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Samstag, 9. August 2014
Sprungbrett nach Süden

Russischer Badeort an der Ostsee mit fünf oder sechs Buchstaben? Bis 1941 hätte man noch Hanko oder Hängö (oder Russisch Гангут) ins Kreuzworträtsel schreiben können. Nach dem deutschen Überfall auf die Sowjetunion aber zog sich die Rote Armee im Dezember ‘41 aus dem Hafen an der äußersten Südwestspitze Finnlands zurück, den sie sich nach dem Winterkrieg gerade erst wieder hatte abtreten lassen. Zwar war Hangö spätestens seit der Wikingerzeit ein Lande- und Hafenplatz auf dem alten Seeweg nach Rußland und Nowgorod, und die Schweden hatten es später befestigt, aber erst die Russen gründeten auf der sandigen Halbinsel 1874 eine kleine Hafenstadt, die in ihren ersten fünfzig Jahren für rund 300.000 finnische Auswanderer das Sprungbrett zur Welt wurde. Die reiche Oberschicht Rußlands entdeckte und okkupierte Hangö bald als einen herrlichen, nach Süden gerichteten Badeort. Die weißen Holzvillen aus der Zarenzeit, eine orthodoxe Kirche und das große Kasino stehen heute noch, hell herausgeputzt, als gründerzeitliche Perlen ins Grün lichter Kiefernhaine eingebettet.

Wir waren aus dem Norden die milde, helle Sommernacht durchgefahren – auch nachdem die Sonne endlich unter den Horizont gedippt war, so hell, daß nicht einmal der Vollmond besonders ins Auge fiel –, und irgendwann in aller Frühe in Hangö angekommen, stellten den Wagen am Strand ab, drehten die Seitenscheiben runter und die Sitzlehnen zurück, guckten auf das zarte Blau, in das Himmel und Meer gleichermaßen getaucht waren, und schliefen zum Zwitschern der ersten Vögel ein.

Mag sein, daß schon ein früher Jogger vorbeigekommen war, aber wir wachten vom Quietschen einer nicht geölten Fahrradkette auf, als eine einzelne ältere Frau langsam vorüber radelte. Sie blieb für eine ganze Weile der einzige sichtbare Mensch außer uns. Es war Sonntag, und wir hatten den Sandstrand, über dem schon wieder die Sonne aufstieg, und die im Halbschatten der Kiefern liegenden Wege zwischen den schmucken Villen in ihren Gärten für uns allein. Unseren Aufbruch nach Süden zögerten wir bis zum letztmöglichen Augenblick hinaus. Näkemiin Finnland!

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Sonntag, 3. August 2014
Bärenkult an der Oulanka

Ich sehe, es reicht langsam, aber einmal lade ich Sie noch zu einem Bildspaziergang durch einen finnischen Zauberwald ein. Diesmal ging es durch den Nationalpark am Oulanka-Fluß nordöstlich von Kuusamo dicht an der russischen Grenze und zu seinen Stromschnellen bei den roten Dolomitfelsen von Kiutaköngäs. Die Oulanka war unser erster Fluß auf der Reise, der nicht in die Ostsee, sondern ins Weiße Meer fließt. Weiße Nächte, Weißes Meer, Bjeloje More, Bjarmaland, Barentssee – wie fern hatten all diese Namen immer geklungen, unerreichbar. Aber wenn ich jetzt an den Schnellen ein Stück Holz ins Wasser warf, würde es nach lächerlichen 100 Kilometern das Weiße Meer erreichen.

Wir wanderten ein Stück des Karhunkierros, des insgesamt 80 Kilometer langen ‟Bärenrundwegs” ab, sahen unterwegs zwar keinen lebenden Bären, sondern nur ein müdes Rentier mit Schuppenflechte und ein paar Finnen an einem Rastplatz, die ihr Karhu oulut, ihr Bärenbier, aus Dosen schlürften, und es ist mir auch egal, ob Bärenkulte bis in die mittlere oder nur in die jüngere Steinzeit zurückreichen, daß der Bär bei den früher allein in dieser Gegend lebenden Samen kultische Verehrung genoß, ist ebenso unstrittig wie nachvollziehbar.

