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Im Nordterritorium gibt es im Kakadu-Nationalpark bei der Deaf-Adder-Schlucht einen Felsüberhang mit Namen Nauwalabila. Holzkohlereste fast zwei Meter tief im Untergrund dieses uralten Wohnplatzes ließen sich per Radiokarbonmessung auf ein Alter von ungefähr 20.000 Jahren datieren. Darunter in fast drei Metern Tiefe fanden Archäologen Steinwerkzeuge in einer Bodenschicht, die mit Thermoluminiszenz-Messung auf ein Alter von 50-60.000 Jahren datiert wurde. ‟The stone artefacts in the basal rubble are probably about 55,000 years old, which makes Nauwalabila one of the oldest human occupation sites yet discovered in Australia”, stellt Flood fest.
Am nahen Malakunjana-Felsüberhang, auch im Kakadu-Nationalpark gelegen, wurden Steinwerkzeuge mit Hilfe der Thermolumineszenzmethode ebenfalls auf ein Alter von über 50.000 Jahren datiert, ‟making these Australia’s oldest firmly traces of human presence”, konstatiert Flood und bringt dann auch jungsteinzeitliche Kunst ins Spiel: In derselben Schicht habe man ‟Malkreide” (crayons) aus Ocker und Hämatit gefunden, ‟indicating that some form of art was being practised by Australia’s first inhabitants.” – Ist das so?
An der Rückwand des tiefen Felsüberhangs von Malangangerr in einem Ausläufer des Arnhem-Land-Plateaus befinden sich einige wenige Zeichnungen. Auf der untersten ausgegrabenen Bodenschicht, thermoluminiszenzdatiert auf ca. 50.000 Jahre, lagen verschiedene Steinwerkzeuge, unter ihnen einige kleine Äxte, die nicht nur zugehauen, sondern auch geschliffen waren. Diese Technik, so Flood, ist in Europa erst nach der letzten Eiszeit eingeführt worden, in Japan, Papua-Neuguinea und Nordaustralien aber vor mehr als 20.000 Jahren. Die Äxte von Malangangerr gehören damit zu ‟the world’s earliest evidence for the technology of polishing and edge-grinding tools.” So weit, so gut. Dann kommt wieder Ocker hinzu: ‟The occurence of ochre and ochre ‘crayons’ with ground facets produced by use in pre-18,000-year-old layers in several sites [...] is a clear evidence of the use of paint, and thus the attainment of aesthetic perception, by ice-age people in Australia.” – Clear evidence? Da ist ein jüngerer Kollege Floods ganz anderer Meinung. Maxime Aubert von der Griffith Universität in Brisbane, der gerade als führender Archäologe neue Untersuchungen an pleistozänen Höhlenmalereien in Indonesien leitet, schrieb vor zwei Jahren in einem ausführlichen Beitrag zum Journal of Archaeological Science (‟A review of rock art dating in the Kimberley, Western Australia”, JAS 39, 2012): ‟the presence of ochre alone provides no evidence for the use of this substance for artistic expression. Ochre occurs naturally in the geological record and has been observed seeping from limestone cave surfaces”.
Im selben Artikel zerpflückt Aubert noch weitere vorgebliche Kronzeugen für das pleistozäne Alter australischer Felsbilder in den Kimberleys wie angeblich auf einem Felsbild aufliegende Reste eines Wespennests, das mehr als 19.000 Jahre alt sein soll. Bei Auberts genauem Nachsehen stellte sich aber heraus, daß die zur Altersbestimmung entnommene Probe gar nicht von der winzigen Stelle stammte, an der das Nest das Bild berührt.
‟Having reviewed all the scientific literature available on the subject”, resümiert Aubert, ‟we are forced to conclude that, at the moment, there is no substantial evidence to support a Pleistocene age for the rock art.”
Das Pleistozän endete mit der bislang letzten Eiszeit vor etwas mehr als 11.000 Jahren.
