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Montag, 27. August 2012
Musik, die Sommer macht
Sieht so aus, als ob mit dem August auch der Sommer gehen will. Draußen hat der Teufel Kirmes; der Himmel weist alles auf, weiße Wolken, helle und dunkelgraue Wolken, Wind und blaue Löcher, und gleichzeitig prasselt ein Regenschauer selbst gegen das nach Westen, zum Meer gerichtete, aber zurückliegende Fenster meines Arbeitszimmers. Drinnen lasse ich noch einmal Sommer durch alle offenstehenden Zimmer schweben, die Sonne wirft helle, tanzende Flecken aufs Parkett – noch einmal das Barfußlaufen auf warmem Holz genießen – darüber schwingen die Gitarrensaiten von Canizares und vor allem noch einmal Baden Powell, dem Altmeister. Wenn er spielt, ist für mich Sommer, beides in der Erinnerung fest miteinander verbunden, seit ich als Abiturient mein Feriengeld im Burghof verdient habe.
Jeden sonnenheißen Nachmittag fuhr ich mit dem Rad durch Kalkumer Wald und die wogenden Kornfelder zwischen Angermund und Wittlaer nach Kaiserswerth. Wenn ich ankam, um Gläser vorzuspülen, das erste Faß anzuschlagen, hatte Rainer, der Besitzer, der damals noch im Giebel des kleinen Gartenhauses wohnte, stets eine Platte von Baden Powell aufgelegt. Der Laden war noch geschlossen, außer ihm und mir und seiner Riesendogge niemand in den weiten Räumen mit den dunklen, alten Eichenholzdielen, und obwohl ich damals natürlich ganz andere Musik hörte, wurde die so leicht durch die lange Galerie in den Garten zum Rhein schwingende und perlende Gitarrenmusik für mich zum Inbegriff dieses schönen, letzten Sommers am Ende der Schulzeit.
Ich habe Baden Powell lange nicht gehört, vor kurzem erst ist er mir wieder in die Hände (und Gehörgänge) gefallen, und sofort waren diese stillen Sommernachmittage wieder da, die nach der Schicht meistens erst spät in der lauen, mondhellen Nacht mit einem Bad im nahen Baggerloch endeten.




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Samstag, 25. August 2012
Gestern komme ich nach Hause: Wohnung leer, Frau weg.
Stattdessen auf dem Tisch im Eßzimmer ein Filmplakat und daran mit einer Büroklammer ein Zettel:




Es wird nicht nur sehnsüchtige Erinnerung an die lange Reise “down under” dahinter stecken. Wenn die Frau mal wieder ‘ne Idee hat, geht bald die Post ab. Ich kann mir nicht vorstellen, daß sie nur an einen Kinobesuch denkt. Jetzt habe ich über's Wochenende was zu grübeln, den großen Rand McNally schon mal aufgeschlagen.

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Dienstag, 24. Juli 2012
Kauzige Beobachtungen in München