Martina Pacher: Der Höhlenbärenkult aus ethnologischer Sicht (1997):
‟Bereits CASTRÉN (1856:226) berichtet von der Ansicht der Ostjaken, daß der Bär „kein Thier sei, wie alle anderen, sondern daß das Thierfell bei ihm eine Verkleidung ausmache, unter welcher er eine menschliche Gestalt nebst einer göttlichen Kraft und Weisheit verbirgt".
Die gleiche Vorstellung berichtet CASTRÉN auch von den Tungusen, Samojeden und allen finnischen Völkern [...] Neben der Verwandlung durch Zauberei, und der Wanderung einer menschlichen Seele in den Bärenkörper, kennen einige Völker (Kolta- und Inarilappen, Tungusen, Jakuten, Keten) die Möglichkeit, daß ein Mensch sich selbst in einen Bären verwandelt [...]
URAY-KÖHALMI (1981:135) erwähnt Mythen über sexuelle Verbindungen zwischen Bär und Mensch von den Obugriern, den Lamuten, Tungusen, Golden, Ultscha, Orotschen, den Ainu, von südsibirischen Turkvölkern sowie von den Lappen und aus skandinavischen Erzählungen [...]
Einige nördliche Völker führen ihren Ursprung auf eine solche Verbindung zurück. Der Überlieferung der Koltalappen zufolge, war ihre „Stammutter" ein Lappenmädchen, „das einen Winter in dem Neste eines männlichen Bären zu verbringen hatte".

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Mittwoch, 30. Juli 2014
Aaltos Bibliothek




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Dienstag, 22. Juli 2014
längst überfällig: ein Loblied auf die Birke

Ach ja, wenn Wind so einer jungen Björk oder Koivu mal den grünen Rock anlupfte, wurden elegant schlanke, flach bemuskelte Stämme sichtbar, die noch weißer leuchteten als die Schenkel jeder Finnin.
Ina Deter wußte es schon vor mehr als dreißig Jahren: Im Norden und rund um die Ostsee war glatte und helle Birkenrinde früher ein vielbenutztes Schreibmaterial. ‟Kratze es in Birkenrinden...” Und zwar alles, vom Wettersegen und Liebeszauber über aktuelle Mitteilungen bis zum Schuldnerverzeichnis, vom frömmelnden Psalm bis zu ‟Komm Samstagabend ins Kornfeld!” Allein in Nowgorod hat man Tausende von derart beschriebenen Birkenrindenstreifen aus dem 11. bis ins 15. Jahrhundert gefunden, in kirchenslawischfreiem Ostslawisch, aber auch in Karelisch oder Finnisch. Offenbar konnten damals dort viel mehr Menschen ohne die leitende Hand der Geistlichkeit schreiben als angenommen.

Birken sind Sonnenliebhaber. Ihre weiße Rinde schützt sie durch die starke Reflexion vor Sonnenbrand. Bei großer Kälte schließen sie die dunklen Lüftungsschlitze in der Borke. Bei Frost ab -40° wandeln sie Stärke in den Zweigen in Öl um und erzeugen dadurch Wärme. Aber gegen andere Baumarten sind sie nicht sehr konkurrenzfähig. Sobald ihnen ein höher wachsender Baumbestand das Licht nimmt, wandern sie weiter in baumlos sonnenbeschienene Gefilde und breiten sich dort aus. Die Birke ist ein Pionierbaum erster Güte, sie hat nach der letzten Eiszeit als erste das vom Eis freigegebene Europa wieder bewaldet.
Ihre Rinde und ihr Holz liefern das beste Kaminholz der Welt, sind aber eigentlich viel zu schade zum Verbrennen, denn sie liefern auch hervorragendes Material für Kanus, Möbel und Innenausbau, und die innere Rinde, Zucker und Vitamin C enthaltend, ist sogar essbar. Birkensaft ist ein wertvolles, v.a. diurethisches und antibakterielles Naturheilmittel, Birkenreisig lieferte beste Besen und belebt, wie jeder Finne weiß, in der Sauna enorm. Wenn sie nicht so unendlich viel reizenden Pollen verstreuen würde (der auch noch bis zu 2000 Kilometer weit fliegen kann), müßte man die hübsche Birke uneingeschränkt lieben.

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Samstag, 19. Juli 2014
Das schweigende Volk von Kainuu

Wäinämoinen hin, Lemminkainen oder Aino her, seit wir uns an diesem Pfuhl im Wald mit dem Hiisi eingelassen hatten, wurden bei unserem weiteren Vorrücken immer höher hinauf nach Norden zwar die Bäume kleiner, aber die Landschaft auch unzugänglicher, sumpfiger und geheimnisvoller.