Wenn sich die bisherigen Datierungen nicht noch einmal als fehlerhaft herausstellen, müssen die in den Fels gravierten Emuspuren am Felsüberhang von ‟Early Man” in Jowalbinna mit einem Alter von 13.500 Jahren als die bislang ältesten sicher datierten Petroglyphen Australiens gelten. Damit ist auftrumpfenden Behauptungen, die Felsmalereien der australischen Aborigenes seien älter als alles, was man an jungsteinzeitlicher Höhlenkunst in Europa kennt, bis auf weiteres jede gesicherte Grundlage entzogen.
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Ein Beispiel aus einer sehr wichtigen Fundgegend:
Die Pilbara-Region im Westen des Kontinents und besonders die 260 km² große Burrup-Halbinsel weisen mit einer geschätzten Zahl von bald einer halben Million Felsritzungen die größte Konzentration von Petroglyphen aller ariden Regionen der Südhalbkugel auf und bilden eine ganz eigene, abgegrenzte Kunstlandschaft, die sich besonders durch Abbildung von Menschen und naturalistische Tierdarstellungen hervorhebt. In der Frage ihrer Datierung aber ist sich die Forschung noch höchst uneins. Bednarik (Australian rock art of the Pleistocene, in: Rock Art Research, 2010) will ihnen kein höheres Alter als 8000 Jahre zugestehen, Smith (The archeology of Australia’s deserts, 2013) datiert sie in die Übergangszeit zum Holozän zwischen 8-14.000 Jahre, K.J. Mulvaney dagegen behauptet in seiner PhD-Arbeit Murujuga Marni-Dampier petroglyphs von 2010, der quantitativ umfangreichsten Studie bisher, sogar ein Alter von 30.000 Jahren, was Smith wiederum stark bezweifelt und den ältesten Bildern ein Alter von höchstens 10.500 - 15.000 Jahren zubilligt.
‟So far, all attempts to date these engravings have been unsuccessful.”
Als ich jetzt im nördlichen Queensland, im Northern Territory und im Norden Westaustraliens vor diesen Felsbildern stand und etliche von ihnen selbst in Augenschein nehmen konnte, kamen mir einige Zweifel, ob diese relativ offen zutage liegenden Zeichnungen tatsächlich das mittlerweile angegebene Alter haben können. Sie sind ja nicht wie die jungsteinzeitlichen Malereien in Europa tief in Höhlen verborgen und vor Licht und Erosion geschützt, sondern beidem relativ ausgesetzt. Außerdem sind sie im Lauf der Zeit so oft mit jüngeren Darstellungen übermalt worden, daß man die verschiedenen Schichten m.E. kaum noch voneinander abheben kann. Mit dem bloßen Auge schon gar nicht. (Das belegt i.ü. wieder einmal die These, daß für die Künstler der Vorgang des Malens viel wichtiger war als das Produkt.)
Als ich vor diesen von Tierdarstellungen nur so wimmelnden Felswänden stand und die eingeborenen Führer von deren unfaßlich hohem Alter reden hörte, mußte ich immer wieder an eine Nebenbemerkung von Steve Tresize zurückdenken, der einmal fallen ließ, sein Vater, der Wiederentdecker von Laura und Jowalbinna, hätte beim abendlichen Fachsimpeln ‟added a few thousand years with every glass of Brandy he had.” – Es ist ein bißchen salopp ausgedrückt, aber es bestätigt ein wenig den Eindruck, den man bekommt, wenn man sieht, wie in Australien neuerdings mit den Jahrtausenden nur so herumgeworfen wird.
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Es wird langsam ein bißchen inflationär hier mit den Bildern, darum heute mal etwas mehr Textwüste.
