Find more about Weather in Piran, LJ
Montag, 28. Juli 2014
Rovaniemi, traurige Stadt

Über keine andere Stadt läßt sich der Bogen vom zerschossenen Gaza zurück nach Finnland sinnfälliger schlagen als über Rovaniemi.

Rovaniemi, Rathaus

Nachdem die finnische Staatsführung im Sommer 1944 bei Stalin auf diplomatischen Kanälen via Schweden die Bedingungen für einen Separatfrieden eingeholt hatte, weil sie einsehen mußte, daß ihre zahlenmäßig so unterlegene und in drei Kriegsjahren stark ausgeblutete Armee einer nochmaligen Offensive der Roten Armee nicht mehr standhalten würde, verlangte die sowjetische Führung, Finnland müsse seine Beziehungen zum Deutschen Reich abbrechen und den Truppen der Wehrmacht, mit denen es bis dahin Seite an Seite gegen die Rote Armee gekämpft hatte, am 2. September ‘44 ein Ultimatum stellen: Deutsche Einheiten, die nach Ablauf von zwei Wochen noch auf finnischem Boden ständen, würden gefangengenommen und interniert werden.

Es war allen Beteiligten klar, daß die deutsche Lappland-Armee, die entlang einer 600 km langen Front vom ostkarelischen Uchta (heute Kalewala) auf dem 65. Breitengrad bis hinauf zur Fischer-Halbinsel an der Barents-See mehr als 200.000 Mann und 20.000 Fahrzeuge verteilt hatte, innerhalb dieser Frist unter keinen Umständen vollständig abziehen konnte. (Wie viel Zeit ist für den Abzug der viereinhalbtausend deutschen Soldaten aus Afghanistan mit heutigen Transportmitteln veranschlagt?) Die finnische Regierung unter Feldmarschall Mannerheim akzeptierte die russischen Bedingungen, und am 5. September ‘44 wurden Kampfhandlungen zwischen finnischen und russischen Truppen eingestellt.
Am selben Tag erhielt das deutsche Armeeoberkommando der 20. Gebirgsarmee in Rovaniemi aus dem Führerhauptquartier Befehl, die für diesen Fall in der ‟Weisung 50" vom 28.9.1943 vorgesehene ‟Operation Birke” eines Rückzugs von der Murmansk-Front einzuleiten. Nach Auskunft des ehemaligen deutschen Verbindungsoffiziers im finnischen Generalstab, General Erfurth, enthielt der Befehl auch die Weisung, auf dem Rückzug durch Lappland die Taktik der Verbrannten Erde anzuwenden. Am 9. September ordnete die finnische Regierung die Evakuierung der Zivilbevölkerung aus Lappland an und stellte Truppen für einen Vormarsch nach Lappland bereit.
Nachdem Hitler am 13. September auch noch die ‟Operation Tanne-Ost”, die Besetzung der Insel Suursalmi vor der finnischen Südküste bei Kotka, befohlen hatte, die finnische Truppen mit sowjetischer Luftunterstützung abwehrten, kam es nach einigen Scheingefechten zwischen den ehemaligen Waffenbrüdern zur Beruhigung der alliierten Kontrollkommission, die das Befolgen der Waffenstillstandsbedingungen überwachte, ab der zweiten Septemberhälfte auch in Lappland zu Kämpfen zwischen den abrückenden Deutschen und nachsetzenden finnischen Verbänden, besonders um wichtige Brücken, die von den Deutschen planmäßig gesprengt wurden.
Das finnische Oberkommando wollte wenigstens die allerwichtigsten Brücken retten und plante überdies, die Deutschen von ihren Rückzugsstraßen nach Nordnorwegen abzuschneiden und sie im Raum Rovaniemi einzuschließen. In der Nacht auf den 1. Oktober ‘44 landete eine erste finnische Division im Hafen von Tornio und versuchte einen Sperriegel nach Westen aufzubauen. Über eine Woche lang lieferten sich Finnen und Deutsche im Raum Tornio heftige Gefechte, auch Kemi wurde stark umkämpft, doch konnten die Deutschen in beiden Orten die Brücken zerstören und dann den finnischen Sperriegel durchbrechen.
Am 4. Oktober hatte der Befehlshaber der Lappland-Armee, Generaloberst Rendulic, ein österreichischer Hitler-Anhänger und Nazi der ersten Stunde, den Befehl ausgegeben, nunmehr ohne Zurückhaltung gegen die Finnen zu operieren und alle Einrichtungen und Gegenstände, die dem Feind von Nutzen sein könnten, zu vernichten. Am Ende hatte die Wehrmacht fast alle 700 Brücken in Finnisch-Lappland und an die 7000 Gebäude zerstört. Am schlimmsten betroffen wurde Rovaniemi, das wegen seiner Brücken, Eisenbahn-, Straßen- und Fernmeldeverbindungen von zentraler strategischer Bedeutung war.
Nach einer persönlichen Unterredung mit Hitler flog am 14.10.44 General v.Hengl von Berlin nach Nordfinnland. Er war dort Divisionskommandeur gewesen, ehe man ihn als NS-Führungsoffizier ans Oberkommando des Heeres berief. Nach der Landung der Alliierten in der Normandie hatte er im Juni ‘44 in einer Rede auf der NS-Ordensburg Sonthofen von den Offizieren gefordert, sie müßten ihre Soldaten zum ‟unbändigen Vernichtungswillen und zum Hass” erziehen. Hengl kam mit der Vollmacht, dem Befehlshaber der Lappland-Armee Weisungen für den Rückzug zu erteilen, und er zögerte nicht, davon Gebrauch zu machen. Als erstes befahl er das Absetzen aus der Rovaniemi-Stellung, die von der 6. SS-Gebirgsdivision gehalten wurde. Am 15. Oktober flogen im Bahnhof der Stadt mehrere Munitionszüge in die Luft. Die deutsche Seite behauptete später, sie seien von sowjetischen Fliegern in Brand geschossen worden. Jedenfalls griff das Feuer auf die vorwiegend aus Holzhäusern bestehende Bebauung über und vernichtete 90 Prozent aller Gebäude der Stadt. Als am 16. Oktober finnische Truppen anrückten, standen nur noch Schornsteine und die ausgebrannten Ruinen von ein paar Steinhäusern.
Erbittert setzten die Finnen den Deutschen nach, die vom 19. Januar noch bis zum 25. April 1945 bei Kilpisjärvi eine letzte Stellung auf finnischem Boden hielten, ehe sie sich ganz nach Norwegen zurückzogen.

