(Bleiswijkse Verlaat, alte Schleuse an der Rotte aus dem Jahr 1774)
Die Rotte ist ein stilles, kleines Moorflüßchen im Rhein-Maas-Mündungsgebiet, dem sogenannten Grünen Herzen Hollands. Wo sie in die Maas mündet, wurde sie im Rahmen der Trockenlegung von Poldern etwa um 1260 mit einem Damm vor dem Eindringen von Maas- und Nordseewasser gesichert. Am Rotterdam landeten und verkauften seitdem Heringsfischer ihren Fang, und von dort wurde er weiter landeinwärts verschifft.
Um die Abenteuer seiner dreimaligen Teilnahme an Kreuzzügen des Deutschen Ordens gegen die Litauer im Baltikum zu finanzieren, verlieh Graf Wilhelm IV. von Holland, Seeland und Hennegau 1340 sogar dem kleinen Umschlagplatz Rotterdam Stadtrechte, gegen entsprechende Gebühren versteht sich. Wilhelm fiel schon 1345 im Alter von etwa 26 Jahren in Kämpfen gegen die aufsässigen Friesen bei Stavoren. Da er keine legitimen Erben hinterließ, beerbte ihn seine älteste Schwester Margarethe. Im Hennegau war weibliche Erbfolge zulässig, die Grafschaft galt als “Weiberlehen”. Margarethe I. war aber keine niederländische Duodezadelige, sondern seit ihrem dreizehnten Lebensjahr die zweite Ehefrau des deutschen Kaisers, Ludwig des Bayern, und so kamen Holland, Seeland und Hennegau im fernen Nordwesten des Reiches in den Hausbesitz der bayerischen Wittelsbacher.
Kaiser Ludwig IV., 1346 von dem Luxemburger Karl IV. als Gegenkönig herausgefordert, starb im folgenden Jahr auf der Bärenjagd an einem Schlaganfall. Der gleichnamige älteste Sohn aus der Ehe mit Margarethe wurde Herzog von Oberbayern, der zweite Sohn als Wilhelm I. Herzog von Niederbayern. Ihm hatte der Vater bereits die niederländischen Grafschaften zugedacht, sodaß es tatsächlich zur Bildung eines heute kaum noch bekannten Herzogtums Straubing-Holland als wittelsbacher Nebenlinie kam.
Doch verlangte die erst 35-jährige Kaiserwitwe Margarethe von ihrem Sohn eine beträchtliche Abstandszahlung für ihren Verzicht auf die Herrschaft in ihren niederländischen Stammlanden. Die waren von den holländischen Grafen finanziell bereits heftig zur Ader gelassen worden, mußten zudem für ständige Auseinandersetzungen mit den Friesen und dem rivalisierenden Bistum Utrecht geradestehen, und außerdem wurden die Niederlande 1349 von der ersten Pestepidemie empfindlich getroffen. Mächtige Adelige wie die Herren von Egmont und Heemskerk und einige Städte verlangten von Wilhelm darum den Bruch mit seiner Mutter und schlossen sich gegen ihre Anhänger zu einem Bund zusammen, der sich den ursprünglichen Spottnamen die Kabeljaue zu eigen machte.