Leider halten wir uns nicht mehr wirklich dort auf (jede Reise geht einmal zu Ende), aber in Gedanken kann ich mich immer wieder gern in den Kakadu-Nationalpark im Norden Australiens zurückversetzen. Ich kenne inzwischen etliche, die auf meine Antwort auf die Frage, wo wir denn den Urlaub verbracht hätten, reagieren: ‟Australien? Ach, da zieht mich ja so gar nichts hin. Diese Leere überall. Und die Hitze! Und Kultur haben die da doch gar nich.” – Schon mal die Wortprogramme auf ABC Radio verfolgt, möchte ich am liebsten zurückfragen, lasse es aber meistens. Keine Kultur? Wie wäre es denn zum Beispiel mit der vielleicht am längsten ungebrochenen Kulturtradition der Menschheit? Aber da haben immer noch viele ganz ungetrübt allein die eurozentrische Brille auf (was sie natürlich entrüstet bestreiten würden, wenn man sie darauf aufmerksam machte). Nun, wie auch immer, uns hatte Australien eine Menge zu bieten.
Das Land im Kakadu-Nationalpark z.B. weist nicht nur unglaublich schöne Landschaften und fast magische Orte auf, sondern ist obendrein auch für die Frühgeschichte der Menschheit von einzigartiger Bedeutung. Etliche Fundstätten mit Spuren menschlicher Besiedlung sind inzwischen mit modernsten Methoden archäologisch untersucht worden, und die Ergebnisse haben frühere Vermutungen bestätigt: Die Vorfahren der heutigen Aborigenes haben Australien bereits vor mehr als 50.000 Jahren erreicht. Der Meeresspiegel lag zu dieser Zeit zwar um etwa 65 Meter unter dem heutigen Niveau und Australien bildete mit Tasmanien und Neuguinea noch einen zusammenhängenden, Meganesien oder Sahul genannten Kontinent, doch vom südostasiatischen Festland war es auch damals durch Meeresstraßen getrennt. Als bei uns noch Neandertaler in ihren Höhlen froren, müssen die Vorfahren der Aborigenes bereits Fahrzeuge gebaut haben, mit denen sie Meerengen überqueren konnten. Nach allem, was die Forschung derzeit von ihnen sagt, brachten sie aus Asien auch roten Ocker und die Fähigkeit zum Malen mit. Für den südafrikanischen Spezialisten für steinzeitliche Felsmalerei, Professor David Lewis-Williams, macht die Entwicklung dieser Fähigkeit, dreidimensionale Wirklichkeit zweidimensional auf einer Fläche abzubilden, einen, wenn nicht den Beweis für einen intelligenzmäßigen Quantensprung vom Neandertaler zum modernen Homo sapiens aus.
Für Lewis-Williams waren Neandertaler nicht in der Lage
- sich an Bilder im Kopf zu erinnern, die in anderen Bewußtseinszuständen wie etwa im Traum, nach Einnahme berauschender Drogen, bei Übermüdung oder in Trancezuständen entstehen
- sich über solche imaginären Bilder im Kopf auszutauschen und ihnen gar den Status einer anderen Wirklichkeit hinter der jedem sichtbaren zuzusprechen
- zwischen den Bildern im Kopf und ihren zweidimensionalen Abbildungen einen Zusammenhang zu erkennen
- überhaupt zweidimensionale Bilder von realen Objekten als deren Repräsentation zu erkennen. ‟One cannot ‘notice’ a representational image in a mass of lines unless one already has a notion of images [...] ‘Seeing’ two-dimensional images is therefore something we learn to do”.
Weiterlesen bitte hier.
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‟All through the winter months, when the tourists come by, Darwin is demure. You must catch it in the gipsy moments of monsoon. To come into Darwin in the wet season is to tiptoe into an opium dream”, schwärmte in den 1930er Jahren die ganz Australien durchreisende Reporterin Ernestine Hill in ihrem bekannt gewordenen Klassiker The Great Australian Loneliness.
