Zu Silvester hatten wir übrigens Besuch von holländischen Bekannten, die derzeit im Ausland leben. Der Mann und ich zogen am Vormittag in einen großen Gartenbaumarkt, um ein bißchen was zur lautstarken Begrüßung des neuen Jahres und zur Reinigung des alten mittels Pulverdampf zu erwerben. Während ich mich resigniert und kopfschüttelnd in die langen Warteschlangen vor diversen Auswahl-, Bestell-, Kassier- und Abholtischen einreihte (ich erspare Ihnen Details des hirnrissig umständlichen Systems), schaute sich mein Begleiter um und sagte nach einer Weile: “Hast du eigentlich gesehen, was viele meiner Landsleute kaufen?”
“Knaller und Feuerwerk, I presume.”
“Mitnichten, mein Lieber, was glaubst du? Holländer kaufen am 31. Dezember natürlich Weihnachtsbaumschmuck, im Ausverkauf.”
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Die ersten Schritte mit der neuen Kamera vor die Tür. Holland, das Land, in dem es keine Gardinen gibt. Das grüne, helle Land, in dem sommers die Sonne scheint, weil auch tagsüber die Straßenlaternen brennen. Der Haager Sommer 2011, evoziert Poesie
Der Sommer kam doch
Auf frisches, grünes Blattwerk
Der Regen schüttet.
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Mit der beeindruckend gelehrten historischen Abhandlung dieses Titels war er 1919 mit einem Schlag unter allen europäischen Geisteswissenschaftlern bekannt und eine Berühmtheit geworden. Doch war Huizinga wohl ein eher pessimistisch gestimmter Mensch. Als den auslösenden Gedanken zu seinem historiographischen Meisterwerk hat er selbst die Einsicht benannt, die ihm 1907 auf einem Spaziergang über die grünen Wiesen Frieslands aufging: “Das späte Mittelalter ist nicht die Ankündigung eines Kommenden, sondern ein Absterben dessen, was dahingeht.”
Da war er gerade 35 und frisch berufener Professor. Doch skeptisch bis pessimistisch beurteilte Huizinga auch seine eigene Zeit und ganz besonders den Aufstieg des Nationalsozialismus in der Mitte Europas, den er von Anfang an als “Barbarei” erkannte und benannte. Gegen dessen Antisemitismus setzte er gleich zu Beginn ein deutliches Zeichen. 1933 eröffnete er als Rektor an der Universität Leiden eine Tagung des International Student Service und wies einen der führenden deutschen Antisemiten, Goebbels-Mitarbeiter und Hitler-Biograph Johann von Leers, kraft seines Amts aus der Universität. Der Vorfall führte zu einem offiziellen Protest der Reichsregierung Hitler in Den Haag. Doch Huizinga ließ sich nicht einschüchtern und in seiner Zeitanalyse nicht beirren. 1935 veröffentlichte er Im Schatten von morgen. Eine Diagnose des kulturellen Leidens unserer Zeit. Das Buch und überhaupt sämtliche Schriften Huizingas landeten in Hitlerdeutschland prompt auf dem Index “schädlichen und unerwünschten Schrifttums”.
Er selbst stand nach der deutschen Besetzung der Niederlande auf einer Liste potentieller Geiseln. Eine Einladung zur Emigration in die USA lehnte er ab. Aus Protest gegen die Einmischung der Besatzer in Universitätsangelegenheiten bat er 1942 um seine Emeritierung. Die Nazis schlossen die ganze Uni. Huizinga wurde verhaftet und im August ‘42 mit siebzig Jahren im niederländischen Geisellager Sint-Michielsgestel interniert. Doch war er international zu bekannt, als daß die Nazis seinen Tod in ihrer Haft riskieren wollten. Unter der Auflage, nicht nach Leiden zurückzukehren, wurde er entlassen und erhielt einen Wohnsitz in der Nähe von Arnheim zugewiesen. Dort starb er, als die Alliierten nach der verlorenen Schlacht um die Brücke von Arnheim gerade ein zweites Mal zum Angriff auf den Niederrhein antraten, am 1. Februar 1945. Der unmittelbar bevorstehende totale Zusammenbruch der Nazidiktatur war ihm sicher längst klar. Bei der Arbeit an seinem letzten Werk, Geschändete Welt. Eine Betrachtung über die Aussichten auf Genesung unserer Kultur, geschrieben im Sommer ‘43, konnte er wohl wieder Hoffnung schöpfen.
