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Sonntag, 21. April 2013
“Caedite eos! Novit enim Dominus qui sunt eius”

Die Bewegung der veri Christiani oder “Gutmenschen” (bonshommes), wie sie sich selbst nannten, hatte unter Angehörigen aller Schichten und Stände im Süden Frankreichs immer mehr Anhänger gefunden und in dreißig Jahren ein komplettes eigenes Kirchenwesen aufgebaut. Auch in Graf Raymonds Hofstaat und unter dem höheren Adel Okzitaniens waren nicht wenige durch Erhalt der “Geisttaufe” (consolamentum) zu Gutmenschen oder wenigstens Gläubigen der ersten Initiantionsstufe (credentes) geworden, und sie konnten ihren Glauben in seinem Herrschaftsbereich offen ausüben.
Zu seiner eigenen Sicherheit verständigte sich Raymond nach den Drohungen des Papstes mit seinem anderen großen Rivalen, König Pedro II. von Aragon, und heiratete zur Absicherung des Bündnisses dessen Schwester Eleonore, seine vierte Ehefrau.

Nur einen Monat nach der Hochzeit in Perpignan forderte Papst Innozenz den französischen König Philipp II. August brieflich auf, einen Kreuzzug in das Gebiet des Tolosaner Grafen zu unternehmen. Gleichzeitig begannen Vertreter der katholischen Kirche überall, den religiös eher indifferenten oder toleranten Graf Raymond als mehr oder weniger heimlichen Beschützer der verfemten Katharer oder Albigenser hinzustellen. Im April 1207 wurde er erneut exkommuniziert. In seinem Bannbrief warf der Papst dem jetzt zum “Feind Christi und Verfolger der Kirche” Erklärten unter anderem Schutz von Ketzern und “Übertragung öffentlicher Ämter an Juden” vor.
Mehr Diplomat als Krieger, wollte Raymond auch dieses Zerwürfnis auf dem Verhandlungsweg aus der Welt schaffen, doch seine Gespräche mit einem päpstlichen Legaten blieben ergebnislos, und dummerweise wurde der Legat auf dem Rückweg nur Kilometer vom Ort des Treffens entfernt, der bedeutenden Pilgerabtei Saint-Gilles am Rand der Camargue, von einem nie ermittelten Täter hinterrücks erstochen.
Ein besserer Kriegsgrund ließ sich ja gar nicht finden. Der Abt von Cîteaux, Arnaud Amaury, bezichtigte den Grafen sofort in aller Öffentlichkeit, hinter diesem Anschlag zu stecken. Papst Innozenz rief umgehend zum “Kreuzzug gegen die Katharer und ihre Beschützer” auf und ernannte den Abt zu dessen geistlichem Führer. Der erwünschte weltliche Exekutor des Kreuzzugs hätte nach päpstlichem Wunsch der König von Frankreich sein sollen, doch der entzog sich, weil er mit dem Eingreifen des Papstes in Gebiete, für die er als Lehnsherr und in der Nachfolge der fränkischen Könige die Oberherrschaft beanspruchte, keineswegs einverstanden war. Seinen Baronen stellte er die Teilnahme am Kreuzzug allerdings frei.

Als sich in Lyon allmählich ein Heer von bis zu 10.000 Kreuzfahrern aus dem Norden Frankreichs einfand, zog es Raymond vor, sich der Kirche zu unterwerfen, und willigte in ihre demütigenden Bedingungen ein. Zuerst mußte sich der Graf im Büßergewand am Grab des natürlich zum Märtyrer erklärten ermordeten Legaten öffentlich auspeitschen lassen. Sodann hatte er dem Papst und der Kirche Gehorsam zu schwören und sieben Orte im Tal der Rhône und eine Grafschaft abzutreten (die materiellen Möglichkeiten ad maiorem gloriam dei hat die alleinseligmachende katholische Kirche selten ungenutzt gelassen). Außerdem hatte er sämtliche Anhänger der Irrlehre den Kreuzfahrern und den Mönchen der Inquisition zu überlassen und mußte versprechen, die als Ketzer Verurteilten auch als solche zu behandeln. Eine Liste mit Namen wurde ihm sogleich ausgehändigt.