Die gegnerische Fraktion, die Haken (Hoeken), rief Margarethe zurück, und 1350 brach ein Bürgerkrieg aus, dessen wechselhafte kriegerische Phase erst 1354 durch Vermittlung von Margarethes Schwager, König Edward III. von England, beendet wurde. 1356 starb Margarethe, die nur den Hennegau behalten hatte, zwei Jahre später stach der vermutlich wieder einmal volltrunkene Wilhelm V. im Großen Saal der Haager Burg plötzlich einen seiner Begleiter nieder. Man erklärte ihn für geisteskrank und machte seinen jüngeren Bruder Albrecht von Bayern zu seinem Vogt und Nachfolger. Der regierte das Herzogtum bis zu seinem Tod 1404 46 Jahre lang lieber von Den Haag als von Straubing aus und machte es zu einem wohlhabenden und ernstzunehmenden Mitspieler im Konzert der damaligen europäischen Mächte. Beredter Beleg dafür ist die berühmte Doppelhochzeit von Cambrai im Jahr 1385. Vor 20.000 geladenen Gästen verheiratete Herzog Albrecht da seinen Sohn Wilhelm (VI.) mit Margarete, der Tochter Herzog Philipps des Kühnen von Burgund, und seine Tochter Margarethe mit dessen Sohn Johann Ohnefurcht. Das eröffnete den holländischen Wittelsbachern natürlich glänzende Zukunftsaussichten, es warf aber auch die Frage auf, wer einmal wen beerben würde.
Derweil schaufelten die ersten Poldermühlen entlang der Rotte unermüdlich Wasser, um die Sümpfe und Moraste entlang des Flüßchens weiter trockenzulegen und in Nutzung zu bringen. Daß durch diese Austrocknung der Boden im Lauf weniger Jahrhunderte bis zu sechs Meter unter den Meeresspiegel absinken würde, konnte damals noch niemand ahnen.
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Die zahlreichen internationalen Einrichtungen bringen natürlich auch einen guten Schuß Internationalität ins gutbürgerliche Haag. Nicht nur auf seine Straßen. In seinem Knast sitzt die große weite Welt ein. Nicht bloß irgendwelche lokalen Dealer und Kleinkriminelle, die Frikandellen und Fritten in gepanschtem Schmieröl gebraten haben, hocken hinter Haager Gardinen, sondern Schwerverbrecher von internationalem Rang und Format, die sich nicht mit einem miesen, schäbigen Mord abgeben, sondern miese, schäbige Kriegsverbrechen bis zum Völkermord begangen haben. Hinter diesen hohen Mauern sitzt ein Charles Taylor, den man soeben wegen einiger der "hasserfülltesten Verbrechen der Menschheitsgeschichte", wie es im Urteil heißt, zu fünfzig Jahren Haft verurteilt hat. Hier hofft Karadžić auf weitere peinliche Fehler der Anklage, hier täuscht und trickst der Schlächter von Srebrenica, Mladić, inzwischen zum Simulanten mutiert, um seinen Prozeß zu verschleppen, hier wehrt sich ein brutales Schwein wie Šešelj gewohnt großmäulig gegen seine Verurteilung. "With their stupid charges against me they have come up against the greatest living legal Serb mind. I shall blast them to pieces."
Als ich zum Fotografieren an den Mauern der Haager Pönitenzanstalt entlang ging, kam mir vom Parkplatz ein dunkelhäutiger Herr in hellgrauem Anzug und mit Diplomatenköfferchen entgegen. Überraschend sprach er mich sofort an. Ob ich als Tourist oder vielleicht als Journalist da sei, wollte er wissen. Ich wappnete mich innerlich für die Verteidigung des freien Fotografierens auf öffentlichen Straßen und Plätzen, aber darum ging es dem Herrn aus Afrika gar nicht. Er sei Prozeßbeobachter und komme aus der Demokratischen Republik Kongo; schließlich sei es notwendig, die Prozesse vor dem International Criminal Court kritisch zu begleiten, denn dort würden einseitig nur dem Westen unliebsam gewordene afrikanische Politiker angeklagt und verurteilt. Die bisherige Geschichte des ICC gibt dem Herrn recht, bis heute hat der Gerichtshof ausschließlich gegen Afrikaner Anklage erhoben. Wenn es anders wäre, so der Herr, müsse längst ein George W. Bush auf der Anklagebank des Internationalen Strafgerichtshofs sitzen, aber ich wisse sicher, daß ausgerechnet die Vereinigten Staaten von Nordamerika, die “Erfinder” der Menschenrechte, den ICC nicht anerkennen und ihm sogar direkt entgegenarbeiten würden. So weit rannte der Herr bei mir offene Türen ein, und es entwickelte sich aus dem Nichts ein recht angeregtes Gespräch auf offener Straße, vor dem Gefängnistor.