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Es gibt Blicke, denen entzieht man sich nicht. Nicht einmal, wenn sie bloß gemalt sind.
So erging es mir bei einem neuerlichen Rundgang durch die phantastische Kunstsammlung Boijmans Van Beuningen in Erasmus’ Geburtsstadt Rotterdam, deren Grundstock aus der Mitte des 19. Jahrhunderts stammt, inzwischen aber auf rund 140.000 Objekte angewachsen ist. Sie passen längst nicht mehr in die 12.000 qm Ausstellungsfläche des eindrucksvollen Museumsbaus von 1935 im Stil des Stockholmer Rathauses, und die Sammlung empfängt den Besucher mit einem Raum, in dem sie Bilder zeigt, die aus unterschiedlichen Gründen leider nicht in den eigentlichen Ausstellungsräumen Platz fanden. Abgesehen von den berühmtesten Werken wie einigen von Hieronymus Bosch, Pieter Bruegel d.Ä., Dürer, Rembrandt bis Kandinsky werden darum auch in der Dauerausstellung ab und zu Bilder ausgetauscht, so daß es sich lohnt, das Museum in Abständen wieder zu besuchen. Dabei findet man Lieblinge, die man immer wieder gern betrachtet. Ich glaube auch, daß keine Reproduktion einem den miniaturhaften Detailrealismus im Original von Bruegels “Turm zu Babel” wiedergeben kann, und ich gehe nun mal ab und zu gern in den unglaublich narrativen Bildern alter Meister spazieren. Diesmal war u.a. die 1,65 Meter breite “Landschaft am Anfang der Zivilisation” des Wiedertäufer-Anhängers Cornelis van Dalem aus Antwerpen an der Reihe. Der kleine Eichelhäher auf einem Felsvorsprung darin hatte am Morgen noch genauso im Baum vor meinem Fenster gesessen.
Es war aber nicht der Blick des Eichelhähers in dem Bild, der mir nachging, sondern, begreiflicher, der einer Frau. Dummerweise einer Heiligen, aber immerhin einer “Frau mit Vergangenheit”, wie Zarah Leander einmal über sich sang.
Der Text paßt vielleicht auch gut zu der Heiligen, jedenfalls nach ihrer Zurichtung durch die katholische Kirche:
"Ich bin eine Frau mit Vergangenheit
voll moralischer Unbefangenheit.
Oft träumt man von Idealen,
folgt dem wilden Herzensdrang,
und dann muss man dafür zahlen,
zahlen sein Leben lang.
Freiwild wird man für jedermann,
ohne Pardon
Und was dann folgt, verfolgt uns
bis zur Endstation."
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oder was man findet, wenn man etwas über einen Garten erfahren möchte
Im Jahr 1801 gab es in der erst sechs Jahre jungen Batavischen Republik der Niederlande einen kleinen Staatsstreich, diplomatisch eingefädelt vom Ersten Konsul der Schutzmacht Frankreich, Napoleon Bonaparte, der immer mehr monarchische Bestrebungen erkennen ließ. So wurden durch eine von ihm erzwungene Verfassungsreform demokratische Errungenschaften auch in der Batavischen Republik wieder zurückgenommen, und man bezeichnete den niederländischen Satellitenstaat Frankreichs fortan offiziell lieber als Bataafs Gemenebest.
Drei Jahre nach dem Coup kam der Ratgeber des holländischen Königshauses Baron Arnold Willem van Brienen in den Besitz des schönen Barockschlößchens Clingendael beim Regierungssitz Den Haag. (Sein Stadtpalais dort war das heutige Hotel des Indes.) Clingendael blieb Eigentum derer van Brienen bis zum Tod ihrer letzten Vertreterin, der Baroneß Marguerite Marie van Brienen van de Groote Lindt, 1939. Die Baroneß besaß ausgezeichnete Verbindungen auch zu ausländischen, besonders britischen Adelskreisen und sprach angeblich mehr Englisch als Holländisch.
