Sonntag, 26. Juni 2011
Zarte Schuhabdrücke
oder was man findet, wenn man etwas über einen Garten erfahren möchte
oder was man findet, wenn man etwas über einen Garten erfahren möchte
Im Jahr 1801 gab es in der erst sechs Jahre jungen Batavischen Republik der Niederlande einen kleinen Staatsstreich, diplomatisch eingefädelt vom Ersten Konsul der Schutzmacht Frankreich, Napoleon Bonaparte, der immer mehr monarchische Bestrebungen erkennen ließ. So wurden durch eine von ihm erzwungene Verfassungsreform demokratische Errungenschaften auch in der Batavischen Republik wieder zurückgenommen, und man bezeichnete den niederländischen Satellitenstaat Frankreichs fortan offiziell lieber als Bataafs Gemenebest.
Drei Jahre nach dem Coup kam der Ratgeber des holländischen Königshauses Baron Arnold Willem van Brienen in den Besitz des schönen Barockschlößchens Clingendael beim Regierungssitz Den Haag. (Sein Stadtpalais dort war das heutige Hotel des Indes.) Clingendael blieb Eigentum derer van Brienen bis zum Tod ihrer letzten Vertreterin, der Baroneß Marguerite Marie van Brienen van de Groote Lindt, 1939. Die Baroneß besaß ausgezeichnete Verbindungen auch zu ausländischen, besonders britischen Adelskreisen und sprach angeblich mehr Englisch als Holländisch.
Seit den Weltausstellungen in Wien 1873 und Paris 1889, auf denen nach der jahrhundertelangen Isolation des Landes die ersten japanischen Gartenpavillons und -anlagen in Europa zu bestaunen waren, kam es zu einer kleinen Japanwelle in den Parks mondäner englischer Gartenbesitzer. Zu ihnen gehörte auch Frances Maynard, seit ihrer Heirat mit Francis Greville Lord Brooke, dem 5. Earl of Warwick, nicht nur Erbin der Ländereien ihres Großvaters, dem Viscount Maynard, sondern auch Herrin auf Warwick Castle (gegründet von Wilhelm dem Eroberer) mit seinem fast drei Quadratkilometer großen Park.
“It was not uncommon in the Victorian era for a married woman of social prominence to become romantically involved with a man higher on the social ladder than her husband. This was often with the husband's knowledge, as it could also assist in his advancing socially or politically, and was considered normal for the times.” (English Wikipedia)
Lady Brooke of Warwick, von vertrauten Freunden kurz Daisy genannt, unterhielt mehrere solcher Affairen, die bekannteste – sie sorgte selbst dafür, daß sie bekannt wurden, weshalb man sie in ihren Kreisen auch gern “Babbling Brooke” nannte – war eine über Jahre andauernde mit dem damals “ewigen” Prince of Wales, dem späteren König Edward VII. Sie bestand immerhin zwölf Jahre. Danach nahm sich die schöne Daisy, die selbst Rodin Modell stand, andere Liebhaber; einer ihrer Favoriten war das Vorbild für “John Bull”, Admiral Lord Beresford, ein anderer der schnauzbärtige Brigadegeneral Joseph Laycock, mit dem sie zwei Kinder hatte.
“Brookie, to whom Daisy remained married until his death in 1924, proved to be a man of surprising and devoted resilience, tolerant not only of his wife's endless affairs but of the arrival of children in whose creation he had no part”, schreibt eine ihrer Biografinnen, Sushila Anand.
“Brookies” Bruder, Louis George Grenville, war zeitweilig britischer Botschafter in Tokyo und ließ sich nach seiner Heimkehr bei seinem Landsitz Heale House einen japanischen Garten anlegen; seine Schwägerin folgte diesem Beispiel bei ihrem eigenen Lieblingslandhaus, Easton Lodge in Essex."
Baroneß van Brienen in Den Haag unterhielt beste Beziehungen zu diesen Kreisen der britischen High Society. Sie kannte auch König Edwards noch bekanntere langjährige Maitresse, Alice Keppel (deren Urenkelin rein zufällig die langjährige Geliebte des jetzigen Prince of Wales ist: Camilla Carter-Bowles). Alice Keppels Tochter Violet ging bereits mit 10 Jahren eine enge Freundschaft mit Vita Sackville-West ein, die sich über Jahre hinweg zu einer wild-bewegten lesbischen amour fou entwickeln sollte.
Mevrouw van Brienen oder “Freule Daisy” war mit Vitas Mutter Victoria Sackwell-West persönlich befreundet und ebenso mit den Schwestern Ella und Florence Du Cane, die in den ersten Jahren nach der Jahrhundertwende als Malerin und Schriftstellerin ausgedehnte Reisen unternahmen und anschließend illustrierte Bücher darüber veröffentlichten: Flowers and Gardens of Madeira (1909), ...of the Canary Islands (1911) und, als erstes in der Reihe: Flowers and Gardens of Japan, 1908. Ein Exemplar schenkten sie bei einem Besuch in Clingendael ihrer Gastgeberin und Freundin.
