"Sie wusste, dass da kein einziges Leben war fernab vom Auge des Menschen,
und sie bemühte sich, einer dieser Blicke zu sein, der das Leben nicht erlöschen lässt."
(Jérôme Ferrari: Predigt auf den Untergang Roms)
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Richtungswechsel: endlich hat der kühle Nordwind der letzten Tage auf Süd gedreht. Jetzt sollte einem Anstieg der Temperaturen in maigemäße Höhen nichts mehr im Weg stehen. Die Sonne scheint ausnahmsweise schon seit Tagen nahezu ungetrübt Stunde um Stunde vom frühjahrsblauen Himmel. Bei so einem Wetter muß einfach etwas unternommen werden!
Da ich auf unserem ausgedehnten Osterausflug vorerst genügend Provinzialität getankt habe, fühle ich mich sogar einer Exkursion ins Urbane gewachsen und die Belgrader Asphaltpflanze an meiner Seite schafft es, mich zu einem Ausflug ins nahe Rotterdam zu überreden, zumal Besuch aus Deutschland kommt, der auch am liebsten ohne Ende über Asphalt latscht.
Also machen wir kurz rüber in die südliche Nachbarstadt, und ich muß zugeben, sie zeigt sich von der besten Seite, die ich bisher an ihr wahrgenommen habe. Dabei bleiben die Museen diesmal zu, das Wetter ist einfach zu schön. Einige werden nur im Rahmen unseres Architekturspaziergangs als Gebäude außen abgelaufen und betrachtet. (Na gut, die Freiterrasse des gründlich überholten Nederlands Architectuurinstituts NAI (www.nai.nl) mit ihrem gemütlichen Holzdeck am künstlichen Weiher lud schon sehr zum Verweilen, aber sie liegt ja auch draußen.) An Rem Koolhaas Kunsthal ohne eigene Sammlung konnte ich gut vorbeigehen, sehr viel leichter jedenfalls als am großartigen Boijmans van Beuningen, dessen größte Schätze sich eben nicht an der Fassade, sondern im Inneren befinden.
Mit dem Haus für das Nederlands Dans Theater in Den Haag hat Koolhaas 1987 den Reigen seiner international bekannt gewordenen Bauten begonnen, die Rotterdamer Kunsthalle war der zweite Streich, dann folgte Schlag auf Schlag, darunter die holländische Botschaft in Berlin (2002), die Casa da Mùsica in Porto (2005) und der Umbau in der Zeche Zollverein in Essen im nächsten Jahr. Gerade verbaut Koolhaas’ Architektenbüro OMA in Rotterdam so viel Beton wie nie zuvor: Auf der Wilhelminapier an der Neuen Maas, die im Begriff steht, ein zweites holländisches Manhattan zu werden – nicht zu vergessen, daß Niederländer schließlich auch das erste Manhattan bebauten –, wachsen gerade die höchsten Wohntürme der Niederlande aus dem kaum zu drainierenden Seeboden unter dem Meeresspiegel. Alvara Sizas auf fast 160 Meter in die Höhe gezogene postmoderne Kommode “New Orleans” (2010 fertiggestellt) wurde vor einigen Wochen von Koolhaas’ drei Türmen “De Rotterdam” an Länge überboten, und es soll noch höher hinauf gehen. Mehr als repräsentative Edelbüros und Apartments ab 650.000 € aufwärts in diesen Silos haben normalsterbliche Anwohner längst so gründlich aus dem ehemaligen Hafenquartier vertrieben, wie es Stadtverwaltungen heutzutage gern sehen.
Ich reg’ mich schon wieder auf, dabei wollten wir doch nur einen netten Stadtbummel unternehmen. Zeig ich beim nächsten Mal also lieber, was mir gut gefallen hat.
