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Sonntag, 14. Oktober 2012
Leppiniemi

Schweigsam, verschlossen, ein wenig steif, unflexibel – so sind sie doch, die Finnen, oder?
Auf unserem Rundgang durch Oulu führen unsere Freunde uns durch die alten Holzhäuser im Zentrum, die Teile der Universität beherbergen, z.B. die nördlichste Architekturhochschule der Welt.
“Hier arbeitet ein Nachbar von uns. Mal sehen, ob er zufällig in seinem Büro ist.”
Ist er; aber gerade im Aufbruch: “Ich muß jetzt raus nach Leppiniemi. Wir veranstalten da eine kleine Konferenz zur Konservierung erhaltenswerter Stadtkerne aus dem frühen zwanzigsten Jahrhundert, aber wenn ihr nichts Besseres vorhabt, kommt doch einfach mit.” Schon sitzen wir in Petris Auto und sind auf dem Weg aus der Stadt. Ohne zu wissen, was für eine kleine Perle uns erwartet. Leppiniemi. Schon mal gehört? Wir auch nicht. Petri berichtet mehr von der Konferenz. Ein Professor aus Venedig sei mit seinen Mitarbeitern angereist und werde einen Vortrag halten, ein anderer Kollege komme aus der Türkei und werde über Istanbul sprechen, mitten in den finnischen Wäldern kurz vor Lappland, denn durch die fahren wir schon wieder. Petri erzählt derweil auf Englisch, wahlweise auch auf Schwedisch, manchmal Deutsch, Ungarisch verstehen wir leider nicht. Er schon, besitzt eine kleine Wohnung in Budapest, günstig gekauft, in früheren Zeiten. “Ganz praktisch, denn man fliegt ja doch alle Nase lang nach Mitteleuropa.” Von Oulu, 200 km vor dem Polarkreis.

Bald fahren wir durch einen kleinen Ort, eine alte Holzkirche am Straßenrand, sonst nichts Auffälliges. Muhos, steht auf dem Ortsschild.
“Sagt euch das nichts?” fragt Petri.
“Muhos? Nie gehört.”

“Dabei war Muhos in meiner Jugend einmal weltberühmt. Keine Übertreibung”, sagt Petri, ohne eine Miene zu verziehen. “Hier wurde geboren und wuchs bis zu ihrer Entdeckung auf: die erste Miß Universum überhaupt, Armi Helena Kuusela, die schöne Helena aus Muhos”, lacht er. “Hört sich unglaubwürdig an, ist aber wahr. Maailman kaunein tyttö, die schönste Frau der Welt kam aus Muhos. 1952. Ist etwas her, aber sie lebt noch. Nicht hier, ich glaube in Kalifornien.”

Wir biegen in einen kleinen Waldweg, ein paar Häuschen zwischen Kiefernstämmen, Wasser blinkt irgendwo im Hintergrund, der Oulujoki und ein See. An seinem Ende scheint so etwas wie ein Fabrikgebäude zu stehen. Am hiesigen Ufer unter Bäumen eine kleine Villa. Na ja, Villa ist übertrieben, ein eher unscheinbares Häuschen unter einem niedrigen Dach.

