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Freitag, 11. Dezember 2009
Aus 2 mach 3, mach 4... Zahlen- und andere Spiele
“Aber das Herz nimmt keine Rücksicht auf unsere äußere Lage und Schillers Gemüt war besonders so sehr für die Liebe geschaffen, dass es ihm Bedürfnis war, an jedem Ort, wo er länger verweilte, einen Gegenstand seiner Neigung zu suchen. Er hatte sich in Mannheim schon längst an den wackeren Buchhändler Schwan eng angeschlossen, und pflegte wohl aus den Schauspielen die eben fertig gewordenen Szenen ihm vorzulesen, mit besonderem Nachdruck, wenn seine Tochter zugegen war. Margaretha Schwan wird als ein sehr schönes Mädchen geschildert, mit großen, ausdrucksvollen Augen, von sehr lebhaftem Geist und ausgezeichneter Bildung, mehr zur Welt, Literatur und Kunst, als zur stillen Häuslichkeit hingezogen. In dem gastfreien, von Literaturfreunden viel besuchten Haus ihres Vaters hatte sie die Kunst gelernt, ihre Vorzüge geltend zu machen. Sie war damals neunzehn Jahr alt, und besorgte das Hauswesen, da ihre Mutter kurz vorher gestorben war. Durch jene literarischen Unterhaltungen, bei denen aber der Vater immer zugegen war, oder auf Lustpartien in die Umgegend, lernten sich die jungen Leute näher kennen. Als nun Schillers Phantasie für Lotte von Wolzogen allmählich verschwunden war, da trat, aber erst im Herbst 1784 und dem folgenden Winter, die interessante „Schwanin“ seinem Herzen nahe und immer näher.” (Karl Hoffmeister: Schillers Leben, 1846)
Die in einem Brief an Henriette von Wolzogen beiläufig erwähnte “Schwanin” bedeutete Schiller zeitweilig also doch mehr als nur eine “vortrefliche Person” für ein paar “angenehme Stunden”. Doch ebenso rasch wie er für sie entflammte, erlosch sein Interesse auch wieder, nachdem er im Frühling 1785 nach Leipzig übergesiedelt war. Brieflich hielt er von dort aus zwar noch bei ihrem Vater um die Hand der jungen Frau an, aber der Buchhändler schrieb betrübt an den Rand: “Laura in Schillers Resignation ist niemand anders als meine älteste Tochter. Ich gab derselben diesen Brief zu lesen und sagte Schillern er möchte sich gerade an meine Tochter wenden. Warum aus der Sache nichts geworden, ist mir ein Räthsel geblieben. Glücklich wäre Schiller mit meiner Tochter nicht gewesen.”
Das Rätsel läßt sich wohl leicht aufklären: Der aufgehende Stern am Dichterhimmel hatte mittlerweile anderweitige Ambitionen und Optionen. Denn eine andere machte ihm inzwischen Avancen, und zwar eine Dame von Stand und keine Buchhändlerstochter, zudem eine Dame, der man nachsagte, über bedeutenden Reichtum zu verfügen.