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O ja, für ein deutsches Fußballherz waren die beiden letzten Abende sehr vergnüglich und erhebend, daran kann es ja gar keinen Zweifel geben, auch wenn man nicht gleich in den Jubelchor einstimmt, der jetzt von Ex-Barcelona-Spieler Gary Linekers Smartphone (“We're witnessing the beginning of the end of an era for Barca, and the end of the beginning of an era for Bayern”) über die katalanische La Vanguardia bis zur Titelseite der französischen Sportzeitung L’équipe: “Sprechen Sie Deutsch?” den Anbruch einer neuen Ära im europäischen Fußball verkündet. Ausgerechnet das englische Hetzblatt The Sun entdeckt Bayern und Westfalen auf einmal als "angelsächsische Cousins".
Von der Kritikfähigkeit der spanischen Presse könnten sich unsere “BLÖD-Zeitung” & Co. für die Zukunft dagegen mehrere Scheiben abschneiden. Da wird schonungslos mit der eigenen Mannschaft ins Gericht gegangen: “El Barça, humillado y fuera de Europa” (sport.es), und die eindeutige Überlegenheit des Gegners klar anerkannt: “Intensos, rápidos, precisos, profundos. Los alemanes no perdían el tiempo, no protestaban al árbitro, no hacían ni una sola concesión a su rival.” (La Vanguardia) “Seguramente el Bayern es el mejor equipo de la competición. Pero eso no justifica su aplastante superioridad ante los azulgranas” (sport.es)
So gut und so viel zum Sportlichen. Aber dann haute Bayern-Trainer Heynckes nach dem ganzen verdienten und berechtigten Lob seiner Mannschaft in der Pressekonferenz gestern Abend einen fatalen Spruch raus:
“Wir haben besonders auch für Uli Hoeneß gespielt.”
Wie bitte? Wie weit darf die unverfrorene, schulterklopfende Verharmlosung von Wirtschaftskriminalität durch millionenschwere Kumpane Kumpel eigentlich noch gehen?
Überhaupt habe ich mich mit vielen anderen gefragt, wie es sein kann, daß ein Herr Hoeneß gestern in Barcelona auf der Tribüne saß.
Der Mann sitzt doch nur gegen Hinterlegung einer gewaltigen Kaution nicht in Untersuchungshaft im Knast. Wieso durfte er da seinen Wohnsitz und gar das Land verlassen?
Womöglich ist die Bundespolizei am Münchener Flughafen eher zum Salut angetreten und hat dem Verbrecher noch die Tür zur Ausreise aufgehalten. So viel mal wieder zum Thema “Gleiches Recht für alle.”
Da der frühere Großkotz und Würstchenmacher Hoeneß selbst nicht den Anstand und die Haltung hat, augenblicklich von seinen Posten zurückzutreten, sondern auf einmal in der Öffentlichkeit weinerlich den unschuldigen Spielsüchtigen mimt wie ein beim Klauen ertapptes, heulendes Kind, müßte ihn doch wenigstens die Vorstandsclique des FC Bayern umgehend suspendieren. Aber nein, Rumenigge posiert ostentativ auf der Tribüne mit ihm, und Beckenbauer legt Heynckes in der Bild-Zeitung den Rücktritt nah, nicht aber seinem Spezi Hoeneß.
Ich glaube nicht, daß sich Klopp & Co. in einem analogen Fall beim BVB grundsätzlich anders verhalten würden, aber wie die Dinge gerade liegen, werde ich ihnen am Samstag und vor allem am 25. Mai die Daumen drücken.
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25.000 Niederländer auf dem Dam schwimmen heute in Tränen. (Alle Einzelheiten des oranjegrellen Marketingevents bis hin zum “Augenzwinkern von Maxima in Zeitlupe” sind auf www.nos.nl zu bewundern.) Nach 33 Jahren direkter Machtausübung tritt die “Black Box der niederländischen Politik”, Königin Beatrix, zugunsten ihres “Prins Pilsje”, seit heute unter dem Namen Willem-Alexander König, zurück in die Kulissen, wo sie noch weiter fleißig Strippen ziehen wird, wie gewohnt. So wird sie doch bestimmt wieder hinter zugezogenen Gardinchen ihrer Stretchlimousine zum nächsten Bilderberg-Treffen anrollen.