“Wir sind da”, erklärt Petri und stellt den Wagen zwischen zwei Gruppen schlanker Birken ab. Es regnet, und wir huschen vom Auto schnell ins Haus. Drinnen laufen etwa zwanzig überwiegend junge Leute durcheinander, decken den Tisch und tragen ein Mittagessen auf. Die Italiener sind leicht zu unterscheiden, sie tragen auch im Haus Schals und Daunenjacken.
“Ah, Petri hat noch Gäste mitgebracht. Wie schön! Bitte, bedienen Sie sich, setzen Sie sich, was möchten Sie trinken? Sie sind keine Architekten? Macht gar nichts, die Vorträge könnten Sie vielleicht trotzdem interessieren, und gucken Sie sich unbedingt das Haus an, es ist ganz interessant für seine Zeit.”
Petri führt uns erst einmal ins Billardzimmer, an das große Panoramafenster zur Seeseite.
“Das große Gebäude da hinten ist das Wasserkraftwerk Pyhäkoski”, erklärt Petri, und tatsächlich läßt sich neben dem kantigen Fabriksgebäude zwischen den Bäumen eine Staumauer erkennen. “Die Häuser hier herum waren die Unterkünfte für die Arbeiter, und das hier ist das Gästehaus der Elektrizitätsgesellschaft. Alles erbaut von Aarne Ervi, einem unserer besten Architekten der Nachkriegszeit. Vor dem Krieg hat er im Büro von Alvar Aalto gearbeitet; aber das will ja nicht viel heißen.” Daß man in Finnland Aalto heute eher die inzwischen sichtbaren praktischen Mängel an seinen Bauten vorwirft, als ihn zu feiern, hatte ich schon mitbekommen.
“Sieht auf den ersten Blick sehr bescheiden und zweckmäßig, aber doch genau durchdacht und stilistisch wie aus einem Guß aus für ein Gästehaus”, stelle ich nach einem Rundgang durch die Haupträume fest.
“Das kann man wohl sagen”, grient Petri. “Aber ich muß euch noch eins der Gästezimmer zeigen.” Er geht durch einen langen Flur in den Seitenflügel und öffnet am Ende eine schlicht weiß lackierte Tür. Ein einfaches Bett unter einem schießschartenartig schmalen und niedrigen Fenster, an der Seitenwand noch ein Behelfsklappbett und eine Regalwand, in die ein kleiner Sekretär eingebaut ist. Das ist alles.
“Dasselbe Bild”, bestätige ich. “Sehr schlicht und praktisch, fast wie eine Schiffskabine.”
“Kein unpassender Vergleich”, meint Petri. “Ervi hat auch den Innenausbau von Schiffen wie der Finnhansa ausgeführt, Ende der sechziger Jahre das größte Fährschiff auf der Ostsee, und Details davon hat er in Gebäuden übernommen. Aber was ihr nicht wissen könnt: das hier ist die Präsidentensuite. Und nicht bloß dem Namen nach. Hier in dieser Kammer hat mehrmals unser damaliger Präsident Urho Kekkonen gewohnt.”
“Das waren noch Zeiten”, sage ich und versuche mir vergeblich vorzustellen, zu welchen diplomatischen Verwicklungen es garantiert führte, wenn die Finnen einen unserer Bundesaußenminister bei einem Staatsbesuch in dieser Kammer unterbringen wollten.

Urho Kekkonens Präsidentensuite, Leppiniemi

Der Professore aus Venezia sprach übrigens in seinem kaum verständlichen Englisch nicht über Venedig, und der türkische Professor aus Istanbul nicht über Istanbul, sondern über Sydney, aber die Vorträge waren trotzdem ganz interessant.

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Mittwoch, 10. Oktober 2012
Nach Norden: Oulu, Pohjois-Pohjanmaa

"Was'n Wort: Norden."
Arno Schmidt

So ganz vertrauen wohl selbst die Finnen ihrem Norden (Pohjola) nicht, zumindest zeigt er neben einer zahnstummelfletschend lachenden Grimasse an einer Hauswand auf der Aleksanderinkatu in Helsinki auch noch ein sehr grimmiges Gesicht.
Wenn man sich von Helsinkis Haupteinkaufsstraße nordwärts in die ewig singenden Wälder schlägt und mit etlichen Umfahrungen diverser Seen einen ziemlich genauen Nordkurs hält, kommt man zirka 600 Kilometer weiter nur wenig vom Polarkreis entfernt an der Küste des Bottnischen Meerbusens aus diesen Wäldern auch einmal wieder heraus – nachdem man sich unterwegs den Bauch mit Unmengen von frischen Pfifferlingen direkt aus dem Waldboden und einigen Eimern Beeren, darunter vor allem weit im Norden auch die legendäre Lakka oder Multebeere, vollgeschlagen hat.

Finnischen Tango gibt’s natürlich auch noch, aber um diese Jahreszeit nicht mehr auf den kleinen Holzbühnen an Seeufern mitten in den Wäldern. “The seasons closing concert” fand für diese Saison am 28. September im Agricola-klubi in Helsinki statt:
“Tango is deeper and more soulful than ever when Tanguedia Quintet and Angelika Klas perform new arrangements of classical finnish tangos such as Kotkan Ruusu and Hiljainen Kylätie and new concert tango from Kirmo Lintinen, Jukka Linkola and Kari Ikonen...”
Zum Glück also liegt der finnische Tango nicht mehr überwiegend in den Händen von Numminen, dessen Masche mir am Ende ebenso nervtötend vorkam wie die Paasilinnas in seinen Büchern. Dem Marschtritt aber ist der Tango in Finnland weitgehend treu geblieben, weshalb sich argentinische Schmachtlappen denn auch mit leicht gekräuseltem Menjoubärtchen angewidert abwenden und ihre Damen zu langgezogenem weltschmerzenden Bandoneongewinsel rückwärts gebeugt übers Knie legen, während die derart verbogene Dame dem schmieriggegeelten Latino auch noch mit ihrer Schuhspitze vermeintlich lasziv die Wade auf und ab streicht.
Obwohl Atheist (was denn sonst?) steckt doch noch immer so viel protestantische Prägung in mir, daß mir die nordische Geradlinigkeit da lieber ist als das südlich-katholische Geschlängel. Aber ich tanze ja auch keinen Tango (mehr).