"The Silent People of Kainuu" by Reijo Kela

Auf einer Lichtung stand ein tausendköpfiges Volk mit Torfgesichtern und schwieg uns an. Die Kleider schlotterten um die dürren Gestalten. Es fiel kein Wort, und doch wirkte das Schweigen irgendwie vorwurfsvoll. Im Wald stolperte uns ein junges Rentier über den Weg, besah uns mit großen, staunenden Augen und taperte dann weiter, bis es zwischen den grauen Fichtenstämmen verschwand.
Zum Glück fanden wir am Abend noch eine einsame Blockhütte mit einer geheimnisvollen Frau hinter dem Fenster. Die Schatten der Sprossen bekreuzigten sie doppelt. Sie schien sich vor etwas oder jemandem schützen zu müssen.

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Dienstag, 15. Juli 2014
Hiidenportti

Wenn man tief in seine Wälder eindringt, gibt sich der Herr der Fliegen im mittsommerlichen Finnland auch als Herr der Mücken zu erkennen. Und wir wanderten zu einem Ort, wo er einen Ausstieg aus der Unterwelt hat, in Hiidenportti, der Teufels- oder Dämonenpforte. - Da schwirrten besonders viele Mücken.
Das gemeine Spiel der Herabsetzung anderer Ansichten, fremder Glaubensvorstellungen läuft doch überall nach den selben Methoden. Aus dem ‟Erhabenen Herrn”, dem Baal Zebul der Philister oder Peleset, die Palästina ihren Namen gaben, machten ihre Erzfeinde, die Iraeliten, den Baal Zevûv, den ‟Herrn der Fliegen” oder des Misthaufens, den Beelzebub. Raketen fliegen noch immer und gerade wieder hinüber und herüber, die palästinische Stadt Gaza liegt unter Bombardement der Israeliten.
Das Wort Hiisi bezeichnete im vorchristlichen Finnland (und Estland) heilige Haine oder andere Orte, an denen übernatürliche Wesen und Naturkräfte verehrt wurden. Später personifizierte man diese Kräfte zu Ahnenwesen und Naturgeistern. Noch in Lönnroths Kalevala singen Schamanen Hiisi-Lieder und beschwört der Held Lemminkäinen zu seinem Schutz einen Wasser-Hiisi. Aber ein Hiisi bastelt ihm zur Täuschung auch einen falschen Elch aus morschem Holz und Sumpfpflanzen, und ‟Hiisi’s Vöglein”, eine Hornisse, vergiftet das Wasser, in dem der Schmied Ilmarinen das erste Schmiedeeisen abschreckt, so daß aus dem Geschenk der Sümpfe kein wohlgelungenes Kunstwerk, sondern eine beißende Waffe wird.
Zweischneidig also sind die Hiisi (Pl. eigtl. Hiidet) unter christlichem Einfluß geworden, der alle konkurrierenden Glaubensvorstellungen zu Heidnischem erklären und verteufeln muß. Aus einem heiligen Ort der Naturverehrung wurde so Hiidenportti, der Pfuhl böser Geister.

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Sonntag, 13. Juli 2014
Aino. Ein anderes Triptychon

‟Trag für mich die feine Flechte / Bind für mich das Haar mit Seide.“

Akseli Gallen-Kallela: Aino (1891)

‟Nicht für dich und nicht für andre / Geh’ in einfachem Gewande.”

‟Besser wär’ ich nicht geboren / Hätt’st mich lieber du versprochen
Unten in des Meeres Tiefe / Als den alten Mann zu trösten.
Bruder, laß die Thränen bleiben / Wenn ich in das Wasser sinke,
Zu dem schwarzgefärbten Schlamme.“

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Freitag, 11. Juli 2014
"Nach dem (n)immerhellen Nordland"

Wäinämöinen alt und wahrhaft / Schickt sich an um aufzubrechen
Nach dem Dorfe voller Kälte, / Nach dem nimmerhellen Nordland.
Nahm sein Roß, das strohhalmleichte, / Thut ihm an die goldnen Zügel,
Legt ihm Riemen um voll Schönheit, / Setzt sich selber auf den Rücken
Und beginnt davonzureiten;
Jagte durch Wäinölä’s Fluren, / Durch die Flächen Kalewala’s,
Ritt gar rasch mit seinem Rosse, / Immer weiter von der Heimath

(Kalewala, 6. Rune, übs. von Anton Schiefner, 1852)

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Dienstag, 8. Juli 2014
Unverhofftes Wiedersehen in Tervo

