Dienstag, 21. August 2012
Bayerisch-Holland
(Bleiswijkse Verlaat, alte Schleuse an der Rotte aus dem Jahr 1774)
Die Rotte ist ein stilles, kleines Moorflüßchen im Rhein-Maas-Mündungsgebiet, dem sogenannten Grünen Herzen Hollands. Wo sie in die Maas mündet, wurde sie im Rahmen der Trockenlegung von Poldern etwa um 1260 mit einem Damm vor dem Eindringen von Maas- und Nordseewasser gesichert. Am Rotterdam landeten und verkauften seitdem Heringsfischer ihren Fang, und von dort wurde er weiter landeinwärts verschifft.
Um die Abenteuer seiner dreimaligen Teilnahme an Kreuzzügen des Deutschen Ordens gegen die Litauer im Baltikum zu finanzieren, verlieh Graf Wilhelm IV. von Holland, Seeland und Hennegau 1340 sogar dem kleinen Umschlagplatz Rotterdam Stadtrechte, gegen entsprechende Gebühren versteht sich. Wilhelm fiel schon 1345 im Alter von etwa 26 Jahren in Kämpfen gegen die aufsässigen Friesen bei Stavoren. Da er keine legitimen Erben hinterließ, beerbte ihn seine älteste Schwester Margarethe. Im Hennegau war weibliche Erbfolge zulässig, die Grafschaft galt als “Weiberlehen”. Margarethe I. war aber keine niederländische Duodezadelige, sondern seit ihrem dreizehnten Lebensjahr die zweite Ehefrau des deutschen Kaisers, Ludwig des Bayern, und so kamen Holland, Seeland und Hennegau im fernen Nordwesten des Reiches in den Hausbesitz der bayerischen Wittelsbacher.
Kaiser Ludwig IV., 1346 von dem Luxemburger Karl IV. als Gegenkönig herausgefordert, starb im folgenden Jahr auf der Bärenjagd an einem Schlaganfall. Der gleichnamige älteste Sohn aus der Ehe mit Margarethe wurde Herzog von Oberbayern, der zweite Sohn als Wilhelm I. Herzog von Niederbayern. Ihm hatte der Vater bereits die niederländischen Grafschaften zugedacht, sodaß es tatsächlich zur Bildung eines heute kaum noch bekannten Herzogtums Straubing-Holland als wittelsbacher Nebenlinie kam.
Doch verlangte die erst 35-jährige Kaiserwitwe Margarethe von ihrem Sohn eine beträchtliche Abstandszahlung für ihren Verzicht auf die Herrschaft in ihren niederländischen Stammlanden. Die waren von den holländischen Grafen finanziell bereits heftig zur Ader gelassen worden, mußten zudem für ständige Auseinandersetzungen mit den Friesen und dem rivalisierenden Bistum Utrecht geradestehen, und außerdem wurden die Niederlande 1349 von der ersten Pestepidemie empfindlich getroffen. Mächtige Adelige wie die Herren von Egmont und Heemskerk und einige Städte verlangten von Wilhelm darum den Bruch mit seiner Mutter und schlossen sich gegen ihre Anhänger zu einem Bund zusammen, der sich den ursprünglichen Spottnamen die Kabeljaue zu eigen machte.
Die gegnerische Fraktion, die Haken (Hoeken), rief Margarethe zurück, und 1350 brach ein Bürgerkrieg aus, dessen wechselhafte kriegerische Phase erst 1354 durch Vermittlung von Margarethes Schwager, König Edward III. von England, beendet wurde. 1356 starb Margarethe, die nur den Hennegau behalten hatte, zwei Jahre später stach der vermutlich wieder einmal volltrunkene Wilhelm V. im Großen Saal der Haager Burg plötzlich einen seiner Begleiter nieder. Man erklärte ihn für geisteskrank und machte seinen jüngeren Bruder Albrecht von Bayern zu seinem Vogt und Nachfolger. Der regierte das Herzogtum bis zu seinem Tod 1404 46 Jahre lang lieber von Den Haag als von Straubing aus und machte es zu einem wohlhabenden und ernstzunehmenden Mitspieler im Konzert der damaligen europäischen Mächte. Beredter Beleg dafür ist die berühmte Doppelhochzeit von Cambrai im Jahr 1385. Vor 20.000 geladenen Gästen verheiratete Herzog Albrecht da seinen Sohn Wilhelm (VI.) mit Margarete, der Tochter Herzog Philipps des Kühnen von Burgund, und seine Tochter Margarethe mit dessen Sohn Johann Ohnefurcht. Das eröffnete den holländischen Wittelsbachern natürlich glänzende Zukunftsaussichten, es warf aber auch die Frage auf, wer einmal wen beerben würde.
Derweil schaufelten die ersten Poldermühlen entlang der Rotte unermüdlich Wasser, um die Sümpfe und Moraste entlang des Flüßchens weiter trockenzulegen und in Nutzung zu bringen. Daß durch diese Austrocknung der Boden im Lauf weniger Jahrhunderte bis zu sechs Meter unter den Meeresspiegel absinken würde, konnte damals noch niemand ahnen.
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