Drei Jahre später begab sich Marguerite van Brienen selbst auf eine Japanreise. Von dort brachte sie einige Dekorationsstücke für ihren eigenen Garten nach den Vorstellungen der europäischen Japonaiserie mit: einen kleinen Schrein, ein Teehäuschen, Steinlaternen, eine kleine, rot lackierte Holzbrücke. Mit der Anlage des Gartens beauftragte sie ihren Gutsverwalter Theodoor J. Dinn, der bereits in den Parks von Versailles, London und Kew gearbeitet hatte, bevor er sich 1905 von der Baroneß anwerben ließ, um in Clingendael eine Pflanzenzucht aufzubauen.
Während in Den Haag der einzige Japanische Garten in den Niederlanden anwuchs, wuchs im Haus Keppel in London Skandalträchtiges heran, und das waren nicht die mehr oder weniger diskreten Affären von Lady Alice, sondern das trotzige Beharren von Tochter Violet, ihre Liebe und ihre lesbische Beziehung zu Vita Sackville-West offen ausleben zu wollen. Vita war inzwischen mit dem Diplomaten Harold Nicholson verheiratet, doch weil der auch gern seinen eigenen homosexuellen Neigungen nachging, konnte sich das Paar bestens arrangieren. 1918 trafen sich die beiden Freundinnen wieder, ließen Vitas Kinder bei der Gouvernante zurück und brannten, unbeeindruckt vom Weltkriegsgeschehen um sie herum, zusammen nach Frankreich durch. Als sie Monate später nach England zurückkehrten, drängte Alice Keppel, um dem Skandal die Spitze zu nehmen, ihre Tochter in eine Ehe mit dem Offizier Dennis Trefusis. Doch noch im gleichen Jahr gönnten sich Vita und Violet eine erneute gemeinsame Auszeit von zwei Monaten in Paris und Monte Carlo, bis Trefusis seine frisch Angetraute auf Drängen der Schwiegermutter zurückholte. Und im Jahr 1920 mußten beide Ehemänner in einem Privatflugzeug auf die Suche nach ihren wieder einmal entwischten Frauen gehen. Sie fanden sie in Amiens und trennten sie nur dadurch, daß sie sie aufeinander eifersüchtig machten. Lady Alice reichte es jetzt mit Violets Eskapaden, zumal das Gerede in London allmählich die bevorstehende Hochzeit ihrer jüngeren Tochter zu gefährden drohte. Also mußte Violet für eine Weile aus der Öffentlichkeit verschwinden. Was konnte sich besser für einen nervenberuhigend abseits gelegenen und doch standesgemäßen “Kuraufenthalt” eignen als das ruhige Haus der befreundeten Baroneß van Brienen im Park von Clingendael?
“...It is such a heavenly night - if only you were here; there is a really lovely little Japanese garden in the middle of the wood. I have just been out to look at it. It has a little paper house in the middle, where it would be divine to sleep”, schrieb Violet im Oktober 1920 von dort an ihre Freundin Vita.
Im nächsten Frühjahr waren sie zum letzten Mal zusammen in Frankreich, bevor Nicholson, auf seinen Ruf bedacht, seine Frau vor die Alternative stellte: Ende der Affäre oder Scheidung.
Violet wurde daraufhin für viele Jahre die Geliebte von Winnaretta Singer, der Tochter und Erbin des amerikanischen Nähmaschinenproduzenten Isaac M. Singer. Vita Sackville-West wurde später bekanntlich die Geliebte von Virginia Woolf, die ihr mit ihrem Roman Orlando eine literarische Liebeserklärung schenkte.
Solche Geschichten findet man, wenn man nur etwas über einen alten Garten in Erfahrung bringen will, der nun immerhin seit bald hundert Jahren besteht. Im Anfang war er natürlich hell und licht und nach den Wünschen der Besitzerin auch voller seltener, exotischer Blumen, darunter japanische Lilien und Seerosen, Azaleen und Chrysanthemen, die Wappenblumen des Tenno. Heute sind die damals gepflanzten Bäume so hoch, daß der Garten mehr und mehr im Schatten liegt. Üppig blühende Pflanzen bekommen nicht mehr genügend Licht, und auf dem feuchtigkeitsgesättigten dunklen Boden haben sich vor allem verschiedene Moose ausgebreitet. Um die fragile Bepflanzung zu schützen ist Mvr. van Brienens japanischer Garten wieder ein hortus clausus; nur an wenigen Wochen im Frühjahr zur Blütezeit und zwei Wochen im Herbst, wenn sich das Laub der japanischen Ahorne rot färbt, wird er für Besucher geöffnet. Jetzt liegt er wieder still und verschlossen da, und Moos wächst über den Schuhabdrücken einsam liebender Frauen.
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terra40,
Sonntag, 26. Juni 2011, 12:40
Japanische Gartenliebschaften
Sehr lehrreich, was Sie uns hier alles erzählen! Viel interessanter jedenfalls als was heutzutage aus Clingendael zu uns kommt.
Und noch schöner als die Gartenfotos sind die Damenbilder. Man sieht daß das Lächeln damals verboten war.
Gruß, T.
Und noch schöner als die Gartenfotos sind die Damenbilder. Man sieht daß das Lächeln damals verboten war.
Gruß, T.
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