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Freitag, 23. Oktober 2015
Siebzig verweht

Pforzheim, 23. Oktober 1945
„Ich ging in das nahe Eutingen und bat im Rotkreuzheim um eine Lagerstatt. Dort schlief ich in chinesischer Enge zwischen Männern, Frauen und Kindern in einem Kellerraum [...] Ich lauschte der Unterhaltung; es war gut, daß mich das Schicksal an diesen Ort geführt hatte. Nur allzuleicht weicht man dem ungeheuren Leiden aus wie einer Wunde, deren Anblick man sich nicht gewachsen fühlt.
Ich war unter eine Gruppe von Flüchtlingen geraten, die sich aus Ostpreußen und Pommern nach dem Westen durchgeschlagen hatten — eine Mutter von etwa vierzig Jahren mit ihrer Tochter, zwei Männer und ein Knabe, der auf der Suche nach seinen Eltern war.
Die Leute erzählten, daß sie auf ihrer Wanderung in großen Scheunen kampiert hätten, die Nacht für Nacht von den Russen durchsucht wurden, Sie schilderten die Einzelheiten — so das Gefühl heftigen Frierens, wenn Kolbenschläge und Flintenschüsse die Riegel, die sie vorgelegt hatten, zerschmetterten. Die Frauen versteckten sich unter dem Stroh, doch wurden sie meist gefunden, da man mit Forken durch die Bündel stach. Auch ließ man sich durch die kleinen Kinder ihnen zuführen. Die Mutter erzählte dann von einer Szene, bei der sie sich zwischen die Soldaten und ihre Tochter geworfen hatte und sich an deren Stelle vergewaltigen ließ.
»Ich bin fünfmal vergewaltigt worden, ehe ich die Elbe überschritt.«
Ich hatte den Eindruck, mit Geistern von Abgeschiedenen am Tisch zu sitzen, die über Dinge vor ihrem Tode berichteten.”

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