Was macht man mitten im Sommer am besten in Rotterdam? Man geht ins Museum. In das Museum, in dessen versammelten Bildern ich bei solchem “Sommerwetter” immer wieder gern spazieren gehe. Diesmal nicht in einer “Landschaft am Anfang der Zivilisation”, und diesmal fesselte mich auch nicht der Blick einer Maria Magdalena wie im letzten Jahr. Diesmal blieb mein eigener Blick an einer Hand hängen, an einer schönen, sehr blassen Frauenhand mit einem auffälligen Ring am Daumen, die über einem Kleid schwebt, das über und über glänzt und schimmert wie Mondstein, obwohl es nur aus Ölfarbe auf Leinwand besteht.
Der Mann, dem die dunklere Hand auf dem Bild gehört, Mijnheer Abraham del Court, hat das Gemälde 1654 in Auftrag gegeben, zwei Jahre nach seiner Hochzeit, und nicht bei irgendwem, sondern beim angesehensten und beliebtesten Porträtisten der Amsterdamer High Snobiety des Goldenen Zeitalters, bei Bartholomeus van der Helst. Ja, das ist der, der in seinem fünfeinhalb Meter breiten Kolossalgemälde mit dem ebenso breiten Titel “Das Schützenmahl der Amsterdamer Bürgergarde zur Feier des Westfälischen Friedens" 1648 mehr als zwei Dutzend naturgetreue Porträts unterbrachte. Der Kunstkritiker Arnold Houbraken hat es in seiner “Groote schouburgh der Nederlantsche konstschilders en schilderessen” als eines der wichtigsten Gemälde überhaupt und seinen Schöpfer van der Helst und nicht etwa Rembrandt als den “Phönix der niederländischen Malerei” bezeichnet. Auch der offizielle Hofmaler des englischen Königshauses, Godfrey Kneller (1646 als Gottfried Kniller in Lübeck geboren), der “gleich nebenan” bei Rembrandt gelernt hatte, schätzte van der Helsts Porträtkunst sehr. Man halte nur einmal die flachen Gesichter auf Gerard ter Borchs vergleichbarem Bild von der Unterzeichnung des Friedens zu Münster von 1648 daneben, um die Lebendigkeit und Qualität von van der Helsts Porträts zu erkennen.
Viel mehr aber als die Gesichter nahm mich eine Hand der Dame auf dem Doppelporträt für Mr. del Court gefangen.
Van der Helst war nicht umsonst Holländer, er wußte seine Kunst und sein Renommee sehr genau in Gulden umzurechnen. Die Preise für seine Porträts berechnete er nach der Zahl der abgebildeten Personen und verlangte pro Kopf über 300 Gulden. So strich er 1658 für ein Familienporträt die mehr als stolze Summe von 1400 Gulden ein (das war fast so viel, wie Rembrandt für seine “Nachtwache” bekam) und verlangte 1664 für eine dreiköpfige Familie die runde Summe von 1000 Gulden, erhielt nach einem langen Rechtsstreit am Ende 400 Gulden, weil das Gericht 300 für angemessen befand und ihm noch 100 Gulden extra ‘ten respecte vande meester sijn naem ende reputatie’ zuerkannte.* Nur zum Vergleich: 1626 hatte Peter Minuit aus Wesel, der Gouverneur von Nieuw-Amsterdam (heute New York), den Indianern die Insel Manhattan für 60 Gulden abgekauft. (Na ja, andererseits hätte man auf dem Höhepunkt des Tulpenwahns 1637 für 1000 Gulden nicht einmal eine einzige Tulpenzwiebel kaufen können.)
Es waren jedoch nicht nur seine Honorare (“wat nix kost’, is auch nix’) und die meisterhaft naturgetreue und doch meist gefällige Ausführung seiner Porträts, die den teuren van der Helst für del Court empfahl, sondern ebenso etwas anderes, auf das er in dem dann bestellten Bild allergrößte Sorgfalt verwandte: die malerische Wiedergabe von Stoffen. Ich glaube nicht, daß man silberweißen Satin vorher schon einmal so hat glänzen sehen wie auf dem gemalten Kleid von del Courts Frau Maria de Kaersegieter (oder Keerssegieter). Nicht von ungefähr, denn Abraham del Court stammte aus einer im wahrsten Sinn des Wortes gut betuchten Hugenottenfamilie, war Tuchhändler und Stofflieferant für die reiche Kaufmannschaft und das Patriziat der damaligen Weltstadt Amsterdam. Das Bild, das ihn und seine acht Jahre jüngere Frau als frisch getrautes Ehepaar vorstellt (der Garten, die kleine Fontäne im Hintergrund und die gerade aufgeblühte Rose, die sie mit der anderen Hand anfaßt, als Embleme (ehelicher) Liebe), soll zugleich Reklame für die Qualität seiner Stoffe machen.
Schwarz und weiß schimmernd bedecken sie fast die Hälfte des Bildes. Eine heutige Kunsthistorikerin nahm es zum Anlaß, um vom Porträt des Goldenen Zeitalters in den Niederlanden als einer frühneuzeitlichen “PR-Maschine” zu schreiben. Und in ihrer Besprechung der gleichen Ausstellung schrieb Charlotte Higgins 2007 im Guardian:
Black was predominant, according to Betsy Wieseman, curator of Dutch paintings at the gallery, partly because it implied "sobriety and modesty. But at least as important was the fact that it was fashionable. These days, when you go out somewhere special, the chances are that you reach for black. Well, for much of the 17th century it was like that in the Netherlands." So black is the old black; but... this black is all about rich detail and texture. Abraham's black silk get-up is almost blinding in its splendid sheen.
Even the John Terry or Gary Neville weddings at the weekend would find it hard to rival this for garish, nouveau riche ostentation. That dress of hers is not black, you will have noted. If wearing a beautiful white suit in 2007 announces that you are far too rich to take a bus or walk in the rain, ratchet that up a few notches for Holland in the 17th century: no dry cleaning, and even filthier streets. Maria is too damn rich and stylish to move, we can infer. What is hilarious about this painting is that it is more or less an advertisement. Del Court was a cloth merchant. His wife's white frock - which takes up half the painting and whose fabric is painted with loving luminescence by van der Helst - is showing what a nice bit of schmutter he can put his wife in, just as Sir Philip Green wouldn't want Lady Green to be seen slopping around in a stained tracksuit. That moonstone-coloured dress is set off by amazing silver-thread embroidery, quintuple strands of pearls at each wrist, a diamond ring and brooch, and ropes of pearls in her hair and at her throat. Talk about bling.
Ähnlichkeiten zu van der Helst’ Doppelporträt sind kaum zu übersehen. Nur hält die Dame auf dem Stich in ihrer Linken keine aufblühende Rose, sondern einen sterbenden Frosch. Das Motto über der Pictura lautet: Tibi mors, mihi vita. Dir den Tod, mir das Leben.
1663 malte Pieter de Hooch eine musizierende Familie. Es wurde von Kunsthistorikern mehrfach behauptet, zu sehen sei darauf die Familie del Court. Die von de Hoogh gemalte Frau des Hauses ist aber nicht Maria de Kaersegieter, Abraham del Courts erste Frau. Sie hat nach ihrer Hochzeit keine zehn Jahre mehr gelebt. Ihre Hand auf van der Helsts Porträt könnte schon vom Tod so blaß gezeichnet sein.
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