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Mittwoch, 1. Oktober 2014
und nachts hüpft der Imjim
Imjim

Von Sandy Creek kurvten wir noch einmal eine Weile durch den Busch, bis wir zu einer anderen Felsformation kamen. Ich weiß ihren Namen nicht, bin nicht sicher, ob Tresize ihn überhaupt nannte. Es gibt ungezählte Fundstätten in dieser Region. Bei dieser wurden wir mit einem neuen, sehr strichhaften, flüchtig wirkenden Malstil bekannt und bekamen unseren ersten Imjim gezeigt. Auf Tresize Frage, woran er uns vielleicht erinnerte, kam mir seine Gestalt am ehesten wie eine grotesk stilisierte Kreuzung aus Frosch und Wüstenspringmaus vor, oder wie das Vorbild zum Marsupilami. Besonders auffällig, daß auf keiner Darstellung ein unterer Auswuchs wie ein Hodensack (oder eben ein zum Knoten zusammengeballter Schwanz) fehlt. Tresize’s Vater Percy wurde in den Sechzigern von seinen eingeborenen Gewährsleuten erzählt, ein Imjim sei ein Geist, der sich von Fröschen (!) ernähre und nachts auf seinem komischen unteren Körperteil wie ein Känguru durch die Gegend hüpfe. – Na bitte, doch ein erstes Anzeichen von Humor unter den Aborigenes.

Steve Tresize, den ich im übrigen in seiner offensichtlichen Einsamkeit für einen armen Teufel halte, verfügte über seine eigene Spielart davon.

Nachdem wir bereits eine ganze Weile vor einer bemalten Felswand standen und er uns Erklärungen, Theorien und Fragen dazu vorlegte, sagte er auf einmal beiläufig zu mir: ‟Ich würde übrigens an deiner Stelle keinen Schritt weiter zurücktreten. An dem Ast direkt hinter dir hängt ein sehr lebendiges Wespennest.”

Am Nachmittag kehrten wir ins Camp zurück und nutzten die verbleibende Zeit, um auf eigene Faust die Umgebung zu erkunden. – Mit das Unerwartetste in diesen Breitengraden nahe dem Äquator ist die Kürze der Tage, vor allem wenn man aus dem europäischen Sommer kommt. Um viertel nach Fünf, halb sechs, geht die Sonne fast in freien Fall über, schlägt auf dem Horizont auf wie ein rohes Ei, und um sechs ist es schlagartig rabenschwarze Nacht. Besonders im Outback, wo es überhaupt keine Lichter gibt. Dann kann man noch beim Schein des Lagerfeuers sein Abendessen zubereiten und anschließend mit Hilfe der Stirnlampe etwas lesen, aber spätestens gegen neun Uhr glaubt man, es müsse längst tiefe Nacht sein, weil doch schon seit Stunden so tiefe Finsternis herrscht. Dann tappt man über die Lichtung zu seiner Hütte und wundert sich über die vielen im Licht der Lampe wie Diamanten funkelnden Tautropfen auf dem staubtrockenen Boden. Es sind aber keine Tautropfen, sondern die vorderen Augen hunderter kleiner Wolfsspinnen, die auf Beute lauern.

Noch viel, viel mehr funkelt es aber oben am Firmament. Weder im isländischen Hochland noch im Leeren Viertel des Oman habe ich je einen Sternenhimmel wie hier über dem Top End Australiens gesehen. Mit bloßem Auge sieht man Haufen, Wolken von Abertausenden Sternen nicht nur nebeneinander wie auf dem Himmelszelttuch, sondern man erkennt, wie sie sich in der Tiefe des Weltraums räumlich staffeln. Die Milchstraße ist kein angedeuteter Schleier, sondern hell und dicht wie ein Himmelskörper aus unzähligen Lichtkristallen. Es ist bezeichnend, daß die Aborigenes nicht nur Sternbilder kennen, sondern auch Lücken und dunkle Ausbuchtungen im Verlauf der hellen Milchstraße als Formationen betrachten und darin etwa den Umriß eines Emus erkennen.

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