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Sonntag, 15. März 2015
Flóki und die Raben
Nach der Mitte des 9. Jahrhunderts hörte ein Norweger namens Flóki davon, daß andere Wikinger auf ihrer Fahrt zu den Britischen Inseln und weiter zu den Färöern von einem Sturm zu einer bis dahin unbekannten Insel noch weiter im Westen verschlagen worden waren. Die Insel sei nach allem, was sie gesehen hätten, unbewohnt, sähe aber sehr vielversprechend aus. ‟Þeir lofuðu mjög landið”, sie lobten das Land sehr.
Flóki entschloß sich, mit allem, was er mitnehmen konnte, zu dieser unbekannten Insel auszuwandern. Warum er diesen verwegenen Entschluß traf, wird in den für die früheste Zeit wortkargen Quellen nicht erklärt. Vielleicht läßt sich aus seinem Namen etwas ableiten. Flóki wird nämlich in den Quellen nie mit seinem Vatersnamen bezeichnet, sondern nach seiner Mutter Sohn der Vilgerðr genannt. Das ist nicht exzeptionell, kommt aber doch eher selten vor. Meist, weil der Vater entweder sehr früh gestorben, unbekannt oder unbedeutender war als die Mutter. Letzteres könnte bei Flóki der Fall gewesen sein, denn seine Mutter war eine Tochter des Hörða-Kári. In seinem Namen gab dieser Kári zu erkennen, daß er der führende Mann des kleinen Königreichs Hordaland war, einer der wichtigsten Regionen des um diese Zeit gerade erst in einem Einigungsprozeß befindlichen Norwegen. Der isländische Historiker Snorri Sturluson hielt in seiner Geschichte der norwegischen Könige aus dem 13. Jahrhundert, der Heimskringla, fest: ‟Menn þeir voru á Hörðalandi margir og göfgir er komnir voru af ætt Hörða-Kára.” - ‟Viele vornehme/edle Männer in Hordaland stammten aus der Familie des Hörða-Kári”, und Snorri zählt vier Söhne und zwei Töchter namentlich auf. Über einen der Söhne, Þórður hreða, ist eine eigene Saga in Island erhalten, ein Enkel Káris war jener hoch angesehene Úlfljótur, der den Isländern später das erste Gesetzbuch bringen sollte. Besserer Abstammung als in seiner mütterlichen Linie konnte dessen Cousin Flóki also kaum sein.
Der Segen einer mächtigen Verwandtschaft kann sich bekanntlich auch als Fluch erweisen, und es kann gut sein, daß Flóki durch die Söhne Káris und deren Söhne einen eigenen Weg zu einer führenden Machtstellung in Hordaland verstellt sah und sich daher dazu entschloß, lieber sein eigenes Königreich auf einer unbewohnten Insel zu gründen. An Mitteln dazu fehlte es ihm anscheinend nicht. Erstens besaß er mindestens ein seetüchtiges Schiff, und ein solches war ein Vermögen im Gegenwert eines größeren Bauernhofs wert. Zweitens besaß er Vieh, das er mit auf die Reise nahm, und drittens Leute, denen er befehlen konnte, ihn zu begleiten. Außer all dem nahm er noch etwas mit an Bord: ‟hann bjósk af Rogalandi at leit a Snjólands; þeir lágu í Smjörsundi. Hann fekk at blóti miklu ok blótaði hrafna þrjá, þá er honum skyldu leið vísa.” Dieser Version des isländischen ‟Buchs von der Landnahme” (Landnámabók, Hauksbók) zufolge veranstaltete Flóki unmittelbar vor seiner Abreise ein großes Opferfest. Bei dem weihte er drei Raben, ‟die ihm den Weg zeigen sollten”. Auf der Hauswiese des Hofs Straumen am Smørsund auf der Grenze zwischen Horda- und Rogaland steht heute noch eine steinerne Wächte, wie sie Flóki anläßlich dieses Opferrituals errichtet haben soll.
