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Samstag, 2. Mai 2009
Reykjavíker Stadtansichten. Anzeichen einer Krise


Hier sieht man ganz gut, was passiert, wenn eine Stadt dem Rausch scheinbar unbegrenzt wachsender Profite verfällt, wenn Geld alles regiert. Welche Stadtplanungsbehörde, welches Bauaufsichtsamt hätte je erlaubt, mit einem solchen schwarzen Kasten ein solches Panorama einer Stadt dermaßen mittendurchzuschneiden und zu zerstören, wenn nicht alle Macht von den scheinbar prall gefüllten Brieftaschen der Investoren ausginge, die ihre Abschreibungs- und Spekulationsobjekte nach Belieben plazieren dürfen?


In den letzten Jahren fraß sich Reykjavík mit gewaltigen Bissen immer weiter in sein Umland hinein. Buchstäblich jedes Jahr entstanden gänzlich neue Wohnviertel. Jetzt gibt es etliche, in denen verlorene Individuen ganze Blöcke oder Straßenzüge ohne Infrastruktur allein bewohnen, weil der weitere Ausbau unterbrochen oder eingestellt wurde. In der Innenstadt haben die neureichen Investoren besonders entlang des bisher unverbauten Fjordufers Hochhaustürme von bis dato in Island unbekannter Höhe errichten lassen, die vielen älteren Wohnungen, die mit Bedacht so ausgerichtet worden waren, den Blick über den Fjord hinaus auf das Meer oder die Berge zustellen. Mag der viele, viele Projekte treffende Baustop auch für einzelne ein Desaster sein, für die Stadt als Ganzes erscheint mir die gegenwärtige Krise fast als ein Segen, der diesem Bauwahn ein Ende bereitet.
Neben dem dunklen Haus auf dem Bild oben steht ein mindestens doppelt so hoher Turm, die gläserne Fassade nahezu völlig transparent, denn es gibt keinen Innenausbau. Und es ist fraglich, ob es ihn jemals geben wird. Die Eingänge sind versiegelt. Die Reykvíkinger nennen ihn den "Turm der geplatzten Illusionen".


Die Krise wird aber nicht nur an den stillstehenden Baukränen neben den unvollendeten Neubauten sichtbar, sondern ebenso am zunehmenden Verfall älterer Häuser. Das Detail oben befindet sich an der größten Buchhandlung der Stadt. Vielleicht sieht die Zukunft Reykjavíks sogar bald wieder so aus wie seine Vergangenheit, die schon dabei war, allmählich im Boden zu versinken:


Hier eine der Wurzeln des Übels: Islands Börse "Kauphöllin", der undurchsichtig verspiegelte "Kaufpalast".


Aber enden wir diese betrüblichen Aussichten lieber mit einem Blick auf eine Jugend, die sich auch von frostigen Zeiten nicht Optimismus und Lebensfreude trüben läßt. Hier spaziert Islands größtes Kapital für die Zukunft: Seine selbstbewußten, gut ausgebildeten und schöpferischen jungen Leute.

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