Neulich hatte ich beruflich im Deutschland südlich benachbarten Bayern, genauer in der Hauptstadt München, zu tun. Ich sah dem Termin mit gewissen bangen Erwartungen entgegen. Als Nicht-Bayer hat man schließlich seine Vorbehalte gegenüber diesem ganz besonderen Bundesland unter dem hellblauweiß karierten Biertischtuch, doch war der Besuch unumgänglich, und ich muß im nachhinein zugeben, man sieht dort Dinge, die man so vielleicht doch nicht erwartet hätte.
Nach der Landung ging es gleich los. Beim Anflug hatte von oben noch alles wie gemalt ausgesehen: sattgrüne Wiesen, gelbe Felder, bretteben – sollen da nicht irgendwo Berge stehen? Doch statt Bodenbarock Kirchtürme mit barocken Zwiebeln an Stelle einer Spitze. Nun gut. Dann aber rollte die Maschine auf den Terminal zu, und München demonstrierte gleich, daß es etwas anders tickt, denn darauf prangte in Riesenlettern... also ich sage mal, daß Bundeswehrkasernen nach allerlei zwielichtigem Gesindel benannt wurden, ist ja kein Einzelfall, aber gewissermaßen den ersten Empfangssaal einer Stadt nach einem notorisch cholerischen, korrupten Politiker zu benennen, gegen dessen Aufstieg über die Landesgrenzen hinaus sich seinerzeit im Rest der Republik ganze Bürgerbewegungen und Volksbegehren formiert hatten – Respekt! So viel Chuzpe bringt nicht jede Stadt auf.
Gleiches gälte in meinen Augen übrigens für einen etwaigen Versuch, den Nachfolgebau des Olympiastadions für ästhetisch gelungen zu erklären. Was da auf dem Weg in die Stadt am Rand steht, ist kein Stadion, sondern eine ringförmige Wurst in aufgeblasener Plastikpelle, die durch ein Einkaufsnetz notdürftig gehalten wird, damit der kommerzielle Charakter des Ganzen schon in der äußeren Form sinnfällig wird. Angesichts dessen bin ich schon fast wieder froh, daß man solche Stätten ursprünglich sportlicher Begegnung heutzutage nicht mehr Stadion nennen darf, sondern söldnerisch-gladiatorenhaft “Arena”. Daß der Ort für entsprechend unfallverdächtige circenses in München ausgerechnet einem Versicherungskonzern gehört, verleiht dem Ganzen eine wohl ungewünscht komische Beinote.
Später wurde ich belehrt, alles sei Ausdruck eines gesund unerschütterlichen Selbstbewußtseins von eigener Art (man könnte es adjektivisch auch “eigenartig” nennen), das sich in dem Slogan “Mia san mia”, sagen wir, artikuliert. Übersetzt: Der Rest der Welt geht uns am Oarsch vorbei, weil mia sowieso was Besseres sind.
Wenn man auf den an sich langweiligen, aber völlig überteuerten Einkaufsstraßen der Stadt von (Bayerns) Welt erwachsene Männer heute, im zweiten Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts, in kurzen Lederhosen hagestolzen sieht, wird einem klar, daß diese Einstellung tatsächlich tief in der Psyche des Münchner Bayern verwurzelt sein muß. Es sind keineswegs nur irgendwelche hinterwäldlerischen Wurzelsepps von der Alm oder aus dem Wald, die auf der Ludwig- oder Maximilianstraße so rumlaufen, sondern Herrn, die das augenscheinlich in vollem (Sonder-)Modebewußtsein tun. Bei jungen Frauen verhält es sich nicht anders, bei ihnen gilt auch sommers und nicht etwa nur zur “Wies’n-Zeit” ein Dirndl-light-Look als tragbar. Fotografieren lassen sie sich darin allerdings nur unter Wahrung ihrer Anonymität.



Es spricht natürlich nichts dagegen, das Straßenbild im Sommer bunt und vielfältig aufzulockern, zumal gerade in dieser Zeit bodenlanges Schwarz besonders in den Münchener Straßen mit den teuersten Geschäften und Edelboutiquen unübersehbar zunimmt. Man hat auch außerhalb schon davon gehört, daß reich gewordene Araber aus den Ölemiraten zum Shoppen unter anderem nach München fliegen, aber daß sie dort in ganzen Familienverbänden ausschwärmen und etwa so zahlreich und auffällig sind wie die neureichen Russen in Helsinki, das ist mir erst jetzt aufgegangen.
Trüge das alles nur zu einem bunten, lockeren Straßenbild bei, wäre alles schön und bestens, aber die bunte Gemengelage ist nur der äußere Schein; hinter den Sonnenbrillen spielt sich ein gnadenloser Konkurrenzkampf ab.