Oulu

Tja, dann rollt man nach Hunderten von Kilometern also irgendwann aus dem finnischen Endloswald mit ganz vereinzelten Holzhäusern neben denen die Sauna raucht und mitten hinein in die nördlichste Großstadt der EU, die seit dem Neuaufbau nach einem Großbrand im Jahr 1822 womöglich noch unmotivierter an der Mündung des Oulujoki liegt als früher. Einst war der Fluß der wichtigste Verkehrsweg ins Hinterland und Haupttransportroute für Teer und Holz, das auf ihm in rauhen Mengen zum Meer geflößt wurde. Heute ist er vor allem Stromlieferant und wird von etlichen Wasserkraftwerken gestaut, bis kaum mehr Strömung zu sehen ist. Das macht es immerhin etwas weniger lebensgefährlich, wenn einige von den ganz harten Finnen mitten im Winter ein schwimmbeckengroßes Rechteck aus dem dicken Eis auf dem Fluß sägen und dort todesverachtend das letzte wärmende Textil abwerfen und in das eisige Wasser steigen. Als ich das letzte Mal in Oulu war, ist mir schon beim Zusehen fast das Herz stehen geblieben.
Die Mortalitätsrate beim Eisschwimmen muß hier aber vergleichsweise gering ausfallen, denn die Einwohnerzahl der Stadt ist – Wirtschaftskrisen hin oder her – allein im letzten Jahrzehnt von 120.000 kontinuierlich auf über 140.000 angewachsen. Noch einmal zehn Jahre zurück hatte sie gerade die 100.000er-Marke überschritten. Von Überalterung keine Spur. Die Universität bietet attraktive neue und kreative Studiengänge an, innovative finnische High-Tech-Unternehmen bieten gut bezahlte Jobs mit Zukunftsperspektiven, und längst ist die Stadt nicht mehr weit vom Schuß: Flüge zurück nach Helsinki zu sehr günstigen Preisen heben fast im Stundentakt ab.

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Donnerstag, 4. Oktober 2012
Rakkautta & Anarkiaa

Oh ja, fein unterhalten wird man in Helsinki immer wieder. Dieser Tage erst ging z.B. das sehr gut beschickte Internationale Filmfestival HIFF zu Ende. Es stand unter dem obigen Thema: Rakkautta & Anarkiaa (Programm). Das zweite Wort dürfte ohne Schwierigkeit zu entziffern sein, das erste ist das nicht unbedingt weicheierig-zärtlich, sondern eher feurig-leidenschaftlich klingende finnische Wort für Liebe. Finnen müssen bei Liebe wohl unweigerlich raketti, Raketen, assoziieren. (Hätte man diesen Kaurismäki-Typen gar nicht zugetraut.) Liebe & Anarchie also; die beiden gehen gut zusammen, wie auch etliche der Festivalbeiträge belegten.
Breitleinwandepen wie die Verfilmung der Struensee-Affäre mit Mads Mikkelsen (En Kongelig Affære, A Royal Affaire) waren darunter, nicht sehr anarchisch. Das Bollywoodopus Love Rebels kam dem Thema schon näher, und der Einfall, mit Mannerheim, Marshall of Finland den Film eines kenianischen Regisseurs zur Premiere einzuladen, in dem ein tiefschwarzer Kenianer den finnischen Nationalhelden verkörpert, spricht sehr für den Humor der Finnen.
Für mich bieten solche Festivals vor allem die Gelegenheit, sogenannte kleine Filme zu entdecken, die man sonst allerhöchstens im schuhkartongroßen “Saal” eines halb vergessenen Programmkinos aufstöbern kann. Eine ganze Sektion des Festivals widmete sich solchen “Indie Jewels” aus aller Welt.



Ich habe nicht annähernd einen wirklich repräsentativen Querschnitt des umfassenden Programms sehen können, aber mein Eindruck ist, daß in diesem Jahr die zwar oft schwer erträglichen oder verstörenden, aber sehenswertesten neuen Filme allesamt aus Osteuropa kommen, und sie sind mit all der unterdrückten oder offenen Gewalt darin von Frauen gemacht.



