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Sonntag, 12. Oktober 2014
Darwin, Kahlin Compounds (II)
Unter völliger Nichtbeachtung der dort seit Jahrtausenden lebenden Ureinwohner verpachtete die australische Regierung im Jahr 1903 alles Land im Nördlichen Territorium an weiße Siedler. Da vor allem alleinstehende Männer die günstigen Offerten annahmen (im Jahr 1900 lebten in Alice Springs nicht mehr als 9 weiße Frauen) und versuchten, im Busch Viehfarmen anzulegen, die sie mit Hilfe eingeborener männlicher und weiblicher Tagelöhner bewirtschafteten, wurden illegitime Mischlingskinder bald die am schnellsten wachsende Bevölkerungsgruppe im Territorium, und die Weißen bekamen Angst, in absehbarer Zeit zahlenmäßig von ihnen überholt zu werden. Ihre Antwort auf diese ‟Bedrohung” bestand in zwei Maßnahmen: wegsperren und wegzüchten.

Zuerst einmal wurde 1910 der jeweilige Inhaber des seit 1838 von der Regierung eingesetzten Amts eines ‟Beschützers der Eingeborenen” per Gesetz zum gesetzlichen Vormund aller Aborigene- und Mischlingskinder unter 18 bestellt, egal, ob sie leibliche Eltern hatten oder nicht. 1911 wurde dieses Vormundschaftsrecht auch auf jeden erwachsenen Aborigene und Mischling ausgedehnt.
Nachdem er 1912 ein Jahr lang das Amt des Chief Protectors bekleidet hatte, gab ausgerechnet Professor James Baldwin Spencer, dem die Arrernte Zentralaustraliens 1896/97 wochenlang ihre geheimen Riten vorgeführt hatten (ein epochemachendes Ereignis, auf das ich später noch einmal zurückkommen sollte), die Anweisung, daß es ‟keinem Halbblutkind erlaubt sein soll, in einem Eingeborenencamp zu verbleiben, vielmehr sollen alle von dort weggeholt und auf Farmen gebracht werden.” In der Nähe von weißen Siedlungen sollten sie in Lagern untergebracht und von dort zu landwirtschaftlichen Arbeitseinsätzen gefahren werden, um so zum Unterhalt der Lager beizutragen. 1914 wurde am Rand von Darwin der Kahlin Compound errichtet, wo Kinder bis zu ihrem 14. Lebensjahr von ihren Familien getrennt, eingesperrt und zu niedrigen Arbeiten abgerichtet wurden. Ein ähnliches Zuchthaus, beschönigend The Bungalow genannt, wurde im selben Jahr in Alice Springs erbaut. Damit waren im ganzen Territorium Absonderung, Einsperrung und Zwangsarbeit der Mischlingskinder eingeleitet.
In der grundlegenden Aufarbeitung dieser Vorgänge durch die Australian Human Rights Commission in dem Bericht Bringing them home von 1997 heißt es zur weiteren Entwicklung:

‟The Aborigines Ordinance 1918 extended the Chief Protector's control over Indigenous people even further. Aboriginal females were under the total control of the Chief Protector from the moment they were born until they died unless married and living with a husband `who is substantially of European origin'. To marry a non-Indigenous man they had to obtain the permission of the Chief Protector. They could be taken from their families at any age and placed in an institution. They could be sent out to work at a young age and never receive wages. They had no right of guardianship over their own children who could be similarly taken from them. Male Aborigines fared little better except that they could be released from guardianship at 18. During the 1920s the pace of forcible removals increased, leading to severe overcrowding in Kahlin Compound and The Bungalow... By 1928 overcrowding at the Half-Caste Home had reached a critical level with 76 inmates living in `house large enough for only one family'. In 1931 the boys were moved to Pine Creek to relieve the pressure on the Home.”