Das geschätzte (und offiziell dementierte) Privatvermögen der Familie beläuft sich übrigens auf ein Sümmchen irgendwo zwischen zwei und drei Milliarden Euro. Damit ließe sich durchaus ein bescheidener Beitrag zur Sanierung der prekären Finanzlage der Niederlande leisten. Denn – ein Tropfen Essig muß nun doch in den sauren holländischen Wein gegossen werden – mit denen sieht es alles andere als rosig aus.
“Der nächste Dominostein, der nach Ansicht vieler Insider und Quellen in niederländischen Bank- und Immobilienkreisen fallen könnte, ist das sparsame Nachbarland Holland. Die Wirtschaft der Niederlande kollabiert, Häuser stehen leer, die Menschen können sich keine neuen Autos mehr leisten, viele Städte und Kommunen stehen finanziell am Abgrund. Paradoxerweise sind die niederländischen Banken von der gleichen Immobilienblase betroffen wie die USA und Spanien.”
(Quelle und weitere traurige Einzelheiten: F. William Engdahl, Der nächste Krisenkandidat in Euro-Land … die Niederlande)
Keine Nation in der Euro-Zone ist so verschuldet wie die niederländische, schreibt der Spiegel in einem aktuellen Dossier.
“Niederländische Banken haben insgesamt rund 650 Milliarden Euro an Hypothekenkrediten in ihren Büchern. Die Verschuldung der Privathaushalte liegt bei 250 Prozent des verfügbaren Einkommens. Zum Vergleich: In Spanien beträgt sie lediglich 125 Prozent. Der langsame Einbruch der Immobilienblase in Holland droht jetzt die gesamte Wirtschaft und die Banken mit ins Verderben zu reißen. Die Arbeitslosigkeit steigt, der Konsum sinkt, das Wachstum ist zum Stillstand gekommen. Trotz harter Sparmaßnahmen wird die Regierung in diesem Jahr gegen das Defizitkriterium der EU verstoßen [...] die Arbeitslosigkeit ist mit offiziell 8,1 Prozent so hoch wie seit den 1980er Jahren nicht mehr.”
Dem Land nun nach Merkelscher Manier einen noch strikteren Sparkurs zu verordnen, hält nicht einmal der neue Chef der Euro-Gruppe und niederländische Finanzminister Dijsselbloem für ratsam. "Das Messer noch tiefer anzusetzen" wäre "sehr, sehr unvernünftig", hat er der FAZ erklärt und es damit mitten ins Herz der bisherigen Merkelschen Politik für Europa gerammt.
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"Mann, ist das 2007!” – Der Ausruf ist in Island nach dem Kollaps von 2008 zur festen Redewendung geworden für alles, was noch den neureichen Schick aus dem Vorkrisenjahr erkennen läßt. Und jetzt will eine deutliche Mehrheit des isländischen Wahlvolks offensichtlich am liebsten wieder Monopoly spielen: Gehe zurück auf Los! Nur fünf Jahre nach dem katastrophalen Platzen der Wirtschaftsblase schickt sie die neuen Politiker, die ihre Topfdeckelrevolution an die Macht gebracht hat, um den Saustall des verfilzten alten Establishments aus Bankstern, Wirtschaftsbossen und konservativen Politikern auszumisten, in die kalte Wüste zurück und wählt sich eine Regierung aus genau den beiden alten Parteien, die den neoliberalen Ruin angerichtet haben. Die in den letzten Jahren den Karren aus dem Dreck ziehende Koalition aus Sozialdemokraten und Linken-Grünen verliert 27 Prozent der Stimmen, die Zahl der Abgeordneten von Linken-Grünen wird sogar von 14 auf 7 halbiert.
