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Mittwoch, 8. August 2012
Behaagliches III. Gespräch auf der Straße



Die zahlreichen internationalen Einrichtungen bringen natürlich auch einen guten Schuß Internationalität ins gutbürgerliche Haag. Nicht nur auf seine Straßen. In seinem Knast sitzt die große weite Welt ein. Nicht bloß irgendwelche lokalen Dealer und Kleinkriminelle, die Frikandellen und Fritten in gepanschtem Schmieröl gebraten haben, hocken hinter Haager Gardinen, sondern Schwerverbrecher von internationalem Rang und Format, die sich nicht mit einem miesen, schäbigen Mord abgeben, sondern miese, schäbige Kriegsverbrechen bis zum Völkermord begangen haben. Hinter diesen hohen Mauern sitzt ein Charles Taylor, den man soeben wegen einiger der "hasserfülltesten Verbrechen der Menschheitsgeschichte", wie es im Urteil heißt, zu fünfzig Jahren Haft verurteilt hat. Hier hofft Karadžić auf weitere peinliche Fehler der Anklage, hier täuscht und trickst der Schlächter von Srebrenica, Mladić, inzwischen zum Simulanten mutiert, um seinen Prozeß zu verschleppen, hier wehrt sich ein brutales Schwein wie Šešelj gewohnt großmäulig gegen seine Verurteilung. "With their stupid charges against me they have come up against the greatest living legal Serb mind. I shall blast them to pieces."

Als ich zum Fotografieren an den Mauern der Haager Pönitenzanstalt entlang ging, kam mir vom Parkplatz ein dunkelhäutiger Herr in hellgrauem Anzug und mit Diplomatenköfferchen entgegen. Überraschend sprach er mich sofort an. Ob ich als Tourist oder vielleicht als Journalist da sei, wollte er wissen. Ich wappnete mich innerlich für die Verteidigung des freien Fotografierens auf öffentlichen Straßen und Plätzen, aber darum ging es dem Herrn aus Afrika gar nicht. Er sei Prozeßbeobachter und komme aus der Demokratischen Republik Kongo; schließlich sei es notwendig, die Prozesse vor dem International Criminal Court kritisch zu begleiten, denn dort würden einseitig nur dem Westen unliebsam gewordene afrikanische Politiker angeklagt und verurteilt. Die bisherige Geschichte des ICC gibt dem Herrn recht, bis heute hat der Gerichtshof ausschließlich gegen Afrikaner Anklage erhoben. Wenn es anders wäre, so der Herr, müsse längst ein George W. Bush auf der Anklagebank des Internationalen Strafgerichtshofs sitzen, aber ich wisse sicher, daß ausgerechnet die Vereinigten Staaten von Nordamerika, die “Erfinder” der Menschenrechte, den ICC nicht anerkennen und ihm sogar direkt entgegenarbeiten würden. So weit rannte der Herr bei mir offene Türen ein, und es entwickelte sich aus dem Nichts ein recht angeregtes Gespräch auf offener Straße, vor dem Gefängnistor.



Über meinen politischen Einfluß in Deutschland hegte der Herr anfangs jedoch anscheinend gänzlich realitätsferne Vorstellungen, denn er fragte mich mehrfach, zu welchen politischen Interessengruppen (“Parteien oder Lobbies”) ich in Deutschland Verbindungen unterhalte und ob mir nicht zufällig Angola Mörkel persönlich bekannt sei. Interessant, welche Einschätzung ein Kongolese über einen beliebig dahergelaufenen Passanten in Europa trifft. Eine kleine Anstecknadel an seinem Revers regte mich zu einer Gegenfrage an. Sie zeigte auf den hellblauen Umrissen des Kongo die Buchstaben MLC. Und, ja, der Herr war Mitglied des Mouvement de libération du Congo, der Partei von Jean-Pierre Bemba, ehemals Vizepräsident des Kongo und Hauptrivale von dessen Präsident Joseph Kabila. Beide unterhalten eigene Streitkräfte, mit denen sie jeweils bestimmte Regionen in dem riesigen Land kontrollieren oder kontrollierten, Bemba den Norden, Kabila die Hauptstadt und den Osten. Ein halbes Jahr nach der letzten Präsidentenwahl, bei der er sich erst in einer Stichwahl gegen Bemba durchsetzte, ließ Kabila Bemba im März 2007 in seinem Haus in Kinshasa angreifen und beschießen. Bemba flüchtete in die portugiesische Botschaft und von dort via Südafrika nach Portugal. Ein Jahr später erließ der ICC einen Haftbefehl gegen Bemba, weil er 2002 auf ein Hilfsersuchen des damaligen Präsidenten von Zentralafrika, Patassé, seine Soldaten in das Nachbarland entsandt hatte, die dort geplündert, gemordet und vergewaltigt hätten. Im Mai 2008 wurde Bemba in Brüssel verhaftet. Seit 2010 macht man ihm hier im Haag den Prozeß. Einen politischen Schauprozeß nach Meinung meines Gesprächspartners auf der Straße. Ich kann dazu nichts sagen, habe nicht die leiseste Ahnung, was wirklich im Inneren Afrikas vorgeht. Mein letzter Gewährsmann dazu ist Joseph Conrad. Gegenwärtige Entwicklungen im Kongo scheint aber die taz ganz gut zu verfolgen, und sie brachte zur Prozeßeröffnung am 21.10.2010 einen ausführlichen Artikel unter dem Titel “Ein äußerst fragwürdiges Verfahren”.
Der Ansicht ist auch der dunkle Herr im hellen Anzug. “Der Segen, vor allem aber der Fluch des Kongo sind seine Bodenschätze”, erklärt er mir. “Gold, Kohle, Diamanten, Uran, Kobalt, Koltan, alles gibt es im Kongo, und alle wollen sie unsere Bodenschätze haben, besonders die ausländischen Großmächte. Der Westen setzte nicht auf Bemba, sondern auf Kabila und hat geglaubt, der würde ihm mit Stabilität die Ausbeutung unserer Rohstoffe erlauben. Aber der Westen hat übersehen, daß Kabila die Militärakademie in Peking absolviert hat, und jetzt verkauft er das Land an die Chinesen. Und wo die Chinesen sich einmal festgesetzt haben, gehen sie freiwillig nicht wieder weg. Die Stellung des Westens im Kongo wird immer schwieriger”, fährt der Herr fort, “Kabila arbeitet mit China zusammen, und wenn der Westen Kabila und die Chinesen loswerden will, kann er im Kongo nur auf Bemba setzen. Deswegen habe ich die Hoffnung, daß der Prozeß gegen Bemba mit einem Freispruch endet.”
Wird auch in diesem Fall Justitia mal wieder unter ihrer Augenbinde hervorschielen?
Solche interessanten Gespräche kann man jedenfalls in Den Haag unversehens auf der Straße führen.

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