Noch im Jahr 1944 erhielt Alvar Aalto den Auftrag, zusammen mit zwei Kollegen Rovaniemi wieder aufzubauen. Als Muster für den Straßenverlauf legten die Architekten der neuen Stadt die Form eines Rentiergeweihs zugrunde, und Aalto entwarf das bis heute eindrucksvolle Ensemble von Rathaus, Stadtbücherei und Lappia-Kulturhaus. Seit langem ist Rovaniemi wieder unbestritten die Hauptstadt von Finnisch-Lappland mit etwa 60.000 Einwohnern, einer florierenden Universität, dem sehenswerten Arktikum, das wie eine lange, gläserne Kompaßnadel am Ufer des Ounasjoki aus dem Boden wächst und direkt nach Norden zum Polarkreis weist, und einem Stadtgebiet von der dreifachen Größe Luxemburgs.

Ja, es gibt außerhalb der Stadt dieses alberne Touristendorf mit dem Postamt des Weihnachtsmanns und weiterem X-mas-Klimbim. Als wir dort vorbeikamen, konnte man sein eigenes Wort nicht verstehen. Kampfjets der finnischen Luftwaffe übten Tiefflüge und Luftkampf gleich jenseits der Straße und stahlen dem Rentiergespann des Weihnachtsmanns am Himmel überschalldröhnend die Schau. Finnland demonstrierte Abwehrbereitschaft gegen Putins Rußland. Finnlands Kriege sind bei den Finnen ebenso wenig vergessen wie der Hitler-Stalin-Pakt, und man beobachtet den wiedererstarkten Nachbarn im Osten, mit dem man eine fast 1300 km lange gemeinsame Grenze hat, nach wie vor mit Argwohn. Doch wie jüngste Umfragen zeigen, wäre auch nach Ausbruch der Krise in der Ukraine nicht einmal ein Viertel aller Finnen für einen Beitritt Finnlands zur NATO zu haben. "Finnland überlebte den Kalten Krieg wegen seiner Politik der Neutralität", erklärte Finnlands Verteidigungsminister Haglund im Frühjahr erst der Welt. Und neutral und wachsam auf die sprichwörtliche eigene Zähigkeit und Stärke (sisu) bauend will es auch weiterhin bleiben.

Rovaniemi, Lappia-Halle Rovaniemi, Stadtbücherei

... link (0 Kommentare)   ... comment


Dienstag, 14. Januar 2014
Il était une fois: le ciel bleu des beaux jours

Ja, nein, kein besonders guter oder wichtiger Film, die “Éducation”, die gestern abend auf arte lief, aber die Sechziger-Jahre-Stimmung und vor allem die Musik summen den heutigen Tag über noch im Kopf; “Smoke Without Fire” mit Duffys passender Lolitastimme zum Beispiel, aber vor allem die dunkle Belphegorstimme von Juliette Gréco: “Sur Les Quais Du Vieux Paris” weckt Erinnerungen an schöne Frühlingstage an der Seine “sous le ciel bleu des beaux jours”.



... link (0 Kommentare)   ... comment


Sonntag, 21. April 2013
Vaison-la-romaine und die Grafen von Toulouse

Wir verabschieden uns für diesmal von Frankreich mit ein paar Bildern von einem Rundgang durch die Altstadt von Vaison-la-Romaine, das schon die Römer mit ihrem geübten Blick für beherrschende Lagen gründeten. Durch die Brücke, die sie über die schnell strömende Ouvèze mit ihren gefürchteten Hochwassern schlugen, wurde der Ort zum Kreuzungspunkt ihrer Straßen und hatte mehr Einwohner als heute. Möglicherweise wurde Tacitus hier geboren.
Zur Zeit der Kreuzzüge waren die weit ausgreifenden Grafen von Toulouse auch Markgrafen der Provence und quasi unabhängige Herrscher des Languedoc. Als solche mußten sie sich in einer Zweifrontenstellung gegen die Könige von Aragon und von England behaupten, an deren aquitanische Besitzungen Toulouse grenzte. Um sich den Brückenzoll zu sichern und die weltlichen Machtansprüche des Bischofs von Vaison zu beschneiden, ließ Graf Raymond V. von Toulouse am höchsten Punkt über der Stadt eine Burg errichten.
Sein Sohn Raymond VI. geriet nicht nur durch seinen Lebenswandel und seine recht unbeschwerte Heirats- und Mätressenpraxis in Gegensatz zu den moralischen Ansprüchen der katholischen Kirche an einen frommen und gottesfürchtigen Fürsten. Als im Jahr 1193 die englische Königin und Gemahlin von Richard Löwenherz, Berengaria von Navarra, mit großem Gefolge vom Kreuzzug nach Aquitanien zurückkehrte, befand sich in ihrem Hofstaat auch Bourgogne de Lusignan, die erste Tochter König Amalrichs I. von Zypern. (So kreuzen sich die Wege.) Raymond entbrannte so schnell und heftig für sie, daß er seine zweite Frau unter dem Vorwand, sie hänge der Sekte der Katharer an, verstieß und Bourgogne heiratete.