Die Isländer sind für ihre kurzen Nasen bekannt, ihr Gedächtnis ist noch kürzer. Mann, ist das 2008.
Ein Grund für die Wiederwahl des rechten bürgerlichen Lagers ist die Europaskepsis der meisten Isländer. Als die Wirtschaft der Insel zusammenbrach, sah die Mehrheit dort auf einmal die EU und den Euro als rettenden Hafen, und die an die Regierung gewählte sozialdemokratische Partei von Jóhanna Sigurðardóttir begann Sondierungen für Beitrittsverhandlungen. Inzwischen hat sich auch diese Meinung gründlich gedreht, 60 bis 70 Prozent der Isländer sprechen sich in Umfragen regelmäßig gegen einen Beitritt Islands zur EU aus, und wer will ihnen das verdenken?
Jüngstes Beispiel für das Demokratieverständnis der Eurokraten droht jetzt das europäische Bürgerbegehren gegen eine Privatisierung unseres Trinkwassers zu werden. Die hohe Latte von einer Million Unterschriften, die erforderlich ist, damit die EU-Kommission sich wenigstens einmal mit einem Thema befassen muß, wurde von der Initiative “Wasser ist ein Menschenrecht” (Right 2 Water) im ersten Anlauf spielend genommen. Bald werden mehr als anderthalb Millionen EU-Bürger ihr Ziel mit ihrer Unterschrift unterstützt haben, und noch ist bis September Zeit, sich in die Listen einzutragen (man braucht nur den nebenstehenden Knopf anzuklicken), es könnten also gut auch zwei Millionen und damit das Doppelte des erforderlichen Quorums werden. Aber jetzt melden Medien, mit einer weiteren formalen Hürde könne die Kommission das Begehren trotzdem scheitern lassen, weil sie nämlich in den Statuten der Europäischen Bürgerinitiative (EBI) auch festgeschrieben hat, daß die Unterstützerstimmen (jeweils zu einem bestimmten Prozentsatz) aus mindestens einem Viertel der Mitgliedsstaaten kommen müssen; bislang sind es statt der demnach erforderlichen sieben aber erst fünf Länder, in denen die erforderliche Unterschriftenzahl gesammelt wurden: Belgien, Deutschland, Österreich, die Slowakei und Slowenien. “Von den knapp 30 vorgeschlagenen Bürgerinitiativen haben sich nur 14 erfolgreich angemeldet”, haben die Deutschen Wirtschaftsnachrichten recherchiert. “In keinem einzigen Fall ist ein Bürgerbegehren bisher erfolgreich gewesen.”
Ergebnis solch “bürgernaher” Politik der EU-Kommission: eine von Eurobarometer, ihrem eigenen Meinungsforschungsinstitut, durchgeführte und am Mittwoch u.a. im Guardian (und der Süddeutschen) veröffentlichte Umfrage in den sechs größten EU-Ländern brachte als Ergebnis “a nightmare for Europe's leaders”. Überall tendiert eine deutliche Mehrheit dazu, der EU als Institution nicht (mehr) zu trauen. In Spanien äußerte 2007 nur einer von vier Befragten Mißtrauen gegenüber der EU, heute tun es drei von vier. In Deutschland mißtraut eine klare Mehrheit von 60% mittlerweile dem “europäischen Traum” der Großbanken und Großunternehmer und ihrer politischen Marionetten in Brüssel und Straßburg.
Gerade kam es zur Gründung der ersten expliziten Anti-Euro-Partei in Deutschland, die vor allem eins will: raus aus der Gemeinschaftswährung. Natürlich wurde sie, fest eingeübte Routine in solchen Fällen, erst einmal als unbedeutende Splittergruppe von weltfremden Spinnern beiseite geschoben, denn der Euro ist ja von unanfechtbarer Instanz, der Kanzlerin, für “alternativlos”, also sakrosankt erklärt worden: “Scheitert der Euro, dann scheitert Europa.”