Über meinen politischen Einfluß in Deutschland hegte der Herr anfangs jedoch anscheinend gänzlich realitätsferne Vorstellungen, denn er fragte mich mehrfach, zu welchen politischen Interessengruppen (“Parteien oder Lobbies”) ich in Deutschland Verbindungen unterhalte und ob mir nicht zufällig Angola Mörkel persönlich bekannt sei. Interessant, welche Einschätzung ein Kongolese über einen beliebig dahergelaufenen Passanten in Europa trifft. Eine kleine Anstecknadel an seinem Revers regte mich zu einer Gegenfrage an. Sie zeigte auf den hellblauen Umrissen des Kongo die Buchstaben MLC. Und, ja, der Herr war Mitglied des Mouvement de libération du Congo, der Partei von Jean-Pierre Bemba, ehemals Vizepräsident des Kongo und Hauptrivale von dessen Präsident Joseph Kabila. Beide unterhalten eigene Streitkräfte, mit denen sie jeweils bestimmte Regionen in dem riesigen Land kontrollieren oder kontrollierten, Bemba den Norden, Kabila die Hauptstadt und den Osten. Ein halbes Jahr nach der letzten Präsidentenwahl, bei der er sich erst in einer Stichwahl gegen Bemba durchsetzte, ließ Kabila Bemba im März 2007 in seinem Haus in Kinshasa angreifen und beschießen. Bemba flüchtete in die portugiesische Botschaft und von dort via Südafrika nach Portugal. Ein Jahr später erließ der ICC einen Haftbefehl gegen Bemba, weil er 2002 auf ein Hilfsersuchen des damaligen Präsidenten von Zentralafrika, Patassé, seine Soldaten in das Nachbarland entsandt hatte, die dort geplündert, gemordet und vergewaltigt hätten. Im Mai 2008 wurde Bemba in Brüssel verhaftet. Seit 2010 macht man ihm hier im Haag den Prozeß. Einen politischen Schauprozeß nach Meinung meines Gesprächspartners auf der Straße. Ich kann dazu nichts sagen, habe nicht die leiseste Ahnung, was wirklich im Inneren Afrikas vorgeht. Mein letzter Gewährsmann dazu ist Joseph Conrad. Gegenwärtige Entwicklungen im Kongo scheint aber die taz ganz gut zu verfolgen, und sie brachte zur Prozeßeröffnung am 21.10.2010 einen ausführlichen Artikel unter dem Titel “Ein äußerst fragwürdiges Verfahren”.
Der Ansicht ist auch der dunkle Herr im hellen Anzug. “Der Segen, vor allem aber der Fluch des Kongo sind seine Bodenschätze”, erklärt er mir. “Gold, Kohle, Diamanten, Uran, Kobalt, Koltan, alles gibt es im Kongo, und alle wollen sie unsere Bodenschätze haben, besonders die ausländischen Großmächte. Der Westen setzte nicht auf Bemba, sondern auf Kabila und hat geglaubt, der würde ihm mit Stabilität die Ausbeutung unserer Rohstoffe erlauben. Aber der Westen hat übersehen, daß Kabila die Militärakademie in Peking absolviert hat, und jetzt verkauft er das Land an die Chinesen. Und wo die Chinesen sich einmal festgesetzt haben, gehen sie freiwillig nicht wieder weg. Die Stellung des Westens im Kongo wird immer schwieriger”, fährt der Herr fort, “Kabila arbeitet mit China zusammen, und wenn der Westen Kabila und die Chinesen loswerden will, kann er im Kongo nur auf Bemba setzen. Deswegen habe ich die Hoffnung, daß der Prozeß gegen Bemba mit einem Freispruch endet.”