Ein spontaner Anruf genügte, und es kam nach vierzehn Jahren ohne alle Umschweife sofort zu einem Wiedersehen. (So viel, nebenbei, zur Reserviertheit der Finnen.) Auf der letzen Fähre des Jahres nach Island waren wir uns begegnet. Damals setzte sie als Au-pair über, blieb zwei Winter und einen kurzen Sommer und ging dann von der baumlosen Atlantikinsel zurück in die Wälder Finnlands. Ein paar Jahre verbrachte sie in der Arbeiterstadt Tampere, dann kam ein Hilferuf von ihrer Schwester. Die war nach dem Unfalltod des Vaters auf den elterlichen Hof zurückgekehrt, um die allein zurückgebliebene Mutter zu unterstützen, hatte aber zwei heftige Bandscheibenvorfälle erlitten, konnte nichts mehr heben, was sollte aus dem Hof werden? ‟Ich komme”, hatte Annukka geantwortet und war Bäuerin im tiefsten Savo geworden, fünfzig Kilometer hinter Kuopio.
Die Straße nach Tervo ist asphaltiert, aber kaum befahren, einmal wird sie breit wie eine Autobahn ohne Mittelstreifen: Start- und Landebahn für Kampfjets im rückwärtigen Grenzraum zu Rußland. Dann wieder Wald, ein paar schmale Äcker, Wald. Fahren. Alte Blockhäuser als Scheunen am Wegrand. Dann massige schwarze Rinder auf einer Weide, dahinter ein paar hingewürfelte kleine Holzhäuser von unbestimmer Farbe und ein neuer Stall: der Hof.

Annukka kommt aus dem Haus, in Holzfällerhemd und Gummistiefeln, das lange Haar mit einem simplen Gummiband unter einer John-Deer-Mütze zum Pferdeschwanz gefaßt, aber silberne Ohrringe in den Ohren. Sie sprudelt gleich los, wie früher; auf Englisch, auf Schwedisch, dazwischen ein paar Brocken Deutsch, und wenn’s ganz schnell gehen muß, flutscht ein Satz auf Finnisch dazwischen. Besonders nachdem ein schwerer Pickup auf den Hof gerumpelt ist, aus dem die Schwester Minna stieg und sich zu uns gesellte. Drinnen im Haus hat die Mutter einen Imbiss mit dem guten finnischen Roggenbrot vorbereitet. Im Haus ist seit dem Tod des Vaters sicher nichts mehr gemacht worden. Annukka baut sich nebenan ein kleines Holzhaus um, in dem nach dem Krieg eine Flüchtlingsfamilie aus Karelien einquartiert war. Sie hat jetzt ein Bad eingebaut, und einen großen, klobigen Kaminofen, um die zugige Bude im Winter ausreichend warm zu bekommen. Zu mehr reicht das Geld nicht. Der Hof wirft sichtlich kaum mehr als ein bescheidenes bis dürftiges Auskommen ab, zwanzig Angus-Rinder besitzen sie, weitere zwanzig ziehen sie für den Nachbarn auf. Eigentlich zu wenig, um zu dritt davon leben zu können. Milchvieh würde ihnen zu viel Arbeit machen. Drei Frauen allein auf einem Hof, und drei Hunde. Die Mutter ist zu alt, um noch richtig anzupacken, Minna darf und kann nichts Schweres heben, Annukka stemmt die schwere Arbeit auf dem Hof allein. Sie ist sehnig und starkknochig, zwei tiefe Linien um den Mund verleihen ihrem Gesicht die Feinheit von eingegrabenem Schmerz, aber sie ist immer noch lebhaft wie früher, aufgeschlossen, helle, und klar und eindeutig, wie jemand, der seinen Platz im Leben gefunden hat: Ich habe gewählt, mich entschieden; es ist vielleicht nicht das Leben, von dem ich einmal geträumt habe, aber ich versuche, das Beste daraus zu machen, und jetzt ist es gut so, wie es ist. Was sollte ihr die Welt anhaben können? – Ein unvorhergesehenes, gutes Wiedersehen und ein Besuch, der Eindruck auf mich gemacht hat.

Annukka und einer ihrer Jungbullen

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Sonntag, 6. Juli 2014

Der Zauber dieser hellen Nächte ist noch immer nicht verflogen, obwohl er so kurzlebig und flüchtig ist wie die jugendliche Schönheit von Ulla Jacobsson in Sie tanzte nur einen Sommer. Noch ist Mittsommer, und sogar der Flieder blüht noch duftig und voll.

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