Letzten Montag veröffentlichte das Handelsblatt eine Umfrage nach den Wahlaussichten der neuen Partei, Alternative für Deutschland. Ergebnis: mehr als 19% der Befragten erklärten sich bereit, im Herbst die neue Partei zu wählen.
Nur einen Tag später erschien in der Welt ein Interview mit dem Vorsitzenden des Wissenschaftsbeirats beim Bundesfinanzministerium, Kai Konrad, einem direkten Berater Schäubles und der Kanzlerin also, und der schlug darin bis dato aus Regierungskreisen so ungehörte Töne an, daß man sich ungläubig die Ohren putzte.
“Die Länder sollten die Freiheit haben, sich so zu verschulden, wie sie es möchten – unter der Bedingung, dass sie für diese Schulden auch allein die Verantwortung tragen”, erklärte Konrad. Ungläubig hakte die Welt nach: “Sie plädieren damit für eine Rückkehr zum Nationalstaat.”
Darauf Konrad: “Sagen wir es so: Europa ist mir wichtig. Der Euro nicht. Und dem Euro gebe ich mittelfristig nur eine begrenzte Überlebenschance... fünf Jahre klingen realistisch.”
Seitdem wird gerätselt, was dieses Interview bedeutet. Läßt Merkel hier diskret eine komplette Kehrtwendung ihrer Europapolitik ankündigen, die am Ende doch zum Scheitern ihres €uropas führt, oder ist es ein Wahlkampfmanöver, um der neuen Anti-Euro-Partei ihr Kernthema und potentielle Wähler wegzunehmen? So oder so, das Denkverbot zum Euro ist nicht mehr alternativlos.
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Morgens in aller Frühe den Weg zurück in den Norden unter die Räder nehmen.
Die Luft ist noch nächtlich kühl und anfangs leicht dunstig (nein, eigentlich eher rauchig), die Farben rosig. Das ist nicht nur das Frühlicht um die Zeit des Sonnenaufgangs, es sind auch die hellrosa Wolken der Pfirsichblüten, die sich, leicht verschwommen aus dem Dunst tretend, rechts und links der Straße hinziehen. Zwischen den Baumreihen brennen überall kleine Feuer, diese übergroßen Teelichte, die man im Freien aufstellt, und sie geben rußigen, schwarzen Qualm von sich. Sicher soll die Wärme der Flammen die Obstblüten vor Nachtfrost schützen, aber sie entwickeln so viel Rauch, daß er aus dunklen Schwaden zu einer kilometerlangen, schlierigen Wolke kondensiert, die über dem ganzen Rhônetal hängt. Von der Wärme profitiert der Obstbauer, vom Dreck in der Luft haben alle was.
Es geht tausend Kilometer immer nach Norden. Das Südliche der Landschaft, das Licht der Provence, die Obstbäume bleiben bald zurück, Felder und Wiesen breiten sich aus. Um die großen Städte zu umgehen, fahren wir durch Lothringen und Luxemburg, dann quer durch die Ardennen auf Antwerpen zu. Längst ist der Himmel wieder bedeckt. Aber ein kurzer Abstecher geht noch, also gleich hinter der niederländischen Grenze links ab und hinaus nach Walcheren: in Erinnerung an alte Zeiten einen Kaffee trinken in Veere.
Der zierliche Glockenturm ist vom Nebel fast verschluckt, Nebel wabert um die Treppengiebel der Häuser, Janne van Halewijn, Wolfert VI. und die anderen van Borselen an der Fassade des spätgotischen Rathauses gucken bedröppelt aus der steinernen Renaissancewäsche. Unzweifelhaft, wir sind zurück in den Niederlanden. Immerhin glimmen aus dem “Grand café” D’Ouwe Werf auf der Bastion Lichter durch den klammen Nebel. Bei Koffie, appelpuntje mee slagroom und heißer Schokolade sehen wir durch die großen Fenster zu, wie draußen langsam der Nebel aufreißt und den Blick auf das alte Hafenbecken freigibt.