Anfang Juni 1784 hatte Schiller Henriette von Wolzogen von einer neuen Bekanntschaft Mitteilung gemacht: “Vor einem Monat waren Hr. und Fr. v. Kalb hier, und machten mir in ihrer Gesellschaft einige sehr angenehme Tage. Die Frau besonders zeigt sehr viel Geist, und gehört nicht zu den gewönlichen FrauenzimmerSeelen. Sie ließen mich wenig von ihrer Seite... Jezt sind sie weiter nach Landau – haben aber versprochen, öftere Besuche hier abzulegen.” Und das taten sie denn bald auch. Zumindest Frau von Kalb. Da es angeblich nicht gern gesehen war, wenn Offiziersfrauen in der Garnison ihrer Männer wohnten, nahm Frau von Kalb noch 1784 Wohnung in Mannheim, das lag ja nur etwa 50 Kilometer oder sechs Stunden mit der Postkutsche von Landau, der Garnison ihres Mannes, entfernt, aber nur wenige Hundert Meter von Schillers Unterkunft. Sie war erst ein Jahr verheiratet und ging mit Hölderlins späterem Schüler Fritz schwanger, war aber mit ihrem Mann alles andere als glücklich. Ebenso wie Henriette von Wolzogen war Charlotte von Kalb eine geborene Marschalk von Ostheim, ihr Stammgut Waltershausen lag nur 25 Kilometer südlich von Bauerbach, die beiden Cousinen waren befreundet, und so hatte Charlotte von Kalb sicher schon vorher von Schiller gehört. Nachdem ihr Bruder Friedrich als letzter männlicher Erbe des Waltershausener Familienzweigs 1782 bei einem Duell an der Göttinger Universität ums Leben gekommen war, hatte sie ein Jahr später “den Bruder ihres Schwagers, Heinrich von Kalb, ohne Wunsch und Neigung auf Betreiben anderer geheiratet, und nun schwanden ihr die Tage ohne Einsicht noch Absicht hin“, wie es Fritz Jonas, Herausgeber von Schillers Briefen, mitfühlend formulierte. Während ihr Mann am liebsten in Kameradenkreisen pokulierte, hielt ihr Schiller am Kindbett Händchen. Daß das selbst dem groben Klotz von Kalb zu denken gab, mag aus einem recht eigentümlichen Zusatz in seiner Geburtsanzeige an den eigenen Vater hervorgehen: “heut Nachmittag halb 3 Uhr wurde meine Frau von einem sehr großen, muntern, hübschen und der Familie ähnlich sehenden Buben glücklich entbunden.” -
“Daß das Verhältnis [zwischen Schiller und Ch. von Kalb] schon im Herbst 1784 erotisch gefärbt ist, läßt sich im Hinblick auf Charlottes unglückliche Ehe zumindest vermuten”, vermutet auch Peter-André Alt in seiner Schillerbiographie. Jedenfalls ließ sie seinetwegen ihre Beziehungen spielen und verschaffte ihm Zutritt zu hochadligen Gesellschaften, auf denen er aus seinen Manuskripten vorlesen durfte. Nach einer solchen Lesung in der landgräflich-hessischen Darmstädter Residenz ernannte der anwesende Herzog Carl August von Sachsen-Weimar Schiller auf seine “leise Bitte” hin zum “Weimarischen Rat”, was immerhin eine öffentliche Anerkennung bedeutete.
Seine finanziellen Probleme löste es in keiner Weise, und als seine sich häufenden Schulden Schiller an den Rand des Schuldturms brachten, erinnerte er sich einiger junger Leute, die ihm einmal ein Paket mit kleinen Zeichen ihrer Verehrung geschickt hatten. Im Februar 1785 ging der Theaterdichter in glühenden Worten auf eine von ihnen zuvor ausgesprochene Einladung ein.
“Unterdessen... fliege ich zu Ihnen, meine Theuersten, und weiß, daß ich in diesem Augenblik der Glüklichere bin. Jezt erst fange ich an, meine Phantasie, die unruhige Vagabundin, wieder lieb zu gewinnen, die mich aus dem traurigen Einerlei meines hiesigen Auffenthalts so freundschaftlich weg, und zu Ihnen führt... O meine Besten, Ihre freiwillig mir entgegenkommende Liebe hat einen merkwürdigen Einfluß auf die wirkliche Lage meines Herzens gehabt... und diese 12 Tage ist eine Revolution mit mir und in mir vorgegangen, die dem gegenwärtigen Briefe mehr Wichtigkeit gibt, als ich mir habe träumen lassen – die Epoche in meinem Leben macht. Ich kann nicht mehr in Mannheim bleiben. In einer unnennbaren Bedrängniß meines Herzens schreibe ich Ihnen, meine Besten. Ich kann nicht mehr hier bleiben... Mit dem Theater hab ich meinen Contract aufgehoben; also die oekonomische Rüksicht meines hiesigen Aufenthalts bindet mich nicht mehr. Außerdem verlangt es meine gegenwärtige Connexion mit dem guten Herzog von Weimar, daß ich selbst dahin gehe und persönlich für mich negotiire, so armselig ich mich auch sonst bei solcherlei Geschäften benehme. Aber vor allem anderen lassen Sie michs frei heraussagen, meine Theuersten, und lächeln Sie auch meinetwegen über meine Schwächen – ich muß Leipzig und Sie besuchen. O meine Seele dürstet nach neuer Nahrung – nach besseren Menschen... Meine poetische Ader stokt, wie mein Herz für meine bisherigen Zirkel vertroknete. Sie müssen sie wieder erwärmen. Bei Ihnen will ich, werde ich alles doppelt, dreifach wieder seyn, was ich ehemals gewesen bin, und mehr als das alles, o meine Besten, ich werde glüklich seyn. Ich wars noch nie. Weinen Sie um mich, daß ich ein solches Geständniß thun muß... Werden Sie mich wohl aufnehmen?... Ich bin fest entschlossen, wenn die Umstände mich nur entfernt begünstigen, Leipzig zum Ziel meiner Existenz, zum beständigen Ort meines Auffenthalts zu machen.”