Nennen möchte ich besonders zwei Filme, zum einen das Spielfilmdebüt Klip der 28-jährigen serbischen Regisseurin Maja Miloš und, ebenfalls ein Spielfilmdebüt, der russische Film Portret v sumerkakh (Twilight Portrait) von Angelina Nikonova und einer ziemlich umwerfenden Hauptdarstellerin Olga Dykhovichnaya, die auch das Drehbuch schrieb. Ganz anders als Klip, aber ebenso voller Gewalt, abgrundtiefer Tristesse, und die entscheidende Wendung im Verhalten der Protagonistin, die den ganzen Film treibt, für mich absolut unverständlich. Ich mag einfach nicht glauben, daß Frauen in heute von Frauen gedrehten Filmen als derart masochistisch unterwürfig Liebende hingestellt werden. Der Film bietet auch diese Deutung an, aber nur als eine mögliche, und genau das hält einen beschäftigt. Auch in Deutschland hat der Film schon heftig kontroverse Kommentare ausgelöst. Hier und hier zwei Stimmen dazu.

Und zum versöhnlichen Abschluß, ehe ich mich für ein paar Tage in die Wälder schlage, der Trailer zu Rakkautta & Anarkiaa


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Mittwoch, 3. Oktober 2012
NEW ARKADIA, Helsinki

Da wir uns schon im finnischen Untergrund aufhalten, wissen Sie, wo wir uns hier befinden?

Ich verrate es gern: im Lesezimmer für Gäste von Helsinkis charmantester Buchhandlung.
New Arkadia (Dagmarinkatu 5). Nicht nur, daß man sich zum Lesen mit jedem Buch in diese Kellerklause zurückziehen und frei an der Weinflasche bedienen darf. Im hellen, wie ein Wohnzimmer eingerichteten Obergeschoß steht immer grüner Tee bereit, und der Inhaber, Ian Bourgeot, findet mit jedem interessierten Besucher ein anregendes Gesprächsthema. An Sprachkenntnissen, Gesprächsfreude und Welterfahrenheit fehlt es ihm wahrlich nicht. Sein Vater ist Franzose, seine Mutter deutsch-guatemaltekisch. Er selbst wurde in England geboren, ging aber in Mexiko und Malaysia zur Schule und heiratete eine Finnin, die ihn Mitte der Neunziger mit nach Helsinki nahm. Unsere geradezu provinzielle deutsch-serbische Liaison mit niederländischem Wohnsitz dient ihm denn auch nur als Anlaß, zu fragen, ob wir uns denn auch an den letzten Eurovision Song Contests so gefreut hätten.
Auf meinen ungläubigen Blick erklärt er, dieser Wettbewerb sei doch das am meisten unterschätzte Band europäischer Einigung. Ich gucke wahrscheinlich wie ein Auto. “You can’t be serious.” – O doch, vollkommen ernst. Es wäre doch nicht auszudenken, wenn die teilnehmenden Nationen Vertreter schickten, die wirklich hoch geschätzt würden. Jede vermeintliche Zurücksetzung oder ungerechte Bewertung wäre ein casus belli. “Wir hätten schon bald wieder Krieg in Europa, wenn die Kroaten Serbien zéro points gäben, nicht wahr, Madame”, sagt er mit einem Einverständnis heischenden Blick Richtung Serbien an meiner Seite.
“Ich fürchte ja”, antwortet Serbien betrübt.
“Sehen Sie! Aber die europäischen Fernsehanstalten sind schlau. Sie schicken nur Vertreter, die kein Mensch ernst nehmen kann. Nur ihre Landsleute, Monsieur”, sagt er an die deutsche Adresse, “haben es, tut mir leid, das sagen zu müssen, wieder einmal am notwendigen Humor fehlen lassen und gemeint, Sie müßten Oslo ein zweites Mal einnehmen.”
“Mit Lena.”
“Ja, mit Lena, aber wie so viele erinnern Sie sich wohl nicht an ihren Familiennamen?”
“Lena Meyer-...irgendwas.”
“Lena Meyer-Landrut”, präzisiert der französisch-finnisch-deutsch-guatemaltekische Buchhändler wie aus der Pistole geschossen. “Und der Nachname sagt Ihnen vermutlich nichts.”
“Richtig.”
Meyer-Landrut.”
“Meyer-Landrut, und?”
“Lenas Großvater, Andreas M-L, stammt aus einer alten deutschbaltischen Familie und war Botschafter Ihres Heimatlandes, besonders in Moskau.”
“Aha.”
“Nun gut, in Rußland und im Baltikum erinnerte man sich aber noch sehr gut, als ein Fräulein M-L für Deutschland auf die Bühne trat. Nach Beendigung seiner diplomatischen Laufbahn ist der alte M-L nämlich noch einmal als Chef von M-B nach Moskau zurückgekehrt.”
“M-B?”
“Mercedes-Benz. M-L war Chef von Mercedes-Benz in Rußland. Kein unwichtiger Mann. Und als Lena in Oslo die Bühne stürmte, da wußte man in Moskau und anderswo, daß die Deutschen es wieder einmal ernst meinten.”
“So ernst nun auch wieder nicht”, entgegnete ich.
“Was läßt Sie daran zweifeln? Sie haben doch gesiegt.”
“Wenn wir es ernst gemeint hätten, dann hätten wir die Enkelin von Kesselring oder Rommel geschickt”, sage ich.

