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Freitag, 16. November 2012
Pupu oder Die Furcht (Waldgang V)

“Meine Eltern waren vor meiner Geburt genauso verantwortungslos wie danach. Nachdem sie sich bei Großmutter durch ein gewaltiges Weihnachtsessen mit elf Gängen geschlemmt hatten, zeugten sie mich ohne die geringste Vorstellung, wozu sie mich überhaupt haben wollten. Das läßt sich am besten dadurch beweisen, daß sie mir ein deutsches Kindermädchen besorgten, daß mir Deutsch als erste Sprache beibrachte.
Ich hatte drei ältere Brüder. Keiner von ihnen sprach Deutsch. Mein Vater hatte in Dresden studiert und sprach Deutsch, hatte mir aber ungewöhnlich wenig zu sagen. Meine Mutter sprach ein ganz leidliches Schuldeutsch, aber sie war nicht oft zu Hause. Mein Vater mochte die Art nicht, wie das Kindermädchen nach Berliner Manier das R in Fenster verschluckte, und darum begann er ironisch, mich auf Französisch Beau zu rufen. Meine Brüder, die weder Deutsch noch Französisch konnten, machten aus Beau Bobo, und mit diesem Namen, der am besten zu einem Schimpansen paßt, sollte ich unter Menschen leben, von denen die meisten ein B als P aussprechen. Für sie war ich Popo oder Pupu und das bedeutet auf Finnisch Hase. Es ist aber nicht leicht, ein Hase unter Menschen zu sein, die sich für Gottes auserwählte Helden halten.”

(Henrik Tikkanen: Brändövägen 8)

8| “Die Grundfrage in diesen Wirbeln lautet, ob man den Menschen von der Furcht befreien kann. Das ist weit wichtiger, als ihn zu bewaffnen oder mit Medikamenten zu versorgen. Macht und Gesundheit sind beim Furchtlosen. Dagegen belagert die Furcht auch die bis an die Zähne Gerüsteten, ja gerade sie.
Die Furcht wird immer der große Partner im Dialoge bleiben, wenn der Mensch mit sich zu Rate geht. Sie strebt dabei zum Monologe, und erst in dieser Rolle behält sie das letzte Wort.
Wird sie dagegen in den Dialog zurückverwiesen, dann kann der Mensch mitsprechen. Damit fällt auch die Einbildung umstellt zu sein. Es wird außer der automatischen immer noch eine andere Lösung sichtbar sein. Das heißt... die freie Entscheidung ist wiederhergestellt.
Ob er aber ein Schicksal habe oder als Ziffer gelte, das ist die Entscheidung, die heute zwar jedem aufgezwungen wird, doch die er allein zu fällen hat.
Der Mensch muß wissen... ob er sein So-Sein höher als sein Da-Sein schätzt."

(Ernst Jünger: Der Waldgang)

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