanier aus kaum mehr als fünf Metern Abstand mit Breitseiten. Nachdem er die San Nicolas passiert hatte, griff Collingwood das zweite spanische Linienschiff an, das die Captain unter Beschuß hatte. Die Prince George unter Konteradmiral Parker folgte und versenkte ebenfalls ihre Kugeln in der San Nicolas und der San José, die ihren Kommandanten, Konteradmiral Winthuysen, verlor.
Im dichten Pulverqualm und fast manövrierunfähig trieb die San Nicolas quer vor die San José und rammte sie mittschiffs. Nelson steuerte die Captain, so weit sie sich noch steuern ließ, ihrerseits gegen das Heck der San Nicolas und gab sofort den Befehl zum Entern. Es folgte Nelsons zweite einmalige Tat an diesem einen Tag, die als “Nelsons Patentbrücke zum Entern fremder Schiffe” in die Geschichte einging. Er selbst drang mit seinen Soldaten durch die Fenster der Heckgalerie in das erste spanische Linienschiff ein, das nur noch unzusammenhängend verteidigt wurde, und führte sie nach der Kapitulation des Spaniers über dessen Deck hinweg gleich zum Entern auch der San José. Zwischen den Kanonen der Prince George und Nelsons Soldaten des 69. Infanterieregiments in die Zange genommen, ergab sich auch dieses Schiff.
Insgesamt nahmen die Engländer an diesem Tag vier spanische Linienschiffe als Prisen, und das lädierte Flaggschiff Santisima Trinidad konnte nur unter dem Feuerschutz der übrigen spanischen Schiffe aus ihrer Reichweite geschleppt werden.
Nach dem Ende der Schlacht gegen Abend stellte sich Nelson noch in seiner zerrissenen Uniform an Bord der Victory ein. "The Admiral embraced me, said he could not sufficiently thank me, and used every kind expression which could not fail to make me happy."
Admiral Jervis, sonst in der Navy verschrien als Verfechter einer eisernen Disziplinarordnung, dankte seinem Untergebenen für die Befehlsverweigerung - und stärkte damit langfristig die Bereitschaft englischer Kapitäne zur eigenverantwortlichen Führung ihrer Schiffe. In London wurde Nelson zum Konteradmiral und Ritter des Bath-Ordens befördert. Jervis stieg zum Earl of St. Vincent auf.
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Ich schmiegte mich hinein, streckte mich behaglich aus und schlug ein Buch auf. Jünger, wiedermal. Am 25. Januar 1977 hatte er Las Teresitas gegenüber in Agadir in sein Tagebuch notiert: "Ein Bad im Schwimmbecken des Salam. Schöne Mädchen aus Finnland sonnten dort ihre Brüste – ein angenehmer Anblick, der noch im vorigen Jahre nicht gewährt wurde."
Da war der Kerl 81 Jahre alt, und sollte noch volle zwanzig Jahre bei guter Gesundheit vor sich haben.
Ich hob den Blick über das Buch und sah das Gleiche wie damals Jünger. Die Bademode hatte sich auch in Spanien seit der Zeit meiner eigentlichen Reiselektüre entwickelt. Der niederrheinische Vigoleis hatte in der Zeit seines mallorquinischen Aufenthalts in der ersten Hälfte der 1930er Jahre noch ganz andere Sitten gesehen: "Vergesse der Leser nicht, daß wir uns in Spanien befinden, wo die Frauen mit ihrer Leibesschönheit geizen."
Nein, nein, hier und heute geizten die Frauen ebensowenig wie sintemalen in Agadir. Doch auch der lebenslustige Greis hatte seine Augen hin und wieder abwenden und landeinwärts blicken können.
"Die Hotelkette breitet sich dort mit erschreckender Geschwindigkeit aus. – Man sieht phantastische Landschaften voraus: die Große Deponie."
Die Große Deponie. Da hatte er mit seinem klassifizierenden Blick wieder einmal den "Typus" in einen Begriff gefaßt, der sich auf all diese Orte treffend anwenden läßt, ob Agadir, Puerto de la Cruz oder irgendein anderes der beliebig aufzählbaren Betonbettengebirge hinter den Badestränden dieser Welt.
Am folgenden Tag trug Jünger in sein Tagebuch Siebzig verweht ein:
"Alle Ansprüche sind unglaubwürdig geworden, sind nicht mehr zwingend – jedenfalls für den intelligenten Einzelnen. Gerade wenn die allgemeine Freiheit schwindet, wächst ihm die eigene. Die Lage muß neu überdacht werden, hat man Götter, Staat und Gesellschaft hinter sich gebracht."