Drei Raben, einer Gottheit geweiht, mutmaßlich Odin, als dessen heilige Vögel und Kundschafter sie zu jener Zeit galten. In Haustlong, einem heidnischen Skaldengedicht des 9. Jahrhunderts, wird Odin selbst als Hrafn-áss, ‟Rabenase”, bezeichnet. In einigen Wissensgedichten der Lieder-Edda tragen Odins Raben sprechende Namen:
‟Hann átti hrafna tvá, er hann hafði tamit við mál; flugu þeir víða um lönd ok sögðu honum mörg tíðindi. Af þessum hlutum varð hann stórliga fróðr.” – Odin ‟hatte zwei Raben, die er sprechen gelehrt hatte. Sie flogen weit umher und trugen ihm viele Neuigkeiten zu. Dadurch erlangte er großes Wissen.”
In altnordischen Dichtungen und Sagas wimmelt es von Belegen dafür, daß Raben Krieger in den Kampf begleiteten, und es gibt selbst bildliche Darstellungen dieses Vorgangs, etwa auf Helmblechen aus Vendel. Auf einer erst vor fünf Jahren im ältesten dänischen Königssitz, Lejre, ausgegrabenen silbernen Miniatur aus dem frühen 10. Jahrhundert sitzt ziemlich unverkennbar Odin auf einem Thron (Hochsitz), und auf jeder Seitenlehne (am starken, geraden Schnabel erkenntlich) hockt ein Rabe.
Flóki nahm also drei, wahrscheinlich Odin geweihte Raben mit auf seine Fahrt ins Ungewisse. Sie erreichten zunächst die Shetland-Inseln, dann die Färöer, diese winzige Inselgruppe im Nordatlantik, die so zielsicher anzupeilen angesichts der kaum vorhandenen Navigationsinstrumente damals keine geringe seemännische Leistung war. Dort verheiratete er seine Tochter, heißt es im Landnahmebuch. Eine andere Tochter soll auf den Shetlands ertrunken sein. Flóki war also kein ganz junger Mann mehr, wenn er Töchter im heiratsfähigen Alter besaß. Von Torshavn segelte er weiter nach Westen. Irgendwo in der landlosen Wasserwüste da draußen holte Flóki einen der Raben aus seinem Käfig und ließ ihn frei. Der Rabe flog schnurstracks in Richtung der Färöer zurück. Flóki hielt weiter westlichen Kurs. Tage später ließ er den zweiten Raben fliegen. Der stieg hoch in die Luft, kreiste mehrmals ums Schiff und ließ sich dann auf der Rah nieder.
Wiederum Tage später ließ Flóki zum dritten Mal einen Raben fliegen. Der stieg auf, kreiste ums Schiff und flog dann Richtung Nordwesten davon. Flóki änderte den Kurs in seine Richtung, und so erreichten sie Island an seinem südöstlichsten Horn. Odins Raben hatten ihnen den Weg gezeigt. Und Flóki wurde wegen seines großen Vertrauens in sie später Hrafna-Flóki genannt.
Er und seine Mannschaft segelten die Südküste entlang, sahen das weite, karge Tiefland und den hoch gewölbten riesigen Gletscher dahinter, umsegelten die nackte Lava der Halbinsel Reykjanes an der Südwestspitze und fuhren, sehr angetan, über die breite Meeresbucht dahinter, in die zwischen Wiesen und Wäldern ein breiter Fluß mündete. ‟Das muß ein großes Land sein, das wir hier gefunden haben”, sagte ein Mann aus der Besatzung, Faxi, nach dem dieser weite Golf heute noch heißt.