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Wir verabschieden uns für diesmal von Frankreich mit ein paar Bildern von einem Rundgang durch die Altstadt von Vaison-la-Romaine, das schon die Römer mit ihrem geübten Blick für beherrschende Lagen gründeten. Durch die Brücke, die sie über die schnell strömende Ouvèze mit ihren gefürchteten Hochwassern schlugen, wurde der Ort zum Kreuzungspunkt ihrer Straßen und hatte mehr Einwohner als heute. Möglicherweise wurde Tacitus hier geboren.
Zur Zeit der Kreuzzüge waren die weit ausgreifenden Grafen von Toulouse auch Markgrafen der Provence und quasi unabhängige Herrscher des Languedoc. Als solche mußten sie sich in einer Zweifrontenstellung gegen die Könige von Aragon und von England behaupten, an deren aquitanische Besitzungen Toulouse grenzte. Um sich den Brückenzoll zu sichern und die weltlichen Machtansprüche des Bischofs von Vaison zu beschneiden, ließ Graf Raymond V. von Toulouse am höchsten Punkt über der Stadt eine Burg errichten.
Sein Sohn Raymond VI. geriet nicht nur durch seinen Lebenswandel und seine recht unbeschwerte Heirats- und Mätressenpraxis in Gegensatz zu den moralischen Ansprüchen der katholischen Kirche an einen frommen und gottesfürchtigen Fürsten. Als im Jahr 1193 die englische Königin und Gemahlin von Richard Löwenherz, Berengaria von Navarra, mit großem Gefolge vom Kreuzzug nach Aquitanien zurückkehrte, befand sich in ihrem Hofstaat auch Bourgogne de Lusignan, die erste Tochter König Amalrichs I. von Zypern. (So kreuzen sich die Wege.) Raymond entbrannte so schnell und heftig für sie, daß er seine zweite Frau unter dem Vorwand, sie hänge der Sekte der Katharer an, verstieß und Bourgogne heiratete.
Für das hohe Ziel eines Ausgleichs mit dem englischen Königshaus mußte die Prinzessin von Zypern jedoch nur drei Jahre später schon wieder vor einer neuerlichen Heirat Raymonds, diesmal mit Johanna, der Schwester Richard Löwenherz’, zumindest offiziell weichen. Die Ehe mit der bereits verwitweten, über dreißigjährigen Engländerin war rein politisch motiviert. Wegen der langjährigen Spannungen mit den Plantagenets zeigte der tolosanische Adel der Engländerin die kalte Schulter und empörte sich nach Ablauf der inzwischen anscheinend obligatorischen drei Ehejahre gegen sie. Raymond ließ sie im Stich, und Johanna floh zu ihrer berühmten Mutter Eleonore von Aquitanien. Noch im selben Jahr 1196 starb sie in der Abtei von Fontevrault, der Grablege der Plantagenets, an den Folgen einer Geburt.
Graf Raymond ließ um dieselbe Zeit den hölzernen Turm seines Vaters in Vaison durch einen steinernen Donjon ersetzen, denn an vielen Orten in seinem Herrschaftsbereich hatte er sich mit den örtlichen Potentaten der geistlichen Macht angelegt. 1195 wurde er deshalb erstmals vom Papst exkommuniziert. Erst zwei Jahre später nahm ihn das geistliche Oberhaupt der Christenheit gegen das Gelübde einer Pilgerfahrt ins Heilige Land wieder in die Gemeinschaft der Gläubigen auf. Doch weder löste Raymond sein Gelübde jemals ein, noch ließ er sich von Papst Innozenz III., dem Erfinder der Inquisition (und offiziellen Vormund des noch kleinen Stauferkaisers Friedrich II.), für die Verfolgung der als Ketzer verdammten Katharer einspannen.
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