Wird auch in diesem Fall Justitia mal wieder unter ihrer Augenbinde hervorschielen?
Solche interessanten Gespräche kann man jedenfalls in Den Haag unversehens auf der Straße führen.
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VIRTUTIS EST DOMARE QUAE CUNCTI PARVENT
“Es ist eine Tugend, die zu züchtigen, die die Gesamtheit fürchtet”
Ich halte es nicht für einen Zufall, daß etliche der internationalen Gerichtshöfe und Strafeinrichtungen in der Hauptstadt der Niederlande, in Den Haag, eingerichtet wurden: Der Internationale Gerichtshof, der Internationale Strafgerichtshof, das Exjugoslawien-Tribunal, das Libanon-Tribunal. Die Niederländer pflegen schließlich eine lange Tradition des Strafens und Erziehens.
Um ihre Mentalität als Nation herauszuarbeiten (früher hätte man von “Volkscharakter” gesprochen, sofern es so etwas überhaupt gibt, was sich mit guten Gründen bezweifeln läßt), beginnt Simon Schama seine Studie ausgerechnet, aber nicht von ungefähr mit einer Schilderung des Amsterdamer Tugthuis, des Zuchthauses.
Darin wurde seit 1595 an Delinquenten eine frühe, speziell holländische Form des heutzutage bei amerikanischen CIA-Folterern so beliebten Waterboarding praktiziert. Man flutete die Zelle eines Gefangenen im Keller, in der eine Handpumpe installiert war, und ließ dem Insassen die Wahl, jämmerlich zu ersaufen oder zu pumpen, bis ein “wahrer” Holländer aus ihm wurde, denn worin bewies sich der Holländer, wenn nicht im unermüdlichen Abpumpen von Wasser.
Anschließend durfte der umzuerziehende Sträfling im Obergeschoß seine restliche Haftzeit damit verbringen, sich von einem unordentlichen Kriminellen zu einem nützlichen Glied der Gesellschaft zu wandeln, indem er Tag für Tag Rotholz aus Brasilien zu Färbepulver für die Textilmanufakturen sägte und raspelte. Dabei mußte er sich von Besuchern begaffen lassen wie ein Affe im Käfig, denn gemäß der herrschenden kalvinistischen Moral sollte auch öffentliche Scham der Besserung dienen. Und wenn man nebenher noch ein kleines Sümmchen daran verdiente, war das den bigotten Frömmlern im Magistrat nicht unwillkommen. So wurden denn im 17. und 18. Jahrhundert das Rasphuis und die entsprechende Einrichtung für Frauen, das Spinhuis, fest ins Amsterdamer Sightseeingprogramm aufgenommen und Scharen von Touristen gegen Eintrittsgeld zum Begaffen der Häftlinge geführt.
Nach dem Abbruch des stark veralteten Zuchthauses 1892 errichtete die Stadt an seiner Stelle – ein Schwimmbad.
Nachtrag:
Fast könnte man den Abbruch des Rasphuis bedauern, denn gerade derzeit wüßte ich so manchen, dem ich gern ein paar Stunden kräftiges Pumpen bei hohem Wasserstand verordnen würde, angefangen bei Signore Monti, dem antidemokratischen Vollzieher (vulgo “Technokrat”) vom Bilderberg, und dann weiter mit anderen selbsternannten “Euro-Rettern” wie Gabriel und Schäuble, bei dem man allerdings fairerweise den Wasserstand etwas senken müßte.
Was hat der Monti jetzt öffentlich erklärt? Die europäischen Regierungen sollten sich nicht von den Parlamenten behindern lassen und hätten die “Pflicht, das Parlament zu erziehen.” – Allein für diese Äußerungen hätte er mindestens acht Stunden Wasserpumpen verdient, aber am Ende wird man ihm in Aachen genauso den Karlspreis um den Hals hängen wie Schäuble, Trichet, Merkel, Juncker und - vor zehn Jahren - dem Euro selbst!