Bahnhof in Pine Creek In einem nächsten Schritt sollte die Zuwachsrate der Mischlingsbevölkerung reduziert werden. Dazu bediente man sich neuester wissenschaftlicher Erkenntnisse und Methoden der Zeit, wie sie besonders in England von der rassezüchterischen Disziplin der Eugenik entwickelt und propagiert wurden.
Ihre Grundlage bildete die Überzeugung von der evolutionären Überlegenheit zivilisierter Nationen über ‟wilde Rassen”, wie sie bereits Charles Darwin 1871 im 6. Kapitel seiner Schrift über Die Abstammung des Menschen formuliert hatte: ‟In irgend einer künftigen Zeit, welche nach Jahrhunderten gemessen nicht einmal sehr entfernt ist, werden die civilisierten Rassen der Menschheit beinahe mit Bestimmtheit auf der ganzen Erde die wilden Rassen ausgerottet und ersetzt haben.”
Sozialdarwinisten wie Herbert Spencer leiteten daraus ab, daß die nicht auf derselben Zivilisationsstufe mit den Weißen stehenden Völker, besonders die unentwickelten Eingeborenenkulturen, ohnehin über kurz oder lang untergehen müßten, und bezeichneten jeden Versuch, dagegen etwas unternehmen zu wollen, als unsinnig und ‟absurd” (George Chatterton-Hill: Heredity and Selection, 1907), weil sie nur fruchtlose Bemühungen darstellen könnten, sich vorübergehend gegen die Auslese der Stärkeren im Prozeß der Evolution stemmen zu wollen. 1927 sollte der später stark mit den Nazis sympathisierende englische Anthropologe George Pitt-Rivers in seinem Clash of Cultures daraus schlußfolgern, das ‟Eingeborenenproblem” lasse sich bestens definieren als ein Problem, das entsteht, ‟wenn Eingeborenenvölker mit Hilfe der ‘Segnungen der Zivilisation’ nicht ausgerottet werden, sondern mitsamt ihren mischrassigen Abkömmlingen überleben.” In Australien sei das Problem unbedeutend, weil die Aborigenes bereits zügig ihrem Aussterben entgegengingen.
Dabei halfen die von der Regierung nach Leitsätzen der sozialdarwinistischen Eugenik erlassenen Bestimmungen kräftigst nach.
Im Jahr von Pitt-Rivers’ rassistischem Pamphlet wurde in Australien der Arzt Cecil Cook zum Chief Protector of Aborigenes im Northern Territory ernannt. Er betrachtete die Mischlinge explizit als ‟Bedrohung der weißen Bevölkerung” und war ein entschiedener Eugenik-Anhänger und davon überzeugt, daß sich eine Rasse durch gezielte Züchtung innerhalb von fünf bis sechs Generationen ‟rassisch verbessern” lasse. Ein Halbblut weise ja nur noch die Hälfte der minderwertigen Erbanlagen auf, und wenn ein Weißer ein Halbblutmädchen zur Frau nähme, wären die Kinder bereits zu drei Vierteln weiß usw. Darum empfahl er, Mischlingskinder überall im Territorium ihren Eltern wegzunehmen und sie in Lagern und auf Farmen der Weißen zu Dienstmädchen und Landarbeitern auszubilden. Heiraten zwischen Mischlingen und Aborigenes untersagte er, um das Züchtungsergebnis nicht wieder zu verschlechtern. Aber ‟das Problem unserer Halbblute wird durch das komplette Verschwinden der schwarzen Rasse bald eliminiert sein.”
Dr. Cook blieb bis zu seiner Pensionierung im 75. Lebensjahr ein angesehener Regierungsberater in verschiedenen medizinischen Topgremien Australiens.
Zeitweilig lebten im Kahlin Compound bis zu 600 Menschen zusammengepfercht auf engstem Raum oder in winzigen Wellblechkisten, in denen sie nicht einmal stehen konnten. Erst nach einem tropischen Wirbelsturm, der das Lager verwüstete, und weil man auf dem Areal ein Krankenhaus für die Weißen bauen wollte, wurde Kahlin 1938 aufgelöst, die Insassen verteilte man auf andere Lager.

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