Hill war von Darwin, ihrer ersten Station in den Tropen, begeistert, aber zu unserer Zeit ist nicht wet, sondern dry season und Darwin demure, also raus aus der Stadt, asap! Aber es zieht sich: endlose und endlos einförmige Vororte, Aborigeneslums, Gewerbegebiete, Einkaufszentren, Autoreparaturwerkstätten, Tankstellen, Möbelhäuser reihen sich am Highway entlang in die flache Landschaft hinaus. Palmerston, Howard Springs, Humpty Doo (!) und wie die Schilder alle heißen. Klar, heiß ist es auch wieder, und gleißend das Licht. Woolworth’s oder Coles heißt die kühl klimatisierte Alternative zum Auffüllen der Vorräte für die nächsten Tage. Auftanken, dann wieder raus auf den sich zusehends leerenden Highway.
‟Outside Darwin, that ‘gateway to the East’ that never opened, are but a scattering of cattle stations, 50, 100, 200 miles apart. Each a million acres of empty bush”, stellte Hill damals fest, und es hat sich nicht viel geändert.
Doch Leere und Einsamkeit sind relativ. Für die Ureinwohner ist das Land voll. Voller Überfluß an Nahrungsangeboten in der Natur – ein Fünftel aller australischen Säugetierarten lebt hier draußen im Küstentiefland, ein Drittel aller Vogelarten, 120 Reptilien- und 300 Fischarten und mehr als 10.000 Spezies von Insekten –, und es ist voller Ahnengeister, Nayuhyunggi, denn hier sind vor gut 50.000 Jahren die ersten Vorfahren auf den Kontinent gekommen. Überall haben sie das Land geformt und ihre Spuren und Marken hinterlassen. Leer, gesichts- und geschichtslos ist es hier nur durch die Terra-nullius-Brille der Weißen betrachtet.
Wasserreich, wie die Gegend ist, spielt hier die Regenbogenschlange in den mythologischen Erzählungen, die sich um Flüsse, Schluchten und Wasserlöcher ranken, eine überragende Rolle.
Der Archäologe Mike Smith hat ihren Ursprung mit den fossilen Knochen ausgestorbener Riesentiere in Verbindung gebracht, auf die einwandernde Menschen an den ausgetrockneten Wasserläufen des Binnenlands gestoßen sein müssen.
Wir überqueren den Adelaide River, dahinter weite Flächen von Sumpfgras und Rohr, von Wasserläufen durchzogen; der Himmel darüber weißglühend, im Süden grau vom Rauch eines fernen Buschfeuers. Die Straße kurvt um den einzigen Hügel weit und breit. Oben eine Beobachtungsstation für die vielen Wasservögel, die hier rasten und durchziehen. In der Regenzeit dürfte sie als einsame Insel aus dem völlig überfluteten Tiefland ragen. Auch am Mary River wieder Wetlands, Feuchtgebiete, und etliche Bird Billabongs und überall Schilder, die vor Krokodilen warnen. So nah an der Küste muß man in jedem trüben Wasserloch mit ‟Salties” rechnen, die plötzlich aus dem Wasser schnellen und dir die Nasenspitze und anderes abbeißen. West Alligator, South Alligator und East Alligator River heißen die Flüsse, die noch auf uns warten in Gagudju.
Das Wort bezeichnet eigentlich die Sprache der hiesigen Ureinwohner, doch 2002 ist der allerletzte Sprecher dieser mit sonst keiner verwandten Sprache gestorben. Gagudju gibt es nur noch in den Tonarchiven der Linguisten, hoffe ich, den Namen der Sprache haben die Weißen als Kakadu mißverstanden und danach den einzigartigen Nationalpark benannt, der inzwischen ins Weltnatur- und -kulturerbe der UNESCO aufgenommen wurde.
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Ein paar Tage sind vergangen, und wir haben einen großen Sprung zurückgelegt. In Europa entspräche er z.B. der Entfernung zwischen Amsterdam und Sofia, es wären also sieben Länder zu durchqueren, in Australien ist es mal eben der Hüpfer von Queensland hinüber ins Northern Territory, von Cairns nach Darwin – oder vom Badeurlauber- und Taucherparadies ins Höllenloch.
