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Sonntag, 2. November 2014
Bilder, Beutelwölfe & Bewußtseinstheorien (Vorsicht: lang!)
Wir sehen ein paar farbige Linien auf einer Felswand und erkennen darin augenblicklich das Abbild eines Tieres (selbst wenn wir dieses Tier nie mit eigenen Augen gesehen haben). Was bringt uns dazu? Unser Verstand natürlich, unser Gedächtnis, unser Gehirn. Ja, klar, das ist bekannt. Aber wie macht es das? Auch bekannt: Ein über die Sehzellen aufgenommener optischer Reiz wird im Gehirn von bestimmten, durch ihn angeregten Nervenzellen (Neuronen) mittels spezieller Botenstoffe an Synapsen genannten Kontaktstellen an andere, für diesen Botenstoff positiv empfängliche Zellen weitergeleitet, die so angeregten Zellen verknüpfen sich zu einem Netzwerk von Nervenzellen mit einem spezifischen Funktionszusammenhang. Auch in unserem Fall haben bestimmte Neuronen auf die optischen Reize reagiert, ihre Botenstoffe ausgeschickt und sich durch sie in Sekundenbruchteilen mit weiteren Zellen in anderen Hirnpartien kurzgeschlossen, bis es irgendwann klickte: ‟Bingo, diese Linien ergeben ein Bild, und zwar das eines Beutelwolfs”.
Längst hat die Hirnforschung auch erkannt: Je häufiger Zelle B durch Zelle A angeregt wird, desto empfänglicher wird sie für Reize von Zelle A. Sie lernt also, Reize von A bevorzugt zu empfangen. In dieser Fähigkeit von Zellnetzwerken, ihrer sogenannten neuronalen oder kortikalen Plastizität, und in diesem Vorgang, den Freud im Entwurf einer Psychologie als ‟Bahnung” bezeichnete, scheint der Kern der Lernfähigkeit unseres Gehirns und Verstands zu liegen.
Er impliziert allerdings auch, daß neuronale Netzwerke nicht von Anfang an und von sich aus bestehen, sondern erst geknüpft werden müssen. Das (Wieder-)erkennen eines Musters von Linien als Abbild eines Tieres zum Beispiel muß erst erlernt werden. Das menschliche Gehirn hat über diese Fähigkeit nicht von Beginn an verfügt. Nicht das sich entwickelnde Gehirn eines einzelnen menschlichen Individuums und nicht stammesgeschichtlich die Gehirne entwicklungsgeschichtlich früher Menschenarten.
@ Nourlangie Rock
1972 erhielt der amerikanische Biochemiker Gerald Edelman den Medizin-Nobelpreis für seine Entdeckung und Erforschung von Molekülen in unserem Nervensystem, die für den allmählichen Aufbau unseres Immunsystems sorgen. Zu dem Zeitpunkt war Edelman bereits überzeugt, eine ähnliche evolutionäre Entwicklung wie im Immun- und Nervensystem sei auch bei der Entwicklung des Gehirns und seiner Bildung von Bewußtsein am Werk. Für den Rest seines Forscherlebens verlegte sich der Mediziner und Biochemiker auf die Neurobiologie und entwickelte seine für die Frage der Entstehung von Bewußtsein grundlegende Theorie der "Neural Group Selection", die ich hier nicht eingehender darlegen kann, weshalb ich für eine erste Orientierung auf den einschlägigen Wikipedia-Artikel verweise. Es gibt auf der Homepage von Alexander Kluges dctp.tv auch ein interessantes Gespräch mit Edelman. Darin erklärt er unser Immunsystem ebenso zu einer ‟darwinistischen Maschine” wie das Gehirn. ‟Unser Körper ist in der Lage, sogar Fremdkörper zu erkennen, die vorher noch nie existiert haben. Unser Immunsystem ist ein darwinistisches System in Echtzeit. Es produziert unzählige verschiedene Antikörper, und diejenigen, die erfolgreich an einen Erreger andocken und ihn unschädlich machen können, vermehren sich. Ich glaube, das Gehirn funktioniert auf dieselbe Weise. Anstatt Zellen zu vermehren, wird die Verknüpfung zwischen ihnen verändert. Wenn eine durch Botenstoffe einmal hergestellte Verbindung zwischen Zellen funktioniert, wird sie gestärkt. Das geschieht während der Entwicklung des Gehirns. Es ist in diesem Sinn also auch ein darwinistisches System."
Ein Referat seines auf Deutsch erschienenen Buchs Gehirn und Geist. Wie aus Materie Bewusstsein entsteht (C.H.Beck, 2002) findet sich dankenswerterweise hier.
In seiner Theorie unterscheidet Edelman zwischen einem primären Bewußtsein, über das auch bereits höhere Tierarten verfügen. Sie sind in der Lage, ‟Gegenwartswahrnehmungen zu einer einheitlichen Szenerie zu verbinden und mit Erinnerungen zu verknüpfen und zu bewerten [...] Das Primärbewusstsein ist jedoch nicht in der Lage, vergangene Erlebnisse von gegenwärtigen zu unterscheiden und Projektionen in die Zukunft zu erzeugen. Diese Leistungen vermag erst das erstmalig beim Menschen in Erscheinung tretende sog. Höhere Bewusstsein zu erbringen, das aber bereits ein entwickeltes Primärbewusstsein zur Voraussetzung hat. Bereits das Primärbewusstsein kann Sinneswahrnehmungen kategorisieren und damit die Vorstufe einer Begriffswelt erzeugen, aber erst die soziale und affektive Kommunikation der Menschen miteinander, die damit verbundene Entwicklung der Sprache, der Begriffssymbole und einer besonderen Region des Gehirn, in der die Bearbeitung der Sprache erfolgt, ermöglicht ein höheres Bewusstsein, das nicht nur Gegenwart, Vergangenheit und Zukunft zu unterscheiden vermag, sondern auch die Bildung abstrakter Begriffe gestattet und zur Erkenntnis des anderen Menschen als eines ebenbürtigen Lebewesens und damit auch zum Selbstbewusstsein, zum Erkennen des eigenen Bewusstseins führt.”

An dieser Stelle greift der Archäologe Lewis-Williams in Edelmans evolutionäre Bewußtseins-Theorie unterscheidend ein und behauptet, frühere Menschenarten wie der Neandertaler hätten die höhere Bewußtseinsstufe noch nicht besessen. Erst im Hirn des Homo sapiens hätten sich jene neuronalen, weit voneinander entfernte Regionen des gesamten Gehirns miteinander verknüpfenden Netzwerke gebildet, aus denen höheres Bewußtsein entsteht.

Fortsetzung hier

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