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Im Gegensatz zu den meisten werde ich mich ausgerechnet im Ferienmonat August einmal durchgehend an meinem Wohnort aufhalten. Gelegenheit also für Versuche, auch die nähere Umgebung mit dem unverwandten Blick des Kameraauges anzusehen, und für ein paar unspektakuläre Fingerübungen am Auslöser. Den(n) Haag ist größtenteils eine ruhige, gutbürgerliche Stadt im Verständnis von Simon Schamas eklektisch zusammengewerkelter Mentalitätsgeschichte der Niederlande im Goldenen Zeitalter, Überfluß und schöner Schein, von 1987: sauber, ordentlich, wohlanständig, wohlhabend, moralindurchsäuert. Kein durch und durch unbehaglicher Ort für ein ruhiges, zurückgezogenes Wohnen für den, der Trubel lieber andernorts als gleich vor der Haustür sucht. Wer lieber im ewigen Kuddelmuddel hausen mag, zieht sowieso nach Amster- oder Rotterdam oder gleich nach Berlin. Nichts Aufregendes also hier zu sehen in den kommenden Wochen. Ich werde lediglich sehr holländisch ein bißchen vor der eigenen Tür kehren. “Elk keere voor zijne eigene deur.” Am schönsten klingt die alte Redewendung aber auf Ungarisch:
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Mitte der Achtziger Jahre war es den Zuwanderern von den Niederländischen Antillen in Holland endgültig zu kalt geworden. Sie beschlossen, Karneval zu feiern wie in ihrer alten Heimat, und zwar nicht vor Beginn der katholischen Fastenzeit im Spätwinter, sondern in der Jahreszeit, in der die Temperaturen sogar in Holland das Tragen eher leichter und stoffsparender Kostüme wie in der Karibik manchmal zulassen. Andere Bevölkerungsgruppen aus dem Süden schlossen sich bald begeistert an, aus dem anfangs kleinen Umzug wurde ein von Jahr zu Jahr immer größerer, und nun war am Wochenende in Rotterdam zum 28. Mal laut und bunt:
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Was macht man mitten im Sommer am besten in Rotterdam? Man geht ins Museum. In das Museum, in dessen versammelten Bildern ich bei solchem “Sommerwetter” immer wieder gern spazieren gehe. Diesmal nicht in einer “Landschaft am Anfang der Zivilisation”, und diesmal fesselte mich auch nicht der Blick einer Maria Magdalena wie im letzten Jahr. Diesmal blieb mein eigener Blick an einer Hand hängen, an einer schönen, sehr blassen Frauenhand mit einem auffälligen Ring am Daumen, die über einem Kleid schwebt, das über und über glänzt und schimmert wie Mondstein, obwohl es nur aus Ölfarbe auf Leinwand besteht.
Der Mann, dem die dunklere Hand auf dem Bild gehört, Mijnheer Abraham del Court, hat das Gemälde 1654 in Auftrag gegeben, zwei Jahre nach seiner Hochzeit, und nicht bei irgendwem, sondern beim angesehensten und beliebtesten Porträtisten der Amsterdamer High Snobiety des Goldenen Zeitalters, bei Bartholomeus van der Helst. Ja, das ist der, der in seinem fünfeinhalb Meter breiten Kolossalgemälde mit dem ebenso breiten Titel “Das Schützenmahl der Amsterdamer Bürgergarde zur Feier des Westfälischen Friedens" 1648 mehr als zwei Dutzend naturgetreue Porträts unterbrachte. Der Kunstkritiker Arnold Houbraken hat es in seiner “Groote schouburgh der Nederlantsche konstschilders en schilderessen” als eines der wichtigsten Gemälde überhaupt und seinen Schöpfer van der Helst und nicht etwa Rembrandt als den “Phönix der niederländischen Malerei” bezeichnet. Auch der offizielle Hofmaler des englischen Königshauses, Godfrey Kneller (1646 als Gottfried Kniller in Lübeck geboren), der “gleich nebenan” bei Rembrandt gelernt hatte, schätzte van der Helsts Porträtkunst sehr. Man halte nur einmal die flachen Gesichter auf Gerard ter Borchs vergleichbarem Bild von der Unterzeichnung des Friedens zu Münster von 1648 daneben, um die Lebendigkeit und Qualität von van der Helsts Porträts zu erkennen.