Darwin ist misfit, nicht gesellschaftsfähig. Es ist eine abstoßende Un-Stadt, direkt an der smaragdgrünen, tropisch warmen Arafura-See gelegen; aber wie drückend die Hitze in den autoreichen Asphaltschluchten zwischen den Hochhausblöcken der Innenstadt auch kochen mag, im lockenden Meer darfst du nicht baden, wenn dir dein Leben lieb ist. Denn da draußen schwimmen die gefürchteten Salzwasserkrokodile, die sich auch während unseres Aufenthalts wieder einen Menschen per Todesrolle einverleibt haben, und wer nicht von den Krokodilen geholt wird, der könnte ungewollt mit einem der sechzig bis zu drei Meter langen Tentakel einer Würfelqualle Bekanntschaft machen und durch die brennenden Vernesselungen binnen Minuten an Herz-Kreislaufversagen sterben.
‟The box jellyfish are the most dangerous jellyfish and have caused hundreds, possibly thousands, of human deaths in tropical and subtropical waters worldwide.” (Peter J. Fenner: Dangers in the Ocean, in: Journal of Travel Medicine, 5,3, 1998). ‟Die Nesselgifte der Würfelquallen gehören zu den stärksten Giften im Tierreich. – Die Länge eines einzigen Tentakels eines erwachsenen Chironex fleckeri kann bis zu 3 m erreichen. Ein adultes Exemplar besitzt bis zu 60 Tentakeln; das ergibt eine theoretische Gesamttentakellänge von 180 m. Das Gift eines einzigen Exemplars von Chironex fleckeri könnte somit theoretisch über 100 Menschen töten. Nach anderen Quellen haben sechs bis acht Meter Tentakel genügend Gift, um einen Menschen zu töten.” (Wikipedia)
Das aber nur stellvertretend für die Annehmlichkeiten in und um Darwin. Der große alte Mann hat es wahrlich nicht verdient, daß ausgerechnet diese Stadt nach ihm benannt wurde. Andererseits ist sie auch der Ort einer der übelsten praktischen Umsetzungen von vermeintlichen Lehren des Sozialdarwinismus in Australien gewesen, und davon gibt es ja nicht wenige. Zu Darwin gehört unvergeßlich die Geschichte der sogenannten Stolen generation und des Kahlin Compound. – Näheres dazu hier: [klick]... link (0 Kommentare) ... comment
Zuerst einmal wurde 1910 der jeweilige Inhaber des seit 1838 von der Regierung eingesetzten Amts eines ‟Beschützers der Eingeborenen” per Gesetz zum gesetzlichen Vormund aller Aborigene- und Mischlingskinder unter 18 bestellt, egal, ob sie leibliche Eltern hatten oder nicht. 1911 wurde dieses Vormundschaftsrecht auch auf jeden erwachsenen Aborigene und Mischling ausgedehnt.
Nachdem er 1912 ein Jahr lang das Amt des Chief Protectors bekleidet hatte, gab ausgerechnet Professor James Baldwin Spencer, dem die Arrernte Zentralaustraliens 1896/97 wochenlang ihre geheimen Riten vorgeführt hatten (ein epochemachendes Ereignis, auf das ich später noch einmal zurückkommen sollte), die Anweisung, daß es ‟keinem Halbblutkind erlaubt sein soll, in einem Eingeborenencamp zu verbleiben, vielmehr sollen alle von dort weggeholt und auf Farmen gebracht werden.” In der Nähe von weißen Siedlungen sollten sie in Lagern untergebracht und von dort zu landwirtschaftlichen Arbeitseinsätzen gefahren werden, um so zum Unterhalt der Lager beizutragen. 1914 wurde am Rand von Darwin der Kahlin Compound errichtet, wo Kinder bis zu ihrem 14. Lebensjahr von ihren Familien getrennt, eingesperrt und zu niedrigen Arbeiten abgerichtet wurden. Ein ähnliches Zuchthaus, beschönigend The Bungalow genannt, wurde im selben Jahr in Alice Springs erbaut. Damit waren im ganzen Territorium Absonderung, Einsperrung und Zwangsarbeit der Mischlingskinder eingeleitet.
