“Obgleich wir den Drachenbaum in Herrn Franquis Garten aus Reiseberichten kannten, so setzte uns seine ungeheure Dicke dennoch in Erstaunen. Man behauptet, der Stamm dieses Baumes, der in mehreren sehr alten Urkunden erwähnt wird, weil er als Grenzmarke eines Feldes diente, sey schon im fünfzehnten Jahrhundert so ungeheuer dick gewesen wie jetzt. Seine Höhe schätzten wir auf 50 bis 60 Fuß [16 bis 19,5 m]; sein Umfang nahe über den Wurzeln beträgt 45 Fuß [14,6 m].
Unter den organischen Bildungen ist dieser Baum, neben der Adansonie oder Baobab in Senegal, ohne Zweifel einer der ältesten Bewohner unseres Erdballs. Der Drachenbaum, der nur in den angebauten Strichen der Canarien, auf Madera und Porto Santo vorkommt, ist eine merkwürdige Erscheinung in Beziehung auf die Wanderung der Gewächse. Auf dem Kontinent und Afrika ist er nirgends wild gefunden worden, und Ostindien ist sein eigentliches Vaterland. Auf welchem Wege ist der Baum nach Teneriffa verpflanzt worden?”
Anschließend fuhren wir hinab ans Meer, nach Orotava-Hafen, wie Humboldt schrieb, doch ist der Ort heute unter dem Namen Puerto de la Cruz bekannt, und da traf uns der Schlag.
Nach einem kurzen Rundgang durch diese künstlich angelegte Robbenkolonie und einer dazu passenden Abspeisung durch ein Touristenmenü, das in allen Urlaubersprachen Mittel- und Nordeuropas inklusive des Finnischen ausgehängt war, nur mit spanischer Küche nicht mehr das Geringste gemein hatte, entschlossen wir uns noch an Ort und Stelle, auf eine Besichtigung der Südküste der Insel mit der berühmten Playa de las Americas und anderen beliebten Ferienorten freiwillig zu verzichten.
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(Alexander von Humboldt: Reise in die Aequinoctial-Gegenden des neuen Continents)
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“Auf unserem Wege zum Hafen von Orotava kamen wir durch die hübschen Dörfer Matanza und Victoria. Diese beiden Namen findet man in allen spanischen Colonien neben einander; sie machen einen widrigen Eindruck in einem Lande, wo alles Ruhe und Frieden atmet. Matanza bedeutet Schlachtbank, Blutbad, und schon das Wort deutet an, um welchen Preis der Sieg erkauft worden. In der neuen Welt weist er gewöhnlich auf eine Niederlage der Eingeborenen hin; auf Teneriffa bezeichnet Matanza den Ort, wo die Spanier von denselben Guanchen geschlagen wurden, die man bald auf den spanischen Märkten als Sklaven verkaufte.”
(Alexander von Humboldt: Reise in die Aequinoctial-Gegenden des neuen Continents in den Jahren 1799, 1800, 1801, 1803 und 1804)
Zum Bild: Die südländische Sitte, Tote in solche Schließfächer einzumauern, weckt in mir immer ein leises Unbehagen. Mir fehlt da die Verbindung zur Erde. Der Rücklauf, der Wiedereingang ins Organische wird unterbrochen oder zumindest noch einmal hinausgeschoben.
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“Zwischen der Stadt Laguna, und dem Hafen von Orotava und der Westküste von Teneriffa kommt man zuerst durch ein hügligtes Land mit schwarzer thonigter Dammerde, in der man hin und wieder kleine Augitkrystalle findet. Wahrscheinlich reißt das Wasser diese Krystalle vom anstehenden Gestein ab, wie zu Frascati bei Rom. Leider entziehen eisenhaltige Flötzschichten den Boden der geologischen Untersuchung.
Wenn man ins Tal von Tacoronte hinabkommt, betritt man das herrliche Land, von dem die Reisenden aller Nationen mit Begeisterung sprechen. Ich habe im heißen Erdgürtel Landschaften gesehen, wo die Natur großartiger ist, reicher in der Entwicklung organischer Formen; aber nachdem ich die Ufer des Orinoko, die Cordilleren in Peru und die schönen Thäler von Mexiko durchwandert, muß ich gestehen, nirgends ein so mannigfaltiges, so anziehendes, durch die Vertheilung von Grün und Felsmassen so harmonisches Gemälde vor mir gehabt zu haben.
