Immer wieder schreibt Kleist in seinen Briefen davon, daß er die Tat höher schätze als jeden Gedanken und alles Wissen. Nachdem er im Oktober 1803 in Paris aus mangelndem Glauben an seine schriftstellerische Begabung sein aktuelles Manuskript verbrannt hat, will er (der angebliche deutsche Patriot) sich freiwillig der französischen Armee anschließen, mit dem erklärten Vorsatz, “den schönen Tod der Schlachten” zu sterben. Seiner unermüdlichen Gönnerin am preußischen Hof in Potsdam, Marie von Kleist, schreibt er als innigste Dankesbezeugung, zu der er fähig ist:
“Ich würde Ihnen den Tod wünschen, wenn Sie zu sterben brauchten, um glücklich zu werden.”
Als 1808 die Uraufführung seines bis heute erfolgreichsten Lustspiels Der zerbrochene Krug in der Regie Goethes beim Weimarer Publikum durchfiel, soll Kleist sich dermaßen erregt haben, daß er den berühmten Geheimen Rat zum Duell fordern wollte. Ob das nun der Wahrheit entspricht oder ins Reich des sächsisch-thüringischen Klatsches gehört, muß dahingestellt bleiben, dem preußischen Minister Friedrich von Raumer hat er 1811 jedenfalls schriftlich angedroht, Satisfaktion von ihm zu fordern. Es brauchte einige geharnischte Briefe vom durchaus temperamentvollen Staatskanzler Hardenberg, um Kleist zum Einlenken zu bewegen. Und auch dann noch versuchte er, fast selbst ein kleiner Kohlhaas, den mächtigen Kanzler noch durch eine Eingabe beim König zu übertrumpfen.
Mathieu Carrière war mit 15 “Der junge Törleß”, fünf, sechs Jahre später, in den wilden Siebzigern, stand er mit Orson Welles, Raquel Welch, Richard Burton und Brigitte Bardot vor der Kamera. Doch “weder ging er nach Hollywood, noch schlug er im deutschen Theater Wurzeln. Stattdessen trat er, in eigensinnigem Zickzack, mal im europäischen Kino, mal im öffentlich-rechtlichen Fernsehen auf. Er war der zackige Deutsche in „India Song“ von Marguerite Duras und ein preußischer Militärjunker in Schlöndorffs „Fangschuss“, ein zynischer Schönling in David Hamiltons „Bilitis“ und der junge Aufsteiger Karl Siebrecht in der ZDF-Kostümserie „Ein Mann will nach oben“”, gratulierte die FAZ in einem Artikel zu Carrières 60. Geburtstag. “Und während er alle diese Figuren mit nonchalanter Leichtigkeit verkörperte, schrieb er an einem sehr gelehrten, sehr komplizierten Buch über Kleist und die Literatur des Krieges”. Da war er Student und Mitarbeiter von Gilles Deleuze. Dennoch halte ich diesen Essay für einen der anregendsten, die ich über Kleist gelesen habe.
“Wie erzeugt man ein Katastrophenklima, das die Materie schreien oder singen läßt?”, ist eine der ersten Fragen, die er Kleists Texten stellt. “Beim Lesen von Kleists Dichtung gerät das Gemüt in eine stampfende, jagende Bewegung”, beobachtet er, “die Sprache wird zu einer realen Masse, die versucht, in ihrem Beschleunigungsprozess Stücke anderer realer Massen mit sich fortzureißen.” “Natura non fecit saltus – das ist das Credo seiner Feinde.”
Ein Mann, der vor einem Gewitter Schutz unter einem Baum sucht, wird von einem anderen, der bereits unter dem Baum steht, abgewiesen. Als er sich im Regen noch einmal umdreht, sieht er, wie ein Blitz in den Baum schlägt und den Mann darunter zu Asche verbrennt: “Kleist setzt Affektbewegungen an die Stelle von Gefühlszirkulation”.
“Alles, was Kohlhaas will, ist ein guter Bürger sein; aber er zeigt, daß auch der ehrenwerteste Wunsch sich in eine Kriegsmaschine verwandeln kann, wenn dieser Wunsch zum Affekt wird.” “Affekt, das ist die Aktion am Körper des Feindes.” “Affekte zirkulieren machen heißt unbewußtes Begehren produzieren”, “das Geheimnis funktioniert als Transportlogik der Affekte”: Der geheimnisvolle Zettel, überreicht von der geheimnisvollen Zigeunerin, mit den lebenswichtigen Informationen für den Kurfürsten, den Kohlhass verschlingt, um den absolutistischen Landesherrn noch auf dem Schafott ins Mark zu treffen.
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