In der grundlegenden Aufarbeitung dieser Vorgänge durch die Australian Human Rights Commission in dem Bericht Bringing them home von 1997 heißt es zur weiteren Entwicklung:
‟The Aborigines Ordinance 1918 extended the Chief Protector's control over Indigenous people even further. Aboriginal females were under the total control of the Chief Protector from the moment they were born until they died unless married and living with a husband `who is substantially of European origin'. To marry a non-Indigenous man they had to obtain the permission of the Chief Protector. They could be taken from their families at any age and placed in an institution. They could be sent out to work at a young age and never receive wages. They had no right of guardianship over their own children who could be similarly taken from them. Male Aborigines fared little better except that they could be released from guardianship at 18. During the 1920s the pace of forcible removals increased, leading to severe overcrowding in Kahlin Compound and The Bungalow... By 1928 overcrowding at the Half-Caste Home had reached a critical level with 76 inmates living in `house large enough for only one family'. In 1931 the boys were moved to Pine Creek to relieve the pressure on the Home.”
In einem nächsten Schritt sollte die Zuwachsrate der Mischlingsbevölkerung reduziert werden. Dazu bediente man sich neuester wissenschaftlicher Erkenntnisse und Methoden der Zeit, wie sie besonders in England von der rassezüchterischen Disziplin der Eugenik entwickelt und propagiert wurden.Ihre Grundlage bildete die Überzeugung von der evolutionären Überlegenheit zivilisierter Nationen über ‟wilde Rassen”, wie sie bereits Charles Darwin 1871 im 6. Kapitel seiner Schrift über Die Abstammung des Menschen formuliert hatte: ‟In irgend einer künftigen Zeit, welche nach Jahrhunderten gemessen nicht einmal sehr entfernt ist, werden die civilisierten Rassen der Menschheit beinahe mit Bestimmtheit auf der ganzen Erde die wilden Rassen ausgerottet und ersetzt haben.”
Sozialdarwinisten wie Herbert Spencer leiteten daraus ab, daß die nicht auf derselben Zivilisationsstufe mit den Weißen stehenden Völker, besonders die unentwickelten Eingeborenenkulturen, ohnehin über kurz oder lang untergehen müßten, und bezeichneten jeden Versuch, dagegen etwas unternehmen zu wollen, als unsinnig und ‟absurd” (George Chatterton-Hill: Heredity and Selection, 1907), weil sie nur fruchtlose Bemühungen darstellen könnten, sich vorübergehend gegen die Auslese der Stärkeren im Prozeß der Evolution stemmen zu wollen. 1927 sollte der später stark mit den Nazis sympathisierende englische Anthropologe George Pitt-Rivers in seinem Clash of Cultures daraus schlußfolgern, das ‟Eingeborenenproblem” lasse sich bestens definieren als ein Problem, das entsteht, ‟wenn Eingeborenenvölker mit Hilfe der ‘Segnungen der Zivilisation’ nicht ausgerottet werden, sondern mitsamt ihren mischrassigen Abkömmlingen überleben.” In Australien sei das Problem unbedeutend, weil die Aborigenes bereits zügig ihrem Aussterben entgegengingen.
Dabei halfen die von der Regierung nach Leitsätzen der sozialdarwinistischen Eugenik erlassenen Bestimmungen kräftigst nach.
Im Jahr von Pitt-Rivers’ rassistischem Pamphlet wurde in Australien der Arzt Cecil Cook zum Chief Protector of Aborigenes im Northern Territory ernannt. Er betrachtete die Mischlinge explizit als ‟Bedrohung der weißen Bevölkerung” und war ein entschiedener Eugenik-Anhänger und davon überzeugt, daß sich eine Rasse durch gezielte Züchtung innerhalb von fünf bis sechs Generationen ‟rassisch verbessern” lasse. Ein Halbblut weise ja nur noch die Hälfte der minderwertigen Erbanlagen auf, und wenn ein Weißer ein Halbblutmädchen zur Frau nähme, wären die Kinder bereits zu drei Vierteln weiß usw. Darum empfahl er, Mischlingskinder überall im Territorium ihren Eltern wegzunehmen und sie in Lagern und auf Farmen der Weißen zu Dienstmädchen und Landarbeitern auszubilden. Heiraten zwischen Mischlingen und Aborigenes untersagte er, um das Züchtungsergebnis nicht wieder zu verschlechtern. Aber ‟das Problem unserer Halbblute wird durch das komplette Verschwinden der schwarzen Rasse bald eliminiert sein.”