Inzwischen war das Kreuzfahrerheer vor die Katharerstadt Béziers gezogen und nahm sie am 22. Juli 1209 ein. Der Anführer des Kreuzzugs, Abt Arnaud Amaury, wollte ein Exempel des Grauens statuieren. Er befahl, alle Katharer zu töten. Auf die Frage seiner Soldaten, woran sie die Ketzer erkennen sollten, antwortete der Abt mit dem berühmten christlichen Ausspruch: “Caedite eos! Novit enim Dominus qui sunt eius”, “Tötet sie (alle)! Gott wird die Seinen schon erkennen.”
20.000 Menschen wurden in Béziers im Namen des rechten Glaubens massakriert.
Als nächstes war Carcassone an der Reihe. Während einer zweiwöchigen Belagerung gelang es den allermeisten Bewohnern durch Tunnel aus der Stadt zu entfliehen. Von den verbliebenen 500, überwiegend Alte, Kranke und Kinder, ließ Abt Arnaud Amaury 400 hängen oder verbrennen. Auf diese Weise zogen die frommen Kreuzfahrer aus dem Norden weiter von Stadt zu Stadt, die sich ihnen nicht unterwarf, verbrannten die zu Ketzern Erklärten und eigneten sich Burgen und Besitz an.
Graf Raymond verweigerte angesichts der Grausamkeiten die Auslieferung der von der Inquisition Angeklagten, wurde vom päpstlichen Legaten dafür erneut exkommuniziert, und begab sich daraufhin nach Rom, wo ihm der Papst eine gerichtliche Untersuchung zusicherte. Bei einer nach Narbonne einberufenen Konferenz legte ihm Arnaud Amory jedoch einen bewußt unannehmbaren Forderungskatalog vor, der über die bisherigen Bedingungen hinaus u.a. die Entlassung sämtlicher Söldner am nächsten Tag und Zerstörung sämtlicher Befestigungen verlangte. Natürlich lehnte Raymond ab, der Bann über ihn wurde erneuert, und ihm blieb außer der vollständigen Unterwerfung keine andere Wahl mehr, als bewaffneten Widerstand zu leisten.

Als sein Heer die ersten Städte und Burgen zurückeroberte, erhielt er großen Zulauf von den Rittern des Languedoc. Zwei Jahre boten sie den Kreuzfahrern aus dem Norden Paroli, denen es unter Führung Simons de Montfort längst mehr um die Eroberung und Inbesitznahme Okzitaniens als um Glaubensangelegenheiten ging. Im September 2013 entwickelte sich der Kampf um Muret an der Garonne zur Entscheidungsschlacht. Obwohl die Okzitanier durch ein Ritterheer König Pedros von Aragon verstärkt und in deutlicher Überzahl waren, fiel der König an der Spitze seines Aufgebots, und die Kreuzritter Simons de Montfort siegten, weil Raymond, der sich für eine defensive Taktik ausgesprochen hatte, nicht in die Schlacht eingriff, sondern abwartete und sich dann mit seinen Leuten nach Toulouse absetzte.
Auf dem 4. Laterankonzil verkündete der Papst Ende 1215 die Enteignung des Tolosaner Grafen zugunsten Simon de Montforts. Als der sich zur Belehnung mit seinen neuen Besitztümern zum französischen König in den Norden begab, entfachte Raymond im Frühjahr 1216 sofort einen Aufstand, in dessen Verlauf er und sein Sohn Raymond VII. die Provence und Toulouse zurückerobern konnten. Bei einem versuchten Sturm auf die Stadt ist Simon de Montfort am Mittsommertag des Jahres 1218 durch einen Katapultstein der Verteidiger getötet worden. Danach erkämpften sich die Südfranzosen eine Stadt nach der anderen zurück, 1224 kapitulierten endlich die letzten Kreuzfahrer in Carcassone.
Diesen Triumph hat Raymond VI. nicht mehr erlebt. Er ist, umgeben von Katholiken ebenso wie von Katharern, am 2. August 1222 im Alter von 65 Jahren in Toulouse gestorben. Als nach wie vor Gebannter durfte er nicht in geweihter Erde bestattet werden. Seine Gebeine blieben 400 Jahre lang im Toulouser Ordenshaus des Hospitaliter- (heute Malteser-) ordens aufgebahrt und zu besichtigen, bis sie Ende des 17. Jahrhunderts irgendwo verschwanden. Daß König Ludwig VIII. 1226 das vom langjährigen Krieg erschöpfte Okzitanien in einem weiteren Kreuzzug endgültig für die Krone Frankreichs einsackte, hat Raymond VI. nicht mehr erleben müssen.

Burg von Vaison

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