Gegen die Blicke, die einen in München auf der Straße blitzschnell von oben bis unten taxieren und sofort in eine vom Preis der Kleidung bestimmte Hierarchiestufe einsortieren, ist ein Nacktscanner ein Nebelwerfer. Nach ihrem Befund bemißt sich, ob der leere Stuhl am Wirtshaustisch noch frei ist oder ob man Entgegenkommenden ausweicht oder sie mit Blicken vom Trottoir in die Gosse schubst. Besonders unbarmherzig kamen mir bei etlichen beobachteten Gelegenheiten die Blicke vor, mit denen Frauen andere Frauen abschätzten: ernstzunehmende Rivalin auf der Piste oder nicht? Da fanden in völliger Stille kurze, aber erbitterte Duelle statt, ohne daß man als Unbeteiligter ohne genaues Zusehen überhaupt etwas davon mitbekommen hätte.
Anders als, denke ich, die meisten Männer erfassen Frauen mit ihrem holistischen Bodyscan unfehlbar immer auch die Schuhe des Objekts, und ich war heilfroh, daß es so warm war, daß ich am Morgen die weißen Socken in den Sandalen weglassen konnte. Für den Deutschland- bzw. Bayernbesuch hatte ich natürlich eigens die dort üblichen Birkenstöcke angelegt. Durch meinen Aufenthalt in den Niederlanden hat sich meine Haltung in Fußbekleidungsfragen noch weiter simplifiziert, als sie es vorher schon war. In Holland tragen ja bekanntlich alle nur “Klompen” an den Füßen (im Sommer die zierlicheren Modelle ohne Stroheinlage), und so lief ich schon bald mit gesenktem Kopf durch Münchens Straßen und konnte den Blick nicht von den Schuhen der Passantinnen wenden. München - nördlichste Stadt Italiens; für keinen Bereich des öffentlichen Lebens trifft dieses Epitheton genauer zu als für den der Damenschuhmode.



Ich bekam den Kopf erst wieder hoch, als plötzlich Asphalt und Straßenpflaster in meinem Blickfeld durch Kieswege und Rasengrün abgelöst wurden. Der Englische Garten war erreicht und wurde von Süd nach Nord durchwandelt. “Was ich gesehn”, um es mit den Worten des Dichters zu sagen, “verrate ich nicht, ich habe zu schweigen versprochen...” Nur so viel: ich habe als “Biergärten” deklarierte Tränken und Schwemmen gesehen, in denen mit Sicherheit mehr als tausend Menschen bei- und aufeinanderhockten, um den Tag gemütlich (!) ausklingen zu lassen. Den Lärm aus tausend Kehlen hörte man selbst durch die zum Schallschutz angepflanzten Waldstücke Hunderte von Meter weit. Bayerische Urgemütlichkeit. Prosit! Wohlsein!
Irgendwann bog meine Cicerona nach links ab und verkündete, jetzt gehe es nach Alt-Schwabing. Was sie nicht sagte, war, daß der Weg uns von der Tränke in die Traufe führte.

Ich weiß nicht, wie Alt-Schwabing sonst so ist, an jenem Abend war es ein einziger Ballermann. Fetter Bratwurstqualm wälzte sich in dichten Schwaden durch die Straßen, durch die sich in noch dichteren Pulks die Menschenmengen schoben, die noch nicht mit einem Litereimer Dünnbier vor sich auf den sämtliche Bürgersteige vollstellenden Biertischbänken Platz gefunden hatten. Und das Publikum sah ganz so aus, als seien es in Vielzahl dieselben Leute, die für den Urlaub schon den Billigflieger zum Druckbetanken und Kampfsaufen auf Malle gebucht hatten. Mei, was für a Gaudi! Der Münchner läßt’s halt raus und krachen, gell? – In Details verlieren, lieber nicht. “ ... den Deckel drauf!” Irgendwann bleibt meineinem wohl nur noch der Gang in die Eremitage. Da ist wenigstens alles schön grau in grau.


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Sonntag, 18. Dezember 2011
Adventssonntag
Zauberhafteste Lichtspiele vor dem Fenster: Sonnenspots vor schiefergrauem Hintergrund, Regenbogen, erste goldflirrend stäubende Schneekristalle in einem Schauer vor sonnigem Himmel. Dann böiges Regenprasseln.
Aber gut, es ist wieder so weit. Bislang schien die nahende Wiedergeburt des Heilands hier zwar schon aus klimatischen Gründen gefühlt so fern wie Ostern oder Karneval, aber irgendwo östlich des Rheins hat man ja in dieser Zeit besonders süßhungrige Mäuler zu stopfen (sprich Familie), und nächstes Wochenende wäre ja schon alles zu spät. Also heißt es heute wieder: Ran an den Teig!

Das Material:



Das Gerät:


Die Verarbeitung:


Ergebnis:

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Dienstag, 1. November 2011



Nur kurz zu Hause, um nach dem Rechten zu sehen und Wäsche zu wechseln. Am Strand nicht viel los; lediglich ein paar Griechen wollten unter dräuenden Unwetterwolken unbedingt ein bißchen Bungeejumpen.

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Freitag, 28. Oktober 2011
Noch einmal Lichtenbergs Göttingen, weil's so schön war

“Sagt, ist noch ein Land außer Deutschland, wo man die Nase eher rümpfen lernt als putzen?”