Sie sahen den majestätischen Snæfellsjökull auf seiner Landzunge über dem Wasser schweben, umrundeten auch diese Halbinsel und liefen in den breiten Fjord auf ihrer Nordseite ein. In einem grünen Seitenfjord mit einem Süßwassersee an der Südküste der Westfjorde landeten sie. Im See und im Fjord gab es mehr Lachse und Forellen zu fangen, als sie essen konnten. Im niedrigen Buschwald konnten sie Schneehühnern und anderen Vögeln, am Wasser fetten Eiderenten und Wildgänsen nachstellen. Das Wetter muß den Sommer über derart mild gewesen sein, daß sie es nicht für nötig hielten, für das mitgebrachte Vieh Heu zu machen und größere Vorräte anzulegen. Vor lauter Jagdeifer ‟vergaßen” sie es, heißt es in der Landnámabók. Das sollten sie im nachfolgenden Winter bitter bereuen. All ihr Vieh verhungerte und ging ein. Auch das Frühjahr fiel hart und kalt aus. Flóki erkundete das weitere Umland. Als er einen hohen Berg erklommen hatte, fiel sein Blick nach Norden in einen Fjord, der noch immer voller Treibeis war. ‟Von da an nannten sie die Insel Island.” Den anschließenden Sommer verlebten sie wieder gut im Vatnsfjörður, doch bevor der Winter kam, gaben sie auf, beluden ihr Schiff und segelten leichter zurück, als sie gekommen waren. Gleich in der weiten Bucht südlich der Halbinsel Snæfellsnes fanden sie auf einer Insel einen frisch angetriebenen Wal, und mit diesem Berg von Fleisch überwinterten sie noch ein weiteres Mal, ehe sie im folgenden Frühjahr nach Norwegen zurückkehrten. ‟Als sie dort nach dem neuen Land gefragt wurden, äußerte sich Flóki abfällig, Herjólfr zählte Vor- und Nachteile auf, doch Þórólfr sagte, in jenem Land tropfe Butter von jedem Grashalm. Deswegen nannte man ihn Þórólfr Butter.”
Si non e vero...
Flóki entschloß sich, mit allem, was er mitnehmen konnte, zu dieser unbekannten Insel auszuwandern. Warum er diesen verwegenen Entschluß traf, wird in den für die früheste Zeit wortkargen Quellen nicht erklärt. Vielleicht läßt sich aus seinem Namen etwas ableiten. Flóki wird nämlich in den Quellen nie mit seinem Vatersnamen bezeichnet, sondern nach seiner Mutter Sohn der Vilgerðr genannt. Das ist nicht exzeptionell, kommt aber doch eher selten vor. Meist, weil der Vater entweder sehr früh gestorben, unbekannt oder unbedeutender war als die Mutter. Letzteres könnte bei Flóki der Fall gewesen sein, denn seine Mutter war eine Tochter des Hörða-Kári. In seinem Namen gab dieser Kári zu erkennen, daß er der führende Mann des kleinen Königreichs Hordaland war, einer der wichtigsten Regionen des um diese Zeit gerade erst in einem Einigungsprozeß befindlichen Norwegen. Der isländische Historiker Snorri Sturluson hielt in seiner Geschichte der norwegischen Könige aus dem 13. Jahrhundert, der Heimskringla, fest: ‟Menn þeir voru á Hörðalandi margir og göfgir er komnir voru af ætt Hörða-Kára.” - ‟Viele vornehme/edle Männer in Hordaland stammten aus der Familie des Hörða-Kári”, und Snorri zählt vier Söhne und zwei Töchter namentlich auf. Über einen der Söhne, Þórður hreða, ist eine eigene Saga in Island erhalten, ein Enkel Káris war jener hoch angesehene Úlfljótur, der den Isländern später das erste Gesetzbuch bringen sollte. Besserer Abstammung als in seiner mütterlichen Linie konnte dessen Cousin Flóki also kaum sein.
Drei Raben, einer Gottheit geweiht, mutmaßlich Odin, als dessen heilige Vögel und Kundschafter sie zu jener Zeit galten. In Haustlong, einem heidnischen Skaldengedicht des 9. Jahrhunderts, wird Odin selbst als Hrafn-áss, ‟Rabenase”, bezeichnet. In einigen Wissensgedichten der Lieder-Edda tragen Odins Raben sprechende Namen:
‟Huginn ok Muninn
fliúga hverian dag
iörmungrund yfir”
‟Hann átti hrafna tvá, er hann hafði tamit við mál; flugu þeir víða um lönd ok sögðu honum mörg tíðindi. Af þessum hlutum varð hann stórliga fróðr.” – Odin ‟hatte zwei Raben, die er sprechen gelehrt hatte. Sie flogen weit umher und trugen ihm viele Neuigkeiten zu. Dadurch erlangte er großes Wissen.”