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Arturo vom Institut für Astrophysik der Kanaren öffnet in der runden Kuppel von Themis das Ausguckloch für das große Teleskop, Durchmesser 90 cm. Kalte Außenluft strömt in in die ohnehin kühle Kuppel. Sie soll helfen, das Teleskop unter dem Einfall der gebündelten heißen Sonnenstrahlen zu kühlen.
Langsam rotieren Kuppelöffnung und Teleskop aufeinander zu. Als sie übereinander liegen, wird es dunkel in der Kuppel.
Was wir dann im Beobachtungsraum am Bildschirm sehen, könnte ein Blick auf die Oberfläche der Sonne sein, aber ebenso bloß eine vom Computer generierte Grafiksimulation des Bildschirmschoners. Uns kann man viel erzählen.
Die beiden Solarphysiker, Arturo und Nikola, behaupten, der schwarze Fleck in der oberen Bildschirmhälfte sei ein Sonnenfleck. Sie sind die Fachleute. Wir tendieren dazu, ihnen zu glauben. Da legt Nikola nach: Dieses eine schwarze Loch ist so groß, darin könnte die Erde ebenso mühelos wie spurlos verschwinden. Wir nicken und bleiben stumm.
Der Leviathan. Das Ding pulsiert leicht. Vielleicht schürzt es gerade die Wulstlippen, um uns anzusaugen.
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Es folgten Ravinen in weichen Tuffschichten, die wieder auf Asche aus anderen Ausbrüchen auflagen. Die Straße schnitt durch sie hindurch. Höher hinauf auf den ringförmigen Rand alter Krater. An einer Seite war er in einem gewaltigen Bergsturz weggebrochen. Da fiel die Wand fast senkrecht in die Tiefe. Wir bogen von der Straße in einen Seitenweg, der hinaus auf einen zwar breiten, aber zu beiden Seiten ausgesetzten Grat führte. Alte, teils von Flugsand überdeckte Schneefelder lagen noch neben der Straße. Vor uns nochmal ein Anstieg, und da oben standen sie, die blendend weißen Götzen eines neuen Sonnenkults. Der Himmel darüber von reinstem und klarstem Blau, obwohl weit unten - wir befanden uns inzwischen auf bald 2400 Metern Höhe - eine dünne Wolkenschicht trieb und den Blick auf das Tiefland, Küste und Meer verdeckte.
Humboldt hat auf dem Teide dasselbe gesehen und beschrieben:
“Wir beobachteten in der Dämmerung eine Erscheinung, die auf hohen Bergen häufig ist, die aber bei der Lage des Vulkanes, auf dem wir uns befanden, besonders auffallend hervortrat. Eine weiße flockige Wolkenschicht entzog das Meer und die niedrigeren Regionen der Insel unseren Blicken. Die Schicht schien nicht über 800 Toisen [1560 m] hoch; die Wolken waren so gleichmäßig verbreitet und lagen so genau in Einer Fläche, daß sie sich ganz wie eine ungeheure mit Schnee bedeckte Ebene darstellten. Die colossale Pyramide des Piks, die vulkanischen Gipfel von Lanzerota, Forteventura und Palma ragten wie Klippen aus dem weiten Dunstmeer empor. Ihre dunkle Färbung stach grell vom Weiß der Wolken ab.”
Über uns aber klare, dünne Luft und ein entsprechend transparentes Blau. Es war sofort ersichtlich, weshalb viele astronomische und solare Forschungseinrichtungen aus verschiedensten Ländern Europas ihre Beobachtungsstationen und Teleskope hier oben im Instituto de Astrofisica de Canarias am Rand des Teide errichtet hatten. Links stand das deutsche Observatorium, rechts das französisch-italienische: THEMIS: Télescope Héliographique pour l'Etude du Magnétisme et des Instabilités Solaires.
"Tochter des Uranos und der Gaia, also aus dem Geschlecht der Titanen. Zeus' zweite Gattin, die ihm die Horen und die Moiren gebar." - Damit hätte ich ehrlich gesagt mehr anfangen können. Aber hier erwartete uns ja gerade ein kurzer, erster Einblick in einen Wissenschaftsbereich, von dem ich so viel verstand wie ein Australopithecus vom Internet.
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"Die Besteigung des Vulkans von Teneriffa ist nicht nur dadurch anziehend, daß sie uns so reichen Stoff für wissenschaftliche Forschung liefert; sie ist es noch weit mehr dadurch, daß sie den, der Sinn hat für die Größe der Natur, eine Fülle malerischer Reize bietet."
(Alexander von Humboldt)
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“Von Santa Cruz aus nimmt sich der Pic weit weniger malerisch aus als im Hafen von Orotava. Dort ergreift der Gegensatz zwischen einer lachenden, reich bebauten Ebene und der wilden Physiognomie des Vulkanes. Man begreift, wie sogar Völker, welche unter dem schönen Himmel von Griechenland und Italien wohnen, im östlichen Teil von Teneriffa eine der glückseligen Inseln gefunden zu haben meinten.”