Viel mehr aber als die Gesichter nahm mich eine Hand der Dame auf dem Doppelporträt für Mr. del Court gefangen.
Van der Helst war nicht umsonst Holländer, er wußte seine Kunst und sein Renommee sehr genau in Gulden umzurechnen. Die Preise für seine Porträts berechnete er nach der Zahl der abgebildeten Personen und verlangte pro Kopf über 300 Gulden. So strich er 1658 für ein Familienporträt die mehr als stolze Summe von 1400 Gulden ein (das war fast so viel, wie Rembrandt für seine “Nachtwache” bekam) und verlangte 1664 für eine dreiköpfige Familie die runde Summe von 1000 Gulden, erhielt nach einem langen Rechtsstreit am Ende 400 Gulden, weil das Gericht 300 für angemessen befand und ihm noch 100 Gulden extra ‘ten respecte vande meester sijn naem ende reputatie’ zuerkannte.* Nur zum Vergleich: 1626 hatte Peter Minuit aus Wesel, der Gouverneur von Nieuw-Amsterdam (heute New York), den Indianern die Insel Manhattan für 60 Gulden abgekauft. (Na ja, andererseits hätte man auf dem Höhepunkt des Tulpenwahns 1637 für 1000 Gulden nicht einmal eine einzige Tulpenzwiebel kaufen können.)
Es waren jedoch nicht nur seine Honorare (“wat nix kost’, is auch nix’) und die meisterhaft naturgetreue und doch meist gefällige Ausführung seiner Porträts, die den teuren van der Helst für del Court empfahl, sondern ebenso etwas anderes, auf das er in dem dann bestellten Bild allergrößte Sorgfalt verwandte: die malerische Wiedergabe von Stoffen. Ich glaube nicht, daß man silberweißen Satin vorher schon einmal so hat glänzen sehen wie auf dem gemalten Kleid von del Courts Frau Maria de Kaersegieter (oder Keerssegieter). Nicht von ungefähr, denn Abraham del Court stammte aus einer im wahrsten Sinn des Wortes gut betuchten Hugenottenfamilie, war Tuchhändler und Stofflieferant für die reiche Kaufmannschaft und das Patriziat der damaligen Weltstadt Amsterdam. Das Bild, das ihn und seine acht Jahre jüngere Frau als frisch getrautes Ehepaar vorstellt (der Garten, die kleine Fontäne im Hintergrund und die gerade aufgeblühte Rose, die sie mit der anderen Hand anfaßt, als Embleme (ehelicher) Liebe), soll zugleich Reklame für die Qualität seiner Stoffe machen.
Schwarz und weiß schimmernd bedecken sie fast die Hälfte des Bildes. Eine heutige Kunsthistorikerin nahm es zum Anlaß, um vom Porträt des Goldenen Zeitalters in den Niederlanden als einer frühneuzeitlichen “PR-Maschine” zu schreiben. Und in ihrer Besprechung der gleichen Ausstellung schrieb Charlotte Higgins 2007 im Guardian:
Black was predominant, according to Betsy Wieseman, curator of Dutch paintings at the gallery, partly because it implied "sobriety and modesty. But at least as important was the fact that it was fashionable. These days, when you go out somewhere special, the chances are that you reach for black. Well, for much of the 17th century it was like that in the Netherlands." So black is the old black; but... this black is all about rich detail and texture. Abraham's black silk get-up is almost blinding in its splendid sheen.
