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Mittwoch, 22. Dezember 2010
Blues am Wochenende
“Alle reden vom Wetter. Wir nicht.” “Bei Eis und Schnee. Wir kommen durch...” – Tja, das waren Sprüche, mit denen die Bahn vor dreißig, vierzig Jahren punkten konnte, bevor sie beim Abspecken für den geplanten Börsengang die Heizungen in den Weichen einsparte und vieles mehr. Heute bleibt einem bei Winterwetter nur, sich selbst ans Steuer zu setzen, denn wer läßt sich schon von Eis & Schnee abhalten, wenn Freunde Geburtstag feiern? Jemand, der seit Jahren ein Fahrtenbuch führt, jedenfalls nicht. Also das seit einer Woche nicht mehr benutzte Auto aus dem Schnee graben, sich durch die nicht geräumten Straßen von Den Haag zur Autobahn wühlen und los. Die 400 Kilometer bis Bremen ziehen sich, sind aber ganz gut zu fahren: keine Unfälle, keine Sperrungen, keine Megastaus (das alles blieb uns für die Rückfahrt aufgespart). Trotzdem wird es schon wieder dunkel, als wir die Autobahn verlassen. Auf den verbleibenden 90 Kilometern über wieder eisig verschneite Landstraßen nach Stade stecken dann doch zwei Autos mit im Tiefschnee vergrabenen Schnauzen neben der Straße. In den dunklen Waldstücken fährt sich’s noch am besten, doch sobald rechts und links offene Felder liegen, wallen dichte Nebelbänke heran. Und das bei -10 bis -13̊. Ich dachte immer, solcher Frost binde die Feuchtigkeit in der Luft. Aber, nun ja, vor drei Tagen hatten wir ein krachendes Gewitter, während dichter Schnee fiel. Worüber soll man sich noch wundern?
Die Stader Freunde hatten sich schon gewundert (wo wir blieben), und es fällt ihnen sichtlich 1 Stein vom Herzen, als wir in die Einfahrt biegen. Etwas später geht’s noch einmal zurück nach Bremen, zur Vergleichenden Bremer Geburtstagspartystudie, Teil I, im Kleinen Ratskeller. Spät in der Nacht durch eishelles Mondlicht auf schneeweißen Flächen und Nebel im Teufelsmoor wieder gen Norden.
Meine Güte, konnten die lange schlafen! Für meine Begriffe war ja längst der halbe Tag rum, als wir endlich “frühstücken” durften. Das taten wir dafür umso ausgiebiger, erörterten künftige Ausstellungen, Bücher und andere Projekte, darunter vorsorglich auch schon einmal welche zu
Die Stader mußten dann ausrücken, um einer Tanne für das bevorstehende Fest das Alter zu kürzen, und auf uns kam Vergleichende Bremer Geburtstagspartystudie, Teil II, zu: im Blues Club des Meisenfrei. Gaanz andere Kundschaft als am Vorabend, wie sie vielleicht nur noch im Inselstaat Bremen anzutreffen ist. Oder gibt’s sonst noch irgendwo in der Republik so viele dünne, graue altachtundsechziger Herrenzöpfe über bierprallen Bäuchen in karierten Holzfällerhemden? (Man selbst wird auch nicht jünger, aber lange Matte, Vokuhila und andere haarige Manneszier sind persönlich inzwischen doch seit geraumer Weile passé.) Die Musik aber war vom Feinsten. Michael Funke (Mundharmonika) und befreundete Musiker aus dem Umfeld veranstalteten bis spät in die Nacht eine Blues- und Boogie-Woogie-Jamsession mit immer neu hinzukommenden Leuten, bei der es keinen auf den Stühlen hielt. Besonders ein zweiter Mundharmonikablueser legte dermaßen los, daß ich glatt vergaß, ihn nach seinem Namen zu fragen, was mich noch immer ärgert. Einen anderen Namen allerdings hatte ich noch sehr viel parater als die meisten Gäste. An einer Wand neben dem Eingang hing ein sehr verblichenes Foto, unverkennbar aus den Siebzigern. Der Mann darauf sah aus wie die abgelebte Variante von Jason King. Wirklich unverkennbar, aber keiner kannte ihn mehr. Einer von den Jüngeren tippte auf Jimi Hendrix. Lieber Himmel! Wenn jeder, der damals gelockte Wolle und ein dünnes Oberlippenbärtchen trug, gleich ein Jimi Hendrix an der Gitarre gewesen wäre! Nein, ganze 17 Jahre älter war der Mann auf dem Foto, und unverkennbar der eigentlich unvergeßliche Alexis Korner, der Vater des Blues in Europa.
Mit wem hat dieser Mann alles gespielt und wen hat er nicht alles groß gemacht?
In seiner 1961 gegründeten Blues Incorporated spielten Ginger Baker und Jack Bruce, die später mit dem von den Yardbirds kommenden Eric Clapton Cream bildeten, John Mayall, Eric Burdon und John McLaughlin, bei ihm trafen sich Mick Jagger, Brian Jones und Keith Richards und gründeten die Stones, Robert Plant lernte bei ihm ebenso wie Jimmy Page von den Yardbirds, mit dem er sich zu Led Zeppelin zusammentat. Und Alexis Korner rückte mehr und mehr in die Rolle der grauen Eminenz im Hintergrund dieser unglaublich fruchtbaren Szene, obwohl er weiterhin mit wunderbaren Interpretationen von "Get off my Cloud", "Wild Women and Desperate Men", "Spoonfull" u.v.m. auftrat. Am Ende war auch er ein Sänger, der für seine unglaublich tiefe und rauchige Stimme mit dem Leben bezahlte: mit nur 55 Jahren starb er an Lungenkrebs.
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