Die Römerbrücke in Vaison

Für das hohe Ziel eines Ausgleichs mit dem englischen Königshaus mußte die Prinzessin von Zypern jedoch nur drei Jahre später schon wieder vor einer neuerlichen Heirat Raymonds, diesmal mit Johanna, der Schwester Richard Löwenherz’, zumindest offiziell weichen. Die Ehe mit der bereits verwitweten, über dreißigjährigen Engländerin war rein politisch motiviert. Wegen der langjährigen Spannungen mit den Plantagenets zeigte der tolosanische Adel der Engländerin die kalte Schulter und empörte sich nach Ablauf der inzwischen anscheinend obligatorischen drei Ehejahre gegen sie. Raymond ließ sie im Stich, und Johanna floh zu ihrer berühmten Mutter Eleonore von Aquitanien. Noch im selben Jahr 1196 starb sie in der Abtei von Fontevrault, der Grablege der Plantagenets, an den Folgen einer Geburt.
Graf Raymond ließ um dieselbe Zeit den hölzernen Turm seines Vaters in Vaison durch einen steinernen Donjon ersetzen, denn an vielen Orten in seinem Herrschaftsbereich hatte er sich mit den örtlichen Potentaten der geistlichen Macht angelegt. 1195 wurde er deshalb erstmals vom Papst exkommuniziert. Erst zwei Jahre später nahm ihn das geistliche Oberhaupt der Christenheit gegen das Gelübde einer Pilgerfahrt ins Heilige Land wieder in die Gemeinschaft der Gläubigen auf. Doch weder löste Raymond sein Gelübde jemals ein, noch ließ er sich von Papst Innozenz III., dem Erfinder der Inquisition (und offiziellen Vormund des noch kleinen Stauferkaisers Friedrich II.), für die Verfolgung der als Ketzer verdammten Katharer einspannen.

Wer weiterlesen möchte, öffne die Fensterläden durch einen Klick


... link (0 Kommentare)   ... comment


“Caedite eos! Novit enim Dominus qui sunt eius”

Die Bewegung der veri Christiani oder “Gutmenschen” (bonshommes), wie sie sich selbst nannten, hatte unter Angehörigen aller Schichten und Stände im Süden Frankreichs immer mehr Anhänger gefunden und in dreißig Jahren ein komplettes eigenes Kirchenwesen aufgebaut. Auch in Graf Raymonds Hofstaat und unter dem höheren Adel Okzitaniens waren nicht wenige durch Erhalt der “Geisttaufe” (consolamentum) zu Gutmenschen oder wenigstens Gläubigen der ersten Initiantionsstufe (credentes) geworden, und sie konnten ihren Glauben in seinem Herrschaftsbereich offen ausüben.
Zu seiner eigenen Sicherheit verständigte sich Raymond nach den Drohungen des Papstes mit seinem anderen großen Rivalen, König Pedro II. von Aragon, und heiratete zur Absicherung des Bündnisses dessen Schwester Eleonore, seine vierte Ehefrau.

Nur einen Monat nach der Hochzeit in Perpignan forderte Papst Innozenz den französischen König Philipp II. August brieflich auf, einen Kreuzzug in das Gebiet des Tolosaner Grafen zu unternehmen. Gleichzeitig begannen Vertreter der katholischen Kirche überall, den religiös eher indifferenten oder toleranten Graf Raymond als mehr oder weniger heimlichen Beschützer der verfemten Katharer oder Albigenser hinzustellen. Im April 1207 wurde er erneut exkommuniziert. In seinem Bannbrief warf der Papst dem jetzt zum “Feind Christi und Verfolger der Kirche” Erklärten unter anderem Schutz von Ketzern und “Übertragung öffentlicher Ämter an Juden” vor.
Mehr Diplomat als Krieger, wollte Raymond auch dieses Zerwürfnis auf dem Verhandlungsweg aus der Welt schaffen, doch seine Gespräche mit einem päpstlichen Legaten blieben ergebnislos, und dummerweise wurde der Legat auf dem Rückweg nur Kilometer vom Ort des Treffens entfernt, der bedeutenden Pilgerabtei Saint-Gilles am Rand der Camargue, von einem nie ermittelten Täter hinterrücks erstochen.
Ein besserer Kriegsgrund ließ sich ja gar nicht finden. Der Abt von Cîteaux, Arnaud Amaury, bezichtigte den Grafen sofort in aller Öffentlichkeit, hinter diesem Anschlag zu stecken. Papst Innozenz rief umgehend zum “Kreuzzug gegen die Katharer und ihre Beschützer” auf und ernannte den Abt zu dessen geistlichem Führer. Der erwünschte weltliche Exekutor des Kreuzzugs hätte nach päpstlichem Wunsch der König von Frankreich sein sollen, doch der entzog sich, weil er mit dem Eingreifen des Papstes in Gebiete, für die er als Lehnsherr und in der Nachfolge der fränkischen Könige die Oberherrschaft beanspruchte, keineswegs einverstanden war. Seinen Baronen stellte er die Teilnahme am Kreuzzug allerdings frei.