Dr. Cook blieb bis zu seiner Pensionierung im 75. Lebensjahr ein angesehener Regierungsberater in verschiedenen medizinischen Topgremien Australiens.
Zeitweilig lebten im Kahlin Compound bis zu 600 Menschen zusammengepfercht auf engstem Raum oder in winzigen Wellblechkisten, in denen sie nicht einmal stehen konnten. Erst nach einem tropischen Wirbelsturm, der das Lager verwüstete, und weil man auf dem Areal ein Krankenhaus für die Weißen bauen wollte, wurde Kahlin 1938 aufgelöst, die Insassen verteilte man auf andere Lager.
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Die Hitze ist zum Glück trockener, als ich befürchtet hatte, aber es ist heiß, sehr heiß. Noch immer knapp unter 40 °. Selbst ich Sonnenverehrer sitze lieber unter dem vorspringenden Blechdach der Küchenhütte und bin froh über den Halbschatten, den die stehengebliebenen Bäume der Lichtung spenden. Die Luft ist heiß und trocken und doch seit unserer Ankunft hier im Wald von einem fremden, sehr süßen und schweren Aroma erfüllt. Es kommt von den hohen Eukalyptusbäumen, die beiderseits das Ufer des fast ausgetrockneten Bachlaufs säumen und in voller Blüte stehen. Jede Blüte kann über hundert Staubblätter enthalten. Das Grün der Blätter verschwindet fast unter ihrem hellen Weißlich-Gelb Sie locken Scharen von Vögeln an, doch selbst die knallbunten Allfarbloris: neongrüner Rücken, gelbe Nackenbinde, blauer Kopf, roter Schnabel, orangegelbe Brust, sind im Blütenflor der Bäume nur schwer auszumachen. Ulla-Lena ist mit Fernglas, Fotoapparat, Vogelbestimmungsbuch und Sonnenhut zur Wasserstelle am Bach aufgebrochen: Vögel gucken und möglichst viele Arten entdecken. Bei ihrer Rückkehr wird sie freudig berichten, ganze Scharen der bestechend schönen Regenbogenspinte gesehen zu haben.
Jennifer erholt sich von der für sie anstrengenden Tour am Vormittag und hält in ihrer Hütte ein Nickerchen, die Herzogin ist ebenfalls unterwegs und irgendwo im Wald verschwunden.
Ich bleibe vorläufig noch sitzen, trinke Mangosaft, sehe den Kängurus zu, die anscheinend jeden Nachmittag zum Grasen auf die Lichtung kommen, oder schreibe in mein Notizbuch. Wenn nicht gerade Raben-Kakadus mit häßlichem Krächzen wie schwarze Harpyien über die Lichtung fliegen, ist es so still, daß ich hören kann, wie ein schwacher Luftzug die Blätter oben in den Wipfeln der Eukalypten bewegt. Aus den Augenwinkeln nehme ich wahr, daß sich hinten am Waldrand noch etwas bewegt. Ich sehe hinüber. Zwei rötlich gelbe Dingos verharren nun reglos zwischen den vordersten Bäumen und wittern herüber. Ich beobachte sie durchs Fernglas. Als ich eine Bewegung mache, um die Kamera vom Tisch zu nehmen, werfen sie sich herum und verschwinden in federndem Wolfstrab so lautlos zwischen den Stämmen, wie sie gekommen sind. Ich schnappe mir die Kamera und gehe ihnen nach, sehe sie aber natürlich nicht wieder. Dafür sehe ich anderes, den hohlen, geschwärzten Stumpf eines verbrannten Baums wie eine abstrakte Skulptur im hohen Gras, die Vielfalt bunter Steine im trockenen Bachbett, das Aufleuchten von intensivem Türkis, als sich ein Haubenliest, hier Blue-winged Kookaburra, von einem Baum zum nächsten schwingt, ich beobachte, wie ein Heerzug von Termiten einen Baumstamm hinaufmarschiert, ich sehe lange zu, wie die tiefer sinkende Sonne das Gras vergoldet, und finde schließlich in einem Abschnitt, in dem der Bach noch leise durch einen Verhau von umgestürzten Bäumen und abgerissenen Ästen rieselt, eine Nymphe auf einem Baumstamm am Wasser sitzend. Nachmittag eines Fauns.
