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Montag, 19. Oktober 2015
"Man muß die Situationen schaffen"

„Im übrigen war es ein schöner Frühlingstag. Wenn ich zurückblicke, will es mir scheinen, daß ich in Abschnitten der Anarchie nicht nur besonders heiter war, sondern auch besser arbeitete. Ich muß das schon früh, schon als Kind gewußt haben, daher wohl auch die Sehnsucht nach den Urwäldern. Die ungeheure Last, der atmosphärische Drude der Zivilisation verschwindet dann. Die Dinge werden gefährlicher, aber auch einfacher. Die Gedanken verlieren ihre Verbrämungen. Das Leben wird üppiger; Vorräte, selbst Lebensmittel, strömen zu.”

Das schreibt einer in seinem gerade noch bombardierten, vor zwei Tagen erst von den Amerikanern besetzten Dorf Mitte April 1945. Die Alliierten haben Deutschland zu großen Teilen eingenommen und rücken weiter vor, aber noch ist der Krieg nicht zu Ende, Hitler lebt noch, am nächsten Tag beginnt die Schlacht um Berlin, Flüchtlingstrecks ziehen zwischen den Armeen kreuz und quer durch das in Trümmern liegende Land, es herrscht allgemeine Auflösung, Chaos. Jünger ist gefaßt wie einer, der mit dem Leben abgeschlossen hat, doch er resigniert nicht. Bei einem Blick aus dem Fenster hält er fest:

„Draußen geht der Vorbeizug der befreiten Russen und Polen weiter, zugleich die Plünderung [...] Der Besitzer des großen Gutes, das ich vom Schreibtisch aus erblicke, wurde in der Nacht von polnischen Arbeitern ermordet, weil er ihnen Benzin verweigerte [...] Gestern hatten wir drei Franzosen bei uns, angenehme Leute, wie wir überhaupt jedem, der vorspricht, nach Möglichkeit helfen, sei es mit Nahrung, sei es durch Unterkunft. Das ist nicht nur das menschlich Gebotene, sondern zugleich der beste Riegel, der sich gegen das Geplündert-Werden vorschieben läßt. – Man muß die Situationen schaffen, nicht annehmen.” (24.4.45)

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