Als sich in Lyon allmählich ein Heer von bis zu 10.000 Kreuzfahrern aus dem Norden Frankreichs einfand, zog es Raymond vor, sich der Kirche zu unterwerfen, und willigte in ihre demütigenden Bedingungen ein. Zuerst mußte sich der Graf im Büßergewand am Grab des natürlich zum Märtyrer erklärten ermordeten Legaten öffentlich auspeitschen lassen. Sodann hatte er dem Papst und der Kirche Gehorsam zu schwören und sieben Orte im Tal der Rhône und eine Grafschaft abzutreten (die materiellen Möglichkeiten ad maiorem gloriam dei hat die alleinseligmachende katholische Kirche selten ungenutzt gelassen). Außerdem hatte er sämtliche Anhänger der Irrlehre den Kreuzfahrern und den Mönchen der Inquisition zu überlassen und mußte versprechen, die als Ketzer Verurteilten auch als solche zu behandeln. Eine Liste mit Namen wurde ihm sogleich ausgehändigt.


Inzwischen war das Kreuzfahrerheer vor die Katharerstadt Béziers gezogen und nahm sie am 22. Juli 1209 ein. Der Anführer des Kreuzzugs, Abt Arnaud Amaury, wollte ein Exempel des Grauens statuieren. Er befahl, alle Katharer zu töten. Auf die Frage seiner Soldaten, woran sie die Ketzer erkennen sollten, antwortete der Abt mit dem berühmten christlichen Ausspruch: “Caedite eos! Novit enim Dominus qui sunt eius”, “Tötet sie (alle)! Gott wird die Seinen schon erkennen.”
20.000 Menschen wurden in Béziers im Namen des rechten Glaubens massakriert.
Als nächstes war Carcassone an der Reihe. Während einer zweiwöchigen Belagerung gelang es den allermeisten Bewohnern durch Tunnel aus der Stadt zu entfliehen. Von den verbliebenen 500, überwiegend Alte, Kranke und Kinder, ließ Abt Arnaud Amaury 400 hängen oder verbrennen. Auf diese Weise zogen die frommen Kreuzfahrer aus dem Norden weiter von Stadt zu Stadt, die sich ihnen nicht unterwarf, verbrannten die zu Ketzern Erklärten und eigneten sich Burgen und Besitz an.
Graf Raymond verweigerte angesichts der Grausamkeiten die Auslieferung der von der Inquisition Angeklagten, wurde vom päpstlichen Legaten dafür erneut exkommuniziert, und begab sich daraufhin nach Rom, wo ihm der Papst eine gerichtliche Untersuchung zusicherte. Bei einer nach Narbonne einberufenen Konferenz legte ihm Arnaud Amory jedoch einen bewußt unannehmbaren Forderungskatalog vor, der über die bisherigen Bedingungen hinaus u.a. die Entlassung sämtlicher Söldner am nächsten Tag und Zerstörung sämtlicher Befestigungen verlangte. Natürlich lehnte Raymond ab, der Bann über ihn wurde erneuert, und ihm blieb außer der vollständigen Unterwerfung keine andere Wahl mehr, als bewaffneten Widerstand zu leisten.

Als sein Heer die ersten Städte und Burgen zurückeroberte, erhielt er großen Zulauf von den Rittern des Languedoc. Zwei Jahre boten sie den Kreuzfahrern aus dem Norden Paroli, denen es unter Führung Simons de Montfort längst mehr um die Eroberung und Inbesitznahme Okzitaniens als um Glaubensangelegenheiten ging. Im September 2013 entwickelte sich der Kampf um Muret an der Garonne zur Entscheidungsschlacht. Obwohl die Okzitanier durch ein Ritterheer König Pedros von Aragon verstärkt und in deutlicher Überzahl waren, fiel der König an der Spitze seines Aufgebots, und die Kreuzritter Simons de Montfort siegten, weil Raymond, der sich für eine defensive Taktik ausgesprochen hatte, nicht in die Schlacht eingriff, sondern abwartete und sich dann mit seinen Leuten nach Toulouse absetzte.
Auf dem 4. Laterankonzil verkündete der Papst Ende 1215 die Enteignung des Tolosaner Grafen zugunsten Simon de Montforts. Als der sich zur Belehnung mit seinen neuen Besitztümern zum französischen König in den Norden begab, entfachte Raymond im Frühjahr 1216 sofort einen Aufstand, in dessen Verlauf er und sein Sohn Raymond VII. die Provence und Toulouse zurückerobern konnten. Bei einem versuchten Sturm auf die Stadt ist Simon de Montfort am Mittsommertag des Jahres 1218 durch einen Katapultstein der Verteidiger getötet worden. Danach erkämpften sich die Südfranzosen eine Stadt nach der anderen zurück, 1224 kapitulierten endlich die letzten Kreuzfahrer in Carcassone.
Diesen Triumph hat Raymond VI. nicht mehr erlebt. Er ist, umgeben von Katholiken ebenso wie von Katharern, am 2. August 1222 im Alter von 65 Jahren in Toulouse gestorben. Als nach wie vor Gebannter durfte er nicht in geweihter Erde bestattet werden. Seine Gebeine blieben 400 Jahre lang im Toulouser Ordenshaus des Hospitaliter- (heute Malteser-) ordens aufgebahrt und zu besichtigen, bis sie Ende des 17. Jahrhunderts irgendwo verschwanden. Daß König Ludwig VIII. 1226 das vom langjährigen Krieg erschöpfte Okzitanien in einem weiteren Kreuzzug endgültig für die Krone Frankreichs einsackte, hat Raymond VI. nicht mehr erleben müssen.