Zwei Wochen später schiebt er noch eine unbedeutende Mitteilung aus den häßlichen Niederungen der materiellen Existenz nach:
“Ob ich gegen Sie offen seyn darf, wird vermuthlich keine Frage mehr seyn. Ich bin es, und das ist vielleicht das erste und entschiedendste Unterpfand meiner ausgezeichneten Freundschaft”, schreibt er am 28.2.85 nach Leipzig. “Wenn ich neben der leidenschaftlichen Begierde Sie und Ihre Lieben von Angesicht zu Angesicht zu sehen, und in Ihrem Zirkel zu existieren, noch eine Ursache meiner Leipziger Reise in Anschlag bringen darf, so ist es diese, theils mich mit dem Herzog v. Weimar auf einen gewissen Fuß zu arrangieren, theils durch das bestmöglichste Employ meiner Arbeiten meine Umstände in Ordnung zu bringen... Sehen Sie bester Freund welche wichtige Veranlassung mein Finanzsystem hergibt daß ich nach Leipzig reise – die Wünsche meines Herzens, welche früher entschieden als jene alle, nicht mitgerechnet. Aber ich kann Mannheim nicht verlassen, ohne wenigstens 100 Dukaten verschleudern zu müssen... Ich glaube mein theurer, ich habe Sie jezt mit meiner ganzen Situation bekannt genug gemacht. Jezt meine Bitte. Ist es nicht möglich daß Sie mir (auf Ihren oder meinen Nahmen – von Buchhändlern oder von andern Juden) ohngefehr 300 Thaler Vorschuß verschaffen können?”
Ist der Kerl nicht unglaublich? So viel Chuzpe muß man erst einmal aufbringen. Aber Frechheit siegt bekanntlich, und Schiller bekam das Geld tatsächlich und zog - die zärtlichen Empfindsamkeiten der Freifrau von Kalb auf einmal hintanstellend - im April 1785 nach Leipzig um, dem “Ziel seiner Existenz” und “beständigen Ort seines Auffenthalts”. Dann weiter nach Dresden.
Wo es ihm zunächst so gut ging, daß es die berühmte Hymne An die Freude aus ihm hervorschleuderte, wo er im Kreis der beiden jungen Brautpaare, die ihn bei sich wohnen ließen und auch sonst aushielten, aber auch bald gewisse emotionale Defizite verspürte, bis er im Karneval einen Maskenball besuchte, der ihn anschließend zu sehr viel schlechteren Reimen hinriß:
Henriette von Arnim
Mein erster Anblick war – Betrug.
Doch unsern Bund, geschlossen unter Scherzen
Bestätigte die Sympathie der Herzen
Ein Blick war uns genug;
Und durch die Larve, die ich trug,
Las dieser Blick in meinem Herzen
Das warm in meinem Busen schlug!
Der Anfang unsrer Freundschaft war nur – Schein!
Die Fortsetzung soll Wahrheit sein.