“Die Linien der Humanität und Urbanität fallen nicht zusammen.”

(Georg Christoph Lichtenberg, 1742-1799)

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Montag, 10. Oktober 2011
Zürcher Tramwartehallen







In Zürich sehen sogar einige Straßenbahnhaltestellen stilvoll aus. Oben die vor dem Café Sprüngli (!) am Paradeplatz/Bahnhofstraße, 1928 erbaut und heute täglich von 65.000 Fahrgästen frequentiert; unten die am Bellevue mit täglich 75.000 Besuchern. Sie wurde 1938 so gebaut, wie sie heute dasteht, vom damaligen Stadtbaumeister Hermann Herter. Vor allem das Dach gilt als Pioniertat der Moderne. Im Zentrum hat es eine Glasdecke, die von einer Windrose segmentiert wird, die Entfernungen zu anderen Hauptstädten Europas anzeigt. Ebenso bemerkenswert: in der Heimatstadt des "Sprayers von Zürich" verunziert nicht ein Grafitto diese schönen, hellen Bauten mit ihren harmonisch geschwungenen Holzbänken.





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Montag, 26. September 2011
München
Wenn irgend etwas richtig zueinander paßt, dann ist es München und die Vereinsführung des FC Bayern. In München möchte man so gern “die nördlichste Stadt Italiens” sein, und bringt es doch nur zur Physiognomie und dem Verhalten eines Hoeneß. In Krachledernen. Die nicht nur zum Wiesnzeit-Fasching getragen werden, habe ich mir sagen lassen.
Aber egal, was du trägst, der Blick des Münchners und der Münchnerin wandert von ihrem Wirtshausstuhl grundsätzlich erst einmal wie ein Scanner von unten, den Schuhen, bis ganz nach oben und zurück, und dabei wird sofort überschlägig geschätzt, was die Klamotten in etwa gekostet haben, die du am Leib trägst. Das Ergebnis kannst du unmittelbar an den Mundwinkeln ablesen.



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Donnerstag, 15. September 2011
Kurzreise durch ein östliches Nachbarland (VI)


Johannstorf


Prütz


Stralsund


Ein Klima, das Radikalismus ermöglicht. Das höhnische Wort von den “blühenden Landschaften”, für das sein Versprecher mittlerweile im Rollstuhl büßt, mag man angesichts solcher Aussichten nicht einmal mehr sarkastisch zitieren. Wir werden uns in den kommenden Jahren zunehmend an den Anblick aufgegebener, verlassener und verfallender, in Zerbröckeln und Zusammenbruch übergehender Häuser in einigen Gegenden Deutschlands gewöhnen müssen. Darüber berichtete unlängst auch die Märkische Oderzeitung (via geschuetteltundgeruehrt). Dafür sorgen schon allein die demografische Entwicklung und unser Wirtschaftssystem mit seiner Diktatur des Arbeitsmarkts.
Wie schrieb Böll im Irischen Tagebuch: “Moos ist die Pflanze der Resignation.”
Da bin ich persönlich nur froh, daß ich schon seit langem mit einem Sinn für die melancholische Schönheit solchen “Rückbaus” und daher auch mit einer gewissen Freude beobachten kann, wie sich die Natur allmählich überbautes, versiegeltes, denaturiertes Gelände zurückholt.

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Sonntag, 4. September 2011
Kurzreise durch ein östliches Nachbarland (II)

Kaum überschritten wir die inzwischen imaginäre Linie, an der am 18. November 1989 um 16 Uhr die hermetische Staatsgrenze zwischen DDR und BRD geöffnet worden war, sah dahinter auch mehr als zwanzig Jahre später vieles noch ganz anders aus. So gab es fortan auf unserem weiteren Weg durch Mecklenburg und Vorpommern fast keinen Laternenpfahl, an dem nicht völlig unbehelligt ein Wahlplakat der Nazis hing. In Grevesmühlen hat die NPD letztes Jahr sogar eine mit Plankenzaun und Wachturm gesicherte Festung namens “Bürgerbüro” errichten können. Schließlich hat sie sechs Mann im Landtag.
(Gerade gab’s darüber einen Artikel im Hamburger Abendblatt.)
Und jetzt wurden sie auch noch wiedergewählt.

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