Burg von Vaison

... link (0 Kommentare)   ... comment


Mittwoch, 10. April 2013
Adresse: Godmade, France. (en originale: Dieulefit)

“Aber ja”, es sieht natürlich ganz schnuckelig aus: kleine Häuser in Toskanafarben oder mit Fensterläden in Lavendel, Lindgrün, Zarttürkis und anderen Provencetönen ziehen sich den Hang hinauf, unten schäumt ein Wildbach, oben ragt ein Kampanile mit einem sinnigen Spruch im örtlichen Patois auf: “Lou tems passo, passo lou ben, die Zeit vergeht, verbringe sie gut”. Dazwischen reihen sich an der gepflasterten Dorfstraße kleine (teure) Boutiquen, Galerien, Ateliers und vor allem Töpferstuben, aber das Ganze wirkt auf mich eben artifiziell nicht im Sinn von künstlerisch, sondern in der Bedeutung von gekünstelt; ein künstliches Paradieschen, ein Krähwinkel mit dem wie vom Stadtmarketing erdachten Namen “Gottgemacht”, Dieulefit.
Ich dachte, die Zeiten, in denen “Ein Amerikaner in Paris” gelebt haben muß, um sich zuhause in den Staaten als Künstler ausgeben zu können, wären seit der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts allmählich verebbt, doch als wir mit Suzanna & Bernhard am Ostersamstag zum Einkaufen in den Ort gingen, wurden die beiden gleich am Anfang der Dorfstraße von einer Frau begrüßt und beküßt, die Englisch mit einem unverkennbar amerikanischen Zungenschlag sprach. “Eine Amerikanerin, sie hat hier ein kleines Keramikatelier.”
Eine Ecke weiter der nächste Grüßer und Küsser: “Architekt aus England, retired.”
Und noch einer: “Amerikaner, lebt aber schon lange hier und hatte eine kleine Kunstgalerie, ist aber neulich leider pleite gegangen.” Und so geht es in einem fort.
Natürlich kennen die beiden jeden im Ort. So zieht sich der Einkauf ein wenig in die Länge, aber in Gottgemacht kann man es ja nicht eilig haben. Haben wir es auch nicht. Man wäre andererseits sonst auch zu schnell durch. Für die paar Meter von der katholischen Kirche am einen Ende der Hauptstraße zur kalvinistischen am anderen bräuchte man lediglich ein paar Minuten.

Ja, kalvinistisch. Bis im 18. und 19. Jahrhundert Schießpulver und schließlich Dynamit beim Straßenbau zum Einsatz kamen, lag Dieulefit derart unzugänglich hinter einer Bergbarriere, daß es in den Religionskriegen des 16. und 17. Jahrhunderts zum Zufluchtsort für verfolgte Hugenotten geworden war. In Erinnerung an das Schicksal der eigenen Vorfahren boten die Einwohner von Dieulefit auch später Flüchtlingen Asyl. Während der deutschen Besatzungszeit im Zweiten Weltkrieg fanden an die 1500 von den Deutschen Verfolgte, vor allem Juden, Aufnahme in dem kleinen Ort von heute gerade einmal 3000 Einwohnern. Unter ihnen auch etliche Künstler und Intellektuelle wie der Kommunist Louis Aragon, der ebenfalls in der Résistance aktive René Char oder der 1933 aus Nazideutschland geflohene Antifaschist und Maler Wols (Wolfgang Schulze). 2010 wurde Dieulefit für diese außergewöhnliche Hilfsbereitschaft der Titel einer “Village des justes” verliehen, und Anfang dieses Jahres gab es dazu eine Ausstellung in der deutschen Partnergemeinde Lich. Hier ein Bericht des hr dazu, und hier der Link zu einer französischen Dokumentation über das “Wunder von Dieulefit”.
Es wäre schön, wenn es viel mehr Orte gäbe, die sich in eine solche Tradition stellen könnten.

... link (0 Kommentare)   ... comment


Sonntag, 7. April 2013
Osterausflug | 2. Etappe: ins Dauphiné

Natürlich kamen wir erst viel zu spät aus Reims weg. Eine schwach zu ahnende Sonne hinter milchigem Dunst zeigte uns den Weg. Südlich der Stadt, Richtung Troyes, wellte sich die flache Schüssel der Champagne unter einem sehr akkuraten Façonschnitt, die dunklen Rebstöcke, auf denen einmal Champagner wachsen sollte, standen höchstens kniehoch gestutzt und ordentlich in Reih und Glied wie die Grabsteine auf den Soldatenfriedhöfen der Marne-Schlachten, auf den LPG-großen Getreidefeldern war die Saat noch kaum aufgegangen, nackt schimmerte die gelbe Kopfhaut der Erde durch, und hinter langen Mauern lagen überall die im Chateaux-Stil gebauten Kellereien der Schaumweinfabrikanten.