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Mittwoch, 3. Oktober 2012
Temppeliaukion kirkko

Die Finlandia-Halle am Südufer der Töölö-Bucht ist nur der verwirklichte Teil eines Gesamtplans für ein neues, repräsentatives Stadtzentrum, das Aalto Anfang der Sechziger Jahre für Helsinki entwarf. Es sollte das damals unbebaute Dreieck zwischen Parlament, Nationalmuseum und dem wuchtigen Jugendstilbahnhof einnehmen, das sich stadtauswärts zur Töölö-Bucht hin öffnet. Von der Bucht sollte es in drei Terrassen Richtung Innenstadt ansteigen. In der Zwischenzeit wurde und wird das Areal bebaut, jedoch mit Entwürfen anderer Architekten; etwa mit dem Museum für zeitgenössische Kunst, Kiasma, des Amerikaners Steven Holl von 1998 oder mit dem im letzten Jahr eingeweihten Haus für Musik, Musiikkitalo, dessen Konzertsaal im Unterschied zur Finlandia-Halle eine überragende Akustik haben soll und laut Hamburger Abendblatt als “klingendes Vorbild der Elbphilharmonie” gilt. Ein regelmäßiger Konzertgänger in Helsinki sagte mir: "Als wir nach zwanzig Jahren Finlandia-Halle das erste Konzert im neuen Musikhaus hörten, hatten wir alle das Gefühl, jemand habe uns endlich Stöpsel aus den Ohren gezogen.”
Geht man von dort ein paar Hundert Meter in westlicher Richtung durch den Stadtteil Töölö, landet man vor einer Wand, die aussieht, als habe jemand eine Klagemauer auf einer schießschartenartig betonarmierten Tiefgaragenzufahrt errichtet. Dahinter liegt, in den Granit gebohrt, ein weiteres Wunder moderner finnischer Architektur, die Temppeliaukio-Kirche der Brüder Timo und Tuomo Suomalainen von 1969.

Nachdem man das Maul der Höhle betreten und das dunkle Foyer durchschritten hat, öffnet sich ein Felsendom unter einem gigantischen Gong oder Becken aus Kupfer. Zwischen den Streben, die diese Kuppel halten, flutet von oben Licht durch unzählige Fenster. Das Widerspiel zwischen glatt gegossenem Beton, zyklopisch grobem Felsgestein und blankem Kupfer wiederholt sich um die Verkleidung der Empore und bei der Orgel.



Das staatliche finnische Fernsehen YLE hält noch ein Video über den Einweihungsgottesdienst bereit, in dem vor allem die jungen Leute zu sehen sind, die vor der Kirche demonstrierend fordern, man solle das Geld für den Bau besser nach Biafra überweisen.
Viel bizarrer finde ich aber, daß ausgerechnet der staatliche Radiosender dieses erzprotestantischen Landes wohl der einzige außerhalb des Vatikans sein dürfte, der wöchentlich Nachrichten auf Latein sendet:
“Neil Armstrong vita defunctus. Breivik vinculis condemnatus...” schallt es in wunderbar hartem und deutlichem finnischen Akzent auf Nuntii Latini. Die spinnen, die Finnen, aber herrlich.

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Montag, 1. Oktober 2012
Finlandia-Halle


Von anderen Bauten der klassischen Moderne in Finnland ganz zu schweigen. Etwa von Alvar Aaltos Finlandia-Halle.




»Die den Menschen umgebenden Gegenstände sind kaum Fetische oder Allegorien, die einen mystischen, ewigen Wert haben. Sie sind vielmehr Zellen und Gewebe, lebendig wie diese, Bausteine, aus denen sich das menschliche Leben zusammensetzt. Man kann sie nicht anders behandeln als andere Einheiten der Biologie, sonst laufen sie Gefahr, nicht mehr ins System zu passen, sie werden unmenschlich.«
(Alvar Aalto, 1935)


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Sonntag, 30. September 2012

Aus Petersburg und Botox-Land* zurück in Helsinki sieht man plötzlich einen ästhetischen Reiz in einer schlichten Außentreppe.

*Botox ist in Rußland einer der Spitznamen für Putin

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