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Montag, 9. Dezember 2013
1914. Avantgarden im Kampf

Den wesentlichen Beitrag zum fragwürdigen “Jubiläumsjahr” 2014 haben wir vielleicht schon gestern in der Bonner Bundeskunsthalle gesehen, die Ausstellung:
“1914. Die Avantgarden im Kampf".

Angesichts ausbrechender Kriege fragen wir uns so oft zu recht: Wo und wie beziehen Künstler als prominente und öffentlich wahrgenommene Persönlichkeiten dazu Stellung? Wie reagieren sie politisch, vor allem aber auch künstlerisch? Wie gestalten sie Protest, Widerstand oder ihre Stellungnahmen? Oft genug fällt eine Bestandsaufnahme sehr bescheiden aus. Wo ist z.B. der überzeugend formulierte Aufschrei von Künstlern aus dem In- und Ausland gegen den ersten Krieg auf europäischem Boden nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs zu hören oder zu sehen gewesen? Ist nicht die hektische Abwehr von Handkes Serbiensolidarität nach den Kriegen in Jugoslawien noch das am meisten in Erinnerung Gebliebene?

Im Angesicht des Ersten Weltkriegs aber haben die Künstler reagiert. Und wie! Wenn auch oft mit erzwungen bescheidenen Mitteln wie Bleistift und Papier und in kleinen Formaten haben sie damals wahrhaft große Kunst geschaffen. 300 beeindruckende bis erschütternde Bilder haben die Bonner Aussteller zusammengetragen und sie in klar nachvollziehbaren Entwicklungslinien zueinander in Beziehung gesetzt.
Etliche der Künstler reagierten auf die Ausrufung des Großen Kriegs anfangs natürlich genauso mitgerissen und begeistert wie die aufgeputschten Massen:
"Draußen das wunderbar großartige Geräusch der Schlacht, diese eigenartig schaurig großartige Musik. Wie wenn die Tore zur Ewigkeit aufgerissen werden, ist es, wenn so eine große Salve herüberklingt." Schrieb Max Beckmann von der Front. Ernst Barlach schuf die wütende Skulptur eines “Rächers” als Antwort auf die Kriegserklärung Englands. Picasso soll angesichts eines Geschützes in kubistisch gezackter Tarnbemalung begeistert ausgerufen haben: “Das haben wir geschaffen!” Und Kipling desavouierte sich für ewig und drei Tage, indem er aus patriotischer Besoffenheit und Deutschenhaß alle Hebel in Bewegung setzte, um seinen zweimal als untauglich ausgemusterten Sohn John doch noch in den Krieg schicken zu können. Das Letzte, was man von ihm sah, war, wie der achtzehnjährige Junge mit weggeschossenem Gesicht blutend und schreiend über das Schlachtfeld von Loos wankte, wo die Alliierten im September 1915 zum ersten Mal Giftgas einsetzten. (Der vielgeschmähte Autor der “Stahlgewitter”, im selben Jahr auf deutscher Seite ebenfalls an der Westfront zum ersten Mal verwundet, der seinen Sohn im nächsten Weltkrieg verlor, hat sich da auch als Vater sehr viel besser verhalten.)

Die schockartige Ernüchterung durch das Grauen in den Schützengräben kam unvermeidlich, und aus dem Grauen entstand große, wahrhaftige Kunst. Natürlich sind bekannte Namen wie Picasso, Marc, Nolde, Klee, Kandinsky oder Dix in der Ausstellung vertreten, Dix u.a. mit seinem Selbstbildnis als Mars und der flammend schwarz-roten “Straße der Bordelle”, aber für mich sind die größeren Entdeckungen in der bemerkenswerten Ausstellung Bilder von weniger prominenten Künstlern wie Walter Grammatés Radierung “Die große Angst”, Willy Jaeckels Zeichnung “Kampf im Schützengraben” von 1914, Alfred Kubins “Weber-Mappe” (1903) oder Max Slevogts Lithographie “Pegasus im Kriegsdienst” von 1917, die an Goya und die “Desastres de la guerrra” erinnert. Eindrucksvoll auch eine Wand, an der die letzten fotografischen Aufnahmen von Künstlern hängen, die alle im Krieg gefallen sind. Auf einem sieht man, wie der 27-jährige Leutnant Franz Marc, in einen wehenden Mantel gehüllt, mit einem Kameraden zwischen Häusern und kahlen Bäumen auf ein nebliges Feld hinausgeht. Wenige Tage später war er tot, im März 1916 bei Verdun von Granatsplittern tödlich getroffen. Die zerfetzten Leichenteile und Knochen vieler anderer Künstler landeten mit denen Millionen anderer nicht identifiziert in den Massengräbern von Ypern oder Langemark.
Das Zerfetzen der alten Malerei unter dem unmittelbaren Eindruck der millionenfachen Vernichtung von Leben durch industriell hergestellte neue Massenvernichtungswaffen, die Explosion neuer Stile und Sichtweisen mitten im Kriegsgeschehen und der Aufschwung der Kunst in der psychischen und künstlerischen Bearbeitung des Erlebten sind in der Ausstellung sehr genau zu sehen.

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