Cluny

Die Sonne verschwand wieder hinter einer dichten Bewölkung, und die Überreste der einst größten Kirche der Christenheit besichtigten wir unter tief hängenden, tropfenschweren Wolken. Es trieben fast mehr Nebelschwaden durch die schmalen Gassen von Cluny als Touristen. Dörfliche Stille, Pferdegeruch vom nahen Gestüt.
Weiter die Saône entlang nach Süden, noch einmal dichter Verkehr um Lyon, von Kernkraftwerken umzingelt wie keine andere europäische Großstadt. Dann das an sich schöne Flußtal der Rhône hinab, allmählich schon in Dämmerung sinkend, durchs Dauphiné, vorbei an Valence und bei Montélimar (noch ein AKW) ab von der Autobahn und hinein in die Ausläufer der Voralpen. Die Straße windet sich das Tal des Jabron hinauf, wird bald nach jedem Kreisverkehr löcheriger; hurra, hier gibt es noch Dunkelheit! Richtige, tiefe Dunkelheit, in die die Scheinwerfer zwei schmale Lichtlanzen bohren. Ein paar scharfe Kehren noch, die letzten Häuser bleiben dunkel im Dunkel zurück, der Asphalt auch, als holpriger Waldweg verschwindet die Straße hinter knorzigen Baumstämmen. Sind wir hier noch richtig? Da kommt eine dunkle Gestalt mit einer Taschenlampe den Weg herauf, Bernhard hat unsere Scheinwerfer gesehen. Wir sind angekommen.

Am nächsten Morgen sehen wir von der Terrasse zwischen den noch unbelaubten Bäumen hindurch auf den letzten, südlichsten Höhenzug der Drôme. Dahinter liegt die Provence.
Die Nacht war noch frostig, aber als die Sonne immer stärker durchdringt und ein kräftiger Mistral die Wolken wegbläst, können wir zu viert ein ausgedehntes zweites Frühstück auf der Terrasse einnehmen. Schon haben sich die 1000 Kilometer Anreise gelohnt.

Siehe da, Monsieur le chat kommt auch aus der Höhle.

... link (0 Kommentare)   ... comment


Donnerstag, 4. April 2013
Reims und die gotische Kathedrale

Am nächsten Morgen lag kalter Rauch über der Stadt. Dennoch machte Reims atmosphärisch einen warmen und zugleich aufgeräumten Eindruck auf uns. Dazu trug vor allem der helle, gelbliche Sandstein der Champagne an den älteren Häusern in der Innenstadt bei. Im Ersten Weltkrieg ist sie durch Artilleriegranaten zu mehr als der Hälfte zerstört worden. Dazu wurde die Zivilbevölkerung im März 1918 fast vollständig evakuiert, als das Deutsche Heer seine letzte erfolglose Frühjahrsoffensive an der Westfront begann. Bei Kriegsende war Reims eine weitgehend zerstörte und menschenleere Ruinenstadt. Selbst die Kathedrale war weder von deutschem noch von französischem Beschuß verschont worden. Doch nach dem Krieg bauten die Reimser ihre “Märtyrerstadt” (Poincaré) über zehn Jahre hinweg teils neu (mit Elementen von Art déco), teils rekonstruierend wieder auf. Die Erinnerung an diesen großen Einsatz (überall an Plaketten an den Hauswänden) hat bis heute die Errichtung größerer moderner und postmoderner Bausünden in der Innenstadt verhindern können.

Abtei St.Rémi und Kathedrale Notre-Dame, Reims

Reims und seine Kathedrale sind für Frankreich mindestens so symbolträchtig wie Aachen und sein Kaiserdom für Deutschland. Schon die Römer haben die Civitas Remorum (eines belgischen Keltenstamms) nach ihrer Einnahme durch Caesar zum Hauptort ihrer Provinz Gallia Belgica secunda erhoben, und früh, im 4. Jahrhundert, wurde sie Bischofssitz, was ihr im zerfallenden römischen Imperium der Spätantike Kontinuität, Wohlstand und wachsende Bedeutung bescherte. 451 fiel Attila mit seinen Hunnen in die Stadt ein, und 486 eroberten salische Franken unter ihrem merowingischen König Chlodwig das gallorömische Restreich des Syagrius mit Reims. Vielleicht durch das Vorbild Kaiser Konstantins inspiriert, berichtete der fränkische Chronist Gregor von Tours fast hundert Jahre später, der Heide Chlodwig, der mit einer sehr katholischen Prinzessin der Burgunder verheiratet war, habe vor einer Schlacht gegen die Alemannen gelobt, zum Gott seiner Frau überzutreten, wenn dieser ihm den Sieg verleihe. Um 497 ließ sich Chlodwig in den behaglich temperierten römischen Badeanlagen von Reims vom amtierenden Bischof Remigius taufen.
Ende des 9. Jahrhunderts erfand dann Erzbischof Hinkmar von Reims die Legende, der zufolge Remigius das Öl für die christliche Weihe und Salbung des Frankenkönigs nach biblischem Vorbild durch eine Taube geradewegs vom Himmel zugetragen worden sei. Die Ampulle mit dem Salböl wird bis heute im Reimser Kirchenschatz aufbewahrt, denn sie war das Unterpfand für den maßgeblichen Einfluß der katholischen Kirche auf das französische Königtum. 816 ließ sich Kaiser Karls Sohn und Nachfolger Ludwig der Fromme nach seiner Krönung in Aachen in Reims vom Papst ein zweites Mal salben, und seit den ersten Kapetingern ist jeder König Frankreichs in der Kathedrale von Reims gekrönt und gesalbt worden. Entsprechend prachtvoll ist sie im Lauf ihrer langen Geschichte aus- und umgebaut worden. Nach einem Brand im Jahr 1210 erfolgte ihre grundlegende Umgestaltung zu einer der berühmtesten gotischen Kathedralen Frankreichs.