Seit den Weltausstellungen in Wien 1873 und Paris 1889, auf denen nach der jahrhundertelangen Isolation des Landes die ersten japanischen Gartenpavillons und -anlagen in Europa zu bestaunen waren, kam es zu einer kleinen Japanwelle in den Parks mondäner englischer Gartenbesitzer. Zu ihnen gehörte auch Frances Maynard, seit ihrer Heirat mit Francis Greville Lord Brooke, dem 5. Earl of Warwick, nicht nur Erbin der Ländereien ihres Großvaters, dem Viscount Maynard, sondern auch Herrin auf Warwick Castle (gegründet von Wilhelm dem Eroberer) mit seinem fast drei Quadratkilometer großen Park.
“It was not uncommon in the Victorian era for a married woman of social prominence to become romantically involved with a man higher on the social ladder than her husband. This was often with the husband's knowledge, as it could also assist in his advancing socially or politically, and was considered normal for the times.” (English Wikipedia)
Lady Brooke of Warwick, von vertrauten Freunden kurz Daisy genannt, unterhielt mehrere solcher Affairen, die bekannteste – sie sorgte selbst dafür, daß sie bekannt wurden, weshalb man sie in ihren Kreisen auch gern “Babbling Brooke” nannte – war eine über Jahre andauernde mit dem damals “ewigen” Prince of Wales, dem späteren König Edward VII. Sie bestand immerhin zwölf Jahre. Danach nahm sich die schöne Daisy, die selbst Rodin Modell stand, andere Liebhaber; einer ihrer Favoriten war das Vorbild für “John Bull”, Admiral Lord Beresford, ein anderer der schnauzbärtige Brigadegeneral Joseph Laycock, mit dem sie zwei Kinder hatte.
“Brookie, to whom Daisy remained married until his death in 1924, proved to be a man of surprising and devoted resilience, tolerant not only of his wife's endless affairs but of the arrival of children in whose creation he had no part”, schreibt eine ihrer Biografinnen, Sushila Anand.
“Brookies” Bruder, Louis George Grenville, war zeitweilig britischer Botschafter in Tokyo und ließ sich nach seiner Heimkehr bei seinem Landsitz Heale House einen japanischen Garten anlegen; seine Schwägerin folgte diesem Beispiel bei ihrem eigenen Lieblingslandhaus, Easton Lodge in Essex."
Baroneß van Brienen in Den Haag unterhielt beste Beziehungen zu diesen Kreisen der britischen High Society. Sie kannte auch König Edwards noch bekanntere langjährige Maitresse, Alice Keppel (deren Urenkelin rein zufällig die langjährige Geliebte des jetzigen Prince of Wales ist: Camilla Carter-Bowles). Alice Keppels Tochter Violet ging bereits mit 10 Jahren eine enge Freundschaft mit Vita Sackville-West ein, die sich über Jahre hinweg zu einer wild-bewegten lesbischen amour fou entwickeln sollte.
Mevrouw van Brienen oder “Freule Daisy” war mit Vitas Mutter Victoria Sackwell-West persönlich befreundet und ebenso mit den Schwestern Ella und Florence Du Cane, die in den ersten Jahren nach der Jahrhundertwende als Malerin und Schriftstellerin ausgedehnte Reisen unternahmen und anschließend illustrierte Bücher darüber veröffentlichten: Flowers and Gardens of Madeira (1909), ...of the Canary Islands (1911) und, als erstes in der Reihe: Flowers and Gardens of Japan, 1908. Ein Exemplar schenkten sie bei einem Besuch in Clingendael ihrer Gastgeberin und Freundin.
Drei Jahre später begab sich Marguerite van Brienen selbst auf eine Japanreise. Von dort brachte sie einige Dekorationsstücke für ihren eigenen Garten nach den Vorstellungen der europäischen Japonaiserie mit: einen kleinen Schrein, ein Teehäuschen, Steinlaternen, eine kleine, rot lackierte Holzbrücke. Mit der Anlage des Gartens beauftragte sie ihren Gutsverwalter Theodoor J. Dinn, der bereits in den Parks von Versailles, London und Kew gearbeitet hatte, bevor er sich 1905 von der Baroneß anwerben ließ, um in Clingendael eine Pflanzenzucht aufzubauen.
