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Mittwoch, 28. November 2012
Abschied von Gerhard S.

Rückweg über Berlin, wo ein alter Bekannter im Sterben liegt. Bevor ihn die verheerenden Schlaganfälle trafen, veröffentlichte er ein kleines Bändchen Prosagedichte unter dem Titel Fazit. Martin Walser schrieb dazu in der Zeit (23.6.12): “Mir ist keine Literatur in deutscher Sprache bekannt, die den Gedichten Schoenberners vergleichbar wäre. Vergleichbar in der Härte und Genauigkeit der Mitteilung dessen, was Deutschland im 20. Jahrhundert vollbrachte.”
Hier ist eins von ihnen:

Familienchronik

Elli und Franz verließen Deutschland
auf der Flucht vor ihren Landsleuten
Seine Schwester fiel ihnen in die Hände

Arthur entkam der Erschießung
in Spanien und floh nach England
Dörte half dem Maquis im besetzten Paris

Ernst überlebte das Jahr 37 nicht
Els kehrte aus Karaganda zurück
Die Tochter lehrt Russisch in Washington

Peter wurde befreit aus dem Lage
Frau und Kind retteten falsche Papiere
Paul, seinen Bruder, holte die Gestapo

Martha und Dora verloren ihre Wohnung
in einer Bombennacht. Unsere Familie
und alle Verwandten wurden zwangsumgesiedelt

So viel für heute
aus der Familienchronik
ihrer und meiner

Gerhard Schönberner, 1931 in der Neumark geboren und 1945 von dort nach Berlin geflüchtet, gehörte zu den ersten, die aktiv an der Aufklärung der Nazi-Verbrechen mitarbeiteten. Sein Buch Der gelbe Stern. Die Judenverfolgung in Europa 1933 bis 1945 von 1960 war eine der ersten umfassenden Bestandsaufnahmen und ist bis heute in mehreren Neuauflagen ein Standardwerk geblieben. 1980 diente es Dieter Hildebrandt als Grundlage für seinen gleichnamigen Dokumentarfilm. Zu der Zeit war Gerhard Schönberner Direktor des Deutschen Kulturzentrums in Tel Aviv, gewiß keine einfache Aufgabe. Von dort wurde er zum Gründungsdirektor der Gedenkstätte im Haus der Wannsee-Konferenz berufen und übernahm anschließend das Ehrenamt des Writers-in-Prison-Beauftragten im deutschen PEN. Sein Leben lang hat er sich für Verfolgte eingesetzt. Jetzt geht sein achtzigjähriges Leben zu Ende, ein verdienter Mann verläßt in aller Stille die Welt, die er trotz allem sehr geliebt hat.

Mondgöttin, Benin

Die hölzerne Mondgöttin
aus Benin, federleicht...
und noch ein paar andere
Bilder, Bücher und
Geräte des Alltags
werden ihre Liebhaber finden

Aber alles andere...
Von einer Minute zur anderen
zerfallen zu Müll
den die Stadtreinigung
in schwarzen Plastiktüten davonträgt
heute oder übermorgen
wenn der Herzschlag aussetzt

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