Eine Kirche von solch überragender symbolischer Bedeutung für ein ganzes Land darf sie meinetwegen gern auch in ihrem Erscheinungsbild zum Ausdruck bringen, aber ich persönlich kann zum einen generell selten Gefallen an Gotik finden. Man darf mir vorwerfen, daß ich die theologischen Grundlagen gotischer Kathedralen sträflich reduziere und mißachte: der Bau als “Abbild des Himmels” bzw. eines eschatologischen himmlischen Jerusalems und einer ecclesia spiritualis, deren Fundament Christus, deren Säulen die Apostel und deren Bausteine die Gläubigen sein sollen, seine Geometrie und seine in Zahlen ausgedrückte Harmonie als Hinweis auf die vollkommene göttliche Ordnung des Kosmos, das Ganze als dem Irdischen weitgehend entrücktes Gehäuse der darin vollzogenen Liturgie, mit der es zusammenwirkend die Gläubigen geistig zum Reich Gottes hinführen soll – geschenkt. Sedlmayer (Die Entstehung der Kathedralen) nennt die gotischen Kirchen, ausgehend von ihrer Konstruktion, “Illusionsarchitektur”, doch in der übersteigerten Form, in der ihre Elemente und Formen in und an der Reimser Kathedrale vor einem aufragen, empfinde ich sie mehr noch als ein Stück Überwältigungsarchitektur.
Das geht schon allein von der Größe und Masse des Baukörpers und der schieren Wucht seiner achtzig Meter hohen Türme über dem Haupteingang im Westwerk aus, auch wenn sie durch hohe Maßwerklanzetten geöffnet wurden und Kunsthistorikern zufolge angeblich leicht und schwebend wirken sollen. Bei mir levitiert da wenig, schon gar nicht die großkopferten Skulpturen der Königsgalerie aus dem 14. Jahrhundert, die aus über vierzig Metern Höhe auf ihr Fußvolk herabblicken.

Ursprünglich sollten die Türme noch einmal vierzig Meter hohe Spitzen erhalten, doch hat man schließlich auf sie verzichtet, um ihnen bei allem filigranen Maßwerk in der Fassade ihre fast trotzige Klotzigkeit zu belassen. (Na ja, es gab gewiß auch pekuniäre Gründe dafür, denn die oberen Geschosse der Türme wurden dem Architekturhistoriker Binding zufolge in der Regel als letztes aufgesetzt, und nachdem eine Kirche erst einmal geweiht und in Betrieb genommen war, ließ die Spendenbereitschaft meist spürbar nach.)
Nein, ich kann mich auch nicht am schließlich hier in Reims erfundenen Maßwerk delektieren oder an der Zuckerbäckerei der zahllosen Tabernakel, Baldachine und Fialen mit ihren Krabben und Kreuzblumen. Ein bißchen mehr Schlichtheit hätte es auch getan und einer christlichen Idealen noch irgendwie verpflichteten Kirche besser zu Gesicht gestanden. (Anachronistisch ist eine solche moralische Meßlatte keineswegs, denn die ersten gotischen Kathedralen entstanden schließlich genau zu der Zeit, in der ein Franz von Assisi lebte, in der die Bettelorden gegründet wurden und in Frankreich die mächtige Gegenbewegung der Katharer von der Kirche verketzert und verfolgt und ihre Anhänger massenweise verbrannt wurden.)
Mein Eindruck von gotischen Kathedralen deckt sich eher mit dem Urteil Giorgio Vasaris, und der hat den Terminus Gotik schließlich erfunden. In seinen Lebensbeschreibungen heißt es über die gotischen Kirchen:

“In diesen Gebäuden, deren so viele sind, daß sie die ganze Welt verpestet haben, schmückt man die Portale mit dünnen, nach Art der Rebe gewundenen Säulen, welche keine Kraft haben, ein Gewicht zu tragen. Und so machte man über alle diese Fassaden und andere ornamentalen Teile hin von jenen verfluchten Tabernakelchen eins aufs andere, mit so vielen Pyramiden, Spitzen und Laub, daß sie... eher wie aus Papier als wie aus Stein oder Marmor gemacht aussehen. Auch wurden in diesen Bauten so viele Vorsprünge, Durchbrüche, Kragsteinchen und Reblinge gemacht, daß sie jede Proportion verloren.”

... link (3 Kommentare)   ... comment


Mittwoch, 3. April 2013
Osterausflug | 1. Etappe: Reims
Verehrte Leserinnen und Leser, wir unterbrechen unsere Zypern-Sendung für eine aktuelle Meldung.

In den Niederen Landen will und will der Winter in diesem Jahr kein Ende nehmen. Obwohl sogar der Himmel klar ist und tags die Sonne scheint, weißt jeden Morgen Rauhreif die Dächer, rauchen noch immer unentwegt die Schornsteine und die Münder der Menschen. Sie wollten wie in jedem Jahr den ersten Vollmond des Frühjahrs feiern, doch anstatt daß die Eier in den Hennen sich rundeten, die Rammler rammelten, was das Kurzwildpret hergab, und die zarten Osterlämmer auf frisch ergrünenden Wiesen böckchenbeinig umherstaksten, lag das verdorrte Vorjahrsgras fahlgelb und erfroren flach auf frostiger Erde. Mit dem unaufhörlichen Ostwind aus der Tundra Sibiriens nahte ein unwirtliches, frostklirrendes Osterfest. Doch wo die Not am größten, ist der Wolf (wie man in Island sagt), nein, die Rettung am nächsten (wie Hölderlin es ja ähnlich gesagt hat), und uns ereilte gerade noch rechtzeitig eine Einladung, die Ostertage mit Freunden in ihrem Haus im Süden des freundlichen Frankreichs zu verbringen.

