1| “Wir leben in Zeiten, in denen ununterbrochen fragestellende Mächte an uns herantreten. Und diese Mächte sind nicht nur von idealer Wißbegier erfüllt... Man wird das an der Entwicklung verfolgen können, die vom Wahlzettel zum Fragebogen führt.
Die Beteiligung erscheint gefährlich, wo man die Wissenschaft des Fingerabdrucks und durchtriebene statistische Verfahren in Rechnung ziehen muß. Warum soll man denn wählen in einer Lage, in der es keine Wahl mehr gibt. Die Antwort lautet, daß unserem Wähler durch den Wahlzettel Gelegenheit geboten wird, sich an einem Beifall spendenden Akt zu beteiligen.
Diktaturen ist der Nachweis wichtig, daß die Freiheit, Nein zu sagen, bei ihnen nicht ausgestorben ist... Diktaturen können von der reinen Zustimmung nicht leben... bei hundert Prozent guter Stimmen [würde] der Terror sinnlos werden... Zwei Prozent weisen nach, daß zwar die Guten in ungeheurer Mehrheit, doch auch nicht gänzlich ungefährdet sind.
Das ist der Punkt, an dem der Wahlzettel zum Fragebogen wird... Man darf gewiß sein, daß jene zwei Prozent nach den Regeln der doppelten Buchführung auch in anderen Registern als denen der Wahlstatistik in Erscheinung treten, wie etwa in den Namenslisten der Zuchthäuser und Arbeitslager.”
2| “Wir wollen uns damit begnügen, die eigenartige Figur des Mannes zu betrachten, der ein solches Lokal in der festen Absicht, mit Nein zu stimmen, betreten hat.
Indem unser Wähler sein Kreuz an die gefährlichste Stelle setzte, tat er gerade das, was der übermächtige Gegner von ihm erwartete. Das ist die Tat eines gewiß tapferen Menschen, aber zugleich eines der zahllosen Analphabeten in den neuen Machtfragen... Er gab, indem er sich dabei ganz unverhältnismäßig gefährdete, dem Gegner die erwünschten Aufschlüsse.
Der Wähler steht vor der Klemme, daß er zur freien Entscheidung eingeladen wird durch eine Macht, die sich ihrerseits nicht an die Spielregeln zu halten gedenkt... Daher kann niemand ihm einen Vorwurf machen, wenn er nicht auf die Fragestellung eingeht und sein Nein verschweigt. Er ist dazu berechtigt nicht nur aus Gründen der Selbsterhaltung, sondern es kann sich in diesem Verhalten auch eine Verachtung dem Machthaber gegenüber offenbaren.
Man könnte fragen, ob denn die eine, auf dem Stimmzettel vermerkte Absage sinnlos sei? – Nein, eine solche Stimme kann nicht verloren gehen... Sie wird den Gegner nicht erschüttern, doch verändert sie jenen, der sich zu ihr entschloß.”
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