Als Henriette von Arnim, die schwarzäugige Zigeunerin vom Maskenball, die im wirklichen Leben als Kammerzofe am Dresdner Hof diente, ihm dann tatsächlich bald ein paar Wahrheiten offenbarte, konnte Schiller damit ausgesprochen schlecht umgehen. In dem ersten von ihr erhaltenen Brief gestand sie, daß es vor (oder außer) ihm schon einen anderen Mann bei ihr gegeben habe, und im zweiten und letzten wirft sie ihm seine mit zweierlei Maß rechnende Reaktion aus gekränkter Eitelkeit vor:
“Sie rechnen mir das, zum Verbrechen an, was Sie sich doch auch schon vorzuwerfen hätten. Freilich sich selbst rechnen Sie nichts zum Vorwurf, was aber bei mir Staats Verbrechen heißt [...] jede Stelle Ihres Briefes beweist mir daß bei Ihnen der Stolz noch sehr über die Liebe herrscht; denn [...] das wissen Sie nur zu gut, daß Sie bei mir zuerst Liebe erweckt haben, und aus Gefälligkeit taten Sie vielleicht als wenn Sie auch etwas empfänden, nun aber sind Sie es überdrüssig, Ihre Zeit an so ein armseliges Geschöpf (wie ich in Ihren Augen sein mag) zu verschwenden, und wollen nun nach und nach an den Rückzug denken.”
Der wurde ihm jedenfalls von den Freunden, besonders von Minna Körner immer wieder dringend nahegelegt. “Von jetzt an fehlte Schiller jeden Abend an unserem Teetische; ich dachte es mir gleich, wo er seine Abende zubringe und sagte es ihm auf den Kopf zu. Er machte kein Geheimnis daraus, gestand mir sogar zu, dass er sich in allem Ernste um [ihre] Hand ... bewerbe”, schrieb Minna Jahre später Schillers Schwägerin und erster Biographin, Karoline von Wolzogen. “Da mir die Leichtfertigkeit der Mutter und ihrer Tochter nicht unbekannt war, ließ ich es an Warnungen nicht fehlen; es war vergeblich. Unser Freund war ganz toll und blind verliebt, und selbst nachdem ich ihm die Überzeugung verschafft hatte, dass er nicht der Alleinbegünstigte in jener Familie sei, ließ er sich nicht abwendig machen.”
In den Augen der guten Dresdener Gesellschaft war Henriette von Arnim also eine Leichtfertige oder Kokotte. Auch suggerierte Minna Körner Schiller, vor allem Henriettes Mutter würde ihn nur benutzen, um wohlsituiertere Heiratskandidaten für die Tochter endlich aus der Reserve zu locken. Um ihn ein wenig abzukühlen, besorgte sie Schiller ein anderes Quartier außerhalb der Stadt. Das ganze Frühjahr über seufzte er über die seiner Kreativität feindliche Einsamkeit in dem von dichten Wäldern umstandenen Kaff Tharandt, bis ihm der Geduldsfaden riß. Er wollte raus aus dieser Wäldereinsamkeit, am besten dorthin, wo der Bär steppte oder der Papst boxte, und wo konnte das anders sein als in - Berlin? New York, Rio, Tokyo? Quatsch, Weimar.
Von dort lag ihm neuerdings auch eine Einladung vor, von einer gewissen Freifrau von Kalb.

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Es kurzweilt mich
recht ordentlich mit Ihrem Dichterleben. Wie kommt's, daß bei Ihnen gerade das Schiller-Denkmal so amüsant durch das von Göthe schillert? Das Jahr dieses Herrn vertratschen? Machen Sie nur weiter so. Ich entdecke seltsame Lesegelüste in mir.

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Es kommt daher, daß ich mich von all diesen Dichtern jener Revolutionsepoche in erster Linie für Hölderlin interessiere, und Schiller bedeutete ihm viel mehr als Göthe, war anfangs offenbar fast eine Art Vaterfigur für ihn. Meine gelegentliche Süffisanz gegenüber Schiller wiederum rührt daher, daß ich viele seiner Gedichte (v.a. im Vergleich mit denen Hölderlins) ziemlich greulich finde. Eine der besten Sachen, die er in meinen Augen geschrieben hat, ist bezeichnenderweise die Geschichte des Abfalls der vereinigten Niederlande von der spanischen Regierung.

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