Alexander von Humboldt bestieg den Gipel des Teide am 21./22. Juni 1799 in 21 Stunden und einer ungemütlich kalten Nacht “ohne Zelt und Mäntel” auf fast 3000 Meter Höhe. Wir nicht. Wir verhielten uns eher wie Humboldts einheimische Führer, deren “Faulheit und übler Wille” viel dazu beitrugen, ihm “das Aufsteigen sauer zu machen”. Sie waren “träg zum Verzweifeln: sie setzten sich alle zehn Minuten nieder, um auszuruhen; sie warfen hinter uns die Handstücke Obsidian und Bimsstein, die wir sorgfältig gesammelt hatten, weg, und es kam heraus, daß noch keiner auf dem Gipfel des Vulkanes gewesen war.”Unsere Entschuldigung konnten wir aber auch bei Humboldt finden: “Wenn der Zuckerhut mit Schnee bedeckt ist, so kann die Steilheit des Anhanges den Reisenden in die größte Gefahr bringen.” Und Schnee lag noch reichlich da oben. Die ganze Gipfelregion war ein Zuckerhut, und über die Flanken des Kegels zogen sich Schneefelder weit hinab. Außerdem hatten wir ein sehr verlockendes und einmaliges Alternativangebot bekommen. Ein befreundeter Solarphysiker von der Universität Leiden hielt sich gerade zu Beobachtungen im französischen Sonnenobservatorium THEMIS auf dem Kraterrand des Teide auf und erbot sich, uns durch das sonst nur Wissenschaftlern zugängliche drittgrößte Teleskop der Welt einen Blick auf die Oberfläche der Sonne werfen lassen.
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Der Bus quälte sich die schmale Straße hinauf, die in engen Kehren und Serpentinen aufwärts führte. Die Berge falteten ihre steilen Hänge wie ein Gebirge aus zerknülltem Papier; steil, scharfe Kanten, Grate und Klüfte. Die Straße wand sich daran entlang, überwand manche Schlucht durch einen kühnen Sprung auf waghalsiger Brücke hinüber zum nächsten Hang, balancierte auf schmalem Sims wie auf Zehenspitzen weiter und klammerte sich über einem steilen Absturz in die Wand. Was oben kam, lag in Wolken: das Anaga-Gebirge, das die Nordspitze Teneriffas bildet, 1000 Meter hoch.
Seltsame Pflanzen begrünten die Hänge, endemische Sukkulenten und Dickblattgewächse, Lorbeerwald, Wolfsmilch und so etwas wie ein langstieliger Löwenzahn, der gut einen halben Meter hoch wurde.
Oben stiegen wir im Nebel aus; ein altes Forsthaus, eine verlassene Haltestelle, ein Wegweiser, der mit seinen vier Armen auf winzige Ortschaften hinter den sieben Bergen bei den sieben Zwergen wies. Die Pfade, die in diese Richtungen von der Straße abzweigten, waren Tunnel, Röhren, die durch nicht hohe, aber auch oben dicht geschlossene Walddickichte abwärts führten. Wir vertrauten uns der nächstbesten an, weil eins wie’s andere aussah, und liefen und stiegen, mal mehr mal weniger steil, mal auf, mal ab, ohne etwas von der Landschaft zu sehen, eingeschlossen in ein düster dämmeriges Grün aus Bartflechten, Moos, Farn und flechtenüberzogenen Baumstämmen, unter denen die Luft von einer klammen, kühlen Nässe gesättigt war, von der man erwartete, daß sie einem in jedem Moment kalt in den Nacken tropfen könnte. An einigen Anstiegen waren vor langer, langer Zeit Stufen aus dem Fels gehauen worden, inzwischen von unzähligen Schritten ausgetreten und längst von Moos überwachsen. Das Moos, die Bäume, die Nässe dämpften jeden Schritt und jeden Laut, nur ab und zu drang von irgendwoher aus der Tiefe Bellen zu uns herauf; da schlug auf einsamem Berghof ein angeketteter Hofhund an. Aber was betraf uns die Welt da unten? Das hier war eine andere Welt als die unterhalb der Wolken, wo zur gleichen Zeit Menschen an den Pools oder am Strand nichtsahnend in der Sonne lagen.
Irgendwann schwang sich der Weg wieder nach oben und lief bald auf einen Grat hinaus, wo die Bäume nicht mehr so dicht stehen konnten. Es lichtete, und die Sonne hatte begonnen, am Nebel zu zehren, er dünnte aus, fledderte, und nach einer Weile und einigen Biegungen öffnete sich der Blick bis hinab aufs Meer:
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