Flóki nahm also drei, wahrscheinlich Odin geweihte Raben mit auf seine Fahrt ins Ungewisse. Sie erreichten zunächst die Shetland-Inseln, dann die Färöer, diese winzige Inselgruppe im Nordatlantik, die so zielsicher anzupeilen angesichts der kaum vorhandenen Navigationsinstrumente damals keine geringe seemännische Leistung war. Dort verheiratete er seine Tochter, heißt es im Landnahmebuch. Eine andere Tochter soll auf den Shetlands ertrunken sein. Flóki war also kein ganz junger Mann mehr, wenn er Töchter im heiratsfähigen Alter besaß. Von Torshavn segelte er weiter nach Westen. Irgendwo in der landlosen Wasserwüste da draußen holte Flóki einen der Raben aus seinem Käfig und ließ ihn frei. Der Rabe flog schnurstracks in Richtung der Färöer zurück. Flóki hielt weiter westlichen Kurs. Tage später ließ er den zweiten Raben fliegen. Der stieg hoch in die Luft, kreiste mehrmals ums Schiff und ließ sich dann auf der Rah nieder.
Wiederum Tage später ließ Flóki zum dritten Mal einen Raben fliegen. Der stieg auf, kreiste ums Schiff und flog dann Richtung Nordwesten davon. Flóki änderte den Kurs in seine Richtung, und so erreichten sie Island an seinem südöstlichsten Horn. Odins Raben hatten ihnen den Weg gezeigt. Und Flóki wurde wegen seines großen Vertrauens in sie später Hrafna-Flóki genannt.
Er und seine Mannschaft segelten die Südküste entlang, sahen das weite, karge Tiefland und den hoch gewölbten riesigen Gletscher dahinter, umsegelten die nackte Lava der Halbinsel Reykjanes an der Südwestspitze und fuhren, sehr angetan, über die breite Meeresbucht dahinter, in die zwischen Wiesen und Wäldern ein breiter Fluß mündete. ‟Das muß ein großes Land sein, das wir hier gefunden haben”, sagte ein Mann aus der Besatzung, Faxi, nach dem dieser weite Golf heute noch heißt.
Sie sahen den majestätischen Snæfellsjökull auf seiner Landzunge über dem Wasser schweben, umrundeten auch diese Halbinsel und liefen in den breiten Fjord auf ihrer Nordseite ein. In einem grünen Seitenfjord mit einem Süßwassersee an der Südküste der Westfjorde landeten sie. Im See und im Fjord gab es mehr Lachse und Forellen zu fangen, als sie essen konnten. Im niedrigen Buschwald konnten sie Schneehühnern und anderen Vögeln, am Wasser fetten Eiderenten und Wildgänsen nachstellen. Das Wetter muß den Sommer über derart mild gewesen sein, daß sie es nicht für nötig hielten, für das mitgebrachte Vieh Heu zu machen und größere Vorräte anzulegen. Vor lauter Jagdeifer ‟vergaßen” sie es, heißt es in der Landnámabók. Das sollten sie im nachfolgenden Winter bitter bereuen. All ihr Vieh verhungerte und ging ein. Auch das Frühjahr fiel hart und kalt aus. Flóki erkundete das weitere Umland. Als er einen hohen Berg erklommen hatte, fiel sein Blick nach Norden in einen Fjord, der noch immer voller Treibeis war. ‟Von da an nannten sie die Insel Island.” Den anschließenden Sommer verlebten sie wieder gut im Vatnsfjörður, doch bevor der Winter kam, gaben sie auf, beluden ihr Schiff und segelten leichter zurück, als sie gekommen waren. Gleich in der weiten Bucht südlich der Halbinsel Snæfellsnes fanden sie auf einer Insel einen frisch angetriebenen Wal, und mit diesem Berg von Fleisch überwinterten sie noch ein weiteres Mal, ehe sie im folgenden Frühjahr nach Norwegen zurückkehrten. ‟Als sie dort nach dem neuen Land gefragt wurden, äußerte sich Flóki abfällig, Herjólfr zählte Vor- und Nachteile auf, doch Þórólfr sagte, in jenem Land tropfe Butter von jedem Grashalm. Deswegen nannte man ihn Þórólfr Butter.”
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