Even the John Terry or Gary Neville weddings at the weekend would find it hard to rival this for garish, nouveau riche ostentation. That dress of hers is not black, you will have noted. If wearing a beautiful white suit in 2007 announces that you are far too rich to take a bus or walk in the rain, ratchet that up a few notches for Holland in the 17th century: no dry cleaning, and even filthier streets. Maria is too damn rich and stylish to move, we can infer. What is hilarious about this painting is that it is more or less an advertisement. Del Court was a cloth merchant. His wife's white frock - which takes up half the painting and whose fabric is painted with loving luminescence by van der Helst - is showing what a nice bit of schmutter he can put his wife in, just as Sir Philip Green wouldn't want Lady Green to be seen slopping around in a stained tracksuit. That moonstone-coloured dress is set off by amazing silver-thread embroidery, quintuple strands of pearls at each wrist, a diamond ring and brooch, and ropes of pearls in her hair and at her throat. Talk about bling.
Ähnlichkeiten zu van der Helst’ Doppelporträt sind kaum zu übersehen. Nur hält die Dame auf dem Stich in ihrer Linken keine aufblühende Rose, sondern einen sterbenden Frosch. Das Motto über der Pictura lautet: Tibi mors, mihi vita. Dir den Tod, mir das Leben.
1663 malte Pieter de Hooch eine musizierende Familie. Es wurde von Kunsthistorikern mehrfach behauptet, zu sehen sei darauf die Familie del Court. Die von de Hoogh gemalte Frau des Hauses ist aber nicht Maria de Kaersegieter, Abraham del Courts erste Frau. Sie hat nach ihrer Hochzeit keine zehn Jahre mehr gelebt. Ihre Hand auf van der Helsts Porträt könnte schon vom Tod so blaß gezeichnet sein.
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"Es gibt kein schlechtes Wetter, es gibt nur schlechte Bilder."
(Erasmus von Rotterdam, Rotterdam, 16. Juli 1503)
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“April, April”, sagt nach dem Juni auch der Juli dieses Jahr wieder an der Nordsee. Mittlerweile streicht man’s im Kalender an, wenn das Thermometer an einem Tag mal für wenige Stunden die 20 ̊-Marke übersteigt.
“Gestern schien die Sonne”, verkündet die Herzogin, als ich am Abend nach Hause komme, “mindestens zwanzigmal.”
“Und zwischendurch?”
“Rain on, rain off, rain on.”
“Ganz schön was los da oben, wie?”
“Ja, wenigstens da”, schließt sie schulterzuckend.
“Aber du hattest doch Besuch von den Mečići”, sage ich. “Haben sie dich denn nicht ein wenig aufgemuntert?”
Die Mečići Genannten sind befreundete holländische Journalisten, die seit einem Jahr in Griechenland leben und gerade auf “Heimaturlaub” nach Holland zurückgekommen sind.
“Ach, denen hat der Abstand auch die Perspektive verrückt”, sagt die Herzogin. “Ich habe sie gefragt, wie ihnen denn Holland jetzt gefällt, und sie haben nur gemosert: ‘Völlig überorganisiert und überbevölkert das Land, die Leute schrecklich verwöhnt und anspruchsvoll. Wehe, sie kriegen nicht gleich, was sie im Augenblick haben wollen!’ Sie haben von Griechenland die Fähre nach Venedig genommen und meinten: ‘Du kannst durch ganz Oberitalien, Österreich und sogar Deutschland völlig normal autofahren, aber kommst du nach Holland, mußt du pausenlos auf die Bremse treten. In allem.’”
Holland hat wieder zwei Fans verloren.
Wie wär’ es da mal mit einem “Sommer wie es früher einmal war? Mit Sonnenschein von Juni bis September und nicht so naß und so sibirisch wie im letzten Jahr?”
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