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Donnerstag, 21. Mai 2009
Über die Karawanken
Es war noch so still, daß kaum mehr als die Tauben auf dem Domplatz zu hören waren, als wir am Morgen aus der Klagenfurt aufbrachen. Nach Süden. Geradewegs auf die steile, noch schneebekrönte Wand der Karawanken zu. - Schönes, kräftiges Wort übrigens; laut Wikipedia vom keltischen Wort karv abgeleitet, lat. cervus, Hirsch.

Nachdem wir auf der Bundesstraße, auf der sich voriges Jahr der besoffene Haider-Jörg totgerast hat, und hinter der ehemaligen Zisterze Viktring die angestaute Drau passiert hatten, führte die Straße ins zusehends enger werdende Tal des Loiblbachs hinein, der bei Schneeschmelze sehr viel gewalttätiger sein muß, als sein gemütlicher Name vermuten läßt. Bald wird das Tal zur Schlucht, und die Straße windet sich in Serpentinen in die Höhe. Seit Urzeiten nutzen die Menschen sie und den Paß oben am Ljubelj/Loibl, um das Grenzgebirge zu überwinden, das sich wahrlich wie ein wolkenhoher Sperriegel dem Vordringen in den Weg stellt.
Der glasgrüne Wildbach hat Klüfte und die Tscheppaschlucht tief in die Hänge gegraben, und dadurch scheinen die Berge mit ihren von Geröllschutt bedeckten Flanken noch höher aufzuwachsen. Mit 2200 Metern überragt der Hochstuhl den eigentlichen Paß in 1367 Metern, der heute gesperrt ist. 300 Meter tiefer führt ein Tunnel unter ihm hindurch, der 1943 auch unter Einsatz von über 1600 Kriegsgefangenen und Häftlingen aus dem KZ Mauthausen innerhalb eines Jahres gegraben wurde. Wer zur Arbeit zu schwach war, wurde von SS-Lagerarzt Ramsauer aus Klagenfurt zum Abtransport selektiert oder gleich mit einer Injektion von Benzin ermordet. (Nach seiner vorzeitigen Entlassung aus der Haft wurde Ramsauer 1954 wieder im Klagenfurter Landeskrankenhaus angestellt und stieg bis zum Chefarzt mit eigener Praxis am Domplatz auf. Von diesem politischen Skandal abgesehen hatten also etliche Klagenfurter offensichtlich keine Bedenken, sich von einem mehrfachen Mörder gesundspritzen zu lassen.)

Als wir jenseits des Hauptkamms aus dem Tunnel kommend Österreich glücklich hinter uns lassen, rollen wir in etwas Neues, in die unabhängige Republik Slowenien. Neu für mich und noch recht neu für Europa. Als ich damals vor Jahrzehnten zum ersten und bisher letzten Mal hindurchfuhr - auf dem damals fast obligatorischen Trip nach Griechenland -, war es noch Teil des von Tito zusammengehaltenen Jugoslawien. Und jetzt auf einmal, nach einem vergleichsweise glimpflichen 10-Tage-Krieg 1991, ist es zum ersten Mal in seiner Geschichte ein eigener, unabhängiger Staat.
Jahrhundertelang war das heutige Slowenien vor allem Durchzugsland für wandernde Völkerschaften und expandierende Reiche, die es sich eingliederten. Illyrer drangen wohl als erste Indoreuropäer aus dem Süden über die Balkanhalbinsel bis an den Fuß der Alpen vor; später machten sich Kelten in umgekehrter Richtung entlang der Bernsteinstraße breit. Ihr Königreich Noricum eroberte Augustus für Rom. In der Völkerwanderung durchzogen nacheinander Goten, Alanen, Sarmaten, Hunnen, Langobarden und Awaren die römische Provinz und ließen sich jeweils so lange in dem grünen, fruchtbaren Land nieder, bis sie von nachdrängenden Wandervölkern wieder verdrängt wurden. Ein erstes Fürstentum von unter den Awaren eingewanderten Slawen, Karantanien, wurde 788 von den Franken erobert, und seitdem gehörte das spätere Herzogtum Kärnten zum westlichen Kaiserreich, fiel also mit ihm nach der siegreichen Schlacht auf dem Marchfeld bei Wien 1278 an die Habsburger und blieb über 600 Jahre bei ihnen bis zum Untergang der k.u.k. Monarchie im Ersten Weltkrieg, worauf es bald Teil des neugegründeten vereinigten Königreichs der Südslawen, also Jugoslawen, wurde.
Es läßt sich daher zumindest historisch begründen, wenn der von einer slowenischen Mutter geborene Peter Handke in seinem kurzen Erinnerungsbuch an Slowenien: Abschied des Träumers vom Neunten Land aus dem Jahr der Unabhängigkeit 1991 sich schwer tut mit diesem plötzlichen Drang nach Unabhängigkeit, der zum Krieg eskalierte.
“Slowenien gehörte für mich seit je zu dem großen Jugoslawien, das südlich der Karawanken begann und weit unten, zum Beispiel am Ohridsee bei den byzantinischen Kirchen und islamischen Moscheen vor Albanien oder in den makedonischen Ebenen vor Griechenland endete. Und gerade die offensichtliche slowenische Eigenständigkeit, wie auch der anderen südslawischen Länder - Eigenständigkeit, die, so schien es, nie eine Eigenstaatlichkeit bräuchte -, trug in meinen Augen zu der selbstverständlichen großen Einheit bei.”
Wie weit sich Handke in seinem Festhalten an diesem von ihm geliebten und ausdrücklich um seine Geschichte beneideten Jugoslawien verrannt hat, ist hinlänglich bekannt. Aus dem kleinen Traktat werden aber auch ganz persönliche Gründe ersichtlich, aus denen heraus er an der Einheit Jugoslawiens festhalten wollte und dahinter den Wunsch nach Unabhängigkeit der ehemaligen Teilrepubliken und damit letztlich auch das Selbstbestimmungsrecht der Völker zurückstellte.
“Nein, Slowenien in Jugoslawien, und mit Jugoslawien, du warst deinem Gast nicht Osten, nicht Süden, geschweige denn balkanesisch; bedeutetest vielmehr etwas Drittes, oder ‘Neuntes‘, Unbenennbares, dafür aber Märchenwirkliches, durch dein mit jedem Schritt - Slowenien, meine Geh-Heimat - greifbares Eigendasein, so wunderbar wirklich auch, wie ich es ja mit den Augen erlebte, gerade im Verband des dich umgebenden und zugleich durchdringenden - dir entsprechenden! - Geschichtsgebildes, des großen Jugoslawien.”
Immerhin hat sich Handke damals schon im Titel seines Traktats selbst als Träumer bezeichnet und erkannt, daß er von etwas bereits Vergangenem träumte. Nun komme ich also zum zweiten Mal in meinem Leben in diese Gegend, aber zum ersten Mal in dieses Land: Slowenien.

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