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Von Sandy Creek kurvten wir noch einmal eine Weile durch den Busch, bis wir zu einer anderen Felsformation kamen. Ich weiß ihren Namen nicht, bin nicht sicher, ob Tresize ihn überhaupt nannte. Es gibt ungezählte Fundstätten in dieser Region. Bei dieser wurden wir mit einem neuen, sehr strichhaften, flüchtig wirkenden Malstil bekannt und bekamen unseren ersten Imjim gezeigt. Auf Tresize Frage, woran er uns vielleicht erinnerte, kam mir seine Gestalt am ehesten wie eine grotesk stilisierte Kreuzung aus Frosch und Wüstenspringmaus vor, oder wie das Vorbild zum Marsupilami. Besonders auffällig, daß auf keiner Darstellung ein unterer Auswuchs wie ein Hodensack (oder eben ein zum Knoten zusammengeballter Schwanz) fehlt. Tresize’s Vater Percy wurde in den Sechzigern von seinen eingeborenen Gewährsleuten erzählt, ein Imjim sei ein Geist, der sich von Fröschen (!) ernähre und nachts auf seinem komischen unteren Körperteil wie ein Känguru durch die Gegend hüpfe. – Na bitte, doch ein erstes Anzeichen von Humor unter den Aborigenes.
Steve Tresize, den ich im übrigen in seiner offensichtlichen Einsamkeit für einen armen Teufel halte, verfügte über seine eigene Spielart davon.
Nachdem wir bereits eine ganze Weile vor einer bemalten Felswand standen und er uns Erklärungen, Theorien und Fragen dazu vorlegte, sagte er auf einmal beiläufig zu mir: ‟Ich würde übrigens an deiner Stelle keinen Schritt weiter zurücktreten. An dem Ast direkt hinter dir hängt ein sehr lebendiges Wespennest.”
Am Nachmittag kehrten wir ins Camp zurück und nutzten die verbleibende Zeit, um auf eigene Faust die Umgebung zu erkunden. – Mit das Unerwartetste in diesen Breitengraden nahe dem Äquator ist die Kürze der Tage, vor allem wenn man aus dem europäischen Sommer kommt. Um viertel nach Fünf, halb sechs, geht die Sonne fast in freien Fall über, schlägt auf dem Horizont auf wie ein rohes Ei, und um sechs ist es schlagartig rabenschwarze Nacht. Besonders im Outback, wo es überhaupt keine Lichter gibt. Dann kann man noch beim Schein des Lagerfeuers sein Abendessen zubereiten und anschließend mit Hilfe der Stirnlampe etwas lesen, aber spätestens gegen neun Uhr glaubt man, es müsse längst tiefe Nacht sein, weil doch schon seit Stunden so tiefe Finsternis herrscht. Dann tappt man über die Lichtung zu seiner Hütte und wundert sich über die vielen im Licht der Lampe wie Diamanten funkelnden Tautropfen auf dem staubtrockenen Boden. Es sind aber keine Tautropfen, sondern die vorderen Augen hunderter kleiner Wolfsspinnen, die auf Beute lauern.
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