Das Meeresufer schmücken Dattelpalmen und Cocosnußbäume; weiter oben stechen Bananengebüsche von Drachenbäumen ab, deren Stamm man ganz richtig mit einem Schlangenleib vergleicht. Die Abhänge sind mit Reben bepflanzt, die sich um sehr hohe Spaliere ranken. Mit Blüthen bedeckte Orangenbäume, Myrten und Cypressen umgeben Capellen, welche die Andacht auf freistehenden Hügeln errichtet hat. Ueberall sind die Grundstücke durch Hecken von Agave und Cactus eingefriedigt. Unzählige kryptogamische Gewächse, zumal Farne, bekleiden die Mauern, die von kleinen klaren Wasserquellen feucht erhalten werden.
Im Winter, während der Vulkan mit Eis und Schnee bedeckt ist, genießt man in diesem Landstrich eines ewigen Frühlings. Sommers, wenn der Tag sich neigt, bringt der Seewind angenehme Kühlung. Die Bevölkerung der Küste ist hier sehr stark; sie erscheint noch größer, weil Häuser und Gärten zerstreut liegen, was den Reiz der Landschaft noch erhöht. Leider steht der Wohlstand der Bewohner weder mit ihrem Fleiße, noch mit der Fülle der Natur im Verhältniß. Die das Land bauen, sind meist nicht Eigenthümer desselben; die Frucht ihrer Arbeit gehört dem Adel, und das Lehnssystem, das so lange ganz Europa unglücklich gemacht hat, läßt noch heute das Volk der Canarien zu keiner Blüthe gelangen."
(Alexander von Humboldt: Reise in die Aequinoctial-Gegenden des neuen Continents in den Jahren 1799, 1800, 1801, 1803 und 1804)
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Außer einigen baumartigen Euphorbien, Cacalia Kleinia und Fackeldisteln (Cactus), welche auf den Canarien, wie im südlichen Europa und auf dem afrikanischen Festland verwildert sind, wächst nichts auf diesem dürren Gestein. Unsere Maulthiere glitten jeden Augenblick auf stark geneigten Steinlagern aus. Indessen sahen wir die Ueberreste eines alten Pflasters. Bei jedem Schritt stößt man in den Colonien auf Spuren der Thatkraft, welche die spanische Nation im sechzehnten Jahrhundert entwickelt hat.
Je näher wir Laguna kamen, desto kühler wurde die Luft, und dies thut um so wohler, da es in Santa Cruz zum Ersticken heiß ist.
Die fortwährende Kühle, die in Laguna herrscht, macht die Stadt für die Kanarier zu einem köstlichen Aufenthaltsorte. Auf einer kleinen Ebene, umgeben von Gärten, am Fuße eines Hügels, den Lorbeeren, Myrten und Erdbeerbäume krönen, ist die Hauptstadt von Teneriffa wirklich ungemein freundlich gelegen.
Laguna ist in seinem Wohlstand herabgekommen, seit die Seitenausbrüche des Vulkans den Hafen von Garachico zerstört haben und Santa Cruz der Haupthandelsplatz der Inseln geworden ist; es zählt nur noch 9000 Einwohner, worunter gegen 400 Mönche in sechs Klöstern. Manche Reisende behaupten, die Hälfte der Bevölkerung bestehe aus Kuttenträgern. Die Stadt ist mit zahlreichen Windmühlen umgeben, ein Wahrzeichen des Getreidebaus in diesem hochgelegenen Striche. Ich bemerke bei dieser Gelegenheit, daß die nährenden Grasarten den Guanchen bekannt waren. Geröstetes Gerstenmehl (gofio) und Ziegenmilch waren die vornehmsten Nahrungsmittel dieses Volkes, über dessen Ursprung so viele systematische Träumereien ausgeheckt worden sind. Diese Nahrung weist bestimmt darauf hin, daß die Guanchen zu den Völkern der alten Welt gehörten, wohl selbst zur caucasischen Race, und nicht, wie die andern Atlanten (Ich lasse mich hier auf keine Verhandlung über die Existenz der Atlantis ein und erwähne nur, daß nach Diodor von Sicilien die Atlanten die Cerealien nicht kannten, weil sie von der übrigen Menschheit getrennt worden, bevor überhaupt Getreide gebaut wurde), zu den Volksstämmen der neuen Welt; die letzteren kannten vor der Ankunft der Europäer weder Getreide, noch Milch, noch Käse.”