Während in Den Haag der einzige Japanische Garten in den Niederlanden anwuchs, wuchs im Haus Keppel in London Skandalträchtiges heran, und das waren nicht die mehr oder weniger diskreten Affären von Lady Alice, sondern das trotzige Beharren von Tochter Violet, ihre Liebe und ihre lesbische Beziehung zu Vita Sackville-West offen ausleben zu wollen. Vita war inzwischen mit dem Diplomaten Harold Nicholson verheiratet, doch weil der auch gern seinen eigenen homosexuellen Neigungen nachging, konnte sich das Paar bestens arrangieren. 1918 trafen sich die beiden Freundinnen wieder, ließen Vitas Kinder bei der Gouvernante zurück und brannten, unbeeindruckt vom Weltkriegsgeschehen um sie herum, zusammen nach Frankreich durch. Als sie Monate später nach England zurückkehrten, drängte Alice Keppel, um dem Skandal die Spitze zu nehmen, ihre Tochter in eine Ehe mit dem Offizier Dennis Trefusis. Doch noch im gleichen Jahr gönnten sich Vita und Violet eine erneute gemeinsame Auszeit von zwei Monaten in Paris und Monte Carlo, bis Trefusis seine frisch Angetraute auf Drängen der Schwiegermutter zurückholte. Und im Jahr 1920 mußten beide Ehemänner in einem Privatflugzeug auf die Suche nach ihren wieder einmal entwischten Frauen gehen. Sie fanden sie in Amiens und trennten sie nur dadurch, daß sie sie aufeinander eifersüchtig machten. Lady Alice reichte es jetzt mit Violets Eskapaden, zumal das Gerede in London allmählich die bevorstehende Hochzeit ihrer jüngeren Tochter zu gefährden drohte. Also mußte Violet für eine Weile aus der Öffentlichkeit verschwinden. Was konnte sich besser für einen nervenberuhigend abseits gelegenen und doch standesgemäßen “Kuraufenthalt” eignen als das ruhige Haus der befreundeten Baroneß van Brienen im Park von Clingendael?
“...It is such a heavenly night - if only you were here; there is a really lovely little Japanese garden in the middle of the wood. I have just been out to look at it. It has a little paper house in the middle, where it would be divine to sleep”, schrieb Violet im Oktober 1920 von dort an ihre Freundin Vita.
Im nächsten Frühjahr waren sie zum letzten Mal zusammen in Frankreich, bevor Nicholson, auf seinen Ruf bedacht, seine Frau vor die Alternative stellte: Ende der Affäre oder Scheidung.
Violet wurde daraufhin für viele Jahre die Geliebte von Winnaretta Singer, der Tochter und Erbin des amerikanischen Nähmaschinenproduzenten Isaac M. Singer. Vita Sackville-West wurde später bekanntlich die Geliebte von Virginia Woolf, die ihr mit ihrem Roman Orlando eine literarische Liebeserklärung schenkte.
Solche Geschichten findet man, wenn man nur etwas über einen alten Garten in Erfahrung bringen will, der nun immerhin seit bald hundert Jahren besteht. Im Anfang war er natürlich hell und licht und nach den Wünschen der Besitzerin auch voller seltener, exotischer Blumen, darunter japanische Lilien und Seerosen, Azaleen und Chrysanthemen, die Wappenblumen des Tenno. Heute sind die damals gepflanzten Bäume so hoch, daß der Garten mehr und mehr im Schatten liegt. Üppig blühende Pflanzen bekommen nicht mehr genügend Licht, und auf dem feuchtigkeitsgesättigten dunklen Boden haben sich vor allem verschiedene Moose ausgebreitet. Um die fragile Bepflanzung zu schützen ist Mvr. van Brienens japanischer Garten wieder ein hortus clausus; nur an wenigen Wochen im Frühjahr zur Blütezeit und zwei Wochen im Herbst, wenn sich das Laub der japanischen Ahorne rot färbt, wird er für Besucher geöffnet. Jetzt liegt er wieder still und verschlossen da, und Moos wächst über den Schuhabdrücken einsam liebender Frauen.