Noch am Gründonnerstag – der Name spottete dem, was er beschrieb – sprangen wir ins Auto und fuhren los, und 15 Millionen Niederländer taten es uns gleich. Schon die Auffahrt auf die Autobahn gelang nur Stück für Stück im Rahmen einer zäh sich vorwärts wälzenden Kolonne. Der Ring um Rotterdam war rundum verstopft, die Annäherung an Antwerpen geschah wie an einem Expandergummi in eine Gummiwand. In den Staus rund um Brüssel verfuhren wir uns wie jedesmal, die Beschilderung führt einfach in die Irre. Erst als wir hinter den kalten Schloten von Charleroi auf Landstraßen in die Dunkelheit der Ardennen kurvten, verlief sich der Verkehr. Sehr spät am Abend erreichten wir die hell beleuchtete Kathedrale von Reims. Die Kapelle über dem Taufbecken des berechnend brutalen Barbarenkönigs Chlodwig in dem ehemaligen römischen Wellnessbad war mächtig gewachsen. Die Stadt schlief schon weitgehend, nur vor den Bars auf der Place Drouet d’Erlon drängelten sich noch Grüppchen frierender Jugendlicher rauchend aneinander. Nach dem überfälligen Abendessen zogen wir uns bald in die gemütliche kleine Pension in einer ruhigen Seitenstraße der Altstadt zurück.

... link (0 Kommentare)   ... comment


Dienstag, 29. Juni 2010
Rodin
Inzwischen, zurück in Suid-Holland, ist der Himmel nicht nur über den Fußballplätzen der Welt viel heller geworden; seit Tagen haben wir so strahlendes Wetter, daß es mich an die ersten richtig warmen Tage des Jahres überhaupt erinnnert, an unseren Frühling in Paris. Besonders an einen Nachmittag im Musée Rodin. Im ehemaligen Hôtel Biron, 1905 in ein Künstlerdomizil umgewandelt, hatte Matisse ein Atelier, gab Isadora Duncan Tanzunterricht, bevor sie doppelt und dreifach der Fluch des Automobils traf, und schrieb Rilke an den Aufzeichnungen des Malte Laurids Brigge und an Rodin: “Sie sollten sich dieses wundervolle Gebäude einmal ansehen, lieber großer Freund...”

Der liebe, große Freund kam und mietete gleich vier große Säle im Parterre des großzügigen Palais‘, das ihm später ganz als Stadtatelier überlassen wurde. Das Grün der sorgsam gestutzten Rabatten im ursprünglich doppelt so ausgedehnten Park tat den großstadtflirrenden Augen wohl und bildete ruhige, monochrome Hintergrundflächen für des Meisters zerklüftete „Kunst der Buckel und Höhlungen“. Rodin hat in meinen Augen phantastische Meisterwerke geschaffen und – bei der Gesamtzahl seiner Werke nicht verwunderlich – auch so einiges ziemlich Danebengegangenes.
Besonders als Meister grotesk übersteigerter Füße wird er mir nach unserem ausgiebigen Rundgang durch den Park und die Säle in Erinnerung bleiben. Und auch wenn er angeblich Jahre auf Vorstudien für die gewünschte Monumentalstatue Balzacs verwandt haben sollte, glaube ich, daß er diesen dicken Stern aus dem Pantheon der französischen Literatur nicht besonders gemocht hat. Anatomisch war es jedenfalls nicht unbedingt erforderlich, dem üppigen Bauch Balzacs in einer von Rodins Aktstudien zum Balzac-Denkmal als Gegengewicht einen derart flachen Hintern zu verpassen.
Nicht nur im Fall des von den Auftraggebern schließlich abgelehnten Balzac (“eine große, komische Maske, die einen Bademantel krönt”) löste Rodins anatomischer Hyperrealismus so manchen Skandal aus, der das teilnehmende Publikum in wüste und indignierte Beschimpfer und enthusiastische Befürworter spaltete. Der an anatomischen Details bekanntlich nicht uninteressierte Henry Miller, den ich in Paris las, schrieb bei seinen Betrachtungen über die mißliche Mode der weiblichen Schamrasur:
“It only goes to show you there‘s nothing to it after all, especially when it‘s shaved. It‘s the hair that makes it mysterious. That‘s why a statue leaves you cold. Only once I saw a real cunt on a statue - that was by Rodin.”

... link (0 Kommentare)   ... comment


Mittwoch, 26. Mai 2010
Frühling in Paris, da kann man nichts machen
Aufgefressen werden offenbar viele, die sich länger in Paris aufhalten, versuchen müssen, dort ein Auskommen zu finden, und daran scheitern. Aber wir sind nur zu Besuch hier, können es bald wieder verlassen, und bis dahin unbeschwert das herrliche Frühlingswetter genießen.
Frühling – Seine – Sonne – Sonntag – Paris.
Alte Klischees müssen ja nicht immer falsch und unzutreffend sein.













Und was sagt Das letzte Buch dazu?
"Easter came in like a frozen hare. Today it is lovely again and along the Champs-Elysées at twilight it is like an outdoor seraglio choked with dark-eyed houris. The trees are in full foliage and of a verdure so pure, so rich, that it seems as though they were still wet and glistening with dew. From the Palais du Louvre to the Etoile it is like a piece of music for the pianoforte."








... link (0 Kommentare)   ... comment