(Alexander von Humboldt: Reise in die Aequinoctial-Gegenden des neuen Continents in den Jahren 1799, 1800, 1801, 1803 und 1804)
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So, der Mond rundete sich wieder, wir sind schon einen Monat hier; darum auf zu neuen Unternehmungen, meine Damen und Herrn! Höchste Zeit, daß wir die Hauptstadt Heiligkreuz einmal verlassen und etwas mehr von der Insel in Augenschein nehmen. Zu unserem Cicerone, so hießen die Fremdenführer mit Ahnung damals, haben wir uns einen vielversprechenden jungen Mann auserkoren, noch keine dreißig Jahre alt und im Begriff, zur Reise seines Lebens aufzubrechen. Seine Mutter trug den Mädchennamen Colomb, und ihn selbst hat man später einen zweiten Kolumbus genannt, persönlich bezeichnete er sich nach einem Studium u.a. in Göttingen früh als “Nomade zwischen den Wissenschaften”, alles Referenzen, die ihn uns wärmstens empfahlen. Er selbst führte sich bei uns mit den folgenden Worten ein:
“Von früher Jugend auf lebte in mir der sehnliche Wunsch, ferne, von Europäern wenig besuchte Länder bereisen zu dürfen... Dinge, die wir nur aus den lebendigen Schilderungen der Reisenden kennen, haben ganz besonderen Reiz für uns; Genüsse, die uns nicht erreichbar sind, scheinen uns weit lockender, als was sich uns im engen Kreise des bürgerlichen Lebens bietet.”
Genug, junger Mann, das genügt. Sie sind engagiert.“Im März 1799 wurde ich dem Hofe von Aranjuez vorgestellt. Der König nahm mich äußerst wohlwollend auf”, vollendete er noch, nicht ohne Stolz.
Vom Ersten Staatssekretär hatte er einen Paß erhalten, der ihm volle Reisefreiheit in allen spanischen Besitzungen gewährte und ihn ermächtigte, überall Beobachtungen und Messungen vorzunehmen und Proben zu sammeln, “die ich zur Förderung der Wissenschaft gut finde. Nie hat die spanische Regierung einem Fremden größeres Vertrauen bewiesen. - Und wir sind niemals einer Spur von Mißtrauen begegnet, haben uns nie über menschliche Ungerechtigkeit zu beklagen gehabt.” Und das alles, obwohl Spanien sich damals im Weltkrieg mit England befand.
“Der Augenblick, wo man zum erstenmal von Europa scheidet, hat etwas Ergreifendes. Getrennt von den Wesen, an denen unser Herz hängt, im Begriff, gleichsam den Schritt in ein neues Leben zu tun, ziehen wir uns unwillkürlich in uns selbst zusammen, und über uns kommt ein Gefühl des Alleinseins, wie wir es nie empfunden.
Wir brauchten zur Überfahrt von Coruña nach den Kanarien dreizehn Tage.
Am 19. morgens sahen wir den Berggipfel Naga, aber der Pic von Teneriffa blieb fortwährend unsichtbar. Das Land trat nur undeutlich hervor, ein dicker Nebel verwischte alle Umrisse. Als wir uns der Reede von Santa Cruz näherten, bemerkten wir, daß der Nebel, vom Winde getrieben, auf uns zukam. Das Meer war sehr unruhig, wie fast immer in diesen Strichen. Wir warfen Anker. Aber eben, da man anfing den Platz zu salutieren, zerstreute sich der Nebel völlig, und da erschien der Pic des Teide in einem freien Stück über den Wolken.”
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Heute darf noch einmal gehuldigt und gejubelt werden:
Das Fahrtenbuch vollendet sein viertes Jahr.
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