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Was aber noch steht, ist das Haus in Nieuwe Uitleg Nr. 16. Darin wohnte einmal Margaretha Geertruida Zelle, geborene Friesin aus Leeuwarden, als sie sich im Ersten Weltkrieg unter der Deckbezeichnung “H 21" als Agentin für die Deutschen anwerben ließ. Bekannter war sie allerdings unter einem anderen falschen Namen, der auf Malaiisch “Auge des Tages” oder, schlicht, Sonne bedeutet: Mata Hari.
Mitnehmen möchte ich Sie aber bei Gelegenheit auf verborgenere Pfade, auf moosüberwachsene zwischen großen Rhododendren und Azaleenbüschen, an stillen, grünen Kanälen entlang, von hohen, alten Bäumen beschattet. (Denn jetzt kann ich’s gefahrlos tun, weil das Paradiesgärtlein bis auf zwei Wochen im goldenen Oktober wieder verschlossen ist.)
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Wie man auf dem Foto vielleicht noch lesen kann, ist die Aufnahme schon zwei Jahre alt, aber sie paßt dennoch ganz gut, weil der Architekt des Haager Gemeentemuseums, Hendrik Petrus Berlage, seine Laufbahn nämlich 1893 mit einer Schrift über “Baukunst und Impressionismus” begann. Zuvor hatte er bei Gottfried Semper in Zürich studiert, verwarf aber als selbständiger Architekt den Historismus in der Baukunst als unzeitgemäß und verlogen. In seiner Schrift formulierte er dagegen Grundzüge für eine zeitgemäßere Bauweise für eine von ihm erhoffte demokratische Gesellschaft; sie solle einfach, allgemeinverständlich und erschwinglich sein.
Ein bißchen Ironie steckt schon darin, daß die ersten großen Aufträge, die der Sozialist Berlage erhielt, in Bauten für einen Versicherungskonzern (De Nederlanden in Den Haag, Kerkplein, von 1897) und die Amsterdamer Börse (1898-1903) bestanden. Beide gelten noch immer als bedeutende Architekturdenkmäler. Besonders De Beurs van Berlage wird als erstes modernes Gebäude in den Niederlanden und Vorbild für die “Amsterdamer Schule” angesehen und steht auf der Liste der “1000 wichtigsten Bauwerke des 20. Jahrhunderts”.
Die Art, wie Berlage in den Jahren 1915-20 den Wunsch des Reeders, Erzhändlers und Kriegsgewinnlers Anton Kröller nach einem Jagdschloß im Zeichen des heiligen Hubertus umsetzte, kann ich fast nur als hintersinnig-ironische Desavouierung des Bauherrn gelten lassen. (Für den “Hausfreund” von Kröllers deutscher Ehefrau Helene Müller, der Tochter eines Essener Stahlbarons, die das Vermögen in die Ehe brachte, richtete Berlage eigens ein Apartment in der ersten Etage ein, von dem eine kleine, geheime Treppe direkt in das Schlafzimmer von Frau Kröller-Müller hinabführte. Der Grundriß in Form eines riesigen Hirschgeweihs setzte dem Großhändler mit Poposcheitel und Walroßschnauzbart dann auch von außen deutlich sichtbar Hörner auf.)
Das Gemeentemuseum ist dagegen Berlages letztes großes Projekt, und es wurde erst ein Jahr nach seinem Tod 1935 fertiggestellt. Für viele ist es aber gerade sein vollendetstes Bauwerk. Auf geometrischem Grundriß ist es voll und ganz nach einer Maßzahl gebaut, der 11, die in christlichen Zusammenhängen häufig als symbolische Zahl für die Übertretung der zehn Gebote und dann allgemein als Symbol der Überschreitung vollendeter Systeme verstanden wird. Jeder Pfeiler, jede Mauer des Museums steht auf einem rechtwinkligen Raster mit einer Kantenlänge von 1,10 Metern, und in allen Maßen des Gebäudes kommen die 11 oder ihre Vielfachen vor. Auch die eigens hergestellten gelben Klinkersteine der Fassade wurden passend auf Maß gefertigt, so daß am ganzen Bau nicht ein gekürzter oder zerschnittener Stein zu sehen ist. Das Gemeentemuseum ist ein auch im Detail vollendetes Gesamtkunstwerk der klassischen Moderne.
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Wunderbar: es regnet. Nach mindestens acht, neun Wochen ohne nennenswerten Niederschlag, nach denen man in Holland ernsthaft zu fürchten begann, die Deiche könnten austrocknen und rissig werden, begann vorgestern abend mit einem krachenden Gewitter eine kleine Regenzeit. Pünktlich zum Pfingstwochenende. Das dürfte uns eine Menge spontaner und spontan verärgerter Verlängertes-Wochenende-Urlauber auch aus dem Nachbarland vom Leib halten. Die, die dummerweise schon seit langem fest gebucht hatten (“wir kommen seit dreißig Jahren regelmäßig, immer dieselbe Pangsion”), müssen nun anstatt zum Strand z.B. ins Museum gehen. Geschieht ihnen recht. Ein bißchen Kultur und Bildung hat noch keinem geschadet. Empfehlenswert wäre (vor allem nach der ganzen Tübinger Butzenscheibenromantik) natürlich schon als Bau das Gemeentemuseum von Berlage aus dem Jahr 1935 (obwohl ich den gerade dort gehängten Ensor nicht mag) oder, für die altmeisterliche Bilderkost, das Mauritshuis. Wer meint, auch bei Regen, aber im Trockenen, einen Blick auf den Scheveninger Strand nicht missen zu wollen, sollte dem Haager Panorama einen kurzen, aber lohnenden Besuch abstatten. Oder - ist auch nicht weit vom Strand - den Kriegsverbrechern Mladic und Karadzic in der Penitentiaire Inrichting Haaglanden mal kurz im Vorbeigehen den verdienten Stinkefinger zeigen, bevor man sich dann z.B. im Dudok genüßlich ein Appeltaartje med slagroom und koffie verkeerd reinschiebt wie alle auswärtigen Besucher.
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Schon wieder auf Reisen? Kaum. Nur ein kurzes Stück die Küste entlang nach Zandvoort, zu einer Geburtstagsparty. Und dieser Buena Vista Social Club steht nicht in Kuba, nicht einmal in der Karibik, sondern am Nordseestrand, wie die Kulisse für einen Wildwestfilm. Für das Errichten solcher potemkinscher Dörfer haben die Holländer offenbar ein Faible, denn man sieht sie praktisch an allen öffentlichen Stränden zuhauf, in Scheveningen, in Wijk an Zee, in Zandvoort.
Ich finde, der an sich absurde Gedanke, solche Attrappen etwa mitten in eine Umgebung von Apartmenthochhäusern und Hotelbettenburgen oder vor ein qualmendes Industriekombinat zu setzen, verrät eine erstaunliche Nahsichtigkeit der Niederländer. Obwohl das Land doch von Natur aus so flach ist und ergo weite Blicke erlaubt, ist es so zugebaut, daß der Weitblick nicht mehr möglich oder nicht mehr verlockend ist. Also richtet man seine Idylle im Kleinen ein, das Hinterhöfchen, in dem man angestrengt den Dauerlärm der nahen Hauptverkehrsstraße überhört, den Dachgarten auf dem Hausboot, auf dem man hinter seinen Blumentöpfen die anonymen Bürobauten entlang des Kanals übersieht, und die Piratenstrandbar zwischen penibel ausgerichteten Reihen von Liegestühlen. In Amsterdam kenne ich Leute, die ein Karree von vier entfernten Gehsteigplatten neben ihrem Hauseingang als ihren “Garten” bezeichnen und darin Pflanzen ziehen. Kein Wunder, daß der Inbegriff der künstlichen Paradiese unter Glas, die Center Parcs